Es ist eine entsetzliche Tat eines 28jährigen afghanischen Asylbewerbers, der mit einem Küchenmesser am helllichten Tag in einem Park in Aschaffenburg unversehens auf eine Kita-Gruppe losgeht und ein zweijähriges Kind ermordet. Fassungslos nimmt man diese schlimme Tat auf, ein Kleinkind einfach erstochen. Ein mutiger Mann wirft sich dazwischen und wird auch getötet. Ohne seine Zivilcourage wären möglicherweise mehr Kinder der Gruppe Opfer geworden. Warum tötet der Mann ein Kind, was hat das Kind dem Mörder getan? Es ist doch unschuldig. Mein Gott, hört das denn nie auf! Einer, der hier Schutz gefunden hat in unserem Land, ermordet ein Kind. Man findet keine Worte, wird wütend. Eine Gewalttat mitten im Winterwahlkampf. Schweigen wäre angebracht, Trauer, Mitgefühl, doch was machen die Politiker? Sie gehen aufeinander los, es fliegen Schuldzuweisungen hin und her. Sie lassen verbal die Muskeln spielen, die entsetzliche Gewalttat zwingt das Thema Migration und Geflüchtete noch stärker als bisher ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen.
Bundeskanzler Olaf Scholz(SPD) ist es „leid“, wie er sich ausdrückt, „wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten bei uns zutragen.“ Als wenn solche Worte etwas ändern könnten an der Lage, sie können den Mord auch nicht erklären, tragen nichts dazu bei, die Hintergründe oder mögliche Versäumnisse aufzuklären. „Das ist eine unfassbare Terror-Tat in Aschaffenburg“, so der Kanzler, „da ist falsch verstandene Toleranz völlig unangebracht.“ Die Behörden müssten mit Hochdruck aufklären, “ warum der Attentäter überhaupt noch in Deutschland war.“ Und seine Bundesinnenministerin Nancy Faeser weist die Kritik von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz an der Migrationspolitik der Bundesregierung mit scharfen Worten zurück und attackierte ihrerseits die Versäumnisse der CSU-geführten Landesregierung in Bayern. „Die bayerischen Behörden müssen erklären, warum der Täter trotz mehrfacher Gewaltdelikte noch auf freien Fuß war.“ Und schnell schob sie nach: „Offensichtlich sind in Bayern einige Dinge schiefgelaufen.“ Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder hatte zuvor von einer „falschen Migrationspolitik gesprochen“. Nunmehr reagierte ausgerechnet er, der sonst jeden Tag dazu nutzt, die Regierung Scholz zu tadeln, mit einigem Befremden, sprach von Heuchelei der Männer, die drei Jahre Zeit gehabt hätten, die Migrationspolitik zu ändern, geschehen sei im Grunde nichts.
Friedrich Merz, der Herausforderer der Union und nach allen Umfragen klarer Favorit für das Kanzleramt, kündigte mit scharfen Worten ein „faktisches Einreiseverbot.. für alle“ an, „die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen“. Er weigere sich anzuerkennen, dass die Taten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und jetzt Aschaffenburg die neue Normalität in Deutschland sein sollen.“ Man stünde „vor einem Scherbenhaufen einer in Deutschland seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik.“ Wen meinte der CDU-Chef damit, die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin oder die Bundesinnenminister von CDU und CSU Wolfgang Schäuble, Thomas de Maiziere, Hans-Peter Friedrichs, Horst Seehofer? Die SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser ist erst seit drei Jahren im Amt.
