Gut, dass wir einen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier haben, sonst fände Politik und politische Debatte gar nicht mehr statt. Und das nach einer Wahl, die nach Diskussion schreit, nach Aufarbeitung, der Suche nach den Gründen, warum denn die Volksparteien so abgestraft wurden. Nicht nur die SPD hat ihr schlechtestes Wahlergebnis überhaupt erzielt, was den Parteichef Martin Schulz den Stuhl kosten könnte. Auch die Union hat eine Klatsche zu verdauen. Aber dazu findet sich kaum ein Wort in den Medien. Und die Chefin, die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel turnt lieber auf Gipfeln herum und genießt die Opern-Einweihung in Berlin, als sich das Leben mit inhaltlichen politischen Fragen zu beschweren. Dabei hat das Thema Flüchtlinge sehr wohl was mit ihrer Politik zu tun, hat auch das gute Abschneiden der AfD etwas mit Merkel zu tun. Und nicht zuletzt sind die Verluste der CDU auch Merkels Verluste. Ja, was denn sonst?!
Bundespräsident fordert mehr Ehrlichkeit
Mehr Ehrlichkeit hat der Bundespräsident in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit in Mainz gefordert, mehr Ehrlichkeit im Umgang mit dem Thema Zuwanderung und Flüchtlinge. Ausdrücklich bat er um Verständnis für Menschen, die sich fremd fühlen im eigenen Land. Wörtlich sagte Steinmeier: „Nicht alle, die sich abwenden, sind deshalb gleich Feinde der Demokratie. Aber sie fehlen der Demokratie.“ Kluge Sätze, sehr kluge. Sie zeigen zugleich auf, dass die Politik, vor allem die der Kanzlerin eben diese Lücke hat aufkommen lassen, die dann von der AfD genutzt wurde. Die Ängste der Einheimischen sind eben nicht nur als Parolen von Rechtspopulisten und Fremdenfeinden abzutun, die Sorgen und Ängste der Menschen müssen ernst genommen werden.
Verstehen und verstanden werden
Verstehen und verstanden werden, hat der Präsident gesagt. Aber das kann nur, wer auf die Menschen zugeht, ihnen zuhört, um sie zu verstehen, und sich nicht als Besserversteher und/oder Rechthaber aufspielt. Es geht darum, den Menschen aufs Maul zu schauen, nicht ihnen nach demselben zu reden. Den Einheimischen zu erklären, was sich in ihrem Leben verändert, wenn so viele Flüchtlinge kommen, so viele Fremde aus vielen Teilen der Welt. Ihnen klarzumachen, dass wir ihnen Schutz bieten müssen, schon aus Gründen, die wir in unserer Verfassung verankert haben: Menschenwürde heißt es dort, nicht nur Würde der Deutschen, sondern aller Menschen. Den Deutschen zu sagen, dass das auch Geld kostet, wenn man Wohnungen, viele Hunderttausende von Wohnungen bauen muss. Wohnungen, die aber auch den Deutschen zugute kommen. Ihnen die Integration zu erklären, die Sprachkurse, damit sie sich verständigen und einen Job suchen oder eine Ausbildung machen können. Es gibt so vieles zu erklären, damit die Menschen verstehen, was in ihrer näheren Umgebung passiert, damit sie sich nicht abwenden, weil sie die neue Welt nicht verstehen.
Damit Heimat eine vertraute Welt bleibt
Den Begriff „Heimat“ hat Steinmeier wieder entdeckt und ihn in seiner bemerkenswerten Rede verwendet. Bewusst hat er etwas in den Ring geworfen, was wie ein alter Hut wirkt, aber gar nicht so abwegig ist, wenn man den Menschen zeigen will, dass man sie versteht. Die globale Welt ist ja nicht zu verhindern, aber wir müssen versuchen, sie den normalen Menschen nahezubringen. Das zu tun, ist auch und vor allem Sache für die Führungseliten in den Parteien, Angela Merkel an der Spitze. Heimat ist eine vertraute Welt, in der man sich sicher fühlt. Wenn aber einem die Heimat nur noch fremd vorkommt, geht die Sicherheit verloren. Politik muss den Menschen, den Deutschen erklären, wohin ihre Politik das Land führen soll und wieviel Veränderung damit für alle verbunden ist. Das Gespräch mit allen zu suchen, den Flüchtlinge abzuverlangen, dass sie sich zur deutschen Geschichte bekennen. Wer in Deutschland Heimat suche, könne nicht sagen, das sei unsere Geschichte, nicht ihre, so hat es Steinmeier erklärt.
Legaler Zugang von Ausländern
Und dann ist da noch das Asylrecht, das ja uneingeschränkt gilt. Der Bundespräsident drückte sich auch hier nicht vor einer Klarstellung aus seiner Sicht: Politisch Verfolgten müsse weiter uneingeschränkt Asyl gewährt werden, „doch wir werden den politisch Verfolgten nur dann auch in Zukunft gerecht werden können, wenn wir die Unterscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt oder wer auf der Flucht vor Armut ist“. Sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge hätten nicht den gleichen uneingeschränkten Anspruch. „Wir müssen uns ehrlich machen in der Frage, welche und wie viel Zuwanderung wir wollen, vielleicht sogar brauchen.“ Das wäre dann neben Asyl eine Art legaler Zugang von Ausländern, Migration, die nach deutschen Maßgaben gesteuert und kontrolliert würde.
