Nun will man also miteinander verhandeln, nachdem man einige Tage lang sondiert hatte, ob das überhaupt geht. Und natürlich geht das, es muss gehen. Es kann ja schließlich nicht heißen: Die Wählerinnen und Wähler haben uns ein so schlechtes Wahlergebnis hingelegt, daran konnten wir nur scheitern. Das wäre ein Armutszeugnis gewesen für erfahrene Demokraten wie Annalena Baerbock, Robert Habeck, Christian Lindner, Volker Wissing, Olaf Scholz. Ich will hier nicht streiten, ob im Mittelpunkt der künftigen Verhandlungen stehen wird ein früherer Ausstieg aus der Kohle, vieles, was der Klimawandel erforderlich macht, der Markt schafft oder eben nicht, oder sogar die feinen ungeklärten Personalfragen. Die Politiker, die sich jetzt aufs Verhandeln verständigt haben, haben in den Sondierungen gezeigt, wie verschwiegen man miteinander reden muss, um Vertrauen zu schaffen, damit am Ende ein Ergebnis erzielt wird, mit dem ein Jeder leben kann. Nein, nicht als kleinster gemeinsamer Nenner, sondern als Errungenschaft einer Gemeinschaft von drei Parteien für ein moderneres Deutschland. Denn das ist das Ziel.
Mir hat die Art und Weise gefallen, wie die verschiedenen Partner der drei Parteien in den letzten Tagen miteinander umgegangen sind.Respektvoll. Mir hat imponiert, dass sie nicht jeden Tag die Öffentlichkeit mit irgendwelchen Informationen über den Wasserstand der Gespräche unterrichteten. Auch dass es keine Bilder vom Balkon gab wie damals 2017 hat den Eindruck bestätigt: Die meinen es wirklich Ernst, die suchen die Vertrauensbasis, auf der eine Verständigung möglich sein kann.
Die einzige ehrliche Möglichkeit
SPD, Grüne, FDP. Sie sind aufeinander angewiesen. Es ist -wenn man mal eine erneute Groko weglässt, weil die keiner will- auch die einzige ehrliche Möglichkeit, eine gemeinsame Koalition zu bilden. Denn die Union, die ja keine Eintracht mehr ist, sondern eher aus Zwietracht besteht, ist augenblicklich nur noch mit sich selbst beschäftigt. Sie ist, da kopf- und führungslos, zur Zeit nicht satisfaktionsfähig. Das ist, damit das richtig verstanden wird, kein Grund zur Freude und schon gar nicht ein Anlass, einen Eimer Häme über das Adenauer-Haus in Berlin zu kippen. Die Christdemokraten haben das schlechteste Wahlergebnis im Bund nach dem Krieg erzielt, das wegzustecken kostet nicht nur Nerven, sondern viel Arbeit. Die Niederlage muss analysiert werden. Es lag nicht nur am schwachen Kanzlerkandidaten Armin Laschet, der offensichtlich mit seiner Aufgabe überfordert war. Aber wenn ich Laschet sage, meine ich auch Markus Söder, den Egoisten aus Franken, der nicht begriffen hat, dass zum Erfolg in der Politik wie im Fußball Mannschaftsspiel gehört. Teamgeist ist nötig, um gewinnen zu können, der eine muss für den anderen da sein, ihn mitziehen, aushelfen, wenn andere Schwächen zeigen. All das hat Söder, der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef, vermissen lassen. Hinterfotzig nennt man das Verhalten, wie er Laschet behandelt hat, ein schlechter Verlierer ist der, der dem Unterlegenen nicht zum Sieg gratuliert, sondern Rache schwört.
Ein Weiteres kommt für die Union hinzu. 16 Jahre Angela Merkel mögen, wenn sie es bis Weihnachten im Amt schafft, ein neuer Rekord sein. Ich glaube nicht, dass die eher nüchterne Frau aus der Uckermark auf solche Schmeicheleien aus ist, dass sie unbedingt ihren einstigen großen Mentor Helmut Kohl um ein paar Tage oder Wochen überholen will. CDU und CSU können sich dafür nichts kaufen. Sie müssen schauen, warum ihr so viele Wählerinnen und Wähler abhanden gekommen sind, in Richtung SPD, die Grünen, FDP und die AfD. Die Christdemokraten müssen sich erneuern, auch personell. Was sich leicht sagt, aber, wie das Angebot an Politikern deutlich macht, ziemlich schwer zu erreichen ist. Nichts gegen Merz, Röttgen, aber es sind die -pardon- alten Gesichter. Wo sind die Frauen? Wer so viele Jahre regiert, ermüdet, braucht Zeit zur Erholung.Man sieht das am verzweifelten Versuch des CDU-Generalsekretärs Ziemiak, wie er die SPD attackiert, weil die Sozialdemokraten in Berlin und Schwerin mit den Linken verhandeln und nicht mit der CDU. Herr Ziemiak, das sind doch die alten Schlachten, die schon im Wahlkampf nicht gezogen haben. Dafür sind die Linken zu schwach. Und überhaupt die Rote-Socken-Kampagne. Besser wäre es, die CDU könnte zeigen, wofür sie ist, wie ihr modernes Deutschland aussehen würde, als erneut zu demonstrieren, wogegen man ist. Das ist zu wenig.
