Es war einmal, so beginnen die Grimm-Märchen und so beginnt meine Geschichte über die SZ, die Süddeutsche Zeitung, die ich seit Jahrzehnten lese, die ich gelesen habe als Redakteur in Essen, als Parlamentskorrespondent in Bonn und Berlin, als stellvertretender Chefredakteur der WAZ und zugleich Politik-Chef. Ein feines Blatt, berühmt die Seite 3, der Leitartikel, nicht zu vergessen das Streiflicht, mit dem nicht nur ich meine morgendliche Lektüre beginne, mir dann die Karikatur anschaue, um dann einen Blick ins oftmals sehr politische Feuilleton zu werfen. Aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen verändern sich auch manche Medien, auch die SZ. Früher haben wir sie als leicht linksliberales Blatt eingestuft, gern Heribert Prantl gelesen, aber auch Martin Süßkind und Kurt Kister oder den viel zu früh verstorbenen Herbert Riehl-Heyse. Es fällt dem SZ-Leser, der das Blatt seit Jahrzehnten kennt und schätzt, die Verschiebung auf, die inhaltiche Veränderung. In Texten von Kurt Kister scheint gelegentlich durch, dass sich die Verlegerstruktur der Zeitung sehr verändert hat- nicht zum Vorteil für die redaktionelle Arbeit. Aus Verlegern mit journalistischem Anspruch sind Geschäftsleute geworden, die journalistische Qualität dem wirtschaftlichen Erfolg unterordnen.
Man liebt Grün in München, setzte vor Jahr und Tag auf Schwarz-Grün im Bund, träumte von einem Kanzler Robert Habeck, dann einer Kanzlerin Annalena Baerbock. Und der Leser, nicht nur ich, auch einige meiner Freunde bemerken, wie die SPD teils unfair behandelt wird. Den Kanzler Olaf Scholz wollten sie nicht, jetzt, da er seit gut einem halben Jahr im Amt ist, schelten sie ihn als zögerlich und zaudernd, weil er nicht sofort bereit war, schwere Waffen in die Ukraine zu liefern. Ja, auch unter den Journalisten gab es und gibt es Bellizisten. Auch in der SZ-Redaktion. Dass Scholz besonnen handelt, überlegt, mag sein langsamer als andere, wird gelobt vom Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser auf der Wirtschaftsseite der SZ. Nicht nur der Manager Kaeser findet, dass in einer so unruhigen Zeit, wo genügend Politiker und Journalisten, Berater und Lobbbyisten nervös herumlaufen, Hektik verbreiten, ein Kanzler gebraucht wird, der Ruhe ausstrahlt, Besonnenheit.
Ja natürlich hat Scholz auch Kritik verdient, seine Art der Kommunikation ist mehr als gewöhnungsbedürftig. Aber Scholz soll die gesamte Politik im Blick haben, die soziale, wirtschaftliche, die der Länder, des Bundes, von Europa, der ganzen Welt, er ist Bundeskanzler, kein Entertainer. Nein, er verdient kein Mitleid, das wäre falsch, denn er hat freiwillig den Weg in die Politik gewählt, niemand hat ihn gezwungen, Kanzler zu werden. Aber man darf die SZ fragen, was daran zu kritisieren ist, wenn Scholz sagt: Russland darf den Krieg nicht gewinnen. Oder glaubt jemand in München, die Ukraine werde diesen Krieg gegen die Weltmacht Russland gewinnen? Und hat nicht der große Alte der Weltpolitik, Henry Kissinger, gerade kommentiert, Kiew könne diesen Krieg nicht gewinnen? Kissinger liegt auf der Linie von Scholz, der darauf setzt, dass es irgendwann zum Waffenstillstand kommt, zu Verhandlungen, dass geredet statt geschossen wird. So hat es übrigens damals auch Willy Brandt gesagt.
