Wenn man dem Bundeskanzler Olaf Scholz in diesen Wochen zuhört, vernimmt man Sonderbares. Einerseits weist er darauf hin, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die massive Unterstützung Kiews durch Berlin sich auswirke auf den Geldbeutel der Deutschen. Will sagen, die riesigen Kosten des Krieges, der nicht im Koalitionsvertrag steht, tragen wir mit. Und alle finanziellen Folgen. Ganz wichtig ferner: Putin darf den Krieg nicht gewinnen. Ein kluger Satz von Scholz aus dem Jahre 2022. Dann aber spricht der Kanzler so, als sei alles nicht so schlimm, es werde schon werden, will sagen: Man müsse ihn nur lassen. Er habe alles im Griff. Den Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner lässt er machen, obwohl der Freidemokrat alles tut, um die Politik der Ampel zu blockieren. Gegen Bürgergeld, die Rente mit 63, gegen mehr Geld für die Verteidigung und die Entwicklungshilfe. FDP-Nein auf ganzer Linie. Die SPD ist ziemlich sauer auf die Liberalen, aber auch auf ihren Kanzler, der sie zudem mahnt, ihre Forderungen an den Haushalt zu bremsen, er stellt sich neben Lindner, der mit dem Thema Schuldenbremse alles Nötige für die Zukunft, gemeint auch Investitionen, verhindert. Eine Regierung? Eine Koalition? Sieht irgendeiner Führung in Berlin? Oder Orientierung, die in diesen wilden Nachrichtenzeiten so wichtig wäre?
Schwitzen sei angesagt, empfiehlt Scholz und grinst dazu, was er ja gern macht, wohl um dem Ganzen die Härte zu nehmen. Also ist es nicht so ernst? Dabei müssen 25 Milliarden Euro gespart werden, um den nächsten Haushalt einigermaßen wasserdicht hinzubekommen. Wie soll das gehen? Sollen nur die SPD-geführten Ressorts sparen oder gilt die Forderung auch an die Liberalen? Manchem Sozialdemokraten stößt auf, dass der Kanzler seinem FDP-Kabinettskollegen zu viel durchgehen lässt. Sparen ist angesagt, dann aber plädiert selbst der Kanzler im Interview mit dem „Stern“ für eine schrittweise Anhebung des Mindestlohns auf am Ende 15 Euro. Und natürlich sagt Lindner dazu: Nein.
Ja, was denn nun? Schwitzen, sparen? Oder soziale Wohltaten verteilen? Wo bleibt der Klimaschutz? Er sollte doch in den Mittelpunkt der Politik der Ampel rücken? Die Ahr-Katastrophe hat uns deutlich gemacht, dass auch uns die Klimafolgen bedrohen. Man muss kein Pessimist sein, wenn man davor warnt. Es ist mindestens höchste Eisenbahn, um dagegen zu halten, unser Leben und Verhalten zu ändern. Es ist doch lächerlich, wenn die FDP selbst den kleinsten Schritt, nämlich ein Tempolimit von 120 oder 130 auf Autobahnen, seit Jahren verhindert.
Ich kann den Verteidigungsminister Boris Pistorius verstehen, dass er schon mal, wie gerade vernommen und von der SZ exklusiv verbreitet, aufgebracht bis wütend reagiert, dass man seinem Ressort die dringend zusätzlich benötigten Mittel verweigern will. „Ich muss das hier nicht machen“, wird er zitiert. Klingt wie eine Rücktrittsdrohung. Ob der Wehr-Ressort-Chef damit seine eigene SPD meint, lasse ich mal dahingestellt, den Kanzler schon, weil der das mit dem Schwitzen auch in seine Richtung gesprochen und ganz nebenbei noch sich gegen die Aktivierung des Wehrdienstes ausgesprochen hatte. Dabei wäre doch eine gründliche Debatte darüber, wie man die Bundeswehr wieder attraktiv machen könnte für junge Männer und Frauen, ratsam. Was Geld kostet, das an anderer Stelle fehlen wird. Das verspricht heikle Debatten. Wie will man auf 250000 Soldaten kommen, was ist mit Reservisten? Und verteidigungsfähig-andere meinen kriegstüchtig- soll die Bundeswehr ja auch wieder werden. Die Bedrohung durch Russland ist ja da. Die Union sollte besser schweigen, es waren ihre Verteidigungsministerinnen und -minister, unter deren Leitung die Bundeswehr in Grund und Boden geführt wurde. Darunter war auch ein CSU-Politiker, Herr Söder. Der Baron aus Franken.
