Ein Großer hätte er sein können, noch heute, der Gerhard Schröder, Sozialdemokrat, Vorsitzender der ältesten deutschen Partei, Bundeskanzler, der 1998 gegen Helmut Kohl gewann und mit der SPD 40,8 Prozent der Stimmen holte, Ministerpräsident von Niedersachsen mit absoluter Mehrheit gewählt, wenn zu diesem Schröder nicht auch der „Putin-Freund“ gehörte. Dann, aber nur dann hätte ihn seine SPD gefeiert, weil sie stolz auf ihn gewesen wäre. Den Mann, der klein gestartet und ein ziemlich Großer geworden war. Alle hätten ihm gratuliert, auch der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, einer seiner treuesten Gefolgsleute schon aus niedersächsischen Tagen, wäre zu einer Feier erschienen wie der amtierende Kanzler Olaf Scholz, selbst Sozialdemokrat und viele, viele namhafte Persönlichkeiten der Republik hätten „ihren Gerd“ hochleben lassen. Hätte, ja hätte er sich von dem Kriegstreiber Wladimir Putin distanziert, gegen den es wegen seiner Kriegsverbrechen in der Ukraine einen Haftbefehl gibt, wäre er ein „Großer“ geblieben, so ähnlich kommentiert der Herausgeber des Berliner Tagesspiegel, Stephan-Andreas Casdorff. „Ein würdiger Elder Statesman wird aus ihm nicht mehr, weil der Jubilar an seiner „Männerfreundschaft“ mit einem wie Putin festhält, „der gern Panzer in fremde Länder schickt“, kritisiert Joachim Käppner in einem Beitrag über die ARD-Doku „Außer Dienst?“. Unterwegs mit Gerhard Schröder“, die am 8. April, am Tag nach seinem Geburtstag gesendet wird.
Wer Schröder kennt aus all den Jahren in Hannover, Bonn und Berlin, wer seinen rasanten Aufstieg miterlebt hat von ziemlich unten nach ganz oben, kennt auch seine Art, gelegentlich kritische Worte über ihn mit der trotzigen Bemerkung abzutun: „Mir doch egal, was die über mich schreiben.“ Oder: „Das ist mein Leben.“ Hat er mehrfach betont in der Vergangenheit, wenn man ihn ansprach auf sein Engagement für den russischen Gazprom-Konzern und den nicht zu Unrecht vermuteten Anteil Putins an Schröders profitablen Tätigkeiten nach Ausscheiden aus dem Dienst als Kanzler. Den Krieg Russlands gegen die Ukraine hat er als „Fehler“ bezeichnet, vom Kriegstreiber im Kreml rückte er aber auch nicht ab, als die Gräuelgeschichten über Massen-Vergewaltigungen, das Abschlachten von Ukrainern durch russische Soldaten oder die Entführungen ukrainischer Kinder nach Russland bekannt wurden. Schröder kann das alles nicht entgangen sein, er wird die Urteile in westlichen Medien -SZ: Putins spätimperialer Mordfeldzug“- gelesen haben und dass man seinen Freund aus Moskau damit eng verbindet. Für Schröder offensichtlich kein Grund, die Bande zu zerschneiden, die sie einst knüpften und mit ihren Ehepartnerinnen gemeinsame Schlittenfahrten unternahmen im russischen Winter.
Großes Vorbild Willy Brandt
Dass ihn das alles nicht beschäftigt, was man ihm vorwirft, glaube ich nicht. Dass ihn das kalt lässt, wenn große Teile der SPD sich von ihm abwenden? Kaum vorstellbar, wenn man sein Leben vor Augen hat. Immerhin ist er seit über 60 Jahren Mitglied in der SPD, war er deren Vorsitzender und rückte damit in die erste Reihe, in der sein großes Vorbild, Willy Brandt, steht. Mir doch egal? Nein. Derselbe Gerhard Schröder, der hier den Trotzkopf gibt, war den Tränen nahe, als er 1999 im Bonner Hotel Maritim zum SPD-Parteivorsitzenden gewählt wurde. Natürlich hatte er mit der SPD, meist mit der Linken, so seine Probleme und man warf sich gegenseitig einige kaum druckreife Beschimpfungen an den Kopf. Dass er heute so daherredet über den SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert oder den Parteichef Lars Klingbeil, ist halt typisch Schröder. Armselige Gestalten hat er sie genannt, arme Wichte. Er weiß genau, was diese beiden damals im Wahlkampf 2021 geleistet haben. Kühnert hat mit den Jusos die Kampagne für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken organisiert und das Duo quasi zu Parteichefs gekürt. Was später die Voraussetzung dafür wurde, dass Olaf Scholz Kanzlerkandidat und Kanzler wurde. Nowabo und Esken haben damals entscheidend mitgeholfen, die Stimmung für die SPD und Scholz zu drehen. Dass die SPD im Wahlkampf geschlossen auftrat, es war ihr Verdienst. Schröder ist das nicht unbekannt. Dass er heftiger Kritik ausgesetzt ist, hat er sich selber zuzuschreiben.
