Gerade in diesen Zeiten, in denen viel über den drohenden Zerfall Europas geredet und geschrieben wird, in denen fast nur noch von Europas Krisen gesprochen, das Schicksal des Westens beschworen wird, haben der französische Präsident Emmanuel Macron und sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier am Hartmannsweilerkopf im Elsaß das erste deutsch-französische Museum zum Ersten Weltkrieg eingeweiht. Hier, an dem Berg hatten sich deutsche und französische Soldaten gleich zu Beginn des „Grande Guerre“ heftige Kämpfe geliefert. 30000 Soldaten fanden dabei den Tod. Der Berg heißt deshalb auch „Menschenfresser“.
Aus Erzfeinden wurden Freunde
Daran zu erinnern, als Franzosen und Deutsche noch „Erbfeinde“ waren und dauernd aufeinander einschlugen, somit aufzuzeigen, „wo wir eigentlich herkommen“, wie es Steinmeier betonte, das dürfen und sollten die heutigen politischen Freunde aus Paris und Berlin immer wieder hervorheben. Die Annäherung Deutschlands und Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg gilt als Grundpfeiler der europäischen Einigung, die heute oft genug zerredet und in Zweifel gezogen wird. Überall in Europa sind Nationalisten und Populisten am Werk und gefährden die Union. Dabei ist sie für alle Länder in Europa wichtig, lebenswichtig ist sie nicht nur für Deutschland und Frankreich, auch und gerade für Polen. Gerade Warschau hat unter dem deutschen Nationalismus und Rassismus-Wahn und seinen schlimmen Folgen gelitten. Heute ist Polen ein Teil der EU, sicher vor einem zu großen Deutschland, das eingebettet ist in dieses Vertragswerk. Es ist unverständlich, warum gerade Polen heute das europäische Werk in Gefahr bringt. Ähnliches gilt für andere Länder wie Ungarn.
Es geht nicht um eine deutsche Vorherrschaft. Das war nicht das Ziel war, als Politiker wie der erste deutsche Bundeskanzler nach dem Krieg, Konrad Adenauer, die Westbindung gesucht haben. Um Deutschland einzufügen in ein Europa, das deutsche Sonderwege und Nationalismen verhindert, darum ging es. Willy Brandt hat das Werk Adenauers mit den Verträgen mit den Ländern Osteuropas vervollständigt, mit Polen, mit der damaligen Sowjetunion, um nur die zwei zu nennen. Helmut Kohl hat die europäische Einigung vorangetrieben, immer auch zusammen mit den Franzosen, nie zu Lasten der übrigen Nachbarn. Heute können die Deutschen sagen, wir sind von Freunden umzingelt. Das garantiert zugleich die Sicherheit der anderen. Der Brexit ist ein Fehler, dem hoffentlich nicht andere folgen. Wenn es darum geht, den deutschen Einfluss in Europa zu reduzieren zum Wohle der anderen, ja bitte schön. Dann soll man es machen, aber nicht die Grundpfeiler der EU gefährden.
Aus einem Wald wurde eine Mondlandschaft
Europa steht vor seiner wohl größten Herausforderung seit 1945, schreibt der US-Journalist William Drozdiak, der viele Jahre für die „Washington Post“ aus Berlin und Paris berichtet hat. Er hat ziemlich nah die transatlantischen Beziehungen zwischen den USA und Europa miterlebt, er gilt als Kenner der Situation in Amerika, in Deutschland und Europa. Drozdiak skizziert in seinem sehr kenntnisreichen Buch(Titel: Der Zerfall) die Entwicklung Deutschlands, Frankreichs, Englands, Polen usw. Er schildert das Aufkommen nationalistischer Bewegungen und Parteien überall in Europa, nicht nur in den Niederlanden und Frankreich, Deutschland und Polen. Europa, das ist das Fazit dieses sehr sachlichen und mit vielen Informationen gefütterten Werkes, hat nur eine Chance im Wettbewerb mit einem Amerika, das sich abwendet von dem alten Kontinent, und Asien, allein voran China, wenn es zusammenhält, wenn es seine Kräfte bündelt. Dann kann Europa mit seinen 550 Millionen Menschen den Wettkampf mit den Konkurrenten weltweit bestehen.
