1. Das Größenwachstum der PKW beim Übergang zum BEV
Wer heute im Stadtbild den E-Versionen (BEV) von Smart, BMW Mini und Fiat 500 begegnet, wird sich die Augen reiben: Die sehen aus wie aufgeblasen aus der vertrauten Grundversion. Was ist der Grund für diese Entwicklung?
2. Technischer Hintergrund – Vergangenheit
Der PKW ist ein spezielles Automobil. Ein „Automobil“ ist, so der grundsätzliche Sinn des Wortes, ein Fahrzeug („mobil“), welches selbständig („auto“) unterwegs ist. Bedingung dafür ist, dass es seinen Energievorrat an Bord mit sich führt. Das Auto ist bislang eine „selbsttransportierte Verbrennungskraftmaschine“ – entsprechend hat es einen Kraftstoffvorrat im Tank. In Zukunft wird es eine „selbsttransportierte Kraftmaschine“ nur noch sein – die Zeit der Verbrennung geht zu Ende. Der Energievorrat an Bord wird dann bei PKW in der Regel nicht mehr stofflich sein.
„Automobile“ im weiteren Sinne sind auch Flugzeuge sowie See- und Binnenschiffe. Faktisch verwendet wird der Begriff allein für Landfahrzeuge. Die elektrische Eisenbahn und der O-Bus sind die Ausnahmen, sie sind offenkundig keine „Automobile“ – weder können sie sich frei bewegen noch schleppen sie ihren Energievorrat mit sich.
Der PKW ist das kleinste unter den Automobilen. Das bringt besondere Anforderungen an den geeigneten Kraftstoff mit sich, auch an die Effizienz der Verbrennungskraftmaschine. Der Kraftstoff braucht eben Platz und hat Gewicht – da er immer mittransportiert wird, führt das Mitschleppen des Vorrats zu einem erheblichen Energieverbrauch, bei PKW zur merkbaren Einschränkung von Raum für die Nutzlast. Bei großen Automobilen ist in der Regel problemlos Platz für größere Tanks, und in Relation zum Nutzgewicht ist das Gewicht des mitgeführten Kraftstoffs klein. Bei PKW ist das anders. Hinzu kommt, dass es große und kleine PKW gibt. Bei kleinen PKW potenzieren sich die Herausforderungen.
Unter den möglichen Kraftstoffen sticht hinsichtlich seiner energetischen Dichte einer hervor, sowohl räumlich als auch nach Gewicht: Die flüssigen Kohlenwasserstoffe (CxHy). Die Erdölderivate Benzin und Diesel gehören dazu. Dieser Spitzenstellung wegen hat die Benzin-getriebene PKW-Mobilität in den USA, nach Entdeckung der dortigen Ölvorkommen, ihren Siegeszug angetreten, von dort aus ihre globale Dominanz erreicht. Bei den größeren Mobilitätsformen, Schifffahrt und agrarischen Maschinen, wurde zunächst mit kohlegefeuerten Dampfmaschinen gearbeitet. Die wurden später auf Antriebe unter Nutzung anderer Öl-Derivate aus dem Destillationsprozess der Raffinerien umgestellt.
Kohlenwasserstoffe (CxHy) gibt es in großer Vielzahl. C- und H-Atome sind kettenförmig angeordnet, die Ketten sind manchmal auch zu Ringen geschlossen. Die einfachste Variante unter all diesen Kohlenwasserstoffen ist CH4, Methan, uns als Erdgas vertraut. Doch um Methan in einen Tank zu packen, braucht es viel Platz oder hohe Drücke. Weit dichter sind die flüssigen Kraftstoffe, die aber sind Gemische diverser Kohlenwasserstoffe.
Benzin ist eine „leichte“ Kohlenwasserstoffgemischfraktion, Diesel eine „schwere“. Die Bezeichnung „leicht“ versus „schwer“ leitet sich ab vom Verhältnis von H-Atomen zu C-Atomen. C hat mit ca. 12 ein deutlich höheres „Atomgewicht“ (relative Atommasse) als H mit 1. Dazu scheint im Widerspruch zu stehen, dass Diesel spezifisch klimagünstiger verbrennt als Benzin, mit spezifisch etwa 10 % weniger CO2 im Auspuff. Das aber ist gerechnet mit dem Maß pro Liter Treibstoff. Pro Gewichtseinheit gerechnet ist der Unterschied marginal. Dass „der Diesel“, das Diesel-Fahrzeug, bei gleichem Fahrzeug-Gewicht faktisch weniger CO2 pro km emittiert als „der Benziner“, ist dessen ungeachtet richtig. Der Grund aber liegt in der unterschiedlichen Effizienz der Verbrennungsprozesse an Bord.
