In zwei Ländern, die früher CDU-dominiert waren, wurde gewählt. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz verloren die Christdemokraten klar und erzielten ihr historisch schlechtestes Ergebnis. Wenn die Christdemokraten Pech haben, landen sie in beiden Fällen auf der Oppositionsbank, direkt neben der rechtspopulistischen AfD. Regierungsbildungen ohne die Union, vor einiger Zeit noch undenkbar, aber plötzlich wird über Ampel-Koalitionen geredet. Grün mit Rot und Gelb, Rot mit Grün und Gelb, beide Kombinationen sind in Stuttgart möglich und in Mainz sogar sehr wahrscheinlich und in Berlin im Herbst nicht auszuschließen. Dass dies so kommen könnte, hängt mit einer schwächer gewordenen CDU zusammen, auch mit dem unappetitlichen Masken-Deal und der Nebentätigkeits-Affäre der Union, die die Partei erschüttert hat und deren Ende noch nicht abzusehen ist. Und das hängt mit vielen offenen Fragen zusammen, die die CDU beantworten muss, auch mit Führungsfragen.
Dass Wilfried Kretschmann die Landtagswahl in Baden-Württemberg gewinnen werde, war vorher ziemlich klar. Der 73jährige Mann hat das Land im Griff, er steht fürs Grüne, Konservative, die Wirtschaft, das Christliche. Ihm vertrauen viele Wählerinnen und Wähler, ihm trauen sie zu, dass er sie weiter mit ruhiger Hand durch die Krise führt. Da bleibt für die Konkurrenz nicht viel Platz, um sich zu profilieren. Folglich der Absturz der CDU, auch das mickrige Abschneiden der SPD überrascht nicht sehr. Respektabel dagegen die Zahlen für die FDP, aber Christian Lindner sollte still genießen, noch hat ihn Kretschmann nicht gefragt, ob er eine Ampel-Koalition eingehen will. Kretschmannn könnte genauso gut mit der CDU weiterregieren wie die letzten fünf Jahre. Das könnte sogar gemütlicher für ihn werden, den Landesvater. Eine Zweier-Allianz ist immer einfacher. Diese Frage hat der Ministerpräsident nach der Wahl bewusst nicht beantwortet, weil er sich auch nicht zu einer Ampel äußern wollte. Der Mann ist lang genug im Geschäft, um den Hintersinn solcher Fragen zu kennen und ihnen auszuweichen.
Grün-Schwarz in Stuttgart, das wäre dann als ein Signal Richtung CDU-Parteizentrale zu verstehen als: Schwarz-Grün im Bund. Dazu würde passen, dass er mit Angela Merkel gut kann, für sie hat er, wie er mal während der Flüchtlingskrise eingestand, gebetet. Ja, dieser Kretschmann ist ein Urgrüner, aber auch ein Ur-Wert-Konservativer, tiefgläubiger Katholik, der in seinen jungen Jahren mal ein Kommunist war und den der Bann des Radikalen-Erlasses einst traf. Er hat nicht dagegen gewettert, tut dies auch heute nicht, sondern bereut seine-wenn man so will- Jugendsünde. Aber Merkel tritt nicht mehr an.
Die Grünen wollen regieren, auch im Bund. Das war gestern Abend deutlich herauszuhören. Annalena Baerbock und Robert Habeck können es kaum abwarten. Aber wollen sie nur regieren, also auch als Juniorpartner mit der Union, oder wollen sie den ganzen Kuchen, also das Kanzleramt, den Kanzler stellen. Da gibt es kein Dementi. Dass sie stärkste Kraft bei der Bundestagswahl werden, ist ein weiter Weg, aber nicht ausgeschlossen, vor allem dann nicht, wenn die Union weiter keine Geschlossenheit zeigt. In der Pandemie macht sie keine überzeugende Politik. Vielleicht geht das auch gar nicht, zumal in einem föderalen System, wo viele mitreden und keiner das Sagen hat. Vielleicht ist auch überzeugende Politik nicht möglich, weil man fast täglich Neuland betritt, weil Corona uns pausenlos vor neue Probleme stellt. Testen, Impfen. Das wäre die Lösung, wenn genügend Impfstoff da wäre. Aber, pardon Frau Merkel, da haben einige ihrer Leute, allen voran die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen geschlafen, nicht entschlossen gehandelt. Und es war die Kanzlerin, die Frau von der Leyen trotz ihres Versagens im Verteidigungsministerium nach Brüssel empfahl. Wer regiert, trägt nun mal die Verantwortung und kriegt mehr ab, wenn es nicht läuft.
