Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) über das „Quantitative Easing“ war auch der Startschuss zu einer noch härteren Runde im erbitterten ökonomischen Richtungskampf der EU. Dabei ist geldpolitisch Deutschland das Zentrum der Dauerkritik an der EZB. Seitdem Mario Draghi seine Entschlossenheit zu einem groß angelegten Ankauf von Staatsanleihen signalisiert hat, haben sich diese permanenten Attacken zu einem Proteststurm verstärkt. Der EZB-Chef steht ohne Zweifel am Pranger von Politik, Wissenschaft, Verbänden und Medien des wirtschaftlich stärksten Mitgliedstaats der EU.
Und unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel krümmte bei ihrer Rede in Davos natürlich keinen Finger, um Draghi bei seinem schweren Gang vor die Presse zu unterstützen. Ganz im Gegenteil: mit ihrem diffus-zwiespältigen Statement zur gleichzeitigen Entscheidung der EZB provozierte sie, wie immer geschickt, die Medien zu der Interpretation, dass sie trotz des formalen Bekenntnisses zur Unabhängigkeit der EZB eigentlich gegen die Strategie des Staatsanleihekaufs sei. Diese Distanz zur EZB macht sich dann auch taktisch gut mit Blick auf die unangenehme Konkurrenz der AfD bei den anstehenden Wahlen in Hamburg und Bremen. Jens Weidmann, ihr jahrelanger Vertrauter im Bundeskanzleramt und heutiger Präsident der Deutschen Bundesbank, hat dagegen ganz offen schon Monate vorher die deutsche Kritikwelle als Kronzeuge angeführt.
Die EZB als „Ausputzer der Politik“
Dabei hätte die Bundeskanzlerin wirklich viele Gründe gehabt, sich einmal öffentlich bei der EZB und insbesondere bei Draghi für deren erfolgreiche Feuerwehreinsätze in der Eurokrise zu bedanken. Die EZB spielte immer dann erfolgreich die Rolle als „Ausputzer“, wenn die Politik des Europäischen Rats der Regierungsspitzen einfach zu langsam war oder schlicht versagt hatte:
– Ob bei den blitzschnellen Milliardenspritzen neuer Liquidität zur Rettung des europäischen Bankensystems mit der „ Bazooka“ oder „Dicken Berta“ , als der Interbanken- Kreditmarkt schon völlig ausgetrocknet war. Dies übrigens trotz massiver Kritik der Bundesbankspitze, die ein steigendes Inflationspotenzial beschwor, woran sich die Realität sinkender Inflationsraten dann peinlicherweise nicht hielt.
– Ob es Mario Draghis legendäre Londoner Garantie für den Euro am 26. Juli 2012 war, die in Wahrheit das Beben der Kapitalmärkte in der Eurozone nachhaltig bis heute beruhigte: Seit dieser in Deutschland heftig umstrittenen, aber umso erfolgreicheren Rede wurde Draghi international ganz schlicht zum „Super Mario“.
Fest steht doch, dass nicht der auf den sogenannten Eurogipfeln unter der Führung von Angela Merkel als „ Euroqueen“ viel zu langsam zusammengenähte Flickenteppich an politischen Krisenbeschlüssen den europäischen Finanzmarkt in wirklich brenzligen Notlagen stabilisiert hat. Die politische Klasse Europas weiß auch sehr genau, dass ihr die EZB mit ihren blitzschnellen Interventionen immer wieder Zeit für ein effektiveres politisches Krisenmanagement kaufen musste, um die wacklige Euro-Konstruktion zu stabilisieren. Draghi hat selbst immer gewarnt, dass die EZB nicht diese finanz- und wirtschaftspolitische Stabilisierung der anfälligen Währungsunion leisten könne. Die politische Führungsebene hat bei der Europäischen Währungsunion im Kontrast zu feierlichen Reden von Anfang an sträflich getrickst und versagt.
So wurden die Stabilitätsregeln und Sanktionen beim Aufbau der Währungsunion weder hinreichend verbindlich definiert, noch seriös eingehalten. Und genauso wenig sind der später nach Ausbruch der Eurokrise geschaffene Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) oder die Europäische Bankenunion kausal wirksame Instrumente zur Verhinderung neuer Turbulenzen, sondern bestenfalls zu deren mühseliger Abfederung.
Was haben Draghis Kritiker zu bieten?
Sicher ist der Ankauf von Staatsanleihen kein Patentrezept mit hundertprozentiger Erfolgsgarantie. Es gibt, wie immer, wenn man handelt, auch Risiken und Nachteile. Aber was hätten eigentlich die Sparer von höheren Zinsen, wenn sie im Falle einer nicht ausschließbaren deflationären Spirale oder eines Zusammenbruchs der Eurozone ihren Arbeitsplatz verlieren?
Was blieb der EZB denn eigentlich in einer ökonomisch tief gespaltenen und instabilen Eurozone, die inzwischen der Bremsklotz der Weltkonjunktur ist, nach allem politischen Versagen und zumindest nicht ausschliessbarer Deflation noch übrig, als die Option des „ Quantitative Easing“ zu ziehen? Zumindest in den USA hat das „Quantitative Easing“ der Amerikanischen Notenbank FED bei der wirtschaftlichen Belebung bemerkenswerte Erfolge erzielt, als die staatliche Konjunkturpolitik durch den Streit im Kongress weitgehend blockiert war. Und die kritischen Hinweise auf die japanische Stagnation ziehen einfach deshalb nicht, weil dort dieses Instrument viel zu spät nach Eintritt in die Deflation eingesetzt wurde.