Wer über die Lage Europas redet, sollte sich den Hartmannsweilerkopf, überhaupt das Elsaß anschauen. Immer wieder wird er den Wahnsinn des Kriegs noch heute sehen können. Tonnen von Bomben, Minen und Granaten haben aus dem Wald fast eine Mondlandschaft gemacht. Heute ist die Bergkuppe grasüberwachsen mit nur spärlichem Baumbewuchs. Vom Stellungskrieg zeugen heute noch, wie Beobachter notiert haben, ein gut erhaltenes System von 6000 Stollen und Unterständen und 90 Kilometern Schützengräben, Drahtverhaue und Granattrichter. Eine Gedenkstätte, die Gänsehaut auslöst.
Europäische Geschichte erzählen
Wir müssen die europäische Geschichte immer wieder erzählen, damit nicht vergessen wird, wo wir herkommen, was mal war. Als Schüler haben wir damals die deutsch-französische Freundschaft besungen, bei einem Glas Wein in Burgund und im Gespräch mit ehemaligen französischen Soldaten. Selbstverständlich war die Gastfreundschaft unserer französischen Gastgeber gegenüber uns Deutschen nicht, auch wenn wir erst gegen Ende des Krieges oder kurz danach geboren worden waren. Unsere französischen Gastgeber hatten den Krieg als Soldaten oder als Zivilisten miterlebt, den Nazi-Deutschland vom Zaun gebrochen und der Millionen und Abermillionen Tote gekostet hatte.
Der französische Präsident Macron regte während des Treffens mit Steinmeier „eine gemeinsame Lektüre“ der deutsch-französischen Geschichte an. „Was wir heute tun, ist eine gemeinsame Geschichte zu bauen, weil sie der Sockel einer gemeinsamen Zukunft ist“. Das nationale Gedächtnis um das deutsche, besser um das europäische Gedächtnis zu erweitern, damit sich nicht wiederholt, was damals geschah. Seit 1945 hat es keinen Krieg mehr zwischen Franzosen und Deutschen gegeben, muss sich Polen nicht mehr vor einem deutschen Überfall fürchten, kann Tschechien sicher sein vor Deutschland und Belgien und die Niederlande und die anderen auch. Diese Friedensperiode hat abgelöst, was der britische Historiker Ian Kershaw in seinem Buch „Höllensturz“ meisterhaft beschrieben hat, das Europa zwischen 1914 und 1949, das geprägt war von Kriegen, Völkermorden, Vertreibungen und politischen Unruhen, eine gleichermaßen faszinierende wie beklemmende Ära, in der Europa sich fast selbst zerstört hätte. Diese Geschichte des zweiten Dreißigjährigen Krieges in Europa, wie es Kershaw nennt, wurde abgelöst durch eine Friedensperiode, die es über eine so lange Zeit in Europa nie zuvor gegeben hat. Daran darf man erinnern, gerade heute, da eine Gedenkstätte an einem historischen Ort eingeweiht wurde.
Quellen: William Drozdiak: Der Zerfall. orell füssli Verlag. Zürich. 2017. 328 Seiten. Ian Kershaw: Höllensturz. Europa 1914 bis 1949. Deutsche Verlagsanstalt. 764 Seiten. München 2016. Wikipedia.
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Immerhin ist sowas daraus geworden. Wenn man sich mal überlegt, welch Kriege und andere Sachen alles durchlebt wurden und wie sich das auch auf der deutschen und französischen Nationalflaggen wiederspiegelt. Da ist es doch gut, so wie es heute ist.