Ein Gespenst geht um in Europa – nein, nicht das Gespenst des Kommunismus, wie einst Karl Marx im „Manifest der Kommunistischen Partei“ schrieb. Es geht auch nicht nur um in Europa, sondern ebenso in den USA, wo es in diesen Tagen einen besonders bizarren Auftritt hatte beim Parteitag der Republikanischen Partei in Cleveland. Es ist das Gespenst des Populismus von rechts. Hauptakteur in den USA ist der schillernde Milliardär Donald Trump, die Bühne bereiten ihm die Republikaner, und während viele bunte Demonstranten ihren Abscheu vor dem Kongresszentrum in Cleveland kundtaten (manche mit, manche ohne Waffe), andere die Nase rümpften und oder angewidert wegschauten, passierte, was lange für unmöglich gehalten wurde: Donald Trump wurde offiziell aufs Schild gehoben und wird am 8. November dieses Jahres für die Republikaner als Präsidentschaftskandidat auf dem Wahlzettel stehen.
Das ist keine inneramerikanische Angelegenheit, auch wenn die besonderen politischen Rahmenbedingungen in den USA den Aufstieg Trumps begünstigt haben. Denn auch in Europa sind Populisten auf dem Vormarsch, wenngleich mit anderer Absicht: Während Trump Amerika groß machen will – „Make America great again“ –, geht es auf unserer Seite des Atlantiks darum, Europa klein zu machen. Doch hier wie dort geht es darum, so die Populisten, die Kontrolle zurückzugewinnen, nicht nur über das eigene Leben, sondern über das eigene Land. Das wird aus ihrer Sicht nämlich von finsteren Mächten bedroht und unterwandert, sei es wirtschaftlich durch Billigprodukte, sozial durch Einwanderer oder politisch durch transnationale Bürokraten. Dabei scheuen die Populisten vor Unwahrheiten und Desinformationen des Publikums nicht zurück, ziehen keine Grenze zwischen sich und den rassistischen Extremisten von ganz rechts außen und missachten die Regeln des Anstands im politischen Diskurses. Doch wer ihnen beikommen will, muss sich nicht nur mit ihren Handlungsweisen, sondern auch mit unangenehmen Wahrheiten auseinandersetzen, die den Populisten zu ihrem Erfolg verhelfen und nicht einfach vom Tisch zu wissen sind: Es gibt nun einmal Verlierer der Globalisierung und „it’s not always the economy, stupid“, wie seit Clintons Wahlerfolg 1992 allgemein geglaubt.
Globalisierung und Turbokapitalismus: Wie reagieren die Verlierer?
Bleiben wir noch einmal kurz bei Karl Marx‘ Lagebeschreibung im „Kommunistischen Manifest“. Marx beschrieb in ätzender Schärfe die Konsequenzen eines globalisierten Kapitalismus, wie er auch als Turbokapitalismus in den 1990er Jahren von manchen gepriesen wurde: „Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche aus“, so Marx. Doch er irrte, als er behauptete, alle Grenzen und Identitäten würden unter der Wucht des globalisierten Kapitalismus fallen: „Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse.“ Marx‘ Erwartung, dass der Kapitalismus, auf die Spitze getrieben, zur Revolution des Proletariats führen würde, wurde durch die Entwicklung zur Demokratie obsolet, da Demokratien Spielräume für die Reform des Kapitalismus bieten. Doch er hatte die Rechnung auch ohne die Populisten von rechts gemacht, als er das Ende der Nationen prophezeite, und in diesem Irrtum unterscheidet er sich nicht von jenen Liberalen, oder Neoliberalen, die der Globalisierung in den 1990-Jahren das Wort redeten. Staaten galten als ineffiziente Wirtschaftseinheiten, Grenzen als unmodern und das Kapital als scheues Reh, dem man sich nicht mit überhöhten Steuersätzen in den Weg stellen solle, wenn man am allgemeinen Aufschwung teilhaben will. Radikalreformen wurden allenthalben gefordert, denn was zählt im Zeitalter der Globalisierung ist Wettbewerbsfähigkeit, auch mit denen, die nicht nach den Regeln des liberalen Markts spielen. Gegen die durch die Globalisierung entstandenen Risiken und Unsicherheiten könnten auch demokratische regierte Staatswesen keinen Schutz mehr bieten, hieß es. Sie seien gezwungen, die allgemeine Unsicherheit an ihre Bürgerinnen und Bürger weiterzugeben. Also kein gesichertes Arbeitsverhältnis mehr bis zur Rente, es sei denn, man ist im Staatsdienst. Keine Sicherung des sozialen Status mehr, sondern eine Neuauflage von Arbeitspflicht und Arbeitszwang. Und auch wer an fünf Tagen in der Woche jeweils acht Stunden arbeitet, kann nicht darauf bauen, dass das damit erzielte Einkommen zum Unterhalt reicht.