Gerhard Schröder war immer ein Kämpfer. Er wuchs in ärmsten Verhältnissen auf, schon als Kind hatte er den Drang: Ich will da raus. Ich will nach oben. Ärmel hoch und ran, so konnte man ihn später erleben als Politiker. Man lese nach, was Bela Anda und Rolf Kleine über Gerhard Schröders Leben geschrieben haben, über seine Kindheit, die Ungerechtigkeiten, die er erfuhr. Seine Mutter war Putzfrau. Löwe nannte er sie, weil sie immer für die Kinder kämpfte, auch wenn das Geld knapp war. Sein Weg zum Abitur war steinig über die Abendschule. Das Jura-Studium konnte ihm kein reicher Vater bezahlen. Gerhard Schröder war ständig auf der Suche nach Anerkennung. Er spielte Fußball, um anerkennt zu werden. Und irgendwann versprach er seiner Mutter: „Löwe, ich hole dich später mal im Mercedes ab.“ Als Ministerpräsident von Niedersachsen löste er das Versprechen ein und chauffierte seine Mutter in ein bekanntes Restaurant/Cafe. Der Herr Ministerpräsident wurde natürlich sofort begrüßt, er verwies auf seine Mutter neben ihm. Auch das war Schröder. Der andererseits früh erkannte, dass man sich durchsetzen muss. „Ich lass mich nicht vom Hof jagen“, war so ein Satz im politischen Alltags-Kampf. Zu dem auch der bekannte Spruch gehört: „Ich will hier rein.“ Gemeint das Kanzleramt in Bonn, an dessen Zaun er einst gerüttelt hatte nach einem längeren Bierabend. Schröder hatte auch das, was man einen Machtanspruch nannte.
Natürlich besteht Schröder nicht nur aus Putin und Gas-Gerd, wie ihn Kritiker gern nennen, um über seine Arbeit für russische Energiekonzerne und damit für ihn verbundenen Einnahmen herzuziehen. Schröder hat als Kanzler einiges erreicht, er hat Reformen angestoßen und durchgesetzt, zu denen Helmut Kohl den Mut nicht gefunden hatte. Das kleine Arbeiterkind aus ärmsten Verhältnissen kann Erfolge vorweisen. Der Atomausstieg gehört ebenso dazu wie die Arbeitsmarktreformen, auch wenn letztere die SPD fast zerrissen hätten. Die wirtschaftlichen Erfolge der Merkel-Regierungen fußten zum großen Teil darauf. Er war ein bedeutender Kanzler, der zuerst die Interessen des Landes im Blick hatte und erst danach die der Partei. Dazu sein Nein zum Irak-Krieg, das ihm den Zorn des US-Präsidenten George W. Bush einbrachte, von dem er aber nicht abrückte. Der Einsatz widersprach dem Völkerrecht, die von Washington genannten Ursachen für den Einmarsch der Amerikaner und vieler Nato-Staaten waren erlogen. Schröders Nein rettete deutschen Soldaten das Leben. Respekt für diese Haltung des SPD-Kanzlers, die ihm zudem den Wahlsieg 2002 gegen Edmund Stoiber sicherte- wenn auch nur hauchdünn.
„Männerfreundschaft“ mit Putin
Warum hat Gerhard Schröder die „Männerfreundschaft“ mit Putin nicht dazu genutzt, diesem die Meinung zu sagen, dass sein Krieg völkerrechtswidrig ist, dass Krieg tötet und zerstört, Hass fördert statt Zusammenhalt. Weil das die Männerfreundschaft nicht ausgehalten hätte? Weil er mit Hilfe dieser Freundschaft darauf hoffte, irgendwann als Friedensstifter zwischen Moskau und Kiew wirken zu können? Er war ja im Kreml, hat mit Putin geredet, den Krieg beenden konnte er nicht. Seine Bemerkung, durch den kritischen Film über ihn, Schröder, und Russland werde das Verhältnis Deutschlands zu Russland „auch nicht besser“, passt eher in die Ecke des trotzigen SPD-Altkanzlers. Seine Freundschaft mit dem Kreml-Herrscher könne helfen. Wann, wem? Weil er sich so verhalten hat, musste er Kritik einstecken. Auch die, dass es ihm, Schröder, vor allem um Geld gehe, um viel Geld.
