Seit den Morgenstunden höre ich im Radio, genauer WDR 2, dass der virtuelle Parteitag der CDU am Abend mit Reden von Merkel und Söder beginnen werde und dass sich drei Männer um die Nachfolge von Merkel- genauer ist es natürlich die von AKK-bewerben. Zur vollen wie zur halben Stunde immer der gleiche Vorbericht. Gähnend langweilig. Aber es kann spannend werden, der Ausgang des Rennens um die Parteispitze ist ziemlich offen, wichtig allemal, zumal der künftige CDU-Chef auch Kanzlerkandidat werden könnte und Bundeskanzler. Merz, Röttgen, Laschet. Alle drei aus NRW, ja haben denn die anderen Landesverbände keine geeigneten Kandidaten? Und vor allem, wo bleiben die Kandidatinnen? Bald 16 Jahre Angela Merkel im Adenauer-Haus und Kanzleramt, gewiss nicht die schlechtesten für die Republik und ihre Bewohner. Und doch scheint das ganz offensichtlich der Männerwelt der Union zu reichen. Wie sonst käme die reine Männerauswahl zustande.
Die Frage, wer denn nun neuer Vorsitzender der CDU werde, stellte mir am Abend zuvor noch ein guter Freund. Ich konnte ihm die Antwort nicht geben, sondern flüchtete in Erklärungen über Merz, Röttgen und Laschet und deren Eigenheiten und Chancen. Da hatte ich die SZ noch nicht gelesen. Dort erfuhr ich am nächsten Morgen die Antwort auf die Frage aller Fragen: „Es wird ein Mann“, so die überraschende Überschrift in der „Süddeutschen Zeitung“ auf der ersten Seite. Donnerwetter, dachte ich bei der Lektüre, darauf wäre ich ohne das Blatt nicht gekommen. Dass die sich so weit aus dem Fenster legen. Es wird ein Mann, ja was denn sonst, hat doch die Union selbst die Auswahl auf die Mannsbilder zugeschnitten, man könnte auch sagen verengt.
Aber ich will mich nicht vor einer Antwort auf die Frage nach meinem Favoriten drücken. In langen Korrespondenten-Jahren in Bonn hatten wir vor Parteitagen oft Wetten abgeschlossen, wenn Wahlen anstanden. „Mein Favorit ist Armin Laschet“, sagte ich am Telefon und hörte am anderen Ende eine ähnliche Antwort. Armin Laschet, der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Landes und Vorsitzender des größten CDU-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, die ein ordentliches Stimmenpaket für diese Wahl hat. Aber kann er wirklich alle Stimmen aus seinem Land bekommen? Röttgen und Merz sind ebenfalls NRWler. Laschet, der Rheinländer aus Aachen, volkstümlich, nah bei den Menschen, eher der Pils-statt der Champagner-Typ. Für Rheinländer könnte man Bier auch durch Kölsch und Alt ersetzen. Ein Mann, der weiß, wie man Wahlen gewinnt. Oder wie der Alt-Christdemokrat Heinz Schwarz(92) es ausgedrückt hat: „Der Mann hat in NRW die Sozis rausgeworfen und als CDU-Mann reüssiert.“ So lese ich in einem Beitrag von t-online. Man hat mit Schwarz ein Interview geführt. Dass Laschet die SPD aus der Regierung geworfen hat, stimmt. Aber ohne Laschets Verdienste schmälern zu wollen: Selten hat eine Landesregierung wie die damals von Hannelore Kraft geführte Rot-Grüne eine Wahl so ohne Gegenwehr verloren, ohne richtigen Wahlkampf. Mit so vielen Eigentoren dem Gegner das Spielfeld überlassen und am Ende das Spiel gegen die CDU verdient vergeigt. Aber, auch das gehört hierhin: Armin Laschet hat eben das Quäntchen Glück gehabt, er ist gewählt und regiert seitdem mit der schwachen FDP und mit nur einer Stimme Mehrheit ziemlich geräuschlos, von der SPD hört man wenig auf der Oppositionsbank.
