Wer Bericht erstattet, muss gute Gründe darlegen können, wenn er Sterben und Tod in Wort und Bild öffentlich macht. Gute Gründe.
Es gab gute Gründe, das Sterben George Floyds öffentlich zu machen, weil nur so möglich wurde, den Mörder vor Gericht zu bringen. Dazu bedurfte es Öffentlichkeit. Es gilt aber dennoch: Die Würde dieses gequälten Mannes wurde in den Darstellungen verletzt. Der konkurrierende Anspruch des Rechts und Rücksicht auf das Leidens der Angehörigen wogen schwerer.
Am 12. September 2015 wurde von vielen Medien das Bild des beziehungsweise ein Filmstreifen mit dem tot an einen Strand gespülten dreijährigen Ailan veröffentlicht. Einen Hintergrund wie im Fall Floyds gab es nicht. Man sagte: Die entsetzlichen Umstände des Flüchtens wögen schwerer als der Anspruch des kleinen Jungen auf Würde und würdigen Umgang mit seinem toten Körper. Die Süddeutsche brachte damals kein Bild, auch der Kölner Stadt-Anzeiger nicht.
Hier konkurrierte also eine allgemeine Moral mit der Würde Ailans. In diesem Fall war die Entscheidung schon sehr viel schwieriger.
Was ist denn das, diese Würde? In Artikel 1 des Grundgesetzes steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Unantastbar. Die Würde ist also nichts Immaterielles wie ein Gedanke im Kopf, sondern Würde hat einen Körper, sie ist Gegenstand. Sie steht Dingen entgegen. Sie ist an Körper und durch Erinnern an Körper gebunden. Sie bezieht sich also auch auf Sterben und Tod. Das ist nun mal die Grundlage journalistischer Ethik und daher kann nichts Grund sein, länglich zuzuschauen, wenn ein Sportler zwischen Leben und Tod schwebt und vielleicht stirbt. Worin sollte der Grund bestehen?
Wenn man nun sagt, die Verhältnisse in diesem oder jenen Bereich sind grundverdorben, dann setzt das den Anspruch auf Würde im Einzelfall keineswegs außer Kraft. Es gilt vielmehr der Umkehrschluss: Wo die Dinge im Argen legen, muss umso mehr auf die Würde des Einzelnen geachtet werden.
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