Im übrigen haben Journalisten, die Schröder in der jüngeren Vergangenheit zu Gesicht bekommen und mit ihm gesprochen haben, den Eindruck gewonnen, dass es ihn nervt, wenn man ihn auf Putin anspricht. Weil es nicht seine Art ist, Freunde öffentlich zu tadeln oder sich von ihnen zu distanzieren, wenn es nötig erscheint? Oder hält Schröder etwa an seiner früheren Bemerkung über Putin fest: auf die Frage eines Journalisten, ob Putin ein lupenreiner Demokrat sei, hatte Schröder damals geantwortet: „Ja“. Wollte er damit provozieren, irgend jemand ärgern, oder verband er damit die Hoffnung, Putin auf einen demokratischen Weg bringen zu können. So wie Gorbatschow es versucht hat. Warum äußert er sich so über Russland, wie er es getan hat: „Es gibt freie Wahlen, das kann man nicht bestreiten“. Er weiß doch, dass die Opposition in Russland gnadenlos verfolgt und unterdrückt wird. Der Fall Nawalny sorgte weltweit für Empörung. Mit solchen Reden bringt sich Schröder um seinen Ruf.
Selbstredend kommt einem Gerhard Schröder nicht in den Sinn, über seine Fehler zu reden. Er würde alles wieder so machen, wie er es gemacht hat. I did it my way. Wird er sagen. Es ist mein Leben. Seine fünfte Frau, So-yeon Schröder-Kim, wird kurz nach seinem 80. Geburtstag in Berlin eine Feier ausrichten. Sicher auch mit Rotwein, Bier, Fleisch und Käse und nicht nur mit Haferbrei und alkoholfreiem Rose-Wein, wie das sonst Brauch geworden ist im Hause Schröder und wie man es dem Streiflicht der SZ genüsslich entnehmen konnte. Die Gästeliste ist bisher nicht bekannt. Und erneut reagiert Schröder ziemlich barsch auf Fragen nach den möglichen Prominenten an seiner Geburtstagsfeier: „Mein 80. Geburtstag hängt doch nicht davon ab, von wem ich einen Gratulationsbrief bekomme“.
Gerhard Schröder ist isoliert, nicht nur in der SPD. „Einst gefeiert, heute geächtet“, titelt der „Bonner Generalanzeiger“ seine Geschichte über Schröder. Über den Kanzler, der einiges geleistet hat. Aber er hat sich verloren. Er ist grau geworden, alt, „aber weise wird er nicht mehr“. So das Urteil von Stephan-Andreas Casdorff. Seine Feier, die ihm die SPD in Niedersachsen vor Monaten ausrichtete aus Anlass seiner 60jährigen Mitgliedschaft in der Partei, fand in einem Hinterzimmer statt. Die große Bühne, das war einmal. Schade. Er hätte ein Großer bleiben können. Hätte. Wenn.
Bildquelle: Mehr News Agency, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons
Guten Tag Herr Alfons Pieper ,
warum schweigen Sie zum völkerrechtswidrigen Krieg in Jugoslawien, unter Schröder…… .
Ach- wir dürfen das.
Ich halte Gerhard Schröder für den besten Kanzler nach Willy Brand. Gerade weil er zu dem steht, was er sagt, macht seine Größe aus. Seine Freundschaft mit Putin könnte für Deutschland noch von großem Nutzen sein. Die SPD schwimmt derzeit im Mainstream der Kriegstreiber mit, weil sie nicht den Mut hat, den Ukraine Krieg, als Ergebnis einer ungeheuerlichen Provokation gegen Russland zu akzeptieren.
Freiheit ist relativ . Es ging ja nicht darum, die Ukrainer aus dem Archipel Gulag zu befreien. Es geht darum, westlichen Einfluss und Vormachtstellung gegen Russland zu garantieren und die Freiheit des Kapitals zu verteidigen. Putin wollte einen Bruderkrieg vermeiden. Dafür hat man ihm jetzt einen Stellvertreter Krieg
zwischen USA und Sowjets aufgezwungen.
Es ist sehr bedauerlich, dass die politische Lage um 2001, als das Verhältnis Russland / Deutschland so hoffnungsvoll gut war, nicht genutzt wurde, Russland in Europa als Großmacht zu integrieren und damit unsere Abhängigkeit von den USA ein wenig abzubauen. Das hätte natürlich die Notwendigkeit der Nato in Frage gestellt und musste verhindert werden.
Also hat man dem Druck der Alliierten nachgegeben.
Jetzt ist der Karren in den Dreck gefahren. Mangelnde Empathy der Nato hat es soweit kommen lassen und die scheint darüber gar nicht enttäuscht zu sein. Vemutlich war es so gewollt.
Eigentlich mochte ich diesen SELBSTDARSTELLER nicht. Doch wenn ich die heutigen Representanten der SPD sehe, die sich den GRÜNEN total unterordnen, dann wäre ein GERHARD SCHRÖDER, doch eine andere Figur gewesen. Vlt. wäre dann die Russlandpolitk doch etwas anders gelaufen???