Marianne: Wie siehst du die globale Schräglage z.B. am WELTFRAUENTAG im Jahr 2024?
Derya: Ohne die aktuellen Tragödien verharmlosen zu wollen, komme ich doch zu der Erkenntnis, dass globale Schräglagen immer Teil der Geschichte gewesen sind und leider auch immer sein werden. Gerade deswegen sind Ereignisse wie der Weltfrauentag so wichtig – Damit wir den Weg nicht aus den Augen verlieren, genauso wenig wie die Strecke die wir Frauen bereits bewältigt haben.
Marianne: Welche Rolle spielt die RÜSTUNGS-Industrie in Deutschland bei den kriegerischen Konflikten weltweit? Welche vernünftigen Regelungen schlägst du vor, um gesellschaftliche Ressourcen sinnvoll zum Wohl nicht nur unserer Bevölkerung fruchtbar zu machen? Innerhalb der Bundes-SPD gibt es ja z.B. Herrn Pistorius und Rolf Mützenich…!
Derya: Deutschland spielt leider eine große internationale Rolle mit unserer Rüstungsindustrie. Aus meiner Sicht bringen Waffenlieferungen keinen Frieden. Menschen machen Politik, wir müssen miteinander sprechen, im Dialog bleiben.
Marianne: Immer mehr Kinder wachsen in Deutschland als ARME KINDER auf. Welche Ideen und Vorschläge macht die SPD konkret, um diesen prekären Familien einen guten ZUGANG zu einer umfassenden BILDUNG – also auch verbunden mit social scills und nicht einseitig digital – verbindlich zu ermöglichen?
Derya: Für die SPD gilt: Kein Kind sollte in Deutschland in Armut aufwachsen. Für uns ist das ein Herzensanliegen. Wir wollen dafür sorgen, dass alle Kinder und Jugendlichen unabhängig von ihrer Herkunft die gleichen Chancen haben, das Bestmögliche aus ihrem Leben zu machen. Dabei geht es uns jedoch nicht nur ums Geld, sondern auch um einen besseren Zugang zur Bildung und Teilhabe. Deswegen verbessern wir weiter die Qualität der Kitas, bauen die Ganztagsbetreuung in Grundschulen aus und helfen Schulen in benachteiligten Regionen mit dem Startchancenprogramm. Die Kindergrundsicherung ist ein weiterer Schritt, um Kinderarmut in Deutschland zu bekämpfen- damit jedes Kind in Zukunft sein volles Potential entfalten kann.
Marianne: Was bedeutet für dich der Begriff „DASEINSVORSORGE“ im Sinn einer auch juristisch einklagbaren staatlichen Verantwortung, auf die sich die Bürgerinnen und Bürger in unserer rechtsstaatlichen DEMOKRATIE verlassen können, auch weil sie dann ja umso mehr sich engagiert auf ihr Beteiligtsein als Basisdemokraten einlassen können?
Derya: Die Daseinsvorsorge ist grundlegend in unserem Sozialstaat. Als einklagbare Verantwortung umfasst sie alle Aufgaben und Leistungen, die von einer Kommune angefangen, unser Rechtsstaat erbringen muss, um für seine Einwohner:innen die Grundversorgung zu gewährleisten.
Marianne: Immerhin ist ja inzwischen allgemein bekannt, wie fatal die global katastrophale Klimakrise durch das fossile Verbrennen, durch unnötiges Vergeuden von Energie im Hyperkonsum und das Ausbeuten von Rohstoffen beschleunigt wird – wie stehst du dazu? Was könnt ihr als sozialdemokratische Fraktion einer Kleinstadt gegen die „geschäftstüchtige“ vorsätzliche Ignoranz in Bezug auf das Zuviel an Wachstum in unserem Alltag tun? Wie läuft darüber eine sinnvolle Kommunikation mit den Radolfzellerinnen und Radolfzeller Bürgern?
