Gerade habe ich den Roman „Deutsches Haus“ gelesen, der sich mit dem Auschwitz-Prozess befasst. Immer und immer wieder liest man in diesem fesselnden Buch die Aussagen der Angeklagten im Prozess in Frankfurt, dass sie nichts gewusst hätten von den Verbrechen der Nazis an den Juden, dass sie nur Befehlsempfänger gewesen seien, dass sie an dem Tag, an dem sie von Zeugen der Verbrechen bezichtigt wurden, weil diese sie erkannt und später wieder erkannt hatten, dass sie an dem Tag gar nicht im Lager gewesen seien. Und so weiter. Millionen Deutsche waren Mitglieder der NSDAP, Tausende und Abertausende arbeiteten im Dienst der Nazis in den Konzentrationslagern und keiner wollte was gesehen haben. Man verweigerte die Aussage, drückte sich davor, auch das Ehepaar, das im Roman in Auschwitz lebte, der Vater als Koch, Mitläufer gewiss. Aber so funktionierte das System, dem viele angehörten, die das System am Laufen hielten, weil sie irgendwie mitmachten. Ein Buch, wie die Schauspielerin Iris Berben bemerkt, das gerade zur richtigen Zeit geschrieben worden sei. Wie immer sie das meinte? Vielleicht weil der Antisemitismus sich in Deutschland breit macht, weil Juden sich sorgen, ob sie ihre Kippa tragen sollen, weil andere Juden schon auf gepackten Koffern sitzen.
Ein Buch zur richtigen Zeit. Weil eine rechtspopulistische AfD Erfolge feiert, die ganz ungeniert mit Neonazis, Rassisten und Fremdenfeinden gemeinsam in Chemnitz demonstrierte, als wäre nichts dabei. Dazu passt das Stichwort, das ich in der Früh im Radio hörte, bei WDR 2. Vor 65 Jahren erschütterte ein Skandal die junge Bundesrepublik. Bundeskanzler Konrad Adenauer ernannte den Kanzleramtschef Hans Globke zum Staatssekretär, jawohl genau jenen Globke, der als Kommentator der Nürnberger Rassengesetze einen eher berühmt-berüchtigten Namen hatte. Derselbe Globke, der schon gegen Ende der Weimarer Republik 1932 Richtlinien für die Behandlung von Namensänderungen erarbeitet hatte, damit Juden „blutmäßig“ kenntlich blieben. Also sollten Namensänderungen verboten werden. Dieser Globke kommentierte später die NS-Rassengesetze, die für die Reinhaltung arischen Blutes sorgen sollten und legitimierte die antijüdische Gesetzgebung, mit der man den Völkermord an den Juden vorbereiten half. Sein Glück, dass die NSDAP seinen Antrag, in die Partei aufgenommen zu werden, 1941 ablehnte, weil er für die Braunen zu katholisch war.
Juristische Prostitution
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt, der 1933 von den Nazis aus dem Dienst entfernt worden war, griff Adenauer und seinen Kanzleramtschef Globke schon 1950 im Bundestag an: „Wer als Jurist eine solche Tat oder Untat, wie es die Nürnberger Gesetze sind, scheinbar wissenschaftlich kommentiert, setzt sich dem Vorwurf aus, dass das, was er dort geschrieben hat, kaum mit einer anderen Bezeichnung versehen werden kann als der einer juristischen Prostitution.“ Aber Adenauer nahm ihn in Schutz, er war ja auch nach dem Krieg als unbelastet eingestuft worden und besorgte sich über seine Kontakte zur katholischen Kirche einen so genannten Persilschein. Adenauer betonte in einer Debatte, Juden hätten sich sogar bei Globke für ihre Rettung bedankt. Aber darauf erhielt der Alte einen bösen Zwischenruf.“Auch Himmler hat Juden gerettet.“ Darauf wieder der Bundeskanzler: „Ich meine, wir sollten jetzt mit der Naziriecherei Schluß machen.“ In der Tat sorgte dieser Appell an das nationale Gewissen-Adenauer hatte ja selbst unter den Nazis gelitten- für ein paar Jahre Ruhe.
