Ja, das war ein lokales Großereignis in dieser kleinen Stadt in Bodenseenähe.
Und diese “mass for peace“ des früheren Softmachine – allround-Talents Karl Jenkins hat es in sich. Er komponierte das opulente Werk im Jahr 2000 als künstlerischen Versuch, mit dem brutalen Kosovo-Krieg persönlich irgendwie zurande zu kommen.
Und so beginnt auch die Aufführung in der Jahnhalle in einer gekonnt bedrückenden Abwesenheit von Aufbegehren: Der martialisch mechanische Marschschritt im Stehen auf der Stelle dröhnt unheilvoll, die vielen Gesichter der ganz in schwarz gekleideten Sängerinnen und Sänger des gesamten Chores sind dabei zunächst völlig unbewegt, so als könnten Soldaten eben nichts anderes, als ihre brutal kalte Pflicht im Sinn einer höheren Macht zu erfüllen, viele willige Vollstrecker, wie sie auch aus unserer deutschen Geschichte in ihrer andere Mitmenschen vernichtenen Gehorsamkeits-Wirkung den Überlebenden der Opfer in furchtbarer Erinnerung bleiben werden.
„Der bewaffnete MANN“, the armed man, eine MESSE – schicksalhaft ist ja nicht nur die gequälte, zerschossene, sinnlos zerstörte UKRAINE, ein grauenvolles Beispiel von profitgierigem Irrsinn, wo vorrangig mächtige Männer uns allen so viel Welt kaputt Kriegen.
Insofern verweist auch in dieser politisch durchdachten Stockacher Aufführung der notorische NICHT-Widerstand in totalitären Gesellschaften auf das, was so entsetzlich fehlt, und der doch nur in DEMOKRATIEN global für alle Bürgerinnen und Bürger möglich ist: laut gegen Unrecht zu protestieren und NEIN zu sagen!
Im Lauf des Abends taucht dann im choralen Gesang das unterschiedlichste mimische Bewegtsein der Individuen aus der großen Gruppe wiedererkennbar heraus; beruhigend.
Berührend auch die Solostimme des schicksalsergebenen „Muezzin“, der einsam den Ruf an seinen Gott Allah erklingen lässt, eine traurige Vergeblichkeit in der Stimme.
Beeindruckend an diesem feierlich choreographierten Abend die vielfältigen Anklänge aus anderen religiösen und historischen Kontexten – die Bläser, die Keyborders mit ihren mannigfachen Schlagzeugen, das wunderschöne Erklingen eines einzelnen Cellos in der andächtigen Nähe des Benedictus, die Solisten, immer männliche und weibliche Könner! – und diese anmutige unbedingte Ernsthaftigkeit aller Beteiligten. Die Konzeption dieses Abends – Helmut Hubov und Stefan Gräsle dirigierten – erinnerte mich wehmütig auch an die Kunstwerke von Bertolt Brecht und Hanns Eisler und deren ethischen Impetus.
Zum Abschluss gab es dann ganz unerwartet noch eine besonders vehemente Fassung von „Stille Nacht“:
Nämlich alles andere als die üblich eher säuselnde Version – hier in Stockach wurde das fromme Weihnachtslied vielstimmig als BOLERO und mit vollem aufbegehrenden Volumen laut, ja fordernd in diese sehr kalte 4. Adventsnacht hineingesungen:
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
nur das traute hoch heilige Paar.
„Holder Knabe im lockigen Haar,
schlaf in himmlischer Ruh‘,
schlaf in himmlischer Ruh‘!“
Stille Nacht, heilige Nacht,
Hirten erst kundgemacht!
durch der Engel Halleluja
tönt es laut von Ferne und Nah:
Jesus, der Retter ist da!
Jesus, der Retter ist da!
Stille Nacht! Heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
lieb‘ aus deinem göttlichen Mund,
da uns schlägt die rettende Stund‘:
Jesus in deiner Geburt.
