Es ist eine gute Nachricht, die in den Berliner Wirren nach dem Ende der Ampel, dem Theater um FDP-Chef Lindner und dem Hin und Her um Scholz und Pistorius beinahe untergegangen wäre. Rolf Mützenich hat sich entschieden, erneut für den Deutschen Bundestag zu kandidieren. „Ich werde weiter für die SPD kämpfen, mit euch zusammen in Köln und in Deutschland insgesamt“, sagte der Fraktionsvorsitzende der SPD den Ortsvereinsvorsitzenden in der Domstadt in einer Schalte. Es gehe um den Zusammenhalt im Lande, die Sicherung von Arbeitsplätzen und eine kluge Sicherheitspolitik. Das ist ein Signal in diesen unruhigen Zeiten, da braucht es eine kluge, nachdenkliche, respektvolle Persönlichkeit, einen wie Rolf Mützenich, über dessen Verbleib im Bundestag oder seinen Abschied von der Politik in den Medien wie dem Berliner „Tagesspiegel“ spekuliert wurde. Jetzt, da die Ampel zerbrochen ist, der Kanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellt, im Februar, mitten im Karneval, der Bundestag vorzeitig neu gewählt wird, es eine neue Regierung geben, der Bundestag viele neue Gesichter haben wird, hat sich Mützenich fürs Weitermachen entschieden. Er wird gebraucht, keine Frage.
Vermutlich war es wie so oft bei Rolf Mützenich, dass er mit sich gerungen hat um die richtige Entscheidung, für sich gewiss auch, aber eben auch für seine Partei, der er seit 1975 angehört, für das Land, das Parlament. Es steht schließlich viel auf dem Spiel, wenn man noch zu allem dazu nimmt, dass mit BSW und AfD zwei Parteien mitmischen, die unberechenbar sind, nur ihre eigenen Interessen im Sinn haben und nicht die der parlamentarischen Demokratie, die unsere Republik seit dem Zweiten Weltkrieg geprägt und ihr gut getan hat, sehr gut sogar. Ja, mit 65 Jahren darf man ans Aufhören denken, damit andere Verantwortung übernehmen. Letzteres war stets Mützenichs Sache, er ist nicht der Egomane, der die Ellenbogen ausfährt, um sich Platz zu verschaffen, um zu tun, was seiner Karriere förderlich wäre.
Den Laden zusammenhalten
Aber es geht momentan auch darum, den Laden zusammenzuhalten, damit gemeint ist die SPD-Fraktion, die älteste Partei in Deutschland, die unter Druck geraten ist von jenen unheilvollen Kräften, die dieses Land schon mal vor Jahrzehnten in den Untergang gerissen hatten. Niemals wollten die Mütter und Väter das vergessen, niemals, das hatten sie sich geschworen, sollten Faschisten wieder an die Macht kommen. Vergessen ist das nicht in der Erinnerung von Menschen wie Rolf Mützenich. Der Kampf für die Demokratie muss geführt werden.
Weiter für eine starke SPD zu kämpfen, das wird schwierig genug. Da ist das neue Wahlrecht, das den Bundestag verkleinern wird, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt und die Ampel-Regierung es umgesetzt hat. Und dann stehen eben die Wahlen an, die der Sozialdemokratie nicht viel Gutes prophezeien. Umfragen zufolge würde die SPD-Stand heute- gerade mal 16 Prozent der Stimmen gewinnen. Zur Erinnerung: Bei der Wahl 2021 erreichte die Partei 26 Prozent der Stimmen, wurde stärkste Fraktion mit vielen jungen Politikerinnen und Politikern. Jetzt fürchtet fast die Hälfte um ihr Mandat, die berufliche Existenz. Diese Diskussion beschäftigt auch den Chef der Fraktion, weil er die Sorgen der Kolleginnen und Kollegen kennt. Menschen zusammen zu führen, ist eine der Stärken des Kölner Sozialdemokraten.
Es geht um den Zusammenhalt in diesem Land gegen die rechtsextremistischen Kräfte, gegen Neonazis, Populisten, gegen Spalter wie Weidel, Höcke und Wagenknecht. Es braucht einen aktiven Staat, mit dem die Arbeitsplätze gesichert, der Frieden geschaffen werden kann. Rolf Mützenich gilt als Vertreter des linken Flügels der SPD. Aber was heißt das schon in diesen Zeiten? Natürlich hat er damals nach der Zeitenwende-Rede des Kanzlers dafür gesorgt, dass der Bundestag dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zustimmte. Das war kein leichter Weg für eine Partei wie die SPD, die immer auch Friedenspartei sein will, und für einen wie Rolf Mützenich schon dreimal nicht. Er war immer für Abrüstung und gegen Kriege, die so sinnlos sind, töten und zerstören, Hass sähen, Völker aufeinander hetzen. Er war nie ein Waffen-Narr. Es ist damals gelungen, dass es am Ende nur 9 Nein-Stimmen aus der SPD gab. Drei Tage nach Kriegsausbruch hielt er eine bedenkenswerte Rede: „Junge und nachfolgende Generationen werden uns dafür verurteilen, dass wir Älteren es nicht vermocht haben, eine bessere Welt zu schaffen.“ Und dann fügte er noch hinzu: „Solange wir können, müssen wir diese Schuld abtragen.“ So klingt das, wenn einer Verantwortung trägt, wenn einer selbst einräumt, dass er Schuld trage an dieser Entwicklung.
Emotional schwere Zeit
Es war eine emotional schwere Zeit, der Krieg war durch den Überfall Russlands auf die Ukraine nach Europa zurückgekehrt. Und veränderte damit fast alles. Nach Jahrzehnten des Friedens hatten wir geglaubt, das alles sei nun auf ewig, wir waren von Freunden umzingelt, wir bräuchten keine Bundeswehr mehr, träumten von einem Europa mit Russland in einer neuen Sicherheitspartnerschaft. Auch Rolf Mützenich hatte von einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa gesprochen, davon, dass die Militärbündnisse überwunden werden müssten, er hatte in seine Gedanken ausdrücklich Russland mit einbezogen, wie das viele andere auch taten. Die NATO sei keine Garantie für Rechtstaatlichkeit und Demokratie, hatte er betont, das zeigten die Beispiele Ungarn, Polen und Trump. Moskau habe berechtigte Sicherheitsinteressen. Das war ja nicht falsch, wenn man, wenn auch er sich nicht in Putin getäuscht hätte. Das hat er dann eingeräumt, Fehler eben, wie sie fast alle im Westen gemacht haben. Und hatten wir, einschließlich der deutschen Wirtschaft, nicht alle gern vom billigen russischen Gas profitiert? Ein Fußballklub wie Schalke ließ sich von Gazprom mit Millionen beschenken, Jahr für Jahr. Putin hatte im Bundestag gesprochen, in deutscher Sprache, Goethe und Schiller zitiert. Ovationen des ganzen Bundestages folgten. Der Kriegslärm hat alles kaputt gemacht.
Rolf Mützenich hat damals den jungen Abgeordneten die Zweifel und die Ängste nehmen wollen, als sie auf ihn eingestürmt waren. Die hatten Meldungen auf ihren Smartphones gelesen, Putin habe die Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt. „Überleben wir das?“ hätten einige ihn gefragt. Und er hatte sie beruhigt: „Ja.“ Zuversicht kann einer wie er mit der Ruhe, die er ausstrahlt, vermitteln, auch wenn er natürlich nicht sicher war, dass wirklich nichts Schlimmeres passieren würde. Wer konnte das damals sein, wer weiß das heute schon, da Putin erneut zumindest sprachlich die Atomknöpfe bedient, um Angst zu verbreiten. Mützenich ließ keine Zweifel aufkommen und betonte später. „Ich bin der Auffassung, dass man in einer solchen Zeit nicht noch zusätzliche Verunsicherung stiften darf.“
Es ist wohltuend
Es ist wohltuend, einen wie ihn am Fernseher zu erleben, wie er sachlich argumentiert, wie er die Fragen von Christian Sievers im Heute Journal beantwortet, ruhig, gelassen, überlegen, besonnen, ohne besserwisserisch zu klingen. Der Mann führt die Fraktion der SPD, die Abgeordneten wissen, dass er für sie da ist, ihnen zuhört, nicht herumschreit, sondern mit ihnen diskutiert. Der Kanzler muss froh sein, dass er einen Mützenich als Fraktionschef hat, der loyal ist, was nicht bedeutet, dass er mit allem einverstanden wäre, was Olaf Scholz sagt und tut. Aber darüber lässt er sich nicht aus.
Er geht nicht in Talkshows, stattdessen ist er in sitzungsfreien Wochen unentwegt in den Wahlkreisen unterwegs, um seinen Abgeordneten zu helfen. Die Talkshow-Selbstdarstellung braucht er nicht. Die Auseinandersetzung findet für ihn und nach seinem Verständnis von Politik im Parlament statt, im Reichstag und nicht bei Social Media. Er macht das, was man den Austausch von Argumenten bezeichnet, er hört zu, lässt den anderen ausreden. Es war vor wenigen Tagen eine im Grunde für Mützenich typische Situation. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz beklagte sich im Parlament über einen Fake, den ein SPD-Abgeordneter über ihn verbreitet habe. Mützenich entschuldigte sich öffentlich bei Merz und kündigte an, er werde mit dem Abgeordneten reden und auch der werde sich entschuldigen. _So geschah es dann. In seiner letzten Rede zitierte der SPD-Fraktionschef aus Max Webers Buch „Politik als Beruf“, geschrieben 1919: Der Soziologe habe Integrität, Ehrlichkeit und Vernunft bei der politischen Klasse angemahnt. „Gerade heute in einer brüchigen Welt dürfen wir diese Anleitung nicht vergessen. Später könnten andere für unser Übermaß und unsere Torheit bestraft werden.“ Wie wahr, Webers Maxime gilt noch heute.
Dass es so etwas noch gibt in diesen unruhigen Tagen, Stil, Anstand, Umgang, Respekt. Es waren Mützenich und Merz, die in stiller Diplomatie den Streit um einen Neuwahltermin beigelegt haben. Merz bedankte sich „beim Kollegen Mützenich für die gute und konstruktive Zusammenarbeit“. Gut, dass das bei allen Kontroversen noch möglich ist. Es muss möglich sein unter Demokraten. Wer weiß, wer nach der Neuwahl mit wem regiert? Mützenich könnte in Richtung Merz der Brückenbauer sein.
Bildquelle: Dr. Frank Gaeth, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
22.11.2024 MÜTZENICH
Ich kann nur dem Textinhalt von Herrn Pieper zustimmen.
Mützenich ist für mich einer der wenigen Realpolitikern, der auch so in der Öffentlichkeit auftritt. Leider ist die Mehrzahl der Parlamentarier und Politiker nicht so geartet, es fehlt bei ihnen an VERNUNFT, Übersichtlichkeit, Verhältnismäßigkeit, … . Das sind in Summe auch die Gründe, weshalb Deutschland parteiübergreifend in der Krise steckt. Der Ausübung von wahrer Demokratie wurde leider der Boden unter den Füßen weggezogen, damit fehlt die Basis. So können keine Erfolge erzielt werden.