Mit Autoritäten hatte es Joschka Fischer nie so richtig. Dem Bundestags-Vizepräsidenten Richard Stücklen(CSU) rief er im sogenannten Hohen Haus mal erregt zu: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“ Erst als Fischer selber zu einer Autorität aufgestiegen war, demonstrierte der Grünen-Politiker, dass er sich seiner Bedeutung sehr wohl bewusst war. „Wenn ich den Eliten nicht mehr traue, muss ich selber zu einer solchen werden. Irgendeiner muss es ja machen.“ Sagte er in aller Bescheidenheit, die ihm allerdings sonst fremd ist. Der Mann, der den Marsch durch die Institutionen verkörpert wie kaum ein anderer: Messdiener, Schulabbrecher, Opel-Arbeiter, Mitglied der Gruppe „Revolutionärer Kampf“, Weggefährte von Daniel Cohn-Bendit und Tom Koenigs in der Frankfurter Sponti- und Hausbesetzter Szene, Streetfighter, der nach eigenen Worten selber schon mal zugelangt hatte im Kampf mit Ordnungskräften, Turnschuhminister in Hessen, heimlicher Grünen-Chef, Besserwisser, Außenminister im ersten bundesweiten rot-grünen Kabinett unter Gerhard Schröder, Lobbyist, hochbezahlter Buchautor und Berater, ein Mann, dem man ansah, wenn man ihn länger kannte, dass er buchstäblich durch dick und dünn gegangen war. Jetzt ist er 75 geworden. Erst? Das alles reicht doch für zwei Leben.
Joschka heißt eigentlich Joseph, wie der Mann aus der Bibel, er hatte noch einen weiteren Vornamen: Martin. Wie das früher üblich war in katholisch geprägten Häusern. Fischer entstammte einer ungarisch-deutschen Familie, der Vater war Metzger. Er sah schon immer ziemlich zerknittert aus, egal, ob er 112 Kilo wog oder nur noch 75 Kilogramm auf die Waagschale brachte. So wie es die Hamburger Wochenzeitung die „Zeit“ mal in fein gewirkte Worte fasste: Der Außenminister „pflegte seine Stirn so akkurat in tiefe Falten zu legen, dass die Sorgen der Welt überaus dekorativ darauf herumklettern konnten“. Ja, das große Ganze trieb den Mann um, die Last, die das große Amt auf seine Schultern legte, gemeint des Bundesministers des Äußeren, der von sich behaupten konnte, ein Freund der US-Außenministerin Madeleine Albright gewesen zu sein. Sie schätzte Fischer, der die Kleidung des einstigen Straßenkämpfers gegen den dunklen Dreiteiler getauscht hatte, sie mochte den Mann mit der heiseren Stimme, die seinen Sätzen zusätzliche Bedeutung gab. Mindestens.
Ich habe Joschka Fischer in Bonn erlebt, er gehörte zur ersten Grünen-Fraktion im Bundestag. Aber damals spielten andere wie Otto Schily und Petra Kelly die erste Geige. Nach zwei Jahren wurde er rausrotiert aus dem Bundestag. Ich kenne Fischer auch noch in Aktion im Großraum Frankfurt. Holger Börner war Ministerpräsident in Hessen, wo er seine Probleme hatte mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens. Grüne Demonstranten folgten dem SPD-Regierungschef bei vielen seiner Auftritte, sie störten mit Pfiffen, Rufen und Plakaten die Reden Börners, in denen er für die Startbahn West warb. Man muss dazu wissen, dass der Frankfurter Flughafen schon damals der größte Arbeitgeber in Hessen war mit Tausenden von Arbeitsplätzen. Die Protestaktionen glichen teils bürgerkriegsähnlichen Aktionen. Damals sagte Börner jenen Satz mit der Dachlatte, mit der er gern mal grünen Demonstranten eins überziehen wollte. Er hatte das allerdings in einem vertraulichen Gespräch mit Journalisten gesagt, ein Kollege hielt sich nicht an die Absprache. So gelangte das an die Öffentlichkeit. Derselbe Börner fädelte wenig später erst eine Tolerierung, dann eine Koalition mit der ungeliebten ökologischen Konkurrenzpartei ein, in der derselbe Fischer Umweltminister in der Regierung Börner wurde.
In Jeans und Sneakers
In Jeans und Sneakers stand Fischer lässig da und nahm die Ernennungsurkunde entgegen. So war das halt, Jeans statt Anzug, Turnschuhe ersetzten schwarze Lederschuhe, man war ja gegen das Establishment. Viele Jahre später erzählte er, die weißen Turnschuhe seien ihm peinlich gewesen, die Partei habe jedoch ein Protestsymbol setzen wollen. „Dem habe ich mich gebeugt.“ Die Konservativen rümpften die Nase, waren empört, wie man so im Parlament auftreten konnte, würdelos, wie sie fanden. Kleider machen Leute, war halt ihre Losung. Die Grünen waren eine Dagegen-Partei, sie rotierten im Amt, durften nur einen Teil ihrer Diäten für sich beanspruchen, fuhren Fahrrad, protestierten gegen die Atompolitik von CDU/CSU und FDP, lehnten Raketen ab wie überhaupt alles Militärische. Joschka Fischer wird sich daran erinnern.
Joschka Fischer, jung im Ministeramt, ätzte gegen die Alten in Bonn 1985. „Es gibt doch eine ganze Latte politischer Halbleichen bis Leichen, die hier auf Kabinettsposten herummodern.“ Das war die Sprache der Möchtegern-Revoluzzer, die alles anders machen wollten, sich aber über die Jahre mehrfach neu erfanden und heute längst von den anderen kaum mehr zu unterscheiden sind.
Auf Wein und Speisen folgte die Askese
Jahre später traf ich Joschka Fischer im Wahlkampf 1998 in seinem Bonner Büro. Die Stimmung war prächtig, vieles deutete auf Rot-Grün hin, auf eine Abwahl des Alten Helmut Kohl und auf den neuen Kanzler Gerhard Schröder plus den Grünen Außenminister Joschka Fischer, den man sich im Auswärtigen Amt nicht vorstellen konnte. Da stand er in seinem Büro, aus dem schwergewichtigen Grünen war ein Leichtgewicht geworden, Joschka hatte sich die Pfunde vom Leib gejoggt, der Genießer eines guten Tropfens und edler Speisen hatte eine Weile aufs asketische Leben umgestellt. Stolz präsentierte er seine Bauchmuskeln, indem er das T-Shirt hochzog. Seht her! Später schrieb er ein Buch über den langen Lauf zu sich selbst. (Übrigens sei seine Vorliebe für einen guten Wein Erbe seiner Messdiener-Zeit, hat er gesagt. Die „offizielle Einstiegsdroge“ sei der Weihrauch gewesen, die „inoffizielle der Messwein“.)
In der pazifistisch eingestellten Partei geriet der Außenminister Joschka Fischer mit den Fundis der Grünen aneinander. Beim Sonderparteitag 1999 in Bielefeld warf ein radikaler Grüner einen Farbbeutel aufs Ohr des Außenministers und verletzte diesem das Trommelfell. Der Farbbeutel platzte auseinander, die eine Seite des Gesichts wurde rot von der Farbe, die auch anderes bespritzte wie seinen Anzug. Die Bilder dieser Szene sind mir bis heute präsent. Erstaunlich fand ich damals die Beherrschheit von Joschka Fischer, denn die Aufregung nach dem Farbbeutel-Wurf war sehr groß. Damals ging es um den Kosovo-Krieg, Fischer war für den Einsatz der Nato unter Beteiligung der Bundeswehr. Ein Einsatz ohne UNO-Mandat, hoch umstritten. Der Außenminister begründete ein Ja mit „Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus“. Er wollte mit diesem Einsatz das Morden auf dem Balkan beenden.
Wenn es um seine Überzeugungen ging, zeigte sich der Grünen Politiker oft unbeugsam. Unvergessen seine Worte bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2003, die er in Richtung dem amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagte, als die USA den Angriff auf den Irak mit dem Hinweis auf Saddam Husseins angebliche Massenvernichtungswaffen begründeten. „Excuse me, I am not convinced“. Erregte sich Fischer im Hotel Bayerischer Hof. (Entschulden Sie, Ich bin nicht überzeugt.) Recht hatten er und der Kanzler Schröder mit ihrem Nein zum Irak-Krieg, die von der US-Regierung vorgetragenen Gründe waren, wie sich herausstellte, erlogen. US-Außenminister Powell hatte dabei sogar vor der UNO-Versammlung die Unwahrheit gesagt. Fischer betonte damals, er halte die Diplomatie für „mitnichten ausgeschöpft.“
Ausgezeichnet vom Zentralrat der Juden
Joschka Fischer wurde für seinen Einsatz für den Frieden in Israel und sein klares Bekenntnis zu den Juden in Deutschland mehrfach ausgezeichnet. So erhielt er die Buber-Rosenzweig-Medaille des Koordinierungsrates der christlich-jüdischen Gesellschaft, 2005 verlieh ihm der Zentralrat der Juden in Deutschland für sein Engagement um das Judentum den Leo-Baeck-Preis. Der Vorsitzende Paul Spiegel würdigte Fischer in seiner Laudatio: „Sein Einsatz für ein Ende des Terrors und einen gerechten Frieden im Nahen Osten ergänzt durch kritische, aber uneingeschränkte Solidarität mit dem Staat Israel und seiner Bevölkerung, sind in diesen Zeiten verschärfter antisemitisch gefärbter Israelkritik ein wichtiges Signal und eine ermutigende Geste gegenüber der jüdischen Gemeinschaft.“
2005 verlor Rot-Grün die vorgezogene Bundestagswahl, Angela Merkel wurde erstmals Kanzlerin, Joschka Fischer nahm auf der Oppositionsbank Platz und gab 2006 sein Bundestagsmandat zurück, das Ende seine aktiven Politik-Zeit. Die Grünen verloren einen ihrer führenden Köpfe, einen brillanten Redner, der fortan als Berater und Redner arbeitet. Zu seiner Bilanz hat der Jubilar(ein böses Wort, das er nicht mag) vor fünf Jahren zur SZ geäußert: „Was bringt es, sich zu fragen, was habe ich geleistet? Sie können eh nichts mehr daran ändern.“ In aller Bescheidenheit. Doktor Fischer, Ehrendoktor in Haifa und Tel Aviv, Professor in Princeton. Und das alles ohne Abitur.
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