„Der Superspreader“. So kann man einen Jahresrückblick auch betiteln, wenn man ein findiger Karikaturist ist wie Heiko Sakurai. Eine Rückblende, die mir in Buch-Form vorliegt. Man muss die Hauptfigur nicht mögen, aber dennoch steht Donald Trump im Zentrum des Buches, aufgespießt eben von Sakurai. Und er zeigt Donald Trump, wie er leibt und lebt, ungeschminkt, abstoßend. Ich. Ich. Ich. Ein Bild, das alles sagt: Der Superspreader reißt das Maul auf und spuckt quasi all seine Verachtung den Leuten entgegen, um in seiner brutalen Art klarzumachen, was er politisch will: Spaltung und Hass. Ein US-Präsident als Demokratieverächter, weltweit berüchtigt auch als Lügner, der die verlorene Wahl gegen Joe Biden nicht anerkennt, weil er ohne Beweise seit Wochen behauptet, man habe ihm die Wahl gestohlen. Der Lügner spricht von Betrug, es wäre zum Lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Trump sitzt als US -Präsident schließlich am Hebel der Macht.
Ein speiender US-Präsident als Aufmacher, den der Zeichner zu Beginn eines jeden Monats mit derselben Karikatur wieder aufnimmt. Ein solcher Vergleich wäre bei Obama nicht möglich. Welten unterscheiden sie im Benehmen, im öffentlichen Auftreten. Der eine gebildet, fast fein zu nennen, einer, der zusammenführt, der andere, der spalten will, der nur sich kennt, seinen Vorteil und dem die Demokratie und ihre Spielregeln egal sind. Hauptsache, er gewinnt. Das Bild passt zum Titel des Cartoon-Buchs: „Der Superspreader.“ Dem mächtigsten Mann der Welt gehört auch die Schlußzeichnung in dem Buch mit der Sprechblase: „Der Ball ist drin!“ schreit der Präsident und deutet auf den Golfball, der klar neben dem Loch liegt. Und Trump ergänzt, wie wir ihn kennen: „Das Loch betrügt. Ich verklage das Loch!!!“ Besser kann man das nicht zusammenfassen, mit wenigen Worten und ein paar Strichen, was die Welt in diesem Jahr bewegt und was dieser Mann im Weißen Haus uns zugemutet hat. Klagen über Klagen, die er bisher alle verloren hat, sogar der Supreme Court wies ihn ab, das oberste Gericht des Landes, auf dessen Besetzung er kurz vor der Wahl noch eingewirkt hatte. Zum Glück ohne Erfolg.
Der Karikaturist muss das alles im Kopf haben, er muss die Themen kennen, die Vorlieben der Redaktion, den Geschmack des Chefredakteurs, der im Zweifel verantwortlich ist auch für den Inhalt der Zeichnungen. Denn die Karikatur soll überspitzen, sie darf nicht langweilig sein, sie darf aber auch nicht beleidigen. Ein schmaler Grat, auf dem Zeichner und Redakteure sich bewegen. Der Leitartikler der Zeitung hat 80, 90, 120 Zeilen, um seine Meinung darzulegen, er kann argumentieren, kann die Pros und Contras gegenüberstellen, analysieren. Der Karikaturist hat nur einen Schuß und der muss sitzen.
Ich habe das als Politik-Chef und stellvertretender Chefredakteur der WAZ ein paar Jahre erlebt und weiß, wie schwierig es ist, täglich eine gelungene Karikatur ins Blatt zu heben. Die Suche nach dem Thema ist nicht immer einfach, manchmal Schwerstarbeit. Man frage Heiko Sakurai, mit dem ich jahrelang zusammengearbeitet habe. Manchmal konnten wir uns erst nach drei längeren Telefonaten auf ein Thema und eine Zeichnung einigen. Ich kann mir vorstellen, dass er gelegentlich geschwitzt (oder geschimpft?)hat, weil ich unschlüssig war. Ein Zeichner wie Heiko Sakurai hat einen langen Arbeitstag, der in der Früh um kurz nach acht Uhr beginnt, kaum eine längere Mittagspause kennt und der erst am Abend endet. Dazwischen muss er Nachrichten im Internet und auf Phönix verfolgen, viele Zeitungen lesen,einen Blick auf die Karikaturen der Kollegen in anderen Blättern werfen, Skizzen anlegen und sie den Kunden in ganz Deutschland senden. Dann kommen die Telefonate mit den Politik-Chefs, es wird geredet, gestritten, gerungen, ehe grünes Licht gegeben wird. Frei hat er nur an Samstagen, denn am Sonntag wird die Zeitung für den Montag gemacht, auch die Karikatur.Ein Traumjob?