Brücken bauen, einander helfen
Und noch eines: die CDU und noch mehr die CSU müssen lernen, dass zur Demokratie der Wechsel gehört. Mal gewinnt der, mal der andere. Die Bundesrepublik hat davon gelebt und dies nicht schlecht, dass auf die langen CDU-Regierungjahre SPD-Kanzler wie Willy Brandt und Helmut Schmidt folgten. Und diese wiederum von CDU-Politikern wie Helmut Kohl und Angela Merkel abgelöst wurden.Gerhard Schröder sollten wir dazwischen nicht vergessen. Und jetzt wollte es Armin Laschet schaffen. Er unterlag dem Irrglauben vieler, zu vieler Christdemokraten, dass ein CDU-Kanzlerkandidat automatisch auch Kanzler wird, weil nun mal die CDU diese Macht-Denke verinnerlicht hat: Wir sind Kanzler! Zur Demokratie gehört auch, dass man verliert. Auch das muss man lernen. Und noch eine Selbstverständlichkeit: Demokratische Parteien müssen untereinander koalitionsfähig sein. Wenn wie jetzt die FDP bereit ist, mit Grünen und der SPD zu verhandeln, um am Ende in eine Regierung unter Leitung eines SPD-Kanzlers einzutreten, weil die Union dazu im Augenblick nicht fähig ist, dann ist das in Ordnung. Dann muss man ihr dabei helfen, vielleicht Brücken bauen. Scholz hat das früh getan, indem er an 2017 erinnerte und daran, dass die Kanzlerin Angela Merkel zu sehr das Augenmerk auf die Grünen gerichtet hatte und die FDP sich dabei als fünftes Rad am Wagen vorkam.
Ja, der Olaf Scholz hat klug gearbeitet über all die Monate. Eher still und umsichtig, aber immer mit der gleichen Botschaft trat er vor die Wählerinnen und Wähler: Ich will Kanzler werden. Anfangs hat man darüber gelächelt, zu Anfang, als die SPD aus ihrem 15-vh-Turm in den Umfragen nicht herausfand. Niemand traute ihm den Sieg zu. Und als er den Kampf um die SPD-Spitze verlor, gab man Scholz auch verloren. So kann man sich täuschen. Und auch das gehört hierher: die neue und oft gescholtene SPD-Spitze mit Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans hat die Partei geschlossen hinter dem Kanzlerkandidaten Scholz versammelt. Es gab und gibt bis heute keine Querschüsse. Sonst wären Sondierungen nicht so verlaufen, wie sie verlaufen sind. Man staunt über das Lob von Lindner, eher ein Freund von Jamaika-Bündnissen, der aber heute sagt: Es habe sich eine neue Kultur der Politik gezeigt. Scholz ist sicher ein knallharter Verhandler, aber er ist kein Basta-Politiker. Er hat genau gewusst, was er der FDP und den Grünen zumuten kann, er weiß, was Liberale und Grüne für ihre Wählerinnen und Wähler brauchen, um auf breite Zustimmung zu stoßen. Und einer wie Lindner kennt die Grenzen, die ihm gesetzt sind, er weiß, wenn die Ampel erfolgreich sein will, braucht auch Scholz Zugeständnisse, die in der SPD akzeptiert werden. Und darüber hinaus.
Es wird Hindernisse geben, Klippen, die umschifft werden müssen, damit das Schiff nicht kentert. Vielleicht muss man, um des Erfolges willen, auf das eine oder andere verzichten, weil es nicht geht. Jeder der Verhandler wird auf den anderen zu achten haben. Es darf keine Verlierer geben, keine Triumph-Geschreie. Politik ist nun mal ein Kompromiss, der viele sehr unterschiedliche Interessen miteinander verbinden muss. Die Ampel muss eine Politik schaffen, die von allen drei Parteien und ihren Mitgliedern und Anhängern vertreten wird und die nachher das ganze Volk erreicht. Denn zu dessen Wohle ist sie angelegt, darauf schwört der Kanzler und ein jeder Minister seinen Eid. Jede einzelne Partei muss auch die Wünsche des anderen mittragen und sollte nicht dagegen opponieren. Dann kann das was werden, was Olaf Scholz vor Tagen schon mal als sein Ziel ausgegeben hat: Er wolle ja wiedergewählt werden. Und das gilt ja wohl für auch für die FDP und die Grünen. Wenn man das ernsthaft ins Auge faßt, sollte eine Ampel nicht mehr scheitern.