Ein komischer Wahlkampf war das. Oder? Erstmals ohne die Amtsinhaberin Angela Merkel, die nach 16 Jahren nicht mehr antritt. Erstmals bewerben sich drei Kandidaten um das wichtigste Amt, das die Republik zu vergeben hat, erstmals dabei eine Frau aus den Reihen der Grünen. Ein Wahlkampf mit einigen Wenden und Überraschungen, mit vielen TV-Sendungen, die einem fast zuviel waren, extra für den gemeinsamen Fernseh-Auftritt der Drei wurde ein neues Wort geschaffen, das nicht im Duden steht: Triell. Gewinner laut Blitzumfragen Olaf Scholz, dabei wollte die neue SPD-Spitze vor Jahr und Tag gar keinen Kanzlerkandidaten benennen. Mit 13 bis 15 Prozent in Meinungsumfragen mache das wohl wenig Sinn, so die Erklärung. Und heute? Führt der SPD-Kandidat Scholz alle Rankings und Umfragen an, liegt die SPD vor der CDU und den Grünen. Komischer Wahlkampf, spannungslos? Würde ich nicht sagen.
Eine Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als mögliche Kanzlerin? Zu Beginn des langen Wahlkampf schien das möglich. Die junge Frau erklärte den Deutschen tatsächlich, dass sie das Land regieren wolle. Mit 40. „Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin. Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere.“ Kurz, knapp, ziemlich forsch, etwas zu schnell gesprochen, mit zu heller Tonlage. Aber überzeugt von sich und ihrer Botschaft. Robert Habeck, ihr Parteikollege in der Führung der Grünen, machte den Platz für sie frei. Und plötzlich schien möglich, dass auf die schwarze Frau im Kanzleramt eine Grünen-Politikerin folgen könnte. Die Welt staunte über das grüne Märchen, gemeint die deutschen Wählerinnen und Wähler. Und dann passierten die Fehlerchen, und plötzlich diskutierte die Republik über den Lebenslauf der Grünen-Kandidatin und nicht mehr über den Klimaschutz. Da war- Absicht oder Schlamperei- manches übertrieben, oder soll man sagen, schöngeschrieben worden. Wie auch immer, Kleinigkeiten wuchsen zu einem Problem, das Kratzer an der Glaubwürdigkeit der aufstrebenden Frau verursachte. Und plötzlich sanken die Umfragewerte in so einem Tempo wie sie zuvor gestiegen waren.
So ist Wahlkampf, hat ein alter Stratege der Grünen, Joschka Fischer, der einstige Straßenkämpfer und spätere Außenminister gesagt, der noch genau weiß, was es bedeutet, wenn man einem etwas anhängen will. Aber, trotz allem, trotz der gesunkenen Umfragewerte, trotz aller Kritik, Annalena Baerbock hat nicht aufgegeben, sondern mischt kräftig mit, ja sie hat den Männern mehrfach gesagt, wo es langgeht. Tough-der Duden lässt auch taff zu- ist sie, die Grünen-Frau, gar nicht ängstlich, sie duckt sich nicht weg in dieser immer noch von den Männern dominierten politischen Welt. Sie werden und wollen mitregieren, sie haben einige Möglichkeiten, am liebsten mit der SPD, aber wenn es nicht anders geht auch mit der Union. Ihre Anhänger haben sich nach einer Seite festgelegt: Sie sind gegen Jamaika, das ist eine Koalition von Union, Grünen und der FDP. In jedem Fall werden die Grünen ihr Wahlergebnis erheblich verbessern. Kann sein, dass später daraus auch noch mehr wird.
Scholz´s erfolgreiche Strategie
Der Kanzler-Fotograf Deutschlands, Konrad A. Müller, (81) hat sich ein Bild gemacht von den Kandidaten ums Kanzleramt. Olaf Scholz habe immer gesagt, er wolle Kanzler werden. Zuerst, räumt Müller ein, habe man sich über die Ansage des Bundesfinanzministers totgelacht. Mit damals 15 Prozent schien das ja auch unmöglich. Monat für Monat das gleiche Bild. Aber Scholz habe immer wiederholt, er wolle Kanzler werden.Und diese ständige Wiederholung habe sich schließlich breitgemacht beim Volk. Und siehe da, eines Tages kletterten die Werte für Scholz höher und höher, seit Wochen liegt er in allen Umfragen aller Meinungsforschungs-Instute vorn, von Infratest dimap, über Foschungsgruppe Wahlen, Forsa, YouGov, Kantar, Allensbach, Civey, Insa. Was nicht heißt, dass er schon gewonnen hat, aber bedeutet, der Trend spricht für die SPD und Olaf Scholz. Dank eines Olaf Scholz, der die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wieder hochgezogen, sie aufgemuntert, ihr Stolz verliehen, ihr positives Denken eingetrichtert hat. Und, trotz aller anderslautender Bedenken, sollte man die neue SPD-Führung unter Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nicht vergessen. Das umstrittene Duo, vor allem mit massiver Unterstützung der Jusos einst an die Macht gekommen-sie gewannen die Urabstimmung der SPD-Mitglieder gegen Scholz und andere- hat es geschafft, die Partei hinter ihrem Kanzlerkandidaten einigermaßen geschlossen aufzustellen. Das war nicht immer so.