Man darf sagen, dass keine Regierung vor dieser „Ampel“ einen solchen Berg an Arbeit auf dem Schreibtisch gehabt hat. Die Pandemie hat dieser Republik schon einiges abverlangt, hat die Schulen gefordert, Teile der Wirtschaft zum Stillstand gebracht, viele Tausende von Menschen sind an Corona gestorben, Millionen an ihr erkrankt. Und das Problem ist nicht erledigt, die nächste Welle kommt. Der Krieg Putins gegen die Ukraine hat fast alles auf den Kopf gestellt. Plötzlich stellt sich heraus, dass wir fast völlig abhängig sind von russischer Energie, vor allem vom Gas aus einem Land, mit dem wir über Jahrzehnte eine erfolgreiche Politik des Wandels durch Handel gemacht haben, Wandel durch Annäherung, wie es Willy Brandt und Egon Bahr formuliert hatten. Alle, wirklich alle waren dafür, auch weil das russische Gas so billig war. Und Russland war als Handelspartner zuverlässig, man frage die deutschen Firmen Mannesmann oder Eon-Ruhrgas. Es stimmt, wir haben Putins Aggressionen gesehen, in Tschetschenien zum Beispiel, und sind zur Tagesordnung geschritten. Niemand konnte eigentlich übersehen, wie Putins Luftwaffe in den Syrien-Krieg eingriff, wie Aleppo zerstört wurde. Es hätte ihn verdächtig machen, bei uns hätte man Alarm auslösen müssen. Hat man aber nicht, wir haben einfach weitergemacht, und zwar alle, Politik und Wirtschaft, die ganze Gesellschaft. Das billige Gas lockte.Niemand sah in Putin eine Gefahr. Er hat alle reingelegt, belogen. Putin ist ein Kriegstreiber. Der Krieg gegen die Ukraine verstößt gegen jedes Recht. Deutschland, Europa, die USA, alle unterstützen Präsident Selenskyi. Verurteilen Putin. Aber das macht doch eine Politik-Strategie wie damals- Wandel durch Annäherung- nicht falsch? Es wird irgendwann ein Russland nach Putin geben, mit dem man hoffentlich wieder reden, verhandeln kann, verläßlich. Es gibt keine Sicherheit in Europa ohne Moskau. Aber all das, was gegen Putin spricht, darf doch nicht ausschließen, dass wir jede Gelegenheit nutzen, um auch mit einem wie Putin darüber zu reden, wie aus dem Krieg wieder Frieden wird. So sieht es, nach meiner Einschätzung, der Meinung meiner Freunde, auch Scholz.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiers zweite Kandidatur für das höchste Amt im Staat stieß nicht auf Gegenliebe bei den hohen Damen und Herren der Journalisten-Zunft in Deutschlands heimlicher Hauptstadt. Der Sozialdemokrat, dessen SPD-Mitgliedschaft während seiner Amtszeit als Staatsoberhaupt ruht, der eine überragende Mehrheit im Bundestag und später in der Bundesversammlung bekam, dessen Arbeit selbst vom bayerischen Ministerpräsidenten Söder hoch gelobt wurde, musste sich mit der Schlagzeile in der SZ auf der Seite 1 zufriedengeben, dass er mangels Alternative wiedergewählt werde. Die Münchner wie andere Blätter aus dem hohen Hamburg hätten lieber eine Frau als Bundespräsidentin gehabt, wogegen nichts zu sagen wäre, wenn sich jemand für die Wahl aufgedrängt hätte. War aber nicht.
Wir kritisieren heute, im Nachhinein, Angela Merkel dafür, dass sie die Wehrpflicht außer Kraft gesetzt hat. Dass die Bundeswehr vernachlässigt wurde. Und wir vergessen dabei, dass Deutschland damals glaubte, von Freunden umzingelt zu sein. Es gab den Feind nicht mehr, wollte der doch mit uns europäische Haus. Alle sahen das so, alle.
Zurück zur geliebten Zeitung, der SZ, die ich in der Früh in die Hand nehme, während meine Frau den Bonner „Generalanzeiger“ liest. Wir tauschen uns aus und weisen daraufhin, was heute besonders lesbar ist. Und wer so Zeitung liest, dem fällt auf, wenn ein Blatt wie die SZ heute den EVP-Chef Manfred Weber auf der Seite 1 sagen lässt, dass dieser CSU-Politiker für Schwarz-Grün sei. Weber, stellvertretender CSU-Chef, inhaltlich bisher kaum aufgefallen in dieser Regionalpartei mit bundespolitischem Anspruch. Ein Mann, der redet, aber kaum etwas zur Sache zu sagen hat, stellt in der SZ fest, dass er in einer künftigen schwarz-grünen Koalition das beste Regierungsmodell für Deutschland sieht. Eine solche Koalition aus Union und Grünen könne die Gesellschaft zusammenbringen. Schwarz-Grün wäre eine richtige Antwort, „um die politischen Ränder zu schwächen“. Es darf gelacht werden. Wer ist schon Manfred Weber? Der darf dann auf der Seite 5 der SZ munter drauflos reden, die SPD als „in weiten Teiilen inhaltlich ausgezehrt“ bezeichnen. Sagt ausgerechnet ein CSU-Mann, dessen Parteichef Söder Bäume umarmen als grüne Politik sieht, dessen CSU seit Jahr und Tag den Ausbau regenerativer Energien- Stichwort Windräder- in Bayern nicht voranbringt, eine Partei, die in der Flüchtlingspolitik dadurch von sich reden machte, indem ihre führenden Leute wie Seehofer und Söder gegen Flüchtlinge polemisierten, weil diese in deutsche Sozialsysteme einwanderten. Christliche Politik soll das sein? Die reinste Heuchelei. Nicht vergessen werden sollen in diesem Zusammenhang die Masken-Geschäfte von CSU-Politikern, die aus dem Corona-Elend von Menschen noch Kapital geschlagen haben und Millionen Euro mit nach Hause nahmen. Das miese Geschäft wird nicht durch ein Urteil des BGH sauberer, anständiger.
Schwarz-Grün ist die Zukunft? Warum wurde Weber nicht nach Schwarz-Grün in Bayern gefragt? Dort sind nächstes Jahr Landtagswahlen. Und die CSU steht längst nicht mehr so da, wie früher, sie muss kämpfen, um weiter regieren zu können. Dann macht sich der SZ-Interviewer beliebt bei seinem Gesprächspartner und legt ihm quasi den Ball auf den Elfmeterpunkt mit der Einleitung: „Bei aller Anerkennung für Friedrich Merz als Oppositionsführer: Ist er der richtige Mann für die Zukunft? “ Da lässt sich dieser Manfred Weber doch nicht zweimal bitten und rühmt Friedrich Merz, der gerade dadurch aufgefallen war, dass er mit dem eigenen Flugzeug zur Hochzeitsfeier von FDP-Chef Lindner auf die Insel Sylt geflogen war. Jawohl, holt Weber aus, „Friedrich Merz hat bewiesen…(es folgt eine Sprechblase).. und ich bin überzeugt..(erneute Sprechblase). Deshalb ist Friedrich Merz auch ein Mann der Zukunft“. Donnerwetter, dieser Manfred Weber, der offensichtlich Länge mit Größe verwechselt.
Die SZ hat sich in einem Kommentar mit der Kritik an der Lindner-Lehfeldt-Hochzeits-Sause auf der Promi-Insel Sylt beschäftigt. Vertreter der evangelischen Kirche hatten moniert, dass das Ehepaar Lindner-Lehfeldt zwar aus der Kirche ausgetreten war, aber dennoch in einem Gotteshaus sich das Ja-Wort geben durfte. Margot Kässmann hat dies kritisiert, ein anderer Theologe fand, eine Kirche dürfe nicht zu einer Event-Location verkommen. Bei der Hochzeit, so Kässmann, sei es nicht um eine christliche Botschaft gegangen, sondern nur um die schöne Kulisse als Rahmen. Sylt, viel Prominenz, Champagner und eine Kirche. Anschließend ging es in die Sansibar. Die SZ meinte in einem Kommentar: Lasst Lindner feiern. Geschmacklos fand ich das. Andere urteilten härter: Dumm sei ein solcher Kommentar. Und dann in dieser Zeitung.
Es war einmal…Personell hat sich etwas verändert bei der SZ. Kurt Kister ist nicht mehr Chefredakeur, sondern nur noch leitender Redakteur. Heribert Prantl, wortgewaltiger Chef der Innenpolitik und Mitglied der Chefredaktion über Jahre, ist in Rente und meldet sich nur noch in der Wochenendausgabe mit einer Kolumne zu Wort. Cerstin Gammelin hat vor Monaten das Blatt Richtung Bundespräsidialamt verlassen, sie ist Sprecherin von Frank-Walter Steinmeier. Der langjährige Berliner Büro-Leiter Nico Fried wechselt zum 1. August zum Stern. Von anderen Kollegen ist zu hören, sie würden gehen, wenn sie etwas Adäquates fänden. Letztes Wort eines guten Freundes über die SZ: „Sie läuft Gefahr, inhaltlich beliebig zu werden.“ Ohne Ecken und Kanten, Furchen und Spitzen, ohne Gesicht. Dabei wollte sie immer etwas Besonderes sein.