Derya: Sehr gute Frage. Tatsächlich habe ich dazu vielleicht eine etwas unpopuläre Meinung. Einerseits ist es selbstverständlich sehr wichtig, dass wir als Einzelpersonen unseren Beitrag leisten. Das kann bereits mit kleinen Dingen im Alltag beginnen: Keine Einmal-Kaffeebecher oder Geschirr. Stahl- statt Plastikstrohhalme, Stoff- statt Plastiktüten beim Einkaufen, nachhaltige Produkte etc. ABER andererseits besteht meiner Ansicht nach folgendes Problem. Der/ Die Einzelne kann doch so sehr nachhaltiger werden. Das große Stoppzeichen muss der Staat an die Industrie richten beispielsweise durch Sanktionen. Das ist keine leichte Forderung, darüber bin ich mir im Klaren, aber letztlich eine, die auf lange Sicht unvermeidbar sein wird. Daher lieber früher als später in Angriff nehmen!
Marianne: Mir gefällt dein Engagement für unsere rechtsstaatliche Demokratie hier vor Ort. Wie begegnest du persönlich extremen Fanatikern, die unser freiheitliches Grundgesetz abschaffen wollen?
Derya: Die Geschichte hat gezeigt, dass Fanatismus in jeglicher Form mit jeglichem Ziel, immer mit Brutalität verbunden ist, was immer darin resultiert, dass andere auf Kosten der Fanatiker leiden. Aufgabe einer demokratischen Gesellschaft sollte es also sein, seine Bürgerinnen und Bürger zu beschützen. Am besten, indem jeder Mensch sich gerne für die Demokratie verantwortlich fühlt, so verteidigen wir diesen Schutz. Damit schützen wir ja uns auch einander. Das ist einer der wesentlichen Gedanken, der mich bei meiner Arbeit begleitet.
Marianne: Wie kannst du mit dafür Sorge tragen, dass sich unterschiedlich Gläubige in Toleranz begegnen?
Derya: Deutschland ist die Heimat von zahlreichen Aleviten geworden, als gläubige Alevitin liegt mir das Miteinander der Religionen sehr am Herzen. Wie fast jede Religion oder Lebensphilosophie predigt, sollte unser Handeln immer von Güte und Liebe geprägt sein. Was ich damit vermitteln möchte ist, dass wir wie so viele vor mir schon gesagt haben, jeder Nationalität, jeder Religion, jeder sexuellen Orientierung mit Akzeptanz und Verständnis entgegenkommen sollten. Die Jugendlichen von heute sind uns da einen Schritt voraus, was die Toleranz betrifft. Gleichzeitig sehe ich aber auch, wie die Gefahren des Mobbing im Internet rasant zunehmen. In Tiktok ist rassistisch die Hölle los! Und die Scharfmacher in der AfD sähen menschenfeindlichen Hass und hetzen haltlos rum!
Marianne: Welche Aufgaben haben in diesem Kontext Lehrerinnen und Lehrer?
Derya: Lehrern und Lehrerinnen wird eine herausfordernde, sehr wesentliche Rolle zuteil. Sie sind nämlich das Bindeglied zwischen uns und unseren Kindern. Mein Konklusion lautet daher, dass man nicht jedem auch die linke Wange hinhalten sollte, aber vielleicht einfach die Hand.
Marianne: Wie können Radolfzeller Bürgerinnen und Bürger sich für eine bunte Freiheit einsetzen, mit gleichen, klar geordneten Spiel-Regeln für Alle? Gelten auch hier bei uns konkret rationale Argumente der UN-Menschenrechtscharta im Sinn von fairen Kompromissen?
Derya: Dazu fällt mir eine sehr gelungene Umsetzung ein: In Berlin gibt es das „Haus of One“, welches sowohl eine Kirche, als auch eine Synagoge und Moschee ist. Muslime, Christen und Juden beten und praktizieren ihren Glauben dort gemeinsam. Auch fällt mir ein, wie sich beispielsweise im Januar Muslime Hand in Hand rund um den Kölner Dom aufgestellt haben, nachdem islamistische Anschlagsdrohungen ausgesprochen wurden. Ich denke, dass man bei genauerem Hinsehen feststellen wird, dass die meisten Religionen sehr viel Gemeinsamkeiten haben. Natürlich auch zahlreiche Unterschiede. Aber wie so oft ist unser Fokus entscheidend: Man sieht was man sehen möchte. Ich will eine gemeinsame Zukunft sehen.
Derya Yildirim, SPD-Gemeinderätin, geboren 1980 in Radolfzell, verheiratet und Mutter von zwei Kindern, ist Selbstständige Gastronomin