Lindner greift Scholz an
Auch der um die Existenz der FDP kämpfende einstige Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner mischte sich in diese parteipolitische Schuldzuweisungsdebatte ein. Der Liberale will ein „veritables Staatsversagen“ erkannt haben, Aschaffenburg sein kein Einzelfall, es sein ein „Muster aus Herkunft, Auffälligkeiten, Ausweisungsverpflichtungen“. Bissig reagierte Lindner auf Scholz Einlassungen. Diese Pose der Entschlossenheit -„mit vorgeschobenem Unterkiefer“- kenne er nur zu gut, es würde nie etwas folgen, weil „er sich in technischen Dingen verliert und die linken Flügel von Rot-Grün alles verwässern und verzögern. Ich habe genug davon. Politikwechsel!“
Der Mann, soviel steht fest, war in den letzten Monaten auffällig geworden. Die Polizei hatte ihn auf dem Schirm, dreimal ist er straffällig geworden, auch wegen Gewalttaten, Drogen sollen eine Rolle gespielt haben, Widerstand gegen die Staatsgewalt steht auf der Liste der Vorwürfe gegen den Täter, eine Frau in einer Flüchtlingsunterkunft soll ihn wegen Körperverletzung angezeigt haben. Der Mann war stationär in psychiatrischer Behandlung, er wurde behandelt und betreut, er hatte erklärt, er werde Deutschland verlassen, dies hatte er der Ausländerbehörde mitgeteilt. Ihm wurde erklärt, er solle sich um die dafür nötigen Papiere kümmern und sich an das afghanische Generalkonsulat wenden. Sein Asylverfahren wurde eingestellt, er wurde zur Ausreise aufgefordert, nachgekommen ist er dieser Anweisung nicht. Er war nach allen vorliegenden Informationen „ausreisepflichtig“, warum der Täter noch in Deutschland war, weiß man nicht. Wenige Tage vor dem Attentat hatte der Mann einen Untersuchungstermin, ihm wurden offenbar Medikamente gegen Schizophrenie verschrieben. Vieles ist bekannt, warum der Mann allerdings frei herumlief, warum man ihn nicht festgenommen oder in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht hat, weil eine Gefahr für die Menschen von ihm hätte ausgehen können, das wird zu klären sein.
Das Verbrechen von Aschaffenburg war ein Verbrechen, der Täter ist ein Mörder. Es war kein Einzelfall. Der Somalier, der 2021 in Würzburg drei Menschen erstochen hat, litt unter „paranoider Schizophrenie“. Der Täter hörte demnach Stimmen. Kaum anders der Anschlag von Regensburg, wo ein Syrer in einem ICE geistig aus den Fugen geriet, in seinem Wahn zu einem Messer griff und vier Menschen gefährlich verletzte. Magdeburg ist nicht vergessen, der Mann aus Saudi-Arabien, der am 20. Dezember 2024 mit einem Auto auf einen Weihnachtsmarkt raste und sechs Menschen tötet und 300 verletzte. Der Täter hatte schon Jahre zuvor gedroht. Hätte man ihn festnehmen, irgendwie aus dem Verkehr ziehen müssen, um andere Menschen vor ihm zu schützen? Der 50jährige Mann lebte seit 2006 in Deutschland, erhielt 2016 Asyl als politisch Verfolgter. Er war Arzt, zuletzt als arbeitsunfähig gemeldet.
Ein Europa wieder mit Grenzen?
Handeln statt reden, wird gefordert, alle verhaften, einsperren, ausweisen, Grenzen dicht machen. Deutschland hat 3876 km Grenze. Kann man diese überwachen, dass niemand durchkommt? Wohl kaum. Faktisches Einreiseverbot? Also an der Grenze zurückweisen. Da müssen dann mehr Kontrollen folgen, mehr Stellen geschaffen werden. Und was ist mit der grünen Grenze? Wollen wir das System des offenen Europas ohne Grenzzäune und Schlagbäume wieder rückgängig machen? Im Alleingang? Was sagen die Nachbarn dazu, Franzosen, Holländer, Polen usw? Dazu kommt die andere Diskussion: Wir brauchen Zuwanderung, jedes Jahr Zigtausende, als Arbeitskräfte, als Ingenieure, Facharbeiter, Pflegekräfte, Ärzte. Eine kontrollierte Zuwanderung, fordern Experten, damit die Integration gelingt, damit Ausländer von der ersten Minute an die deutsche Sprache lernen, überhaupt Deutschland kennenlernen, eine berufliche Ausbildung machen, damit sie später einen ordentlichen Job bekommen, hier leben können, damit ihre Kinder hier in die Schule gehen. Das ist die andere Seite des Problems. Die angenehme Seite.