Wer schon etwas länger im politischen Geschäft tätig ist oder einen Blick ins Archiv wirft, findet zu Laschet auch jene merkwürdige Geschichte aus seiner Zeit als Dozent an der Uni Aachen. Er hatte im Sommer 2014 ein Seminar des Masterstudiengangs für Europastudien geleitet, die dazu gehörenden Klausuren gingen aber ebenso verloren wie die dafür vergebenen Noten, Laschet zufolge auf dem Postweg zur Uni. Es folgte eine nachträgliche Benotung der Kursteilnehmer durch Laschet, was aber keine Klarheit schaffte. Denn einerseits fehlte am Ende eine Note und andererseits hatte der Dozent Laschet 35 Noten vergeben, obwohl nur 21 zur Klausur angemeldet waren. Später urteilte das Wissenschaftsministerium: Laschet habe es an der notwendigen Sorgfalt fehlen lassen.
Eine Petitesse, längst vergessen. Denn Armin Laschet ist auch ein fröhlicher Zeitgenosse, der kaum Gegner hat in der CDU, geschweige denn Feinde. Er kann mit fast allen, weil er zuhört, in Diskussions-Runden nicht dominieren, schon gar nicht belehren will. Es wird auch kaum vorkommen, dass er einem ins Wort fallen würde. Was er genau will, weiß kaum einer. Das hängt auch mit dem zuvor Geschilderten zusammen und auch damit, dass er ziemlich uneitel daher kommt, kein Einzelspieler ist, sondern im Team agiert. Man frage mal seinen Innenminister Herbert Reul, der ihn wohl am längsten kennt und den Laschet werkeln lässt. Gegen die Clan-Struktur in Ruhrgebietsstädten zum Beispiel. Das gefällt seinen politischen Gegnern nicht, aber seinen Anhängern sehr wohl, darunter vielen normalen Bürgerinnen und Bürgern, denen er signalisiert: Ich kämpfe gegen die Kriminellen und verstehe eure Ängste.
Er warnt, mahnt und sorgt sich
In der Corona-Pandemie machte er anfangs eine eher zögerliche Figur, erweckte den Eindruck, als wollte er anders als sein bayerischer Amtskollege Söder alles laufen lassen, bloß nicht den Bürgern Bewegungsspielräume nehmen. Dass Merkel von „Öffnungsdiskussionsorgien“ sprach, war wohl in seine Richtung gemünzt. Laschet ist halt kein Schnellschütze, der die Überschrift in der Boulevard-Presse sucht, aber längst hat er den Kurs verändert, warnt und mahnt, weil er sich wie Merkel um die Gesundheit der Menschen Sorgen macht. Dass Menschen in Altenheimen in der ersten Phase der Pandemie einsam und allein sterben mussten, weil die Heime für Besucher geschlossen waren, hat er als schweren Fehler eingestanden, weil er das Leid der Mitmenschen, das damit einherging, erkannt hatte. Auch das ist Laschet.
Friedrich Merz ist ein anderes Kaliber. Er hat einen Pilotenschein und könnte Termine mit dem eigenen Flugzeug anfliegen. Ganz Geschäftsmann, schnell, laut, auch vorlaut, ja auch frech, andere bescheinigen ihm rhetorische Wucht und Schlagfertigkeit(SZ). Er hat in den 90er Jahren mal den Redner-Preis des Bundestages gewonnen. Merz demonstriert Führungswille, was einigen gefällt, weil sie diese Führung an Merkel vermisst haben. Dagegen möchte ich halten, dass sie die etwas leisere Führungskunst der Kanzlerin halt übersehen haben. Merkel muss vieles im Blickwinkel haben, innen- wie außenpolitisch, die Interessen der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber, der Gewerkschaften, der Bundeswehr, der Nato, sie hat Deutschlands Rolle in der EU und der Welt zu vertreten und vieles weitere mehr. Dagegen einer wie Merz, der sich von der Tribüne aus über Jahre das Schauspiel im Bundestag angeschaut und angehört und es entsprechend kritisiert hat. Nicht immer zur Freude derer, denen er etwas an den Kopf warf. So als er die Arbeit der Groko in Grund und Boden redete. Er gilt als unbeherrscht, was nicht ohne Risiko wäre für einen CDU-Chef und Kanzler Merz, der ja nicht allein wäre in dieser Welt.
Nein, er ist kein Mannschaftsspieler, keiner, der den kleinen Mann oder die kleine Frau im Auge hat und deren Sorgen. Merz will das große Spiel, so wie er in seinen Zeiten außerhalb der Politik das große Geld verdient hat und nach eigenen Angaben Millionär geworden ist. Was keinen Neid auslösen sollte. Andere haben die Arbeit in der Politik dem Streben nach Geldverdienen in der Wirtschaft vorgezogen.
Er gilt als Anti-Merkel, was immer das heißen mag. Es kann positiv gemeint sein und negativ. Positiv in dem Sinne, dass mit einem Merz an der Spitze alles anders werde. Aber was ist damit gemeint? Steuersenkungen etwa für Unternehmer? Weniger Einsatz fürs Klima, damit die Wirtschaft brummt und nicht schwächelt? Vorwärts könnte sein Motto lauten. Anti-Merkel, das könnte seinen Ursprung auch in der Zeit haben, als er den Platz für Angela Merkel freimachte. In der Öffentlichkeit wurde fast immer die Legende erzählt, Merkel habe Merz weggebissen. Die Wahrheit ist: Als Merkel ihren Anspruch auf den Fraktionsvorsitz in der Union anmeldete, war Merz amtierender Chef der Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Er hätte um sein Amt kämpfen können, aber er verzichtete, er kniff vor einer Kampfabstimmung, deren Ausgang damals Anfang der 2000er Jahre ziemlich offen war. Angela Merkel war noch nicht die machtvolle CDU-Frau. Dass er sich später oft negativ ausließ über die Kanzlerin, geschenkt, sie wird es wissen. Und man geht wohl nicht zu weit, wenn man annimmt, dass Merkel Merz nicht stützen wird.
Rache an Merkel
Seine Freunde in der Wirtschaft würden ihn freudestrahlend als neuen CDU-Chef empfangen, aber deren Einfluss in der CDU ist eher gering. Auch die Stimmen der Jungen Union, die sich für Merz ausgesprochen haben, sollte man nicht überschätzen. So groß ist ihr Stimmenanteil auf dem Parteitag nicht. Aus Baden-Württemberg haben sich Unterstützer gemeldet, es bleibt abzuwarten, ob der früher sehr einflussreiche Landesverband wirklich in Gänze pro Merz stimmen wird. Zweifel sind angebracht, weil auch die CDU in Stuttgart und Umgebung eine andere geworden ist. Sie regiert mit den Grünen das Ländle, als Junior-Partner unter dem Grünen-Ministerpräsidenten Kretschmann. Einer wie der Alt-CDUler Schwarz urteilt über Merz im erwähnten t-online-Gespräch: „Der ist ein guter Kaufmann und meint, er könnte ein guter Parteivorsitzender sein.“ Heinz Schwarz ist überzeugt, dass Merz nur Rache an Merkel nehmen wolle, weil mit ihr sehr konservative Positionen aufgegeben worden seien. Man müsse doch zur Kenntnis nehmen, dass sich die Gesellschaft gewandelt habe, die Kirchen seien auch nicht mehr voll. Merz sei nicht der „Repräsentant der CDU“, etwas, das man nicht lernen könne, sondern leben müsse. Der sei „zehn Jahre draußen, wisse gar nicht mehr, was die CDU ist.“ Mit Merz als CDU-Vorsitzendem befürchtet Schwarz den Beginn eines Niedergangs der Partei.
Eine andere Version über Friedrich Merz lese ich im Bonner „General-Anzeiger“. Unter der Überschrift „Zerstörung der Schumann-Klause“ erfährt man etwas aus der angeblichen Sturm-und-Drangzeit des einstigen Jura-Studenten Merz, von den sogenannten wilden Jahren der Bonner Republik. Damals, das stimmt, traf sich ein Teil der linken Szene in der Schumann-Klause Ecke Schumann-/Weberstraße. Offenbar sehr zum Ärger des Friedrich Merz. Mit erhobener Faust sei er immer mit seinen Verbindungsbrüdern vorbeimarschiert, so wird aus einem früheren Tagesspiegel-Interview vor 20 Jahren zitiert. Merz habe sich demnach überlegt, „dass wir da mal reinmarschieren und einen kleinen Bürgerkrieg mit denen anzetteln sollen.“ So weit kam es nicht, aber Freunde von ihm- „ich schwöre, ich war nicht dabei“- hätten einen Müllcontainer durch die Fensterscheibe geschmissen und das Lokal in Schutt und Asche gelegt.“ Komisch an der Geschichte ist nur, dass der Besitzer der Schumann-Klause, Friedel Drautzburg, diese Story nicht kennt, die von den Merz-Freunden als politische Großtat gefeiert worden sei. Auch die Bonner Polizei weiß von diesem Anschlag nichts wie andere in der Klause gern gesehene Gäste wie Ulrich Wickert. Großsprecherei also?
Kommen wir zum nächsten CDU-Helden: Norbert Röttgen, dessen Kandidatur einige nie ernstgenommen haben. Röttgen ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, als solcher war er in den letzten Wochen pausenlos auf dem Fernseh-Schirm zu sehen und zu hören mit klugen Einlassungen zu Trump und der US-amerikanischen Politik. Röttgen hatte nach dem Ausscheiden von Jürgen Rüttgers in NRW die parteiinterne Abstimmung gegen Laschet gewonnen und trat als Spitzenkandidat für die NRW-Landtagswahl 2012 gegen Hannelore Kraft an. Und er verlor krachend, weil er gar nicht in die Landschaft gepasst hat. Innenpolitik war nie sein Revier, das Regionale noch weniger. Lieber schwelgte er über den Köpfen der Menschen und ließ sich über die Welt und deren Probleme aus. Ein schwerer Fehler war es, dass er es ablehnte, im Falle einer Niederlage in den NRW-Landtag zu gehen, oder soll ich besser sagen: abzusteigen. Merkel warf ihn, er war damals Bundesumweltminister, aus dem Kabinett, Röttgen war plötzlich ziemlich unten angekommen.
Als Außenpolitiker präsent
Man muss ihm zugute halten, dass er wieder aufgestanden ist, dass er präsent ist und sich einmischt. Als Außenpolitiker, den man sich noch besser als Leiter eines Think-Tanks vorstellen kann, um dort Entwürfe für die Welt von morgen zu liefern. Dabei ist er zum Beispiel in der Russland-Politik eher ein Vertreter von Gestern oder Vorgestern. Man wähnt sich wie im Kalten Krieg, wenn man ihm zuhört, Putins Russland ist der Erzfeind, da kennt er keine Gnade. Dass damals bei der Wende dank Gorbatschow die Mauer ohne einen Schuss fiel, dass der Westen „Gorbi“ signalisiert hatte, die Nato werde keinen Schritt Richtung Osten tun, kein Thema für ihn. Kritiker aus der eigenen Partei halten ihm vor, vor der KSZE-Schlussakte von Helsinki stehen geblieben zu sein. Was gewiss übertrieben ist.
Röttgen gilt als Streber und Besserwisser, vor dem Krach mit Merkel als „Muttis Liebling“. Anders als Laschet kann er nicht mit den Menschen, aber er hat auch, was Laschet fehlt: Über das große Ganze zu reden, ist seine Stärke, über Europa, die Wirtschaft, die Welt, die Umwelt. Immer vorneweg. Er weiß, dass er viel weiß und lässt es die anderen spüren. Volkstümlich ist er nicht, auch wenn die SZ eine Passage über ihn in ihrer Gesamtübersicht über alle Kandidaten für den CDU-Vorsitz bringt: er mag Koalas und seine Hündin heißt Crissy und beim Gassigehen trägt er keine Krawatte. Wau.
Stellt man die Frage nach der Koalition, mit der die Kandidaten regieren würden, legt sich Laschet auf die FDP fest. Er regiert in NRW mit den Liberalen ohne Probleme, er kennt Lindner. Und vergisst dabei die Schwäche der FDP im Bund? Die Liberalen haben in Umfragen zu kämpfen, kaum, dass sie die fünf-vh-Hürde gut überspringen. Dabei kann Laschet eigentlich mit den Grünen, er gehörte einst zur Pizza-Connection in Bonn, die beim Italiener „Sassella“ tafelte und die Welt verbessern wollte. Bei Friedrich Merz liegen die Dinge anders, er würde notfalls gewiss auch mit den Grünen regieren, aber ob die auch mit ihm eine Regierung bilden würden, sei dahingestellt. Und Röttgen? Es wäre eine große Überraschung, ja fast eine Sensation, wenn er als Sieger aus diesem virtuellen Parteitag hervorginge. Bliebe noch ein Satz zu Söder, der ja irgendwie immer dabei ist, wenn man über die CDU und das Kanzleramt redet. Ich glaube nicht, dass er als Kanzlerkandidat der Union antritt. Er genießt es, dass viel über ihn geredet und geschrieben wird, aber er bleibe, so Insider, in Bayern und versuche, bei der nächsten Landtagswahl die CSU wieder über 40 Prozent zu bringen.
Aber eines stimmt: Es wird ein Mann, so oder so.
Bildquelle: Pixabay, Bild von LouMaria, Pixabay License