In Wahrheit haben die Kritiker an Draghis Ankaufsprogramm in einer höchstgefährlichen Situation der Eurozone keine konstruktive Alternative zu bieten: Nur die passive Hoffnung, auf weiter sinkende Ölpreise zu setzen, ist angesichts der bedrohlichen Nähe der Deflation geradezu heldenhaft, aber unverantwortlich. Und die von Jean Claude Juncker angestoßene europäische Investitionsoffensive wird bei den langwierigen Planungen frühestens 2017 den Wirtschaftskreislauf beleben. Damit ist das gestartete EZB- Programm trotz aller Risiken des Nachlassens politischer Anstrengungen in den Krisenländern immer noch die „beste Chance“.
Draghi riskiert unter Risiken eine Strategie, die in den USA unter etwas anderen Bedingungen gezogen hat. Seine Kritiker stehen daneben und erzählen, was alles an Zielkonflikten eintreten könnte und noch Schlauere warten ab, auf welche Seite sie sich bei Erfolg oder Misserfolg schlagen werden. Einstweilen ist der EZB- Chef der „beliebteste“ Buhmann der ökonomischen Debatte in Deutschland.
Versagen des neoliberalen Krisenmanagements
Das kausal zentrale Dilemma der Eurozone liegt in dem bisher ungelösten Widerspruch, dass die von Berlin in der EU durchgesetzte neoliberale Reformpolitik makroökonomisch einseitig zur sparpolitischen Nachfragedrosselung in den Krisenländern pervertiert wurde. Der „ Lohn“ dieses deformierten Reformkonzepts war nicht das ständig versprochene Wachstum, sondern ein schon jahrelang anhaltendes „ ökonomisches Kriechtum“ der Eurozone entlang der Null- Linie. Dieser makroökonomisch naive Kurs, den Angela Merkel durch das Gewicht des stärksten EU- Mitgliedsstaats in der gesamten Eurozone durchsetzte, verschlimmerte die Schuldenkrise und Arbeitsmarktsituation der durch Hilfsmaßnahmen „unterstützten“ Krisenländer dramatisch.
Bei allem notwendigen Reformbedarf in staatlicher Administration, auf dem Arbeitsmarkt, im Steuerwesen und der gebotenen seriöseren Haushaltspolitik ruinierte dieser Missbrauch des Reformbegriffs in Form einer einseitigen Austerity- Politik ganze Volkswirtschaften und die staatliche Einnahmenseite der Krisenländer. Die Staatsverschuldung der Krisenländer ist während diesem dilettantischen volkswirtschaftlichen Würgekurs geradezu explodiert.
Die Hoffnung, dass aus einer reinen makroökonomischen Verzichtsethik heraus neue Prosperität als Belohnung für den jahrelangen Leidensdruck ganzer Völker erblüht, ist aber eher Ausdruck puritanischer Gesinnung als makroökonomischen Sachverstands.
Verhärteter ökonomischer Richtungsstreit
Die Eurozone hält die wachsende Spaltung zwischen dem export- und zinspolitisch profitierenden Deutschland und den wettbewerbsschwächeren Nachbarn nicht mehr lange aus. Dies hat auch politische Gründe, weil der radikale Protest links und rechts angesichts der verheerenden Lage und auch gegen eine anmaßend belehrende Attitude Berlins in den zurückgefallenen Ländern wächst. Die gilt nicht nur für Griechenland, sondern auch für Italien, Spanien oder Frankreich.
Die Entscheidung im EZB- Rat gegen die Position der deutschen Bundesbank war daher sicher der Start für eine neue Runde im erbitterten ökonomischen Richtungsstreit der EU. Nach einem jahrelangen Niedergang in den Krisenländern wird man sich dort der neoliberalen Denkschule Berlins nicht mehr beugen.
Eine Perspektive für Griechenland
Die verlorenen letzten Jahre haben gezeigt: Am deutschen Austerity-Kurs wird die Eurozone jedenfalls nicht mehr genesen: Schon gar nicht Griechenland, wo nach der Wahl nur noch eine wachstumsabhängige Regelung der jährlichen Zinszahlungen dem Land eine Perspektive geben kann: 175% Staatsverschuldung sind anders einfach nicht mehr abbaubar.
Dies gilt aber auch für die Umsetzung der von Jean Claude Juncker initiierten Investitionsoffensive der EU-Kommission, die zum ersten Mal nicht nur rhetorisch der Notwendigkeit seriöser Haushaltsführung einerseits die Notwendigkeit beschäftigungsfördernder Infrastruktur- und Wachstumspolitik andererseits gegenüber stellt. Diese Politikwende ist auch für ganz andere ökonomische Kaliber wie das kleine Griechenland, nämlich für Italien, Spanien und Frankreich als zentrale Player der Eurozone, existenziell entscheidend.
Sollte diese Kurskorrektur durch den Europäischen Rat der Regierungsspitzen im Konflikt mit der EU- Kommission und dem EU-Parlament von Berlin unterlaufen werden, wird sich die Eurozone ökonomisch und politisch spalten sowie zwangsläufig zerfallen. Ein solcher Ausgang des durch den neuesten EZB- Beschluss zweifelsohne verhärteten ökonomischen Richtungsstreits wäre fatal. Die EU würde dann bestenfalls auf das Niveau einer Freihandelszone abgewickelt.