Das heißt nicht, das Problem, das wir in Aschaffenburg gerade vor Augen geführt bekommen, zu verdrängen. Nein, überhaupt nicht. Wir müssen den Fall Aschaffenburg genau analysieren, alles überprüfen, damit die Fehler und Versäumnisse deutlich werden, um sie abzustellen. Aber bitte ohne die Parteibrille, ohne den üblichen und üblen Wahlkampflärm, es muss parteiübergreifend gehen. In Aschaffenburg sind ein Kind und ein Mann, der helfen wollte, gestorben, ermordet mit einem Küchenmesser. Entsetzlich! Aber diese schlimme Tat darf nicht parteipolitisch ausgeschlachtet werden. Wer kein Bleiberecht hat, muss gehen. Möglichst schnell. Nur mit Afghanistan zum Beispiel ist das schwierig, weil die islamistischen Taliban der Gesprächspartner sind. Wenn die nicht wollen, sind wir machtlos. Das ist die Realität und kein Fehler, der dem Kanzler vorzuwerfen ist. Auch Merz würde hier an Grenzen stoßen.
Ja, wir müssen alles tun, damit sich Aschaffenburg und Magdeburg, Solingen, Regensburg nicht wiederholen, Aber die Politiker dürfen den Menschen draußen auch nichts vormachen. NRW-Innenminister Herbert Reul(CDU) hatte schon vor Monaten zu vergleichbaren Taten geäußert: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“ Leider. Wer anderes behauptet, lügt. Und hilft der AfD. Alice Weidel kann dieses Spiel genießen.
Wie man einen solchen schweren Tag mit Haltung und Anstand begehen kann, zeigte der Oberbürgermeister der Stadt Aschaffenburg, Jürgen Herzig. Gerade für ihn war es nicht leicht, einen Kranz im Park niederzulegen. Dass seine Stadt plötzlich so im Zentrum von Diskussionen steht, kann ihm nicht gefallen. Aber er kann das nicht verhindern, er muss reagieren als OB, auch wenn es ihm schwerfällt. Mit leicht zitternder Stimme hörte ich ihn im Fernsehen, wie erschüttert er war, ge- und betroffen. Seit einem halben Jahrhundert sei er Feuerwehrmann. Als solcher hat der Sozialdemokrat einiges erlebt an Bränden, in Flammen stehenden Häusern, an Menschen, die ihr Leben retten konnten, aber ihr Hab und Gut verloren. So ist das Leben von Feuerwehrleuten in der ganzen Bundesrepublik, da spielt die Parteizugehörigkeit keine Rolle. Ich kenne einige von ihnen, habe einen Riesen-Respekt vor ihrer gefährlichen Schwerstarbeit, davor, wie sie uneigennützig anderen helfen und dennoch immer wieder von irgendeinem Mob angepöbelt werden. Aber der Tod des Kleinkindes hat den Feuerwehrmann Jürgen Herzig „so berührt, so aufgewühlt“ wie nichts zuvor. Und trotz aller Wut und Trauer plädierte er für Besonnenheit.
P.S.: Von wegen Besonnenheit, stattdessen heizt Merz die Debatte an. Die Union werde nächste Woche Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik in den Bundestag einbringen, egal wer zustimmt. Also wird Merz auch Ja-Stimmen der in weiten Teilen rechtsextremen AfD akzeptieren. Die AfD jubelt, die Brandmauer der CDU zur AfD gerät ins Wanken. Vier Wochen vor der Wahl.
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