Jesus in deiner Geburt.
Ein grandioser Abend, der uns mahnend in Erinnerung bleiben wird!
Erlebte „The armed Man“ tief berührend und verstörend in der Andreaskirche Obertürkheim, vor einigen Jahren, noch vor dem Krieg!
Solitude-Chor und Sinfonieorchester der Universität Hohenheim Leitung von Klaus Breuninger machten das möglich. Das Konzert fand statt in drangvoller Enge im bis zum letzten Platz gefüllten Kirchenraum dieser Stadtteilkirche. Der vorausgegangene Eclat, der für diese suboptimalen Bedingungen gesorgt hatte, zeigte auch damals schon, wie verstörend das Werk auch damals schon für die „höheren Kreise“ (wohl nicht nur) in Stuttgart wirkte: Das Konzert war ursprünglich im katholischen Filialdom St. Eberhardt in der zentralen Königstraße geplant. Als das Stadtdekanat davon erfuhr, insbesondere aber, dass da auch ein Müezzin teilnimmt, verbot Stadtdekan Christian Hermes kurzerhand die Aufführung im St. Eberhardt!
Erst als die damalige mutige, wunderbare Pfarrerin Friedrike Welzin „ihre“ evangelische Andreaskirche zur Verfügung stellte, konnte dieses eindrucksvolle Event stattfinden…
Auch damals traf zu was in dieser Rezension steht: „Berührend auch die Solostimme des … „Muezzin“, der einsam den Ruf an seinen Gott Allah erklingen lässt, eine traurige Vergeblichkeit in der Stimme“!
Gratulation Fr. Bäumler für die mutige und tief gehende Rezension der Aufführung von
Karl Jenkins „The Armed Man“ in Stockach. Die großartige Leistung der Akteure so ein Masterpiece zur Aufführung zu bringen, wurde vom Publikum dankbar aufgegriffen und gewürdigt.
Diese „Friedensmesse“ ist – wie auch andere Werke von Jenkins – sehr stark vom Rhythmus geprägt.
Im Eröffnungsstück wurden wir – obwohl im ¾ Takt – durch Marsch-Schritte militärisch eingestimmt.. Wenn dann im nächsten Abschnitt der „Muezzin“ mit seinen Allahu akbar – Rufen für Erstaunen sorgt, sucht man nach einer Einordnung. Soll Allahu angerufen werden um Unheil zu vermieden oder zu siegen. Wie oft erfolgte dieser Ruf in Verbindung mit Terroranschlägen?
Mit Palladio hat Jenkins 1992/93 vorab einen Satz aus seinem Concerto grosso für die Diamantenindustrie De Beers zur Verfügung gestellt. Die Diamantenindustrie wollte mit dem Fernsehspot das Image der Blut-Diamanten loswerden. „Was besitzt Feuer – reine Schönheit“
Sie war erfolgreich. Das Stück ist auch von einer tiefen Bass-Rhythmik mit Synkopen in der Melodie geprägt. So wird die Botschaft „eingehämmert“
1999 entstand die „Friedensmesse“ als Auftragswerk des britischen Museum Royal Armouries – ein Museum , das das Kriegshandwerk dokumentiert.
Der Opfer des damaligen Kosovo Krieges sollte auch gedacht werden.
Jenkins beherrscht alle Stilmittel, um die Wirkung der Musik gemäß Auftrag und Absicht einzusetzen.
Als Zuhörer müssen wir diese kritisch wirken lassen.
Fr. Bäumler hat auch den Abschluss des Weihnachtskonzertes in ihre Kritik mit einbezogen. Das Lied „Stille Nacht“ , auch im ¾ Takt mit Bolero Rhythmen unterlegt, die dann in der 2.Strophe fast infernalisch anschwollen, so zu interpretieren war mutig. Kann die Friedensbotschaft mit den lauten Trommeln überbracht werden ?