Das Thema Globke war aber nicht beendet. So erklärte der Zentralrat der Juden in Deutschland: „Es ist uns nicht bekannt, dass durch irgendwelche Kommentare der Nürnberger Rassengesetze je jüdische Menschenleben gerettet werden konnten. Dagegen ist uns wohl bekannt, dass diese Gesetze zum verbrecherischen Mord an sechs Millionen Männern, Frauen und Kindern geführt haben.“
Als der Eichmann-Prozeß 1961 in Israel stattfand, hatte Hans Globke Glück. Die Israelis wollten Globke vor Gericht holen, um ihn als Zeugen zu vernehmen. Das gefiel Adenauer aber gar nicht, weil dann die ganze NS-Geschichte Globkes auf die Agenda gelangt wäre. Mit Milliarden-DM-Wiedergutmachung der Bundesrepublik an Israel sorgte der Kanzler dafür, dass Globke nicht geladen wurde. Eichmann, der Globke schwer belasten wollte, wurde zum Tode verurteilt. Globke bliebt im Amt.
Mauer des Schweigens
Hans Globke war eine schwere Belastung für die deutsche Politik, die in den 60er Jahren mit dem Auschwitz-Prozeß begann, ihre braune Vergangenheit aufzuarbeiten. Was sich als nicht einfach herausstellte, weil eben die deutschen Verwaltungsbehörden auf allen Ebenen mit Nazis durchsetzt waren. Diese Tatsache erklärte für die Schriftstellerin und Politik-Wissenschaftlerin Hannah Arendt, „warum es eine Mauer des Schweigens gab, warum die Angeklagten(im Frankfurter Auschwitz-Prozeß wie in anderen NS-Verfahren)hartnäckig..logen.“ Arendt zitiere den brutalen Block-und Rapportführer im Stammlager Auschwitz, Oswald Kaduk, der vor dem Schwurgericht ausgesagt hatte:“ Die meisten gehen noch frei herum, wie der Globke. Das tut einem weh.“ Der Kabarettist Dieter Hildebrandt spottete über Globke: „Kennen Sie den Unterschied zwischen den Nürnberger Gesetzen und dem Nürnberger Prozeß? Der Globke war beim Nürnberger Prozeß nicht dabei.“
Egon Bahr, Berater Willy Brandts und langjähriger SPD-Politiker, hatte auf die Beförderung Globkes zunächst „empört reagiert“ und Adenauer vorgeworfen, damit im Grunde eine Amnestie für ehemalige Nazis ausgesprochen zu haben. Den Vorwurf gegenüber dem Kanzler nahm Bahr später zurück und äußerte Verständnis für Adenauers Verhalten: Der Kanzler habe nach dem Krieg eine gigantische Aufgabe vorgefunden, er habe Millionen ehemaliger NS-Mitglieder und Millionen Vertriebene integrieren müssen. Und dafür habe er einen wie Globke gebraucht. Gemeint: einen loyalen Beamten preußischen Zuschnitts.
Schaler Beigeschmack
Es bleibt ein mehr als schaler Beigeschmack. Man lese dazu die Schriften des Fritz-Bauer-Archivs, jenes Fritz Bauer, der als Eichmann-Jäger bekannt geworden ist, und der gegen viele Widerstände den ersten Auschwitz-Prozeß in Frankfurt durchsetzen konnte. Als dieser Globkes eventuelle Mitschuld an der Judenverfolgung untersuchte, verdächtigten ihn Kritiker der Komplizenschaft mit den Kommunisten. Ein Totschlagsargument zu der Zeit, an dem, wie sie herausstellte, nichts dran war. Aber man hatte das Ziel erreicht. Hans Globke, der einstige Spezialist für Judenfragen im NS-Staat, blieb unbehelligt und verließ das Kanzleramt 1963 zusammen mit Konrad Adenauer.
Quellen: Annette Hess: Das deutsche Haus. Ullstein. 2018.365 Seiten. 20 Euro.
Fritz Bauer Archiv: Der Fall Dr. Hans Globke. WDR 2. Zeitzeichen.
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