Heute, am 28. April, ist Holocaust-Gedenktag, ein besonderer Tag vor allem in Israel, ein Tag, der jeden im Lande zum Nachdenken darüber bringt, wie das alles passieren konnte, wie dieser Völkermord, dieses Menschheitsverbrechen von Nazi-Deutschland mit der Ermordung von sechs Millionen Juden möglich war. Rudolf Dreßler, Sozialdemokrat seit Jahrzehnten, Botschafter in Israel von 2000 bis 2005, hat diesen Tag in Israel mehrfach erlebt. „Da steht alles still in Israel“, schildert Dreßler im Gespräch mit dem Blog-der-Republik, „für zwei Minuten ruht der Verkehr, die Arbeit, jeder bleibt stehen, wo er sich gerade aufhält, nichts bewegt sich in diesem Streifen Erde für 120 Sekunden. Ein Land verharrt in Trauer. Das geht jedem unter die Haut“. Man spürt noch heute, wie ihn dieser Tag all die Jahre beschäftigt hat und weiter beschäftigt. Und er bekennt: „Man wird damit konfrontiert, überall, wo man sich aufhält in diesem Land. Und man muss sich damit auseinandersetzen und kommt zu dem Schluss: Das darf nie wieder passieren.“ Der Holocaust, der hierzulande viele, allzuviele kaum noch interessiere, weil die Problematik im Schulunterricht kaum Thema sei, wie der SPD-Politiker beklagt, „gehört zu Deutschland. Ob wir das wollen oder nicht.“
Zugegeben, es ist lange her, der 2. Weltkrieg endete vor rund 77 Jahren und damit die braune Nazi-Schreckensherrschaft über Deutschland, ja über weite Teile Europas. Wir blicken in diesen Zeiten auf die letzten Tage der Nazi-Diktatur zurück, heute vor 77 Jahren endete für die letzten Überlebenden der vielen Konzentrationslager das unmenschliche Leiden, wurde u.a. das KZ Buchenwald aufgelöst in der Nähe der Klassiker-Stadt Weimar. Dort wurden 56000 Juden, Sinti, Roma, politische Gegner, russische Kriegsgefangene, Homosexuelle, Wohnungslose, Zeugen Jehovas umgebracht, erschossen, zu Tode gefoltert, sie starben an den Folgen medizinischer Experimente oder an Auszehrung, man ließ sie einfach verhungern und verdursten.
KZ Dachau vor den Toren Münchens
Am 29. April 1945 endete das Leid einiger Tausender Überlebender im KZ Dachau vor den Toren der schönen Stadt der Kunst, München, die die Nazis zur Hauptstadt ihrer unsäglichen Bewegung gemacht hatten. Der Politikwissenschaftler Eugen Kogon, geboren in München, wegen seiner christlich motivierten Gegnerschaft zum NS-System im KZ Buchenwald bis zur Befreiung des KZs interniert, urteilte später über das erste KZ, das es im 3. Reich seit 1933 gab und eines der letzten, das von den Amerikanern befreit wurde: „Dachau- die Bedeutung dieses Namens ist aus der deutschen Geschichte nicht mehr auszulöschen. Er steht für alle Konzentrationslager, die Nationalsozialisten in ihrem Herrschaftsbereich errichtet haben.“ Kogon ist der Verfasser des Buches: „Der SS-Staat“. Das Standard-Werk über die NS-Verbrechen. Von den insgesamt 200000 Häftlingen in Dachau starben rund 45000. Sechs Millionen Juden wurden insgesamt umgebracht, vergast, erschossen, zu Tode geprügelt, allein eine Million im KZ Auschwitz, Symbol für das Nazi-Verbrechertum, unweit der schönen polnischen Stadt Krakau gelegen.
Für Rudolf Dreßler ist es unvorstellbar, dass der Holocaust gar nicht oder völlig unzureichend in deutschen Schulen
behandelt wird. „Ich begreife das nicht. Wir müssen doch den Kindern erklären, was damals passiert ist, warum ein Kulturvolk wie das deutsche so abgleiten konnte, wie aus dem Volk der Dichter und Denker das Volk der Richter und Henker wurde. „Die heutigen Lehrer waren anders als unsere damaligen Lehrer nicht verstrickt in dieses verbrecherische System. Aber das darf doch nicht zu der Ausrede führen: ich bin nicht verantwortlich für diese Verbrechen, es waren meine Eltern.“ Unverständnis, ja Empörung, wie ich sie auch empfinde. „Wie verkommen sind wir eigentlich geworden“, fragt sich der SPD-Mann, wenn er an die Reden von AfD-Politikern denkt, die er im Fernsehen verfolgt oder im Radio. „Und die die Menschen in Israel ja auch hören. Was glauben Sie, wie das auf Juden in Jerusalem und Tel Aviv wirkt, wenn sie Reden von Alexander Gauland hören, wie er die Nazi-Zeit als Fliegenschiss herunterredet, als wären die Millionen Toten Juden eine Kleinigkeit, der von den Nazis begonnene Weltkrieg mit rund 60 Millionen Toten und all den Verwüstungen, wenn einer wie Björn Höcke vom Holocaust-Mahnmal in der Nähe des Brandenburger Tores von einem Mahnmal der Schande redet“. Diese AfD, in deren Reihen sich Faschisten tummeln, Rechtsextremisten, Fremdenfeinde, sitzt in allen deutschen Parlamenten und ist auch im Europa-Parlament vertreten.
