Der Bundeskanzler wird seine Reise nach Kiew zusammen mit Frankreichs Staatspräsident Macron und Italiens Premier Draghi als Erfolg bewerten können. Die erwähnten Staatsmänner und der ebenfalls ins Kriegsgebiet gereiste rumänische Präsident Joannis signalisierten der von Russland bedrängten Ukraine eine europäische Zukunft. „Wir vier unterstützen den EU-Kandidatenstatus der Ukraine. Wir gehen davon aus, dass diese Entscheidung gefällt wird,“ erklärte Emmanuell Macron im Namen der anderen führenden europäischen Politiker. Das stärkste Symbol der Unterstützung, das Kiew bisher bekommen hat. Damit ist das Land natürlich noch lange nicht in der EU. Aber eines gilt seit dieser Reise, wie es Olaf Scholz ausdrückte: „Die Ukraine gehört zur europäischen Familie.“ Wenn für Russlands Präsident Putin die „Zerstörung der EU“ Ziel seiner Politik ist-so hat es kürzlich Ex-Kanzlerin Merkel gesagt- und des von ihm betriebenen Angriffskriegs, dann hat er mit seiner brutalen Politik von Tod und Vernichtung ukrainischer Menschen und Städte genau das Gegenteil erreicht: Europa rückt zusammen.
Deutschland, Frankreich und Italien sind die drei größten und wirtschaftsstärksten Gründungsmitglieder der EU, die damals 1957 noch Europäische Wirtschafts-Gemeinschaft(EWG) hieß. Scholz, Macron und Draghi repräsentieren zusammen 210 Millionen Menschen. Allein ihr gemeinsamer Auftritt in Kiew stellt ein starkes europäisches Signal der Geschlossenheit dar, das vom Präsidenten der Ukraine, Selenskyi entsprechend herausgestellt wurde. Niemand redete mehr von einem Zuspätkommen des Kanzlers, was Oppositionspolitiker in Berlin in den letzten Wochen gern taten, indem sie Scholz zögerliches Handeln vorwarfen. Sie bedrängten ihn seit Wochen, nach Kiew zu reisen und den Ukrainern die geforderten schweren Waffen zu liefern. Die Ukraine bekommt Waffen seit längerem, sie werden weitere bekommen, wann das sein wird, wird bewusst offen gehalten, um den Russen nicht Angriffsziele ins Haus zu liefern.
Medwedew spottete über die Europäer
Passend zur Kriegslage in der Ukraine hatte es während Scholz Ankunft in Kiew Luftalarm gegeben. Und es dürfte auf Putins Geheiß gewesen sein, dass zur Reise des Kanzlers in die Ukraine die Russen die Gaslieferungen verzögerten, wohl um die Abhängigheit Deutschlands von russischem Gas deutlich zu machen. Ein kontraproduktives Handeln durch Moskau, weil es eher die Entschlossenheit in Europa und die Wut auf Putin verstärken wird. Auch die Äußerungen von Putin-Freund Medwedew dürften das Verständnis bei Scholz, Macron nund Draghi für Russlands Probleme kaum verbessert haben. Medwedew hatte über den Besuch der drei Staatsmänner aus dem Westen und deren Angebot, den Wunsch der Ukraine auf einen Kandidatenstatus in der EU zu unterstützen, gespottet: „Die europäischen Fans von Fröschen, Leberwurst und Spaghetti lieben es, Kiew zu besuchen. Mit null Nutzen.“ Medwedew, Kremchef zwischen 2008 und 2012, hatte erst vor wenigen Tagen das Fortbestehen der Ukraine als souveränes Land infrage gestellt.
Scholz hatte mehrfach betont, er wolle nicht zu denen gehören, „die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin“ in die Ukraine fahren. Wenn, dann solle es um „ganz konkrete Dinge gehen“. Und er hatte mehrfach darauf hingewiesen, dass es keine deutschen Alleingänge geben werde, sondern dass er gemeinsam mit seinen europäischen Partnern handeln werde. So hatte er auf das Drängen von Journalisten und Politikern aus der Opposition wie auch aus Reihen der Ampel-Regierung erklärt und somit die Erwartungen hoch geschraubt, zumal er am 27. Februar, drei Tage nach Beginn des Überfalls des russischen Militärs auf die Ukraine, in einer Aufsehen erregenden Rede im deutschen Bundestag von einer „Zeitenwende“ gesprochen und angekündigt hatte, für die Modernisierung der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro anzulegen. Ferner hatte er betont, der Etat der Verteidigung werde nun jedes Jahr auf zwei Prozent des Bruttosozialprodukts aufgestockt, also von jetzt 51 Milliarden auf dann 71,2 Milliarden Euro(für 2021) erhöht.
Es geht um die Existenz Kiews
Was die ukrainischen Forderungen nach sogenannten schweren Waffen betrifft: von dieser Erfüllung der Kiewer Wünsche allein hängt natürlich der Verlauf des Krieges nicht ab. Die Amerikaner liefern Waffen, Frankreich tut es, London und andere auch. Und dennoch spielt Deutschland in diesem Konflikt eine wichtige, eine besondere Rolle: es ist das bevölkerungsreichste EU-Land und gemessen an seinen Finanzmitteln das bedeutendste. Dazu kommt die besondere Rolle, die Deutschland im Verhältnis zu Russland spielt, auch die beidseitige Geschichte darf nicht unterschlagen werden. Gemeinsam mit Paris versucht Berlin im Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln, Scholz war in Moskau wie auch Macron, trotz ihrer Verurteilung Putins als Kriegstreiber haben beide immer mal wieder mit dem russischen Diktator telefoniert, um herauszufinden, ob es eine Lösung gibt, die zu einem Waffenstillstand führen könnte. Scholz, Macron, Draghi und Joannis haben die Kriegsschäden im Land besichtigt, haben sich über die Gräueltaten der Russen berichten und diese zeigen lassen, sie haben vor Augen geführt bekommen, mit welcher Brutalität die russischen Streitkräfte vorgehen, dass sie selbst reine zivile Objekte gnadenlos zerbomben und dabei auch Frauen und Kinder erschießen. Ebenso haben sie einen Eindruck mit nach Hause genommen, mit welchem Einsatz und Durchhaltevermögen, mit welchem Mut die Ukrainer kämpfen. Es geht um die Existenz ihres Staates.
Die Ukraine wird aller Voraussicht nach den Status eines EU-Kandidaten erhalten, was nicht heißt, dass die Mitgliedschaft in der EU bevorstehe oder in naher Zukunft winke. Aus den Niederlanden wurden schon Bedenken angemeldet, zuerst müsse die Ukraine ihre Vetternwirtschaft, ihre verbreitete Korruption und ihr Oligarchentum beenden, andere Bedingungen kommen hinzu. Das wird ein langer, ein harter Weg. Sie muss sich nicht vom Fall der Türkei schockieren lassen, die seit 22 Jahren einen solchen Kandidatenstatus hat. Und wenn einer wie Erdogan so weiter regiert wie er regiert und er willkürlich z.B. deutsche Bürger einsperrt- einige Dutzend sitzen in türkischen Gefängnissen- wird Ankara auf grünes Licht aus Brüssel noch lange warten müssen.
Aber eines hat die Reise von Scholz und Co gebracht: es ist ein europäisches Signal der Entschlossenheit und Geschlossenheit an die Ukraine und an Russland. Und das ist ein dicker Punkt für Präsident Selenskij und seine kämpfenden Mitstreiter, es ist mehr als ein Fototermin. Das letzte Wort von Scholz, getragen von Pathos, werden sie sich merken, als der deutsche Bundeskanzler in Kiew von einem „Meilenstein“ sprach und dann seine Rede mit den Worten beendete: „Es lebe die Ukraine, Slawa Ukrainij“(zitiert nach der Süddeutschen Zeitung, Seite 3).
Bildquelle: Frank Schwichtenberg, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons