Es ist eine andere Geschichte, die Volker Weidermann über Thomas Mann erzählt, auf seine Art. Manchmal scheint er sich selbst zu verlieren, der Autor in seinen Exkursen übers Meer, die nicht enden wollen. Dann finde ich den Faden wieder, der durch die Geschichte von und über Thomas Mann führt. Man muss ein wenig Geduld haben, einfach weiterlesen, hin und wieder das Buch nach ein zwei Seiten zur Seite legen, neue Kraft schöpfen und dann fortfahren mit der Lektüre. Es lohnt sich, der Mann, der über das Meer und Thomas Mann und dessen Liebe schreibt, über die anderen Manns, den Heinrich, den Vater, die Elisabeth, der philosophiert, er kann schreiben. Und er kennt seinen Thomas Mann, er schätzt ihn.
Es ist eine Erzählung in einem Buch von gerade mal 233 Seiten über den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, in der der Leser einen Thomas Mann erlebt, wie er ihn vielleicht noch nicht kennt. Weidermann, der Feuilleton-Chef der „Zeit“, den ich schon bei der Lektüre seines Werks „Ostende“ genossen habe mit seinen Schilderungen über die deutschen Schriftsteller im Exil, auf der Flucht vor den Nazis, schippert mit uns über die Meere, die der große Mann aus Lübeck so geschätzt hatte. Er bringt uns die Sehnsucht des Thomas Manns nahe, seine Liebe zu jungen Männern, was das bürgerliche Leben damals nicht goutiert hätte, hätte man das heikle Thema auf den Markt getragen. Am Ende fügt er sich den Konventionen der Zeit, heiratet eine Frau aus reichem Hause, das Ehepaar bekommt Kinder.
Der Mann, der den ersten Weltkrieg begrüßt hat wie viele andere Künstler, Maler und Schriftsteller, weil er wie sie darin eine Art von Befreiung sah, der Mann, der vom Monarchisten zum Demokraten wird und früh vor Hitler und den Braunen warnt, der im Krieg über die BBC sich an die Deutschen wendet, der in der Schweiz und später erst in New York, dann in Kalifornien Aufnahme und Anerkennung findet und der immer ein großer Deutscher geblieben ist. Trotz allem. Man muss ihm dankbar sein, dass er nicht nachtragend war.
Schon, wenn man das Foto von Thomas Mann auf dem Umschlagdeckel des Buches betrachtet, erkennt man das Ungewöhnliche der Erzählung von Volker Weidermann: Thomas Mann im Bademantel, die Arme verschränkt, am Meer stehend, eine Zigarette rauchend, sein Blick in die Zukunft gewandt Dem ehrenwerten Mann, den die Nazis ausgrenzten, der während einer Lesereise in der Schweiz dort blieb und nicht mehr in die Heimat zurückkehrte, ihm wurde viel Unrecht getan. (So als die Uni Bonn, die ihm die Ehrendoktorwürde 1919 verliehen hatte, diese dem Geehrten und Nobelpreisträger 1936 wieder entzogen hatte, dem braunen Zeitgeist folgend. Thomas Mann wurde die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, weil er, so das von Goebbels geleitete Propaganda-Ministerium, „nicht würdig ist, den Namen Deutscher zu tragen.“ Übrigens wurde ihm von der Uni Bonn diese Ehrendoktorwürde gleich in der ersten Sitzung nach dem Krieg wieder angetragen, Thomas Mann nahm an. Geschichte kann peinlich sein)
Volker Weidermann schreibt mit leichter Feder, mit der Zeit fesselt er den Leser so, dass man, ich das Buch nicht mehr weglegen möchte, bis es gelesen ist. Nun gut, es ist ja auch das Leben des berühmten Nobelpreisträgers, des Schöpfers der Buddenbrooks und des Zauberbergs und vieler anderer Werke. Die Geschichte von Thomas Mann und dem Meer, dem Haus am Meer im brasilianischen Urwald, über Lübeck, Travemünde, Nidden und die Kurische Nehrung, Noordwijk, das Mittelmeer. Wer es genauer wissen will, nehme einen Atlas dazu.
Ein wunderschönes Buch, fein gewirkt. das man nur empfehlen kann. Gerade heute, da Braunes wieder populistisch zu werden droht, weil viele Wählerinnen und Wähler offensichtlich geschichtsvergessen sind.