Nicht alle an der Grenze zurückweisen
Diese Äußerungen Steinmeiers sind nicht weit entfernt von denen der bayerischen CSU: Ihr Innenminister Joachim Herrmann sagte der „Rheinischen Post“, auch seine Partei wolle nicht alle, die kein Anrecht auf politisches Asyl hätten, an der Grenze zurückweisen. Es solle vielmehr eine Größenordnung festgelegt werden, „wie viele Flüchtlinge wir der Erfahrung nach integrieren und verkraften können.“ Das ist inhaltlich etwas anderes als Merkels „Wir schaffen das“. Ob sich damit aber der Streit über die Obergrenze erledigt, was Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen wegen einer möglichen Jamaika-Koalition erleichtern würde, ist eine andere, noch zu klärende Frage.
Kontroversen, nicht Unversöhnlichkeiten
Der neue Bundestag, der in wenigen Wochen erstmals zusammen tritt, wird sich mit diesen Fragen beschäftigen müssen, es wird harte Kontroversen geben, die aber nicht in Feindschaft und Unversöhnlichkeit enden dürfen, Argumente tragen weiter als Parolen der Empörung(Steinmeier). Es braucht den Mut der Demokraten. Mehr Mut, als ihn die Politiker zur Zeit liefern. Wie gesagt Angela Merkel ist abgetaucht. Sie wirkt etwas abgehoben. Das zeigten schon ihre ersten Reaktionen nach der Wahl, als sie erkennen musste, dass ihre Union nur noch 32,9 Prozent der Stimmen erhalten hatte, was im Vergleich zu 2013 immerhin ein Verlust von etwas weniger als 9 Prozentpunkten bedeutet. Die Fehler will sie ganz offensichtlich nicht bei sich suchen, sie würde ja auch nichts anders machen. Diese Art der Wurstigkeit nach dem Motto- Ist mir doch egal, Hauptsache ich bleibe Kanzlerin- hat viele in der Union, sowohl in der CDU wie in der CSU verärgert. Weil sie so tut, als gehe sie das gar nichts an.
Union unter Merkel ohne Konturen
Merkels Taktik, das Rauszögern der Auseinandersetzung über die Fehler ihrer Politik, darüber, dass die Union unter Merkel entscheidende Konturen über Bord geworfen habe, dass kaum noch jemand erkenne, wofür die CDU denn stehe, irritiert viele Mitglieder der Partei wie auch der CSU. Und diese Christsozialen und Christdemokraten befürchten, dass in einer Jamaika-Allianz Kompromisse einzugehen seien, die das Programm der CDU und CSU noch weiter verwässerten. Es sei ein Fehler, heißt es in CSU-Kreisen, auf das national-konservative Element zu verzichten, damit überlasse man es der AfD. Die Untätigkeit in der CDU-Führung und im Kanzleramt wird mit der Niedersachsen-Wahl Mitte Oktober begründet. Was, so wird in der CSU gefragt, hat denn die Wahl in Niedersachsen damit zu tun, dass nicht mal Sondierungsgruppen gebildet worden seien für mögliche Koalitionsgespräche, dass inhaltliche Fragen wie zum Beispiel Steuersenkungen ebenso ungeklärt seien wie Ankurbelungs-Programm für die Bauwirtschaft, die Aufarbeitung von Sozialbetrugsfällen.
Ungeklärte Machtfragen in der CSU
Die Hände in den Schloß zu legen, sei keine Politik, wird kritisch angemerkt. Gemeint ist Merkel, durch deren Stil der Präsidial-Demokratie immer wieder Führung-Leute der Partei derart an Nimbus eingebüsst hätten, dass sie für Führungsämter nicht mehr in Frage kämen. Als Beispiele werden u.a. Ursula von der Leyen und Bundesinnenminister de Maiziere genannt. Die möglichen Koalitionspartner von den Grünen wollen zwar unbedingt an die „Futterkrippe“, so CSU-Kreise, aber gewiss sei nichts. Dazu komme, dass FDP-Chef Christian Lindner in der Öffentlichkeit gut ankomme, weil er ein gnadenloser Selbstdarsteller sei, aber der Liberale werde überschätzt. Man dürfe zudem die ungeklärten Machtfragen in der CSU nicht übersehen. Horst Seehofer, der Parteichef und bayerische Ministerpräsident, gilt auch wegen des miserablen Wahlergebnisses als angeschlagen. Und die Rufe der Söder-Freunde nach einem Rücktritt des Amtsinhabers werden lauter. Niemand könne einschätzen, wie lange Seehofer noch Parteichef und Ministerpräsident bleibe.
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