Heute jedoch steht Scholz auf der Bühne und verkündet seine Botschaften und niemand aus seiner Partei funkt dazwischen, niemand stellt ihn infrage. Sehr zum Ärger der Christdemokraten, die merken, dass Scholz und die SPD zumindest im Wahlkampf wie eine Eins dastehen. Da können sie noch so viele Versuchs-Ballons starten, Kevin Kühnert und die anderen Linken reagieren nicht darauf, sondern greifen ihrerseits die CDU an und zeigen deren Schwäche auf, ihre Zerstrittenheit. Wenn der Kandidat Laschet wie im Triell geschehen dem Kandidaten Scholz den „höheren Mindestlohn“ vorhielt, quasi als einen Widerspruch zum Tarifrecht und überhaupt falsch, konterte der SPD-Politiker kurz und trocken: „Ich mache das jetzt nicht, weil Wahlkampf ist, sondern es geht mir um die Würde der Bürgerinnen und Bürger. Und das ist vielleicht etwas, was uns voneinander unterscheidet.“ Ein Volltreffer von Scholz, den Laschet nicht parieren konnte. So ist das, wenn man einen Lauf hat.
Schon in früheren Wahlkämpfen trat die SPD immer für mehr soziale Gerechtigkeit ein. Dieses Mal scheint die Kritik des Sozialdemokraten Scholz an den seiner Meinung nach ungerechten Zuständen aufzugehen. Er will die Reichen angemessen besteuern, an den Aufgaben der Gesellschaft stärker beteiligen. Das erklärt er sachlich, spröde, wie der politische Gegner meint, aber eben auch gekonnt und überzeugend. Ohne Neid. Er bezieht sich selber mit ein, weil er viel verdient, so ähnlich hat er das formuliert. Die Zahlen sprechen für seine Argumentation: Dem reichsten Zehntel der Deutschen gehört 56 Prozent des Vermögens, die Hälfte der Gesellschaft besitzt aber nur ein Prozent, viele gar nichts Gerecht kann man das nicht nennen.Und die Pandemie hat diese Kluft zwischen Reichen und Armen noch vertieft. Zum Beispiel verloren Kellner und Verkäufer ihren Job und ihr bisschen Vermögen, der deutsche Aktienindex aber kletterte um 15 Prozent nach oben. Die Verdoppelung der Immobilienpreise in deutschen Städten landete zur Hälfe auf dem Konto des reichsten Zehntels. Nachzulesen vor ein paar Tagen in einem Kommentar der SZ. Und jetzt die Reichen noch zusätzlich zu entlasten wie das CDU und FDP vorschlagen, erscheint mir ziemlich aberwitzig. Stattdessen verlangen SPD, Grüne und Linke den Spitzensteuersatz zu erhöhen und die Vermögensteuer zu aktivieren. Sie steht im übrigen im Grundgesetz. Das alles wäre auch kein Linksrutsch, wie Söder, Laschet und Lindner laut beklagen, sondern nur ein kleines Stück mehr Gerechtigkeit. Niemand geht dadurch pleite, kein Investor wird ins Ausland verjagt, auch das Eigenheim ist nicht in Gefahr. Es geht darum, so die SZ, „immer reicher Gewordene angemessen an der Finanzierung der Gesellschaft zu beteiligen, um den sozialen Frieden zu erhalten.“
Armin Laschets Verzweiflung
Noch einmal will ich Deutschlands ersten Kanzler-Fotografen Konrad A. Müller zitieren. Dem Kanzlerkandidaten der Union, Armin Laschet, sehe er die Verzweiflung an. Laschet strahle keinen Machtwillen aus, keine Kraft, keine Zuversicht. Müller zufolge habe der CDU-Vorsitzende innerlich längst aufgegeben. Müller hat alle Kanzler der Republik vor seiner Linse gehabt, seine ausdrucksstarken Fotos schmücken ein Buch, die ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und Kurt-Georg Kiesinger hat er erst nach Ausscheiden aus dem Amt fotografiert. Ja, Armin Laschets Wahlkampf ist nun bisher keine ausdrückliche Erfolgsgeschichte. Zunächst musste er sich gegen Konkurrenz in der CDU als Vorsitzender durchsetzen, dann hatte er Markus Söder, den CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten am Hals, den er aber selbst nach erfolgter Nominierung zum Kanzlerkandidaten nicht wirklich loswurde. Der Franke stichelte und stänkerte weiter und weiter, CSU-Generalssekretär Blume betonte kürzlich, „natürlich stünden wir mit Markus Söder besser da“. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde, weiß der Volksmund. Dann kam die Flut und Laschet trat mit schwarzen Lederschuhen im Krisengebiet auf, gerade so, als hätte er noch nie die Bilder von Gerhard Schröder 2002 in Gummistiefeln und Regenzeug gesehen. Damit nicht genug, der Kandidat Laschet wurde bei einer ernsten Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lachend erwischt, als hätte ihm gerade jemand einen Witz erzählt. Kleinigkeiten, gewiss, aber Kleinvieh macht auch Mist, sagt der Bauer. Und Laschet kam nicht richtig in die Spur.