Auftritt des Donald Trump mit einfacher, aber griffiger Botschaft
Zu den unangenehmen Wahrheiten gehört: Donald Trump und die Populisten von rechts sind auch als Antwort auf die durch die Globalisierung verursachte Verunsicherung und Identitätskrise zu verstehen. Der Held der Verlierer heißt Donald Trump. Er hat eine Botschaft, die man ungefähr so zusammenfassen kann:
„Eure Wut ist berechtigt. Schaut mich an: Ich teile Eure Wut. Wir sind die wirklichen Verlierer, auch wenn ich ein erfolgreicher Geschäftsmann bin. Ich bin nicht politisch korrekt, ich beschönige nichts. Im internationalen Handel werden wir über den Tisch gezogen. Einwanderer nehmen uns die Jobs weg, wenn sie nichts Schlimmeres im Schilde führen, was bei den illegalen Einwanderern der Fall ist. Deshalb brauchen wir eine Mauer. Und einen wie mich, der in der Lage ist, echte Deals auszuhandeln. Deals, die uns nützen, nicht den anderen. Die sollen uns gefälligst in Ruhe lassen, sonst schlagen wir mit aller Härte zurück. Wir werden uns nicht ungestraft demütigen lassen. Wenn wir das tun, was ich vorschlage, gibt es Jobs, Jobs, Jobs. Ich bin auf Eurer Seite. Nur ich kann Amerika retten.“
Das ist, vereinfacht ausgedrückt, die Botschaft des Donald Trump. Seine Vision davon, wie Amerika wieder zur verlorenen Größe zurückfinden kann. Diese Botschaft ist nicht nur simpel, sie ist auch gefährlich, weil sie der Komplexität der Wirklichkeit nicht gerecht wird, die Werte der Demokratie missachtet und letzten Endes zu weiterer Enttäuschung führen muss. Für Trump ist Politik alles andere als das „langsame Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“, wie es einst Max Weber formulierte. Strategische Geduld ist nicht seine Sache. Noch weniger interessieren ihn die unbeabsichtigten Folgen seiner Vorschläge. Das Kleingedruckte nimmt er lieber nicht zur Kenntnis. Was er sagt, soll Schlagzeilen machen, Aufmerksamkeit erregen, nicht zu kritischem Denken anregen.
Trumps Botschaft findet Anklang. Dafür gibt es vielerlei Gründe.
Trumps Botschaft muss nicht vereinfacht werden – er trägt sie so schlicht und einfach vor, dass sein Publikum zu verstehen glaubt, wovon er redet. Er nennt die Dinge eben beim Namen, „he tells it like it is“, nimmt kein Blatt vor den Mund. Er steht dazu, dass er von politischer Korrektheit nichts hält. Das wirkt befreiend, nicht nur für ihn. Seine Anhänger empfinden das ebenfalls als befreiend. Beispiele dafür gibt es genügend. So beharrte er kürzlich im Fernsehinterview, das zusammen mit seinem frisch gekürten Vize Mike Pence, Gouverneur von Indiana, geführt wurde, darauf, dass der Irak-Krieg ein Fehler gewesen sei, der das fehlende Urteilsvermögen von Hillary Clinton belege. Dass sein Vize ebenfalls für diesen Krieg gestimmt hatte, focht ihn nicht an. Auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht, stieß er seinen „Kumpel“ an und zeigte nonverbal, wie egal ihm das ganze Gerede um den Krieg eigentlich ist.
Trump kriegt die Fakten manchmal nicht auf die Reihe, doch das schadet ihm nicht. Das heißt nicht, dass er mit Fakten sparsam umgeht. Am liebsten hat er Prozentzahlen, weil man die aufblähen kann, wenn nötig. Ein ums andere Mal haben ihm die Faktenprüfer, die „fact checker“ in den Medien nachgewiesen, dass seine Behauptungen schlicht nicht stimmen. Doch das kümmert ihn nicht, und offensichtlich auch nicht seine Wählerinnen und Wähler. Denn irgendwie steckt ja doch ein Körnchen Wahrheit darin, wenn er behauptet, die NATO koste die USA Milliarden pro Jahr, die anderen sollten gefälligst ihren Teil bezahlen. Oder wenn er die Arbeitslosigkeit im Lande weit höher ansetzt als nur die offiziell gemessenen fünf Prozent. „Lord of the Lies“ hat Timothy Egan ihn in der New York Times in Anlehnung an William Goldings „Lord of the Flies“genannt . Doch so ganz unrecht habe Trump mit seiner Behauptung nicht, so Neil Irwin, ebenfalls in der New York Times. Selbst Trumps Behauptung, die Arbeitslosenrate liege bei 42 statt der offiziellen 5 Prozent, könne man noch irgendwie aus den offiziellen Zahlen herauslesen. Das reicht für Trump und seine Anhänger, die davon überzeugt sind, dass es ihnen und dem Land schlecht geht.