Gegen Antisemitismus und Rassismus
Es bedrückt nicht nur einen wie Rudolf Dreßler, daß antisemitische Vorfälle in Deutschland wieder zunehmen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas(SPD) hat diese Entwicklung zum Auftakt ihres Israel-Besuchs beklagt und in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem den wachsenden Judenhass in Deutschland angeprangert. Bas kündigte am Holcaust-Gedenktag ein entschlossenes Vorgehen gegen jede Art von Antisemitismus und Rassismus an. Wenn sie höre, dass viele Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Angst vor einem Holocaust hätten, „dann sind das Alarmzeichen, die uns sehr, sehr wachsam machen müssen, und wo wir auch mit allen Mitteln, die wir als Rechtsstaat haben, entgegen lenken müssen.“
Allein in Bayern habe der offene alltägliche Antisemitismus im Jahr 2021 nach Angaben der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern(Rias Bayern) um 82 Prozent auf 447 Vorfälle meist im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona zugenommen. Häufig werde der Holocaust relativiert oder würden die Opfer des Nazi-Terrors verhöhnt. Die Täter hätten den „Judenstern“ getragen teils mit der zusätzlichen Aufschrift: „Ungeimpft“. Im Kreis Traunstein hätten Täter vor einer Arztpraxis, die Corona-Impfungen anbot, „Auschwitz“ auf die Straße geschrieben. In Neumarkt(Oberpfalz) sei ein Schild gezeigt worden mit der Aufschrift: „Holocaust 2.0-Geniales Ablenkungsmanöver einer korrupten Versagerpolitik und ihrer Lügenpresse“.(Zitiert nach SZ) Insgesamt hat Rias demnach einen „erschreckenden Antisemitismus deutlich“ gemacht und zwar auf den Straßen und Plätzen, wurde Bayerns Sozialministerin Ulrike Scharf zitiert.
Rund 180000 Überlebende des Holocaust leben heute noch in Israel, rund ein Drittel von ihnen unterhalb der Armutsgrenze, weshalb die Bundesregierung sich mit einem Zuschuss von 200000 Euro am Bau neuer Wohnungen für sozial benachteiligte Senioren beteiligt. Bärbel Bas schrieb sich mit den folgenden Worten ins Yad-Vashem-Gästebuch ein: „Wir dürfen nicht vergessen. Deutsche haben sechs Millionen Leben ausgelöscht. In tiefer Trauer und Scham denke ich an die Toten.“ Bas bekannte sich zur historischen Schuld Deutschlands, aus der sich eine besondere Pflicht für die Sicherheit Israels ergebe. Unsere Vorfahren hätten eiskalt die Vernichtung der Juden geplant und brutal umgesetzt. Man frage sich immer wieder, „wie konnte das passieren, warum haben so wenige geholfen.“ Nein, nicht wenige haben sogar zu- oder weggeschaut, wenn Juden von der Gestapo abgeholt wurden, andere haben Häftlinge, die auf dem Weg ins KZ Dachau waren, beschimpft und angespuckt, wie man aus Augenzeugen-Berichten weiß.
100 Worte von 100 Überlebenden
In einer Video-Botschaft zum Holocaust-Gedenktag rufen Überlebende aus vielen Ländern und in verschiedenen Sprachen zum Gedenken der Verbrechen auf. Zugleich ist die in 100 Worten von 100 Überlebenden -darunter in Englisch, Deutsch, Russisch und Hebräisch vorgetragene Mahnung eine Warnung vor Hass und Gleichgültigkeit.“Wir müssen an die Vergangenheit erinnern oder sie wird unsere Zukunft“, lautet eine der Forderungen der Botschaft, die organisiert wurde von der Claims Conference, die die Ansprüche der Holocaust-Überlebenden gegen Deutschland vertritt. Weitere Erklärungen lauten: „Wir sind hier, um den sechs Millionen Juden, die ermordet wurden, eine Stimme zu geben. Wir erinnern daran, dass unkontrollierter Hass zu Taten führen kann und Taten zum Völkermord. Vor nur wenig mehr als 75 Jahren wurde ein Drittel der Juden in der Welt systematisch ermordet.Darunter waren über 1,5 Millionen Kinder, die im Namen von Gleichgültigkeit, Intoleranz und Hass getötet wurden. Hass auf das, was man fürchtete. Hass auf das, was anders war.“ Die Claims Conference organisiert im übrigen seit dem Kriegs-Beginn Putins gegen die Ukraine den Transport von alten und gesundheitlich beeinträchtigten Überlebenden aus dem Kriegsgebiet. Die deutsche Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat in Israel auch an die Holocaust-Überlebenden aus der Ukraine erinnert. Vor dem Krieg lebten in der Ukraine rund 10000 Holocaust-Überlebende, rund 100 von ihnen seien inzwischen nach Israel eingewandert, 70 von ihnen seien nach Deutschland gebracht worden.
Am Ende zitiere ich noch eine Bitte aus der Video-Botschaft der Claims Conference. „Am Holocaust-Gedenktag bitten wir die Welt, an unserer Seite zu stehen und sich zu erinnern.“ Zivilcourage ist gefragt, um denen zu widersprechen, die Hass predigen.