Die flüssigen Kohlenwasserstoffe waren mit der Etablierung einer Mineralöl-Industrie, welche Rohöl aus der Erdkruste fördert und anschließend in Raffinerien zu diversen Produkten verarbeitet, recht einfach „gegeben“. Um ein energetisches Maß anzugeben: Diese komplexen und wunderbar verdichteten Energieträger in den Verbrennungsmotor zu bringen, erforderte für die gesamte Kette von der Förderung aus der Rohöllagerstätte bis zum Einpressen in den Tank von PKW in Industriestaaten einen Energieaufwand von lediglich etwa 15% des an Bord genommenen Energievorrats im PKW.
3. Regulatorischer Hintergrund – belastetes Erbe für die Zukunft
Die Zukunft bringt den Abschied auch von dieser Fraktion fossiler Energieträger aus der Erdkruste. Ob Zwang (Klimapolitik) oder Anreiz (technischer Fortschritt) der Treiber ist, ist nicht wirklich klar.
In Deutschland wird eine Debatte geführt, als wenn noch regulatorisch alles offen sei, als wenn dieses Land weiterhin Nabel der Auto-Welt sei und sich eine „Wünsch-Dir-Was“-Haltung leisten könne. In Wahrheit ist Deutschland Teil der EU, die Herrin des europäischen Binnenmarktes ist. Hinsichtlich des Designs der entscheidenden Regulierung, der des Flottenverbrauchs, sind die Schlachten in Europa längst entschieden. Es gilt in dieser Hinsicht:
- Die zentrale Regulierung setzt nicht bei den Eigenschaften von Treibstoffen an sondern bei denen von Fahrzeugen, die neu in Verkehr gebracht werden.
- Basis sind die auslegungsbedingten Emissionen der Fahrzeugflotte eines Herstellers von CO2 pro km am Auspuff des Fahrzeugs pro km – es wurde somit verworfen, eine komplementäre Regulierung hinsichtlich der energetischen Effizienz von PKW in der Einheit kWh pro km zu erlassen.
Solange das Substitutionspotential alleine in PKW mit Verbrenner-Motor bestand, war das spezifische CO2-Maß gleichzeitig ein Maß für die energetische Effizienz eines Fahrzeugs. In dem Augenblick aber, da Batterie-elektrische Fahrzeuge (BEV) in den Kreis der Substitute eintraten, die (am Auspuff) definitorisch eine CO2-Emission von Null haben, ist für KfZ eine Regulierung deren Energieeffizienz entfallen. - Es ist aber nicht beim regulierenden Maß g CO2/km geblieben. Im Februar des Jahres 2007, in dem sich im Herbst die schwere Finanzkrise einstellte, wurde eine erbitterte Schlacht zwischen Deutschland und Frankreich eröffnet. Die beiden staatlichen Kontrahenten vertraten ihre jeweiligen Automobil-Industrien, die unterschiedliche Geschäftsmodelle verfolgen. Premium-Hersteller versus Alltags-PKW – mit VW in der Mitte – war die Schlachtordnung. Allein die Auseinandersetzung hinter den Kulissen um den im Februar 2007 von der Kommission vorgelegte ersten Entwurf der Novelle ging bis Dezember 2007. Zu Ende ging die Auseinandersetzung erst mit Erlass des Rechtsaktes im April 2009. Angesichts der sich in dieser Zeitspanne von gut zwei Jahren verschärfenden makroökonomischen Krisensymptome ist wenig überraschend, dass Deutschland mit den durch seine Position protegierten Premium-Herstellern als Sieger von Platze ging.
- Als Gewinn für die gesamte Branche, mit Ausnahme der Zulieferindustrie, erreicht wurde
a) eine Aufweichung des CO2-Ziels von 120 auf 130 CO2 g/km;
b) eine Verschiebung der vollständigen Einführung der Begrenzung von 130 CO2 g/km auf das Jahr 2015;
c) die Abtrennung der leichten Nutzfahrzeuge, die typischerweise schwerer sind als PKW, mit milderen CO2-Zielen, womit faktisch für das Gesamtensemble von PKW und leichten Nutzfahrzeugen ein Gewichtsrabatt gewährt wurde. - Beibehalten wurde jedoch das längerfristige Ziel von 95 CO2 g/km, zu erreichen im Jahre 2020, und das Ziel weiterer Minderungen danach. Damit war klar: Die Branche hatte sich auf das Hochskalieren von BEV mit Beginn des neuen Jahrzehnts einzurichten. Die nur temporär ambitionsmindernden Zugeständnisse der Politik an die Branche würden strategisch irrelevant sein.