Zur Pose des Volkstribuns gehört das Versprechen, den bösen Lobbyisten in Washington das Handwerk zu legen. Doch wenn es opportun ist, kriecht Trump der Lobby zu Kreuze. Der übelsten Lobby in den USA, der Waffenlobby. Besonders der National Rifle Association NRA, die wie eine Krake die US-Politik gefangen hält und jeden auch nur kleinen Versuch blockiert, die Waffengesetze zu verschärfen. Keine Lobby war so erfolgreich wie die NRA, der es in den letzten 25 Jahren gelang, in Gesellschaft, Politik und Justiz die Idee durchzusetzen, dass der zweite Zusatzartikel zur Verfassung der USA ein individuelles Grundrecht auf Waffenbesitz beinhaltet. Diese lange als abwegig abgelehnte Interpretation der Verfassung wurde 2008 durch die konservative Mehrheit im obersten Gericht, dem Supreme Court, bestätigt. Daran wird auch eine demokratische Präsidentin Hillary Clinton nicht vorbeikommen, selbst wenn das Urteil Spielraum für waffenbeschränkende Gesetzgebung lässt. Doch Trump (und mit ihm die Republikaner) behaupten, Clinton wolle das individuelle Recht auf Waffenbesitz abschaffen. Das reicht den Anhängern und der Waffenlobby.
Papier ist geduldig. Was die Republikaner verabschieden, sei es als Wahlprogramm, genannt „Election Platform“, oder auch als Programm der Republikaner im Kongress, ist für Trump eher Makulatur. So haben die Republikaner die reaktionärste Plattform seit vielen Jahren verabschiedet, kritisiert die New York Times in einem Leitartikel. Darin halten sie an der Ehe als einer „Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau“ fest, ungeachtet des Urteils des Obersten Gerichts, das die Homoehe für verfassungskonform erklärte. Trump gab sich Mühe in seiner Rede beim Parteitag, die Buchstaben „L.G.B.T.Q“ (für: lesbian, gay, bisexual, transgender und queer oder questioning) richtig auszusprechen und versprach, Schwule gegen den Hass einer „ausländischen Ideologie“ zu schützen. Doch das macht ihn nicht zum Vorkämpfer für bedrohte Minderheiten im Lande. Im Gegenteil: Sein Verspechen, den Supreme Court wieder mir einem linientreuen Konservativen zu besetzen, lässt für die LBGTQ-Community nichts Gutes erwarten. Auch wenn Trump in seiner Rede vor dem Parteitag betonte, er freue sich als Republikaner darüber, dass sein Schutzversprechen gegenüber den Schwulen von den Delegierten bejubelt wurde.
Trump ist kein linientreuer Konservativer. Er ist dafür bekannt, Positionen zu wechseln und mal das eine und mal das andere zu versprechen. Allerdings ist er in einigen wenigen Dingen erstaunlich konsistent. Zum Beispiel in der Einwanderungsfrage: Hier versprach er auch in seiner Parteitagsrede wieder, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu erreichten. „Wir werden eine große Grenzmauer bauen, um die illegale Einwanderung zu stoppen, um die Gangs und die Gewalt zu stoppen, und um die Drogen zu stoppen, die sich in unsere Gemeinden ergießen“, so Trump. Dass es die Mauer, in Teilen zumindest, schon gibt, interessiert dabei wenig. In den Köpfen seiner Anhänger hat sie konkrete Gestalt angenommen, selbst wenn einige von ihnen so viel gesunden Menschenverstand haben, an der Verwirklichung dieses Projekts zu zweifeln.