Sein Zukunfts-Team mit dem Mann von Gestern, Friedrich Merz, und lauter Unbekannten war eher was zum Einschlafen als ein Gong, um den Endspurt um die Macht in Berlin einzuläuten. Seine Versuche, die historische Rolle der SPD zu verunglimpfen, waren eher Eigentore. Er warnte seinen FDP-Freund Lindner, mit dem er gern koalieren würde, vor einer Ampel-.Koalition, was lächerlich wirkte. Die Rote-Socken-Kampagne mag den einen oder anderen Hundertfünfzigprozentigen Christdemokraten erfreuen, aber die Wechselwähler eher nicht. Man könnte über seine jüngste Reaktion auf den Mord in Idar-Oberstein reden, als er wie ein Pfarrer meinte; “ Wir verurteilen diese Aggression und fordern jeden auf, das zu lassen.“ Empörung auf der einen Seite, Kopfschütteln auf der anderen. Auch im Triell hatte er merkwürdige Sätze von sich gegeben, die eher naiv, fast kindisch wirkten. So als er zur guten Arbeit von Olaf Scholz im Kabinett von Kanzlerlin Merkel mit den Worten reagierte, weil die Kanzlerin gut auf ihn, den Finanzminister aufgepasst habe. Gegen Ende des Wahlkampfs will ihn Angela Merkel unterstützen. Ob ihm das hilft, wenn er, der kleine Politiker aus Aachen, neben der großen Kanzlerin steht, zu ihr hochschaut auf der Weltbühne? Weil er es allein nicht packt? Und wie wird sich auswirken, wenn in der Union schon über Schuldfragen diskutiert wird, darüber, wer die Verantwortung für die mögliche Niederlage tragen werde? Ob die Union, wenn sie denn, wie Umfragen signalisieren, wirklich auf Platz landen sollte, überhaupt in eine Regierung streben sollte? CDU und CSU sehen sich nun mal als Regierungspartei, als geborene Kanzlerpartei, manchmal erwecken sie den Eindruck, als gehörte ihnen das Land, sprich das Kanzleramt und die anderen auf die Oppositionsbänke. Wie werden sie reagieren, wenn sie so schlecht abschneiden, wie Umfragen es besagen? Historische Vergleiche werden bemüht. Die SPD hat das schon hinter sich.
Es ging, keine Frage, im Wahlkampf auch um die Zukunft des Landes, um die Konzepte der Parteien für die nächsten Jahre, wie man den Klimaschutz bewältigen will, damit die Natur wieder Kraft gewinnt und überlebt, darum aber auch, dass die Menschen das auch bezahlen können. Um bezahlbares Wohnen, die künftige Energiepolitik, den Solidaritätszuschlag, die Rente, die Kindersicherung. Eben um Soziales, um die vielen Sorgen der kleinen Leute. Und natürlich um die kleinen Geschichten, Stolperer, Pleiten, Pech und Pannen. Noch nie war der Ausgang einer Wahl so ungewiss wie in diesem Jahr, weil nicht nur die Kanzlerin ihren Platz freimacht, sondern weil bis zu 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler, so die Schätzung, schon per Brief abgestimmt haben, wenn am Sonntag in der Früh die Wahllokale öffnen. Und ob dann Scholz mit Baerbock und Lindner, Laschet mit Baerbock und Lindner koalieren oder oder, diese Frage kann vielleicht erst sehr viel später beantwortet werden. Insofern bleibt es spannend bis zum Schluss.