- Wesentliche parteiliche Trophäe und zudem mit Wirkung auf Dauer, gerade im Nach-Verbrenner-Zeitalter, war eine Modulation des regulatorischen Zentralbegriffs „g CO2/km“, dessen Name unverändert blieb. Der Zielwert „g CO2/km“ wurde moduliert mit dem Fahrzeuggewicht, nicht wie in den USA mit der Fahrzeugfläche. Und das gilt nicht pro Fahrzeug, sondern für die Flotte, also die Gewichts-Summe aller PKW eines Herstellers. Die Gewichts-Korrektur arbeitet mit einer Steigung von 60 Prozent! Damit konnte man, bei Verbrenner-Fahrzeugen, den mit der Zeit sinkenden Zielwert nicht mehr allein durch energieeffizientere oder kleinere Fahrzeuge erreichen, sondern auch durch größere und schwere Fahrzeuge, die spezifisch etwas weniger CO2 ausstießen. Bzw. da der Wert als Durchschnitt der abgesetzten Fahrzeugflotte zu erreichen ist, dadurch, dass man weniger kleine und mehr große und teurere Fahrzeuge absetzte. Schlimmer noch: Ein Hersteller, der sich ursprünglich eine Strategie des Aufwuchses kleinerer Fahrzeugtypen vorgenommen hatte, musste nun neu kalkulieren, ob er das könne. Die Gewichtsbasierung traf schließlich auch ihn, machte den CO2-Effekt einer intendierten Gewichtsminderung in der regulatorischen Anrechnung zu 60 Prozent zunichte, das hätte er durch höhere technische Effizienz zusätzlich hereinzuholen – was bei kleinen Abmessungen und niedrigen Preisen der PKW in diesem Segment fast ein Ding der Unmöglichkeit ist. Der Wert „Steigung von 60 Prozent“ war übrigens ein Kompromiss. Erreicht wurde der Wert relativ zu den Ausgangsforderungen von 80 Prozent (VDA für die Premium-Hersteller) und 30 Prozent seitens der Alltagsauto-Hersteller.
So richtig zur Wirkung kommen sollte diese Festlegung erst nun, in den 2020er Jahren, mit dem Beginn des Durchmarsches von Batterie-elektrischen PKW innerhalb von nur 15 Jahren, bis 2035. Zuvor, bei einer Dominanz von PKW mit Verbrenner-Technologie, mit dem Treibstoff idealer Energiedichte, schlug der regulatorische Druck zum Größenwachstum der PKW-Typen mit seinen perversen selbstverstärkenden Rückkopplungseffekten zwar auch merklich aber noch nicht so stark, wie nun zu sehen, zu Buche. BEV sind Null-Emissionsfahrzeuge, deren entfallende CO2-Emission den Druck auf Minderung der Verbrenner in der Verkaufsflotte mindert. Noch mehr Rabat erhält man der schweren Batterien wegen. Und je größer man das Fahrzeug auslegt, umso schwerer wird es, desto mehr CO2-Rabatt erhält ein Unternehmen für seine gesamte Flotte. Das „Aufblasen“ von Smart, BMW Mini und Fiat 500 in ihren E-Versionen macht deshalb Sinn.
Die Lobby der Verbrenner und insbesondere der flüssigen Treibstoffe, Mineralölwirtschaft und Agro-Business, taten ihr Bestes, um zu argumentieren, Biokraftstoffe und später e-fuels seien in der Klimawirkung doch äquivalent. So recht sie prinzipiell gehabt haben mögen, sie hatten den Zug der politischen Agenda verpasst, sie hätten zehn Jahre eher sich mit ihrem Anliegen einsetzen müssen. Nun, im Fit for 55-Paket der von der Leyen-Kommission, ging es nur noch um Zahlen, um Ambitionserhöhung bei etablierter Form der Regulierung ohne Vorleistungsemissionen. Es gelten allein die CO2-Emissionen am Auspuff. Damit konnten auch die Biokraftstoffe, die von der Lobby als Übergang protegiert worden waren, nicht punkten. In der Sache gilt eh: Sie werden ein Nischenprodukt bleiben.