Da Trump in einigen wenigen Dingen konsistent ist, hätte es den Anhängern aus der weißen Arbeiterklasse – den von ihm umworbenen Stammwählern – eigentlich auffallen müssen, dass er die wenigen Errungenschaften des amerikanischen Sozialstaats, die er in seinen bisherigen Reden zu schützen versprach, nicht erwähnte. Die Amerikaner glauben fest an Medicare, die Krankenversicherung für Rentner, und bauen auf die „Social Security“, die Sozialrente, trotz der konservativen Propaganda, die diese Systeme nicht für zukunftsfähig hält. Doch in seiner Rede vor dem Parteikongress erwähnte Trump diese Programme mit keinem Wort. Das klang im Juni 2015 noch ganz anders, als er seine Kandidatur erklärte. „Save Medicare, Medicaid and Social Security without cuts. Have to do it”, sagte er damals. Das hieß: Eine Abschaffung dieser Sozialprogramme wird es mit mir nicht geben. In gewissen Fragen ist der Kandidat flexibel, wie man heute sieht. Hier hat er sich offensichtlich den konservativen Positionen seiner Partei angenähert.
Trump stoppen – aber wie?
Diese Frage haben sich viele Republikaner gestellt. Manche sind sogar aktiv geworden, haben über Tricks nachgedacht, wie man Trump noch beim Parteitag verhindern könnte. Ohne Erfolg, wie wir nun wissen. Jetzt kommt es auf Hillary Clinton, die Kandidatin der Demokraten, an. Sie trägt die Verantwortung dafür, dass Trump nicht Präsident der USA wird. Doch sie schleppt eine Menge Ballast mit sich herum, auf den Trump und die Republikaner genüsslich im Wahlkampf verweisen werden. So die Rüge, die ihr zuteil wurde für die Nutzung eines privaten Mailservers als Außenministerin unter Obama. Oder ihre Reden vor Wallstreet-Bankern, deren Inhalt sie partout nicht preisgeben will.
Was letztlich zählt, ist aber eine griffige, glaubwürdige und zukunftsweisende Botschaft, die sie der apokalyptischen Botschaft des Donald Trump entgegensetzen kann. Hillary Clinton hat eine ehrgeizige Agenda, wie man mit den unerwünschten Folgen der Globalisierung umgehen kann – und vieles mehr. Ihr Programm ist allerdings so detailliert und enthält so viel Kleingedrucktes, dass das „große Ganze“ darüber verloren geht. „Sie hat so viel zu so vielen Themen zu sagen, dass die Wähler nicht wissen, was sie eigentlich erreichen will“, so Paul Starr, Soziologieprofessor an der Princeton-Universität, der in den 1990-Jahren mit Hillary Clinton an der – damals gescheiterten – Gesundheitsreform gearbeitet hat.
Eine Schlammschlacht stehe bevor, wird vorhergesagt. Hillary Clinton wird Donald Trump angreifen müssen. Doch kaum tut sie das, heißt es schon: „Clinton übernimmt die Wahlkampfmethoden des Donald Trump“. So in der ZDF-Heute-Sendung vom 3. Juni in einem Bericht über eine außenpolitische Rede Clintons, in der sie sich erstmals ihren Gegner vorknöpfte. Doch übernimmt Clinton wirklich Trumps Methoden, wenn sie in einer Rede seine außenpolitische Unbedarftheit anprangert? Treibt Trump umgekehrt Hillary Clinton wirklich vor sich her, wie der SPIEGEL in seiner Titelgeschichte in der Ausgabe vom 18. Juni behauptet? Die Medienberichterstattung spiegelt nicht nur in Deutschland große Unsicherheit wider bei der Frage, wie man Trump entzaubern könnte. Am besten gelingt das noch den Satirikern wie John Oliver, der Trump wie kein anderer in seiner Sendung Ende Februar 2016 zerlegt hat.
Negativität wird es in diesem Wahlkampf geben, zu Hauf. Negative Wahlwerbung gehört zum US-Wahlkampf dazu, auch wenn sich die Öffentlichkeit darüber beklagt und die Wahlforscher vorhersagen, dass Negativität im Wahlkampf die Politikverdrossenheit steigere und die Wahlbeteiligung noch weiter sinken lasse. Man kann eigentlich nur hoffen, dass das „negative campaigning“ die erhoffte Wirkung hat wie einst 1964 im Wahlkampf Johnson gegen Goldwater. Damals hatten die Republikaner den erzkonservativen Senator Barry Goldwater aufgestellt, der den New-Deal-Konsens in Frage stellte. Die Demokraten nutzen gegen ihn die schärfsten Waffen, die es gab. Ihr Medienberater Tony Schwartz produzierte einen Wahlkampfspot, der als „Daisy-Spot“ in die Geschichte einging. Goldwater wurde unterstellt, einen Atomkrieg mit der Sowjetunion zu riskieren. Johnson erzielte einen Erdrutschsieg und erhielt über sechzig Prozent der Stimmen. Wer sich den Spot anschauen will, kann das im Online-Museum für Wahlwerbung „The Living Room Candidate“ tun.
Was geht uns das an?
Viel, sehr viel, lautet die kurze Antwort. Die Frage stellt sich bei jeder Präsidentschaftswahl in den USA. 2012 beantworte sie der ansonsten kluge Kolumnist des SPIEGEL Jakob Augstein mit der These: „Aus europäischer Sicht ist es gleichgültig, wer diese Wahl gewinnt. Für uns zählt die amerikanische Außenpolitik.“ Das war schon damals falsch, als Barack Obama gegen Mitt Romney antrat, denn es macht einen Unterschied, ob in den USA ein Progressiver regiert, ein Konservativer oder gar ein Populist. Das haben wir in den Folgejahren feststellen können. Obama ist inzwischen der heimliche Profiteur des Duells Clinton-Trump, denn immer mehr Amerikaner merken, was sie verlieren, wenn dieser Präsident abtritt. Auch die Progressiven und Linken in Deutschland sollten das erkennen, statt sich durch antikapitalistische Vorurteile den Blick verstellen zu lassen. Spätestens seit dem Brexit wissen wir: Das Gespenst des rechten Populismus geht nicht nur um in Amerika.
Der ganze Kommentar erscheint mir nicht wie eine objektive Beschäftigung mit den Vor- und Nachteilen eines Präsidenten Trump, sondern wie ein von der transatlantischen Lobby bestelltes Pamphlet um ihre Systemh… (Verzeihung, ein passenderer Begriff fällt mir nicht ein) Clinton gegen den Außenseiter Trump zu verteidigen. Mag sein, das Donald Trump in den Augen des durchschnittlichen Europäers als ein Paradiesvogel erscheint oder als Vertreter eines durch und durch kapitalistischen Lebensentwurfes oder als Abziehbild des polternden, großmäuligen Amis oder, oder, oder. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist vielmehr die Betrachtung der von ihm zu erwartenden Politik im Vergleich zu dem, was wir von Hillary Clinton zu erwarten hätten. Und hier komme ich eindeutig zu dem Schluß, das mit einem Präsidenten Trump eine Wende, wenn nicht zum Guten, doch so zum Besseren denkbar wäre. Denn es ist Hillary Clinton, die als rücksichtslose Repräsentantin des US-amerikanischen Großmachtstrebens die verbrecherische Außenpolitik ihres Landes in aller Welt (siehe z.B. Syrien und Libyen) vollstreckt und initiiert hat, während Trump für einen, zumindest teilweisen Rückzug aus der globalen (Militär-)Dominanz und eine Rückbesinnung auf das eigene Land stände. Nach allem, was wir über beide Kandidaten wissen, wäre mir deshalb Trumps „außenpolitische Unbedarftheit“ lieber als Clinton gesamtpolitische Verdorbenheit. Auch die innenpolitischen Themen dürfen wir nicht mit unseren deutschen Augen sehen. Der Bau/Ausbau der Grenze zu Mexico, mithin eine Abgrenzung zur Dritten Welt, wird nur in Deutschland mit seiner indoktrinierten „no-borders-Fraktion“ kritisch gesehen. In anderen Ländern ist es unbestritten als souveränes Recht eines Staates anerkannt über die Art und Menge der Zuwanderung in sein Territorium zu entscheiden.
Und noch etwas zu Obama: Wenn Sie feststellen, die Amerikaner spürten nun allmählich, was ihnen mit Obama verloren ginge, dann deckt sich dies nicht mit dem, was ich an Stimmen aus den USA wahrnehme. Obama war(!) eine falsche Hoffnung, mit der die Wähler wieder für zwei Wahlperioden um ihre Interessen betrogen wurden. Obama steht auch in den USA für den Weiterbetrieb des Haftlagers in Guantamo, für Staatsstreiche in anderen Ländern, für eine Ausweitung der Drohnenmorde, für eine exzessive, historisch einmalige Neuverschuldung und ein weiteres Absinken des Lebensstandards der amerikanischen Bevölkerung, für die gescheiterte Obamacare-Versicherung und einen Militärisch-Industriellen Komplex, der so mächtig ist wie nie zuvor, für ein Totalversagen hinsichtlich der Bankenregulierung und viele Lobbygesetze (z.B. Monsanto-Gesetz), die regelrecht menschenfeindlich sind, keinesfalls aber ein Ausdruck funktionierender Demokratie.