Unter dem Tarnwort „Autonomie“ wurde im deutschen Hochschulwesen ein Systemwechsel von der sich selbstverwaltenden Gruppenuniversität zur „unternehmerischen“ Hochschule vollzogen. In „funktionell privatisierten“ Hochschulen entscheiden „Vorstandsvorsitzende“ (so damals das LHG B-W 2005 ) „autonom“ über Strategie, Personalentwicklung, Stellenumwidmungen oder Leistungsbezüge. „Führungspersönlichkeiten“ aus der Wirtschaft dominieren (Röbken/Schütz, die hochschule 2/13, S. 96ff. (99) die Hochschulräte (In Baden-Württemberg waren nach offiziellen Angaben im Jahre 2012 von 251 Hochschulratsmitglieder 134 Führungskräfte der Wirtschaft) als frei schwebende, niemand verantwortliche Aufsichtsräte. Profitorientierte private Agenturen entscheiden (in verfassungswidriger Weise) über Studiengänge und deren Qualität.
Unterfinanzierung der Unis
„Governance“ (Wendy Brown) statt Selbstverwaltung, „New Public Management“ statt staatlicher Garantie der individuellen und subjektiven Wissenschaftsfreiheit, der Wettbewerb auf dem Forschungs- und Ausbildungsmarkt und „Standortkonkurrenz“ sollten zu den wichtigsten Steuerungsinstrumenten der Hochschul- und Forschungsentwicklung werden. Die „Unterfinanzierung“ der Hochschulen wurde von der Politik „in aller Freiheit“ als Verteilungskonflikt auf die Hochschulebene nach unten weitergereicht. In Zeiten der „Schuldenbremse“ bleibt für die Forschungsentwicklung nur noch der Rückgriff auf „private Einnahmen“: „Mehr Wissen für weniger Geld und gleichzeitig mehr Geld aus der Verwertung von Wissen“ gelten als zukunftsträchtige Forschungsstrategie (Dörhage/Mildner, Hochschulmanagement (HM) 1+2/2016 S.32ff./35)
Matthäus-Prinzip
Im Sinne einer „Verbtriebswirtschaftlichung“ (Heribert Prantl) musste alles quantifiziert werden: Rankings, Benchmarks, Ratings, Audits, Evaluierungen, Controlling, Indikatoren usw. Wissenschaftliche Qualität wird an „Impact-Faktoren“ auf dem Markt der Wissenschaftsjournale gemessen (Mathias Binswanger). Staatliche Mittelzuweisung orientiert sich an eingeworbenen Drittmitteln. Das „Matthäus-Prinzip“ beherrscht die Auswahl bei der „Exzellenzinitiative“ (Michael Hartmann) und lenkt die Fördermittel bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und bei der EU. An die Stelle einer weltweit anerkannten Gleichwertigkeit tritt eine Hierarchisierung der Hochschullandschaft.
„Fishing-for-Money“ und „Businesss Case-Denken“ werden ganz unverblümt als Strategien als Ausgleich für noch weiter rückläufige staatliche Grundmittel empfohlen.
Befristete Arbeitsverträge
In den Ingenieurwissenschaften wirbt ein/e Professor/in durchschnittlich 641.800 Euro, in der Medizin sind es 564.300 Euro im Jahr ein.
Annähernd 40 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen sind (ganz überwiegend mit befristeten Arbeitsverträgen und oft in Teilzeit) drittmittelfinanziert. Ohne die 6,7 Milliarden Euro Drittmittel von insgesamt 14 Milliarden Euro FuE-Ausgaben der Hochschulen wäre der Forschungsbetrieb an den Hochschulen gar nicht mehr möglich.
Etwa jeder dritte Euro der Drittmitteleinnahmen kommt von der (überwiegend vom Bund finanzierten) Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) (Lieb, MDMV 23 / 2015| S. 74–77), diese wird faktisch immer mehr in die Rolle eines Grundfinanziers von Forschung gedrängt (Dorothee Dzwonnek); ein Fünftel der Gelder kommt von der gewerblichen Wirtschaft – Tendenz steigend. „Exzellent“ ist, wer die meisten Geldgeber in der Wirtschaft findet.
Gelder von Aldi, der Deutschen Bank, von Eon
Gerade die aktivsten Wissenschaftler/innen benötigen oftmals mehr Zeit für Forschungsanträge als für ihre Forschung. Forschungsthemen werden auf lukrative Förderprogramme zugeschrieben. Freie Wahl der Forschungsthemen, intrinsische Motivation und wissenschaftliche Unabhängigkeit kommen so schleichend abhanden.