Die Wahlen waren Persönlichkeits-Wahlen. Auch in Mainz, im Land der Reben, Rüben und Raketen. Wo Helmut Kohl mal regierte, ehe er CDU-Chef und Kanzler wurde. Malu Dreyer, die SPD-Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, strahlte einfach in die Kameras. Trotz der Erschöpfung, stand sie und lächelte und freute sich über ihren klaren Wahlsieg. Das kann sie auch. Eine wie sie braucht auch keinen Rückenwind aus Berlin, den sie ohnehin nicht gehabt hätte, sie hat das allein gepackt mit ihren vielen Freundinnen und Freunden. Und sie ließ keinen Zweifel aufkommen, dass sie die Ampel-Koalition mit Grünen und der FDP fortsetzen will. Ich habe auch von ihr am Abend keine Bemerkung Richtung Bundestagswahl und Ampel-Debatte gehört. Das übernahmen dann andere.
Bei aller Freude der Sieger, lohnt ein Blick in die Altersliste: Und dann stellt man bei der SPD in der Pfalz fest , dass sie vor allem bei den Menschen über 60 Vertrauen genießt, bei den Jüngeren sieht das anders aus. Da ist noch viel Luft nach oben, das weiß auch Malu Dreyer. Und da muss die SPD anpacken, sie muss attraktiver werden für die jüngere Generation. Die wählt sie nicht wegen ihrer herausragenden Geschichte oder ihrer früheren Leistungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt.
Auch für die Union lohnt sich ein Blick in die Liste der Wählerinnen und Wähler. Und da würde sie bemerken, dass die Grünen ihr im Ländle sogar den Rang bei den Älteren abgelaufen haben. Wenn man so will, kann man die Grünen in Baden-Württemberg mindestens auf dem Weg zur neuen Volkspartei „Die Grünen“ sehen. Einerseits spannend, andererseits aus Sicht der CDU gefährlich. Wohin wird ihr Weg führen? Die andere Volkspartei, die SPD, liegt momentan bei 16 Prozent.
Natürlich darf sich eine Bundes-SPD über einen solchen Sieg auch freuen. Endlich mal wieder gewonnen. Kanzlerkandidat Olaf Scholz blieb trotz seiner Freude kühl und zeigte sich überzeugt, dass die SPD den Kanzler stellen werde. Mit ihm natürlich. Eine Regierungsbildung ohne CDU sei möglich, betonte Scholz und meinte damit auch die offenen Fragen in Stuttgart. Klar, wenn Kretschmann, dem er brav gratulierte, sich auf eine Ampel einlässt statt auf eine Koalition mit den Schwarzen, könnten mehr Leute auch woanders Gefallen an so einer Konstellation finden. Wenn, aber Kretschmann ist anders. Ich würde keine Wette abschließen.
Richtig ist, es ist viel Bewegung in die Politik gekommen. Das Superwahljahr kann noch spannend werden. Nichts ist entschieden, das machten die Debatten und Bewerbungsreden von Leuten aus der CDU, der SPD und der FDP deutlich. Sie waren alle an Kretschmann gerichtet, den grandiosen Wahlsieger, der aber leicht lächelnd dazu schwierg und ankündigte, er werde mit allen Demokraten reden und dabei mit der prozentual stärksten beginnen. Der CDU. Was aber nichts bedeuten muss. Christian Lindner sagte etwas Wahres: „Die Karten sind neu gemischt.“
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