1. Für die USA ist der Ukraine-Krieg erneut ein Krieg fernab in „Übersee“
Der Kampf, den der Westen die Ukraine ausfechten lässt, enthüllt sich immer klarer als ein Krieg, den die USA zunehmend europäische Stellvertreter führen lassen. Die westlichen Verbündeten in Europa blieben im März 2022 beim Entfachen des Großfeuers eines auf Dauer angelegten Vollkrieges ungefragt. Nun können sie nicht anders als wie Marionetten die Rollen, die vorgespurt sind, zu spielen. Was bleibt ihnen auch anderes übrig?
Nachdem aus der Ferne entschieden worden ist, was Russland an Feuer entfacht hat, zum Großbrand ausarten zu lassen, sehen die näherliegenden Europäer ihre Hütten vom Funkenflug bedroht. Die USA hingegen konnten sich nun einmal erlauben, sowohl dem Entfachen des Feuers als auch der Steigerung zum Großbrand nicht entschieden entgegenzutreten. Nachdem die Katastrophe Fahrt aufgenommen hat, haben die USA innerhalb der westlichen Koalition die weit besseren Karten. Die Geographie ist ihr Vorteil.
Trump, immer mal für den tabulosen Ausdruck dessen, was ist, gut, hat es in seiner unnachahmlichen Art auf den Punkt gebracht:
“Why is it that the United States is over $100 Billion Dollars into the Ukraine War more than Europe, and we have an Ocean between us as separation! …”
So ist es. Die USA trennt der Atlantik vom Kriegsgebiet und von den Bevölkerungsströmen, die dieser Krieg nach Einstellung der Kampfhandlungen noch nach sich ziehen wird. Die geographische Lage bestimmt die jeweiligen Interessen. Die sind gegensätzlich. Die USA können sich auch diesmal problemlos zurückziehen aus ihrem kriegerischen Engagement. Beispiele: Vietnam, Syrien, Afghanistan, Irak. Alles weit weg. Sie trifft es nicht, was der Vollkrieg an Ruinen hinterlässt, an Migrationsströmen, die Wut auf die wortbrüchigen Staaten des Westens. Die Europäer werden die Betroffenen sein. Sie sitzen in der Falle.
Diese Differenz kann nicht anders als sich zu materialisieren in deutlich unterschiedlichen Finanzierungsbeiträgen in Zukunft. Eineinhalb Jahre lang haben die USA die Hälfte der finanziellen Leistungen zur Unterstützung der Ukraine beigesteuert – das war sehr generös von ihnen. Das findet nun ein Ende.
2. Die Relation verfügbarer Ressourcen im Ukraine-Krieg ist der Schlüssel
Über den Ausgang des Vollkriegs in der Ukraine entscheidet, das wird immer deutlicher, nicht die Relation der Waffen und auch nicht die der militärischen Effizienz. Darüber entscheidet vielmehr die Relation der Ressourcen, die in ihn gesteckt werden. Gegenwärtig entscheidend sind die finanziellen Mittel, zu zwei Zwecken: (a) Um das Kriegsmaterial zu bezahlen und (b) um den Staat, den die Soldaten unter Einsatz ihres Lebens verteidigen, am Funktionieren zu halten.
Der Konflikt darum, welchem geopolitischen Lager die Ukraine in Zukunft zugehören wird, wird wirtschaftlich, insbesondere über die Allokation von Finanzmitteln, entschieden. Den Kampf darum hatte der Westen fast schon aufgegeben, doch nun befinden wir uns gerade in einer Art Aufholjagd „auf den letzten Drücker“. Ziel ist es, finanziell zu ermöglichen, dass die Ukraine bis zu drei weitere Jahre durchsteht. Wie das moralisch zu bewerten ist vgl. unten.
Die Achillesverse demokratisch verfasster Staaten in Langfristkrisen ist bekanntlich ihre mangelnde Durchhaltefähigkeit. Das Versprechen der Führungen demokratisch verfasster Staaten, mit Mandaten von 4 oder 5 Jahren, die Ukraine in ihrem Kampf zu unterstützen „as long as ist takes“, ist deshalb strukturell unseriös, um es vorsichtig zu sagen. Es ist eine augenzwinkernde Zusage lediglich. Offen ausgesprochen hat es der frühere Staatssekretär im Schweizer Außenministerium und jetzige ETH-Professor für Konfliktmanagement, Michael Ambühl, im Kontext der kommenden Bürgenstock-Konferenz: „Angesichts der hohen Verluste wirken solche Durchhalteparolen zynisch.“
In den USA ist die Bereitschaft zu zahlen bereits zu Ende gegangen. Dort steht Trump drohend vor der Tür. Das Gesetz, welches der US-Kongress nach langem Hin und Her im April 2024 endlich durchgebracht und das die finanzielle Zusage der US-Regierung allein für die militärische Unterstützung der Ukraine für das Haushaltsjahr 2024 angeblich bestätigte, ist genau besehen eine Tarnkappe. Nominal ging es um 60,84 Mrd. $. Schaut man jedoch ins Detail, so bleiben von den 60,8 Mrd. $ im Gesetz eigentlich nur 26 Mrd. $, die eine Hilfe an die Ukraine im eigentlichen Sinne darstellen können – die aber werden weitgehend als Kredite vergeben. Der Haushaltsgesetzgeber in den USA hat sich von der finanziellen Solidarität mit der Ukraine in ihrem Krieg bereits verabschiedet.
Auch auf europäischer Seite sieht es mit der Langfrist-Solidarität aus Haushaltsmitteln nicht viel besser aus. Führend und beispielhaft ist die Situation in Deutschland. Schon die Sicherung von 2% an Ausgaben für die eigene Aufrüstung über die laufende Legislatur hinaus gelingt in Deutschland nicht. Hilfen für die Ukraine kämen noch on top. Die Lösung, das Aussetzen der Schuldenbremse, erforderte die Zustimmung der Opposition, also wie in den USA eine überparteiliche Entscheidung – doch die ist, in Wahlkampfzeiten, nicht zu haben.
Damit ist klar: Es braucht eine Finanzierung seitens der westlichen Demokratien, die trotz ihrer strukturellen Unfähigkeit zur Langfrist-Solidarität stabil ist. Die systemischen Hinderungsgründe, die im Wesen der demokratischen Staats- und Regierungsform liegen, sind zu überspielen. Sicherheit, so die Behauptung, geht vor Demokratie.
3. Wie die Finanzzusagen stabilisieren?
Das ist möglich. Die Zauberformel ist: Man schaffe einen „deep state“, der mit einem technokratisch klingenden, aber faktisch weitreichenden Beschluss mit den erforderlichen Finanz-Mitteln ausgestattet wird und dann auf Jahre den Ukraine-Krieg westlicherseits finanziert, egal wer wo regiert und welche Finanzsorgen die gewählten Repräsentanten der Demokratien jeweils gerade plagen.
Finanztechnisch lauten die Lösungs-Stichworte „Fonds“ und „Kreditaufnahme“. Größenordnungen sind 300 bis 500 Mrd. $ bzw. €. Entscheidend ist zudem das Mandat, wofür das Geld, das bereitgestellt werden soll, verwendet werden darf. Die Antwort: ALLEIN die militärische Unterstützung der Ukraine auf Dauer soll dem „deep state“ anvertraut werden.
Aspiranten für die Verfügung über den Fonds gibt es bereits zwei. Vorgeprescht war NATO-Generalsekretär Stoltenberg mit der offenherzig verkündeten Absicht, die Ukraine-Hilfe Trump-sicher machen zu wollen – als ausscheidender Amtsträger konnte er sich diesen Affront gegenüber der als rachsüchtig bekannten Person, die möglicherweise ab Januar 2025 US-Präsident sein wird, leisten. Seine, vergleichsweise bescheidene, Forderung: 100 Mrd. $ für einen NATO-Fonds. Woher das Geld komme solle, ließ Stoltenberg noch offen.
Unterstützt und in einen klärenden Kontext gebracht wurde der Vorstoß durch das Ergebnis einer Kommission, deren Gründung anscheinend aus dem Umfeld der NATO initiiert wurde. Gezielt wird auf den NATO-Jubiläums-Gipfel vom 9. bis 11. Juli 2024 in Washington, da soll das Ergebnis zur Sicherstellung der Langfristfinanzierung offenbar verkündet werden. Präsidiert wurde die Kommission vom dänischen Ex-NATO-Generalsekretär Rasmussen zusammen mit dem Chef der Präsidialkanzlei in Kiew, Andriy Yermak. Ihr Name: „International Taskforce on Ukraine’s Security and Euro-Atlantic Integration”. Die Mitglieder der Kommission sind sämtlich erfahren genug, dass sie um das demokratiesystemische Defizit wissen, langfristig Solidarität zu sichern. Entscheidend ist: Die Kommission fordert zugleich eine Neuordnung der transatlantischen Teilung von „Verantwortungen“, gemeint ist eindeutig auch der finanziellen Lastenteilung. Ihre Botschaft: Die zusätzlich erforderlichen zivilen Mittel zur Unterstützung der Ukraine, die nicht einem Fonds überantwortet werden, sollen weit überwiegend die Europäer bereitstellen.
Die Größenordnung des Bedarfs an zivilen Mitteln, in Form von Haushaltshilfen für die Ukraine, lässt man offen. Man hat ja die Europäer, die auch den Bodensatz der Suppe, die ihnen eingebrockt worden ist, auszulöffeln haben – und in der Not es sicher tun werden.
Von europäischer Seite aus wurde erkannt, dass einem da von NATO-Seite aus das Heft aus der Hand genommen werden soll. Der alternative Vorschlag: Einen schuldenfinanzierten Fonds auf Ebene der EU auflegen, nach dem Vorbild des Corona-Fonds „EUNextGeneration“. Das Preisschild, welches diesem Fonds gleich mal angeheftet wurde: 500 Mrd. €.
4. Wie es konkret laufen wird
Realistisch aber wird eine andere Vorgehensweise sein. Gezielt wird auf die beschlagnahmten Reserven der russischen Zentralbank. Der Zugriff darauf verschleiert dem Volk, dessen Repräsentanten die Fäden ziehen, dass es auch dabei lediglich um eine Variante der Kreditfinanzierung geht.
Das Volumen der im Westen sistierten Mittel liegt bei ca. 280 Mrd. $ oder €. Damit kann man den militärischen Unterstützungsbedarf der Ukraine mehr als drei Jahre lang sichern. Wer was beisteuert, wird zwischen Europa und den USA gerade ausgehandelt. Es gibt eine doppelte Asymmetrie zwischen den vorfindlichen Bedingungen in den USA und in Europa. Die wird spielentscheidend sein.
- Die „immobilisierten“ russischen Devisenreserven liegen regional völlig divers, Europa verfügt über mehr als 200 Mrd. €, die USA über lediglich 5 Mrd. $.Russland rechnete eben mit einer Beschlagnahmung in Washington, aber nicht in Europa.
- Hinsichtlich der Entscheidungsfindung sind die USA bereits durch. Im Kontext des Haushaltsergänzungsgesetzes für die Ukraine von April 2024 wurde auch eine Revision des REPO Act beschlossen, welches dem US-Präsidenten das Mandat gibt, auf beschlagnahmte russische Devisenreserven verfügend zuzugreifen. Die Europäer hingegen zieren sich noch. Sie schützen Rechtsstaatsbedenken vor, in Wahrheit sorgen sie sich um die Position ihres Euro in der Welt und damit um den Zusammenhalt der EU. Und das zu Recht. Der Schuss, der ja nur die offene Kreditfinanzierung verbergen soll, könnte massiv nach hinten losgehen – träte das ein, dann wäre die Zukunft der EU in die Hand ihrer Verächter gelegt. Da der Vorgang aber so „technisch“ ist, dass es dazu keine öffentliche Debatte gibt, sind den Experten und Fachpolitikern die Münder verschlossen.
Beim NATO-Jubiläumsgipfel vermutlich wird der NATO-Fonds aus der Taufe gehoben werden; und mit mindestens 100 Mrd. $ gefüllt werden. Vorbild ist übrigens der Fonds, mit dem die US-Regierung von ihr beschlagnahmte Mittel der Zentralbank Afghanistans vor dem Zugriff von US-Rechtssubjekten schützen wollte und ihn deshalb in der Schweiz aufgemacht hat. Ob es den Europäern gelingt, den NATO-Hunger auf angeblich „Trump-festes“, faktisch aber „demokratie-festes“ Geld auf 100 Mrd. $ zu begrenzen, wo mit Russlands weiteren Devisen insgesamt 280 Mrd. $ im Raume stehen, ist offen.
Vielleicht schaffen es die Europäer, den überwiegenden Teil der beschlagnahmten Devisen zur eigenen späteren Verfügung, auch als Verhandlungsmasse gegenüber Russland bei allfälligen Waffenstillstandsverhandlungen, unter ihrer Verfügung zu halten. Das aber wird nur bei einem Rückhalt in den europäischen Öffentlichkeiten gelingen. Dazu müsste der strategische Sinn der laufenden Verhandlungen kommuniziert werden.