Bei einer Dominanz von PKW mit Batterie-elektrischer-Technologie, mit dem Treibstoff geringer Energiedichte und hohem Gewicht, ist die gewichtskorrigierte Fassung des zentralen Parameters zur Regulierung der energetischen PKW-Eigenschaften ein erheblicher Anreiz zur Erhöhung des Anteils von großen und damit schweren und teuren E-PKW in der Flotte eines Herstellers. Zugleich gilt: Das zentrale nicht-tarifäre Handelshemmnis zum Schutz von Europas Fahrzeugindustrie ist gefallen, das Know-how in der komplizierten Verbrenner-Technik schützt sie nicht länger – es sei denn, das China-Bashing hat noch alsbald handelspolitischen Erfolg.
4. Perspektiven des BEV-Marktes in Europa
China ist heute der führende Markt für BEV. Dort wird die BEV-Entwicklung gemäß der Maxime gefahren, dass die Nachteile der Batterie, ihr hohes Gewicht, mit Reichweiten-Anspruch erheblich zunehmend, ausgeglichen werden müssen durch andere, man kann auch sagen bescheidenere, Ansprüche an den PKW. Vom überdimensionierten Allzweck-PKW ist Abschied zu nehmen. Das durchschnittliche BEV ist in China folgerichtig um 210 kg leichter als der entsprechende Verbrenner-PKW dort; er ist um sogar 390 kg leichter als das durchschnittliche BEV in Europa. Das günstigste BEV in China ist der Saic-GM Wuling Hongguang Mini, mit einer Spitzengeschwindigkeit von 100 km/h, einem Gewicht von 700 kg und einem Preis von unter 5.000 €.
Die Europäer hingegen geben den mit der Elektrifizierung zukunftsträchtig gewordenen Kleinwagenmarkt gerade auf, im Angesicht der chinesischen Marktinitiativen starren sie wie das Kaninchen auf die Schlange – wenn sie sich denn überhaupt trauen, die Augen aufzumachen. Das durchschnittliche Gewicht von BEVs in Europa ist von unter 1.200 kg (2010) auf knapp 1.800 kg (2020) hochgegangen, und dieser Anstieg ist bei Klein-BEV besonders ausgeprägt. Konsequenz ist, dass BEVs immer teurer wurden, in Anschaffung wie im Gebrauch, weil Riesenlasten im Alltags-Fahrverhalten unnütz mitgeschleppt werden müssen. Wer soll sich das leisten können?
In Europa gibt es ein erhebliches Nachfragepotential in diesem Segment, insbesondere in Osteuropa, welches bisher mit abgehalfterten und dreckigen Diesel-Altwagen gedeckt wird – zu Lasten der Gesundheit der dortigen Bevölkerung. Was insbesondere Deutschlands sog. Premium-Hersteller als „Strategie“ fahren, ist Absahnen in letzter Minute und Vorbereitung zum Abspringen vom fahrenden Zug vor dem Abgrund. Sie übertragen die für ICV erfolgversprechende Strategie folgerichtig unverändert auf dafür ungeeignete BEV.
Sie wurden dazu, das hat man zuzugeben, von der Politik angereizt und verführt. Die Kreuzung beider Welten, von ICV und BEV, der „Plug-in-hybrid“, muss zu besonders hohem Fahrzeuggewicht führen und lehrt nicht die Begrenzung des Anspruchs in Reichweite – ausgerechnet diesen Fahrzeugtyp mit erheblichen Subventionen als Einstiegsmodell zu fördern, war pädagogisch so klug wie die Verführung von Kindern mit gezuckerten Lutschern.
Es gibt überhaupt keinen guten Grund, die Anschaffung von Elektro-PKW zu fördern, gar noch mit Prämien proportional zum Anschaffungswert. Die EU-Ebene hat die Pönalen für die PKW-Hersteller mit 95 € pro Gramm Überschreitung pro zugelassenem Fahrzeug festgesetzt. Das ist drakonisch hoch, das reicht als Anreiz völlig. Die „ergänzende“ wertproportionale Förderung auf nationalstaatlicher Ebene führt überdies in die falsche Richtung. Wenn der Bundesfinanzminister in seiner Haushaltsnot Geld einsparen will, dann bitte hier: Da liegt es auf der Straße.
Bildquelle: The Wikipeadian guy, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons