Eine Reform des Maßregelrechts steht an. Der Regierungsentwurf liegt vor und Bundesjustizminister Marco Buschmann sieht gute Chancen, damit das Problem der überfüllten Maßregelvollzugskliniken in den Griff zu bekommen. Das mag sein. Doch die Reformpläne greifen zu kurz – vor allem konzeptionell. Was fehlt, ist ein Gesamtkonzept, das den Maßregelvollzug und den Justizvollzug im Hinblick auf die Suchtbehandlung betrachtet.
Auf diesen Mangel hat bereits die Arbeitsgruppe Sanktionen der Friedrich-Ebert-Stiftung eindrücklich hingewiesen. Gehört wurde dieser Einwand im Bundesjustizministerium bislang nicht. Dabei bringt es die Arbeitsgruppe in ihrem „Plädoyer für ein Gesamtkonzept Suchtbehandlung im Strafvollzug“ auf den Punkt: Das Problem ist die fehlende umfassende Betrachtung. Das heißt, eine Maßregelreform muss insbesondere auch mit Blick auf die Folgen für den Justizvollzug betrachtet werden. Ein Blick in den Entwurf zeigt jedoch, dass dies nicht geschieht.
Im Entwurf werden weitgehend isoliert die Anordnungsvoraussetzungen für eine Unterbringung gemäß § 64 StGB angehoben. So wird nicht die Behandlung suchtkranker Menschen verbessert. Stattdessen sollen wohl vor allem die Maßregelvollzugskliniken entlastet werden – zulasten des Justizvollzugs. Dahinter steht der Plan, verurteilte Menschen mit Drogenproblemen fortan vermehrt im Justizvollzug zu belassen, statt sie in Maßregelvollzugskliniken zu überstellen. Das könnte eine Option sein. Jedoch werden im Justizvollzug nicht gleichzeitig neue Ressourcen für die Suchtbehandlung bereitgestellt. Wohin das führt, ist klar: Probleme des Maßregelvollzugs werden auf den Justizvollzug verlagert. Die Arbeitsgruppe Sanktionen schreibt dazu: „Die bisherigen Reformideen würden aber an der Zweiklassenstruktur der Suchttherapie – im Maßregelvollzug einerseits und im allgemeinen Strafvollzug andererseits – nichts Grundsätzliches ändern und lediglich die Belastungen verschieben.“
Die Arbeitsgruppe setzt zudem einen interessanten Schlusspunkt und plädiert für die „perspektivische Abschaffung des § 64 StGB und die Einführung einer ‚Überweisungslösung‘, die die Möglichkeit eines Vollzugsformwechsels für alle verurteilten Personen mit einer Suchtproblematik eröffnet.“ Die Ressourcen könnten den bisherigen Entziehungsanstalten entsprechend umgewidmet und die „bereits jetzt vielfach auf dem Niveau von Justizvollzugsanstalten gesicherten Anstalten könnten dem Justizvollzug als staatliche Entwöhnungskliniken zugeordnet werden.“
Diese Angleichung würde eine Verschiebung der Zuständigkeiten hin zu den Justizverwaltungen bedeuten. Das wäre schon deshalb zu begrüßen, weil die Zusammenarbeit von Justiz und Gesundheitsverwaltung aktuell nicht gut funktioniert, wenn es um die Unterbringung im Maßregelvollzug geht. Besonders deutlich zeigt sich das am Beispiel der sogenannten Organisationshaft. Wegen des akuten Platzmangels in den Maßregelvollzugskliniken warten verurteilte, therapiebedürftige Menschen oft monatelang darauf, vom Justizvollzug, namentlich der Organisationshaft, in eine Klinik des Maßregelvollzugs überstellt zu werden. Die Situation ist mitunter drastisch: Ist die Wartezeit zu lang und der weitere Vollzug der Organisationshaft unverhältnismäßig, kommt es (ohne Therapie) schon zur Freilassung von Verurteilten. Die Verantwortung hierfür liegt klar bei der Gesundheitsverwaltung, in deren Verantwortung der Platzmangel fällt. Gern wird stattdessen jedoch der Justiz die Schuld für die Zustände gegeben.
Aber nicht nur die immer länger werdenden Wartezeiten sind ein Problem. Auch die Tatsache, dass es an einer gesetzlichen Grundlage für Organisationshaft fehlt, ist zu kritisieren und damit ein klarer Fall für weitere Reformüberlegungen. Am Ende steht daher einmal mehr der Gedanke, dass die geplante Reform unzureichend ist, und zwar unabhängig davon, wie man zur Zweispurigkeit des deutschen Sanktionensystems steht.
Zum Autor: Lorenz Bode, Jahrgang 1989, ist Richter und lebt in Magdeburg