Spaltung, Hass und Lüge
Spaltung, Hass und Lüge, diese Untugenden stehen für einen Präsidenten, den selbst die Pandemie mit Tausenden von Toten im Grunde nicht interessiert. Sonst hätte er keine Witze gemacht darüber, oder meinte er es im Ernst, als er davon faselte, mit dem Schlucken von Spülmitteln sich gegen das Virus zu schützen? Der Zeichner bringt es auf den Punkt, gemeint den Strich.
Möglich ist fast alles bei diesem Trump, der dann meint triumphieren zu können, als Amerika den Impfstoff in der Hand hält, was er natürlich sich selber zuschreibt, obwohl er die Pandemie geleugnet hat. Es ist eines der Themen des Jahres für einen Karikaturisten wie Heiko Sakurai, der in früheren Jahren die Kanzlerin in den Fokus seiner Zeichnungen gestellt hatte, aber in diesem Jahr eben mehr den Blick auf Amerika gerichtet hat. Dass die US-Wahlleute am Ende für den neuen Mann im Weißen Haus gestimmt haben und damit gegen Trump, der immer noch nicht die Wahlniederlage anerkannt hat, konnte der Zeichner in seinem Cartoon-Buch nicht mehr vermerken. Das Buch musste schließlich schon Ende November gedruckt werden, damit es pünktlich kurz vor Weihnachten auf den Markt kommen kann. Die Demokratie in den Vereinigten Staaten hat sich als stärker erwiesen, darf man ergänzen, die Verfassung des Landes hat gezeigt, dass sie-obwohl seit 1789 in Kraft-noch nicht morsch ist, sondern stark genug, um einen wie Trump zu stoppen, der mehr im Stile eines Autokraten auftritt und meint, sich alles erlauben zu können. Er ist ein gefährlicher Politiker, und dass so viele Republikaner ihm jetzt noch folgen, ist ein Alarmzeichen.
Es stimmt für Amerika wie für Deutschland, was Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier angesichts von Angriffen auf die deutsche Demokratie gesagt hat: Eine Demokratie braucht Demokraten, die sie notfalls verteidigen, sie überlebt nicht von selbst. Im Kampf gegen Populisten und Nationalisten, Fremdenfeinde, Rassisten und Nazis ist der Bürger gefordert. Geschichte lehrt, was alles schiefgehen kann.
Die Karikatur ist der zweite Leitartikel, heißt es schon seit Jahren. Der Leser der „Süddeutschen Zeitung“ zum Beispiel kennt diesen Lehrsatz. Die tägliche Karikatur steht auf der vierten Seite, direkt neben dem Leitartikel. Sie schmückt diese Meinungsseite, weil darunter weitere einordnende Beiträge der Redakteure folgen. Ähnlich sieht es auch in den Zeitungen aus, für die Sakurai die Karikaturen liefert. Das gilt für die WAZ ebenso wie die Berliner Zeitung, die Schwäbische Zeitung, den Bonner Generalanzeiger, den Kölner Stadtanzeiger, den Münchner Merkur, die tz, die Badische Zeitung und die Rhein-Neckar-Zeitung. Karikaturen sind das Salz in der Suppe. Was wären Zeitungen ohne Sie!?
Neben Amerika nimmt Heiko Sakurai in seinem Rückblick die neue SPD-Führung auf die Hörner (oder besser auf die Feder?). Die Sprechblase über Nowabo und Esken in einem Boot in stürmischer See sagt alles: „… und dann müssen wir nur noch die Fluten teilen, um trockenen Fußes in die gelobte Zukunft zu gelangen.“
Das war zu Beginn des Jahres 2020 oder besser zum Ende von 2019 der Wunsch der beiden SPD-Chefs, die Groko zu verlassen, um dann möglichst bald den Sprung nach oben zu schaffen. Doch der Leser weiß längst, dass es andes kam als erträumt. Die SPD sitzt immer noch in Merkels Kabinett, macht gute Arbeit dort durch ihre Minister Scholz, Heil und Giffey. Aber in Meinungs-Umfragen konnten die Sozialdemokraten sich nicht verbessern. 30 vh wären für die SPD schön, aber es ist nur ein Traum, die Realität heißt: 15 vh.
Merkel, Putin, Homeschooling
Normalerweise ist die Kanzlerin-oder der Kanzler- das Lieblingsobjekt eines jeden Zeichners. Das traf auf Angela Merkel alle Jahre zu wie vorher auf Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Wenn man genau hinschaute, sah man bei Kohl in der Karikatur die Birne durch, bei Schröder war es der kantige Kopf, der auffiel, bei Merkel ist es die etwas herungerhängende Unterlippe, die der Zeichner dezent ins Bild setzt. Angela Merkel ist auch dieses Jahr ein herausragendes Thema in Sakurais Karikaturen-Rückblende. Sie dreht ihre letