Es muss schlimm um die Union bestellt sein, wenn selbst CDU-Chef Armin Laschet Zweifel äußert, es sei „nicht gottgegeben“, dass man den Bundeskanzler stelle. Man, will sagen die CDU. Sagt ausgerechnet der oberste Christdemokrat aus Aachen. Ja, wenn selbst der da oben nicht mehr mit der Union hält? Und auch der andere Oberste aus den politischen Christenreihen, der Christsozialen-Chef ist ins Grübeln gekommen. Er sei „nicht mehr zu hundert Prozent sicher“, dass die Union in jedem Fall den Kanzler stellen werde. Also er oder Laschet. Und weiter, seit Sonntagabend sei klar: „Es gibt theoretisch Mehrheiten jenseits der Union.“ So wörtlich Söder. Ist der Draht nach oben etwa gerissen? Wo er doch zu Beginn seiner glorreichen Amtszeit extra in allen Amtsstuben hatte Kruzifixe aufhängen lassen, ja selber Hand angelegt hatte. Und ich hatte immer gedacht, eine Wahl sei nicht nur geheim, sie sei auch frei. Aber gottgegeben, das wäre ein Ding.
Die Welt ist anscheinend eine andere geworden seit Sonntagabend, seit in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Grünen und die Roten an die Spitze gewählt worden sind. Gut, das mit Stuttgart kann man analysieren, wie ich las: Dort habe man wegen Kretschmann die Grünen gewählt und nicht die Christdemokraten. Kretschmann, ein tiefgläubiger Katholik, der vor Jahrzehnten die Wende hingekriegt und den Kommunisten den Rücken gekehrt hatte. Wegen Kretschmann also, das könnte doch die CDU-Freunde beruhigen. Wenn Kretschmann eines Tages aufhören sollte, dann müsste doch wieder einer der ihren in die Villa Reitzenstein einziehen. Wo sie doch in dem einstigen CDU-Vorzeigeland so tolle Ministerpräsidenten den Landeskindern zur Verfügung gestellt hatten, wie Kurt-Georg Kiesinger oder Hans Filbinger. Wie sagte doch Gerhard Schröder über seinen russischen Freund Wladimir Putin? Er sei ein „lupenreiner Demokrat“. Warum mir das jetzt zu Filbinger einfällt?
Ich kenne solche Geschichten, die immer gern von konservativen Medien verbreitet werden, wenn die CDU und/oder die CSU keine gescheiten Kandidatinnen und Kandidaten aufzubieten haben. Dann ist einer wie Kretschmann im Grunde seines Herzens ein CDU-Mann. Wie damals bei der SPD, als Helmut Schmidt Kanzler war, der es schaffte, die geborene Regierungspartei CDU und CSU ein paar Jahre in die Opposition zu schicken. Das gelang dem Hamburger auch nur, weil er im Grunde seines Herzens ein Schwarzer war. Der beste CDU-Kanzler, der je von der SPD gestellt wurde. Dabei blieb Helmut Schmidt ein Sozialdemokrat bis zu seinem Tod, auch wenn es da manche Dissonanzen gab mit den Parteifreunden. Aber das ist doch auch eine Lösung, wenn man schon selber keinen geeigneten Kanzler auf die Beine stellen kann, adoptiert man einen von der anderen Seite.
Gute Schulden- für einen guten Zweck
Und damit bin ich bei Scholz, Olaf Scholz, über den hier im Blog-der-Republik schon am Sonntagabend alles gesagt worden war, aber eben- frei nach Johannes Rau- nicht von allen. Ich fand das ja auch fast lustig, als Scholz seine SPD zur fröhlichen Partei kürte. Da wirkte der ansonsten ja eher kühle Mann von der Küste fast ausgelassen. Wen meinte er damit in der SPD? Die Parteispitze mit Saskia Esken ist in dieser Disziplin bisher nicht so bekannt geworden. Oder ich habe da etwas nicht richtig verstanden. Aber kommen wir zum Thema. Scholz wurde von Laschet kritisiert. Er warf ihm „parteipolitische Sperenzchen“ vor. Mit dieser Attacke muss der Sozialdemokrat erstmal umgehen können. Er hat Glück, der Sozi, dass er im Kabinett der CDU-Kanzlerin Angela Merkel sitzt. Da kann er ruhig Schulden machen, solange die CDU das Sagen hat, das sind dann im Grunde gute Schulden. Sonst hätte Laschet Scholz sicher zum Schulden-König gemacht. Sie erinnern sich, wie die NRW-CDU unter Führung des Oppositionschefs Laschet die damalige NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft(SPD) zur Schulden-Königin machte? Wegen der Schuldenpolitik der SPD, die ja nun mal mit dem Geld nicht umgehen kann. Deshalb macht sie ja Schulden. Aber wie gesagt, da hat der Scholz Glück, dass er neben Merkel im Kabinett sitzt, sitzen darf im Grunde, muss ich einräumen. Sonst wäre er der Schulden-Mann des Jahres. Was er mit seiner „Wumms“-Finanz-Politik für Schulden macht?! Unglaublich, aber wie gesagt, es ist ja für einen guten Zweck. Für uns alle. Und Merkel hält ja die Hand darüber, damit nichts schiefgehen kann.
Das mit dem Geld ist so eine Sache. Gerade hat die Unions-Fraktion ihre Abgeordneten unterschreiben lassen, dass sie keine Geschäfte mit Masken gemacht haben. Das mussten sie tun, nachdem zwei Abgeordnete Mandat und Masken-Deals miteinander vermischt haben sollen. Sollen, es gilt die Unschuldsvermutung. Die beiden Abgeordneten haben ihre jeweilige Partei, die CDU und die CSU verlassen. Alle anderen aber haben dann unterschrieben, bevor das Ultimatum ihrer Führung ablief. Ist auch ein neuer Polit-Stil. Hätten sie nicht unterschrieben, hätten sie Sanktionen befürchten müssen, also den Rauswurf aus der Partei. Also fragte der ARD-Kommentator am Freitagabend, warum hätten sie nicht unterschreiben sollen? Denn dann wären sie.. na ja, was ich gerade vorher geschrieben habe. Naiv nannte der Fernseh-Journalist die Fraktionsführung der Union, die Unterschrift sei das Papier nicht wert, auf dem sie niedergeschrieben worden sei. Ein paar Zweifel habe ich auch an der Glaubwürdigkeit der Aktion. Was ist eigentlich mit den Aserbaidschan-Geschäften? Ein anderes Thema? Ich weiß nicht. Und warum sträubt sich die Union gegen ein Lobby-Register, dagegen, dass quasi vom ersten Cent an jede Nebentätigkeit von Bundestagsabgeordneten gemeldet werden soll? Weil sie mehr vom Geld verstehen als unsereiner? Kann sein. Aber auch SPD-Abgeordnete verdienen nebenbei, wir haben darüber berichtet. Auch Liberale verdienen sich was dazu. Wenn das Salär eines MdB nicht reicht…Das Leben kann ganz schön teuer sein.
Nein, einen Schwur haben sie nicht geleistet, nur unterschrieben, dass sie nicht.. Sie wissen schon. Aber erinnern darf man schon an andere Fälle aus der Vergangenheit. Da gab es mal einen gewissen Barschel aus Schleswig-Holstein. Der geriet wegen einiger dubioser Vorgänge in Bedrängnis, trat vor die Presse und erklärte: „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort.“ Darauf hat sich übrigens auch Helmut Kohl mal berufen und die Namen der großzügigen Spender verschwiegen. Eben ein Ehrenmann. Wieso ich jetzt auf Bayern komme, weiß ich auch nicht. Aber in Bayern schwören sie gelegentlich mit der rechten Hand und leiten den Schwur mit der linken ab, heimlich. Landsmannschaftlich zählt ein solcher Schwur dann nicht als Meineid. Also kann es dann auch keinen Meineidbauer geben. Fritz Zimmermann hatte Recht.
Habeck und Baerbock vor dem Kanzleramt
Ich komme zum Anfang der Geschichte zurück, zu dem unglaublichen Vorgang, dass es eine Mehrheit jenseits der Union geben soll. Hat Scholz behauptet. Gut, in Stuttgart und in Mainz ist das möglich, wenn man die Stimmen von Grünen, der SPD und der FDP zusammenzählt. Aber im Bund? Aber selbst der Söder hält dies für möglich, „theoretisch“, wie er einschränkend gesagt hat. Ohne die Union würde das Kanzleramt nach 16 Jahren Angela Merkel in fremde Hände fallen. Möglicherweise in die der Grünen? Und immerhin Robert Habeck, der ja quasi wie Annalena Baerbock, vor den Toren des Kanzleramtes lauert, hat zugegeben, dass das möglich ist. „Manchmal schlägt Holstein Kiel Bayern München.“ Hat er gesagt und er hat Recht mit dem Beispiel. In der Verlängerung siegten die Kieler Störche über die Bayern. Eigentlich nicht zu fassen.
Unmöglich? Über Angela Merkel wurde einst gesagt und gewettet, die werde nie Kanzlerin. Weil: eine Frau, aus dem Osten, geschieden, ohne Kinder, evangelisch, ohne Hausmacht, da aus der Uckermark, wo kaum jemand lebt. Dieser Vergleich stammt aus der Union übrigens. Daraus wurden 16 Kanzlerinnen-Jahre. Oder etwas für Markus Söder, dessen großes Vorbild ja mal der Franz-Josef Strauß war, dessen Bild der junge Söder nach eigenen Angaben über dem Bett hängen hatte. In seiner berühmt-berüchtigten Wienerwald-Rede sprach Strauß dem Helmut Kohl 1976 alle Fähigkeiten ab, jemals in Kanzleramt einzuziehen. Wörtlich sagte der CSU-Mann über den CDU-Freund: „Kohl ist total unfähig zum Kanzler. Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterlichen, die geistigen und die politischen Voraussetzungen. Ihm fehlt alles dafür.“ Helmut Kohl werde mit 90 seine Memoiren schreiben: „Ich war 40 Jahre Kanzlerkandidat.“ Strauß verlor die Wahl gegen Helmut Schmidt, zwei Jahre später stürzte Kohl Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Der vielfach belächelte Mann aus Oggersheim blieb Kanzler bis 1998 mit dem Ehrentitel „Kanzler der Einheit“.
Nichts ist unmöglich, beginnt eine Autowerbung. Die Republik hat 13 Jahre Brandt/Schmidt überlebt, auch sieben Jahre Kanzler Schröder, von dessen Agenda-Reformen die Regierungen von Merkel profitierten, während sie die SPD nahezu spalteten. Und übrigens regierte Merkel von ihren 16 Jahren 12 mit der SPD. Der Untergang des Abendlandes bleibt weiterhin als Buchtitel Oswald Spengler vorbehalten.
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