„Transparency International“ und das Online-Portal „hochschulwatch.de“ machen mehr und mehr dubiose Sponsoring-Fälle öffentlich. Hörsäle heißen Aldi-Süd, gesponserte Hochschulinstitute heißen „E.ON Energy Research Center“, die Deutsche Bank nimmt Platz in Berufungskommissionen. Die Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz „kapert“ mit Geheimverträgen die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW).
Dreistellige Millionenbeträge der Pharma-Industrie gehen als „legale Korruption“ an Uni-Kliniken für „Anwendungsbeobachtungen“. Allein die Uni Dresden hat 1000 Verträge mit Geldgebern abgeschlossen.
Insgesamt 23 deutsche Hochschulen und öffentliche Forschungseinrichtungen bezogen Gelder des amerikanischen Verteidigungsministeriums.
Finanziers mit Eigeninteresse
Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft schätzt, dass bereits 1000 Lehrstühle von Finanziers mit Eigeninteressen gefördert oder komplett finanziert werden. Mit Stiftungsprofessuren, die in der Regel nach 3, maximal nach 5 Jahren von den Hochschulen aus eigenen Mitteln finanziert werden müssen, werden private Wissenschaftsinteressen in Hochschulen platziert und nicht marktgängige Fächer „umgewidmet“.
Das Konzept der wettbewerbsgesteuerten Hochschule, also das Regime von McKinsey und Co widerspricht den „professionskulturellen“ Voraussetzungen einer freien Wissenschaft und beeinträchtigt geradezu die Funktionsfähigkeit der „Herzkammer des Kapitalismus“, nämlich Hochschulforschung als Innovationssystem. (Dörre/Neis, Das Dilemma der unternehmerischen Hochschule 2010, S. 137, 153) „Die unternehmerische Universität“ so der Soziologe Richard Münch entmachtet die wissenschaftliche und die akademische Gemeinschaft und die Fachgesellschaften als Treuhänder des Erkenntnisfortschritts im inneren Kern der Wissenschaft und der Wissensvermittlung und in ihrem Außenverhältnis zur Gesellschaft. Die kollektive Suche nach Erkenntnis als Kollektivgut und der kollektive Prozess der Bildung und des Wissenstransfers in die Gesellschaft in der Hand der wissenschaftlichen und der akademischen Gemeinschaft sowie der einzelnen Fachgesellschaften wird von der privatisierten Nutzung des Erkenntnisfortschritts, der Bildung und des Wissenstransfers durch unternehmerische Universitäten im Wettbewerb um Marktanteile abgelöst“. (Richard Münch)
Mitbestimmung der Wissenschaftler
Ein neues Leitbild einer „demokratischen und sozialen Hochschule“ (so etwa das Hochschulpolitische Programm es DGB), müsste die Selbstbestimmung der Grundrechtsträger der Wissenschaftsfreiheit und die gesellschaftliche Verantwortung der öffentlichen Hochschulen miteinander vermitteln. Mitbestimmung und Partizipation der Wissenschaftler (und auch der Studierenden) als Grundrechtsträger wäre ein unverzichtbarer Bestandteil einer autonomen Hochschule. Gerade die staatliche gewährte Freiheitsgarantie und nicht zuletzt die ganz überwiegende Finanzierung durch die Allgemeinheit begründen nicht nur die Verantwortung der Hochschulen gegenüber der Gesellschaft, sondern auch eine Pflicht der Wissenschaftler über die Ziele, Inhalte, Ergebnisse und die Folgen von Forschung und Lehre selbstkritisch gegenüber der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen. Die Hochschule in der Demokratie ist zu Transparenz und Kommunikation verpflichtet (Stichworte: „Open Access“, Wissenstransfer). Dies schon deshalb, um in den verteilungspolitischen Auseinandersetzungen bei knappen öffentlichen Haushalten gegenüber anderen staatlichen Aufgaben auf Dauer erfolgreich sein zu können.
Zur einer wirklich internationalen Wettbewerbsfähigkeit auf dem Felde der Forschung gehörte auch, dass zumindest gesetzliche Rahmenvorgaben für „Gute Arbeit“ und die Nachwuchsförderung an den Hochschulen gemacht würden oder die Garantie, dass eine angemessene staatliche Grundfinanzierung wieder Grundlage für freie Forschung der Hochschulwissenschaftler wird. Damit könnte auch der Abwanderung junger Wissenschaftler ins Ausland entgegen gewirkt werden.
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