Es ist noch nicht so weit, aber schon werden die Alarmsirenen geläutet: Ein Linker könnte Ministerpräsident in Thüringen werden, genauer Bodo Ramelow, ein Linker, der aus dem Westen stammt. Die SPD-Spitze in Erfurt hat sich für ein Bündnis mit den Linken und den Grünen ausgesprochen, jetzt werden die paar Tausend Mitglieder der thüringischen SPD befragt und am Ende muss auch noch der Landtag dort zustimmen. Das alles sind keine kleinen Hürden, vor allem das letzte Hindernis, der Landtag, hat es in sich. Denn ein solches Bündnis hat nur eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme. Das kann also schiefgehen. Aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Man muss kein Freund der Linken sein, um deren politische Kraft im Osten anzuerkennen. Die Post-Kommunisten und Nachfolger der SED sind in den neuen Bundesländern eine Volkspartei, sie sind zum Beispiel in Thüringen viel stärker als die SPD, die in einer solchen Koalition Minderheitspartner wäre. Aber das ist ja nicht neu für die Sozialdemokraten, regieren sie doch auch in Baden-Württemberg in einer Koalition mit den dortigen Grünen, aber eben als kleinerer Partner und unter einem Grünen-Ministerpräsidenten Kretschmann. Ob die Stärke der Linken mit der früheren Stärke der SED zusammenhängt, damit, dass die SED über eine Million Mitglieder hatte, damit vielleicht auch, dass Hunderttausende von DDR-Bewohnern dem am Ende verhassten Regime dienten, auch als Stasi-Mitarbeiter. Oder weil man sie kennt und sich kennt. Jedenfalls sind sie da und sie sind demokratisch gewählt. Als solche haben die Abgeordneten der Linken- gleich, was sie früher gemacht haben- die gleichen Rechte wie ihre Kollegen aus den anderen Parteien.
Christine Lieberknecht, die Amtsinhaberin in Erfurt von der CDU, kämpft gegen das andere Bündnis an, umwirbt die Genossen der thüringischen SPD. Sie will Ministerpräsidentin bleiben, was man ja verstehen kann. Aber man muss ihr nicht Recht geben. Denn wir können nicht an jedem Ort und in jedem Land in eine große Koalition ausweichen, nur weil es einem der klassischen Führungsparteien nicht gelingt, aus eigener Kraft eine Mehrheit zu erlangen.
Bodo Ramelow, der mögliche Regierungschef in Erfurt, ist keiner von den Linken, die man früher leicht verteufeln konnte. Er wird, sollte er gewählt werden, mit seinen eigenen Leuten noch erhebliche Auseinandersetzungen bekommen. Es gibt in der Linken populistische Strömungen, die nicht zu unterschätzen sind. Sie fordern alles, ohne darüber nachzudenken, wie es zu bezahlen ist. Eine Gruppe von ihnen hat immer noch Schwierigkeiten mit der Geschichte der DDR und mit dem Begriff Unrechtsstaat. Um das noch einmal zu betonen: Der SED-Staat war eine Diktatur, es herrschte vielfach Willkür und nicht Recht, es gab keine Meinungs- und keine Pressefreiheit und das Wahlrecht war ein Witz, weil es nur dazu führte, dass die SED wiedergewählt wurde. Wobei man von Wahl nicht sprechen konnte. Selbstverständlich gab es keine Reisefreiheit. Und wer versuchte, über die Mauer in den Westen zu fliehen, wurde abgeknallt wie ein Hase, wie ein bekannter Fernseh-Journalist einst formulierte. Ja, die DDR war ein Unrechtsstaat.
Der Fall der Mauer ist nun 25 Jahre her, seit einer Generation sind die neuen Bundesländer Teil der Bundesrepublik, die Menschen haben damit alle Rechten und alle Pflichten. Auch das ist zuzugeben, der Westen ist nicht das gelobte Land. Schwächen und Ungerechtigkeiten sind auch hier nicht zu übersehen. Aber wir haben Recht und Gesetz.
Gerade wir Deutsche im Westen der Republik sollten uns abgewöhnen, denen im Osten Vorwürfe zu machen. Denn viele von uns haben sich damals, nach der Nazi-Zeit und dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nicht mit Ruhm bekleckert. Viele ehemalige Nazis durften unbehelligt ihre Arbeit als Juristen fortsetzen, ja Karriere machen, während der so genannte kleine Mann, zum Beispiel mancher Volksschullehrer, vom Dienst suspendiert wurde, nur weil er Mitglied der NSDAP gewesen war. Nicht zu vergessen die Politiker in den Landtagen und im Bundestag, die früher Mitglied der Partei Hitlers gewesen waren. Oder jene, die in der Wirtschaft eine glänzende Laufbahn machten, niemand kümmerte sich um deren braune Vergangenheit.
Der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann hat den trefflichen Vergleich gewählt: Wer mit dem Finger auf andere zeigt, muss wissen, dass drei Finger derselben Hand auf ihn zurückzeigen. Entscheidend ist später ohnehin nur, welche Politik gemacht wird und zwar zum Segen der Menschen im jeweiligen Land. Der Rest grenzt an Heuchelei.