Pflegeberufe schlauchen
Die Diskussion über die Rente behagt natürlich der SPD nicht. Sie sollte in die Offensive gehen und Lindner vors Schienbein treten. Man kann aus guten Gründen dafür sein, die Ruhezeit nach 45 Arbeitsjahren beginnen zu lassen, es gibt Berufe, die die Beschäftigten derart fordern, dass sie mit 63 Jahren fertig sind mit ihren Kräften. Nicht nur der berühmte Dachdecker ist damit gemeint, sondern auch Pflegeberufe schlauchen die Frauen und Männer, die dort ihren Dienst leisten für die Gesellschaft und dafür nicht mit großem Geld belohnt werden. Oder nehmen wir Notärztinnen und Notärzte, Sanitäter, Leute der Feuerwehr, alles Jobs, die die Frau und den Mann fordern. Andererseits muss ja die Altersgrenze nicht zwingend für jeden gleich sein, wer kann und will, den sollte man etwas länger arbeiten lassen. Warum denn nicht? Die Menschen werden älter und sind länger fit, die Kosten für die längere Rentenzeit sind enorm, zudem werden Fachkräfte gebraucht. Franz Müntefering hat sich hier doch entsprechend geäußert. Den müssten die Genossen in Berlin eigentlich noch gut kennen.
Die Migration ist ein umstrittenes Themenfeld. Warum überlassen wir den Rechtsdraußen das Problem? Die Weidels und Höckes haben keine Lösung zu bieten, sondern polemisieren nur, man müsse entweder die Grenzen schließen und mehr Ausländer abschieben, Deutsche mit Migrationshintergrund deportieren. Millionen, die hier seit Jahren leben, eingebürgert sind, gebraucht werden. So sieht das Menschenbild der AfD aus. Wir brauchen ausländische Fachkräfte, Hunderttausende in jedem Jahr, aber mit der Diskussion über Abschiebung schrecken wir Geflüchtete ab. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir Ausländer gegen ein Kopfgeld nach Ruanda schicken wollen? Ist das human? Wir verschieben Menschen einfach ins Ausland und zahlen dafür. Wo sind wir gelandet? Eine Frage auch an Christdemokraten. Wir tun so, als würden Menschen freiwillig ihre Heimat verlassen, alles aufgeben und ihr Leben riskieren, nur um ins gelobte Deutschland zu gelangen. Die Flucht in deutsche Sozialsysteme? Norbert Blüm hätte das als unchristlich abgelehnt.
Manches erinnert an das Wende-Papier
Die FDP fordert eine Wirtschaftswende, das lässt aufhorchen und erinnert an 1982. Nur es gibt einen großen Unterschied zu damals. Heute hat sie keinen Koalitionspartner, dem sie mit ihrem Wechsel zur Mehrheit im Bundestag verhelfen könnte. Inhaltlich ist diese FDP nie in der Ampel angekommen. Missmutig macht sie da mit. FDP, Grüne und SPD, sie passen einfach nicht zusammen, jeder spielt auf seiner Wiese, die Regierung ist keine Mannschaft, die einem Konzept folgt, um am Ende etwas für die Menschen im Lande zu erreichen. Von wegen Koalition des Fortschritts, eher der Zwietracht. Die Liberalen sind doch gar nicht kompromissfähig. Sie sind der kleinste Partner in der Regierung und blasen immer wieder die Backen auf. Und doch stellt sich der Kanzler neben Lindner, um diesen im Haushaltsstreit zu stützen. Hofft Scholz mit dieser Volte, die Stimmung im Lande zu treffen? Sparen, keine Schulden machen. Dabei wäre so vieles zu tun, man denke nur an die marode Infrastruktur, an Schulen, Hochschulen, Straßen, oder an den schmalen Geldbeutel vieler Alleinerziehenden, an den Kampf gegen die in weiten Teilen rechtsextreme AfD, eigentlich alles SPD-Themen. Warum bäumt sie sich nicht auf? Warum geht der Kanzler nicht ran? Diese Lethargie regt einen auf. Warum kümmert sich Scholz nicht um die Sorgen der Bürger? Die FDP ist eine Partei ohne soziales Profil, sie denkt im wesentlichen an die Reichen. Es müssen doch bei ihm wie der übrigen Parteiführung die Alarmglocken läuten, wenn die alte Volkspartei SPD in Sachsen und Thüringen um den Einzug in den Landtag zu kämpfen hat, wenn sie in Bayern nicht mehr die Zehn-Prozent-Hürde überspringt, wenn sie in NRW abgeschlagen hinter der CDU liegt. An Rhein, Ruhr, Emscher und Lippe, wo sie Jahrzehnte regiert hatte. Aufwachen, Leute, ehe es zu spät ist.
Die SPD-Fraktion wirft der FDP in einem Gegenpapier vor, sie betreibe mit ihren Plänen einen „Angriff auf die Fleißigen im Lande“, sie wolle eine „Wirtschaftspolitik auf Kosten der arbeitenden Mitte und zugunsten weniger Wohlhabender“, das sei der „falsche Weg.“ Das ist der falsche Weg und mutet an wie die Neuauflage des Lambsdorff-Papiers 1982. Und der Kanzler stellt sich an die Seite des FDP-Vorsitzenden und Bundesfinanzministers Lindner, fordert „Schwitzen“. Scholz sollte besser darauf achten, dass er eines nicht zu fernen Tages in Schweiß gerät, weil ihm der Laden, gemeint die Fraktion, die Gefolgschaft verweigert. Es war und ist der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der ihm mit den Abgeordneten der SPD die Mehrheit im Parlament sichert. Das ist nicht immer leicht, Herr Scholz. Ohne die Fraktion und ohne Mützenich ist Scholz ein König ohne Land. Das verkennt der Regierungschef, von dem man weiß, dass es ihm nicht an Selbstbewusstsein fehlt, was man auch Arroganz und Überheblichkeit nennen kann.
Und eins noch, Herr Bundeskanzler: An dem Wahlsieg 2021 war eine geschlossene Sozialdemokratie wesentlich beteiligt, mit Norbert Walter-Borjans, Saskia Esken, Lars Klingbeil, Kevin Kühnert, den Jusos und vielen anderen, die manches wettgemacht haben, wozu Scholz nicht in der Lage war und ist. Gemeint die Kommunikation, der normale Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern. Es mag sein, dass man im Kanzleramt die wachsende Unruhe in den Reihen der Bundestagsfraktion überhört, wo sich viele Bundestagsabgeordnete große Sorgen machen, dass sie ihre Mandate bei der nächsten Bundestagswahl verlieren. Mit gerade 15 Prozent in allen Umfragen würde die SPD um mehr als zehn Prozent-Punkte schrumpfen. Die Folge wäre nicht nur der klare Wahlsieg der Union, sondern der Verlust von zig Mandaten. Die Debatte, Herr Scholz, läuft, nicht auf der offenen Bühne, noch nicht, aber hinter den Kulissen. Das könnte sich nach der Europa-Wahl und nach den noch schwieriger werdenden Landtagswahlen in Sachen, Thüringen und Brandenburg verschärfen.
Es ist nicht alles gut. Auch Olaf Scholz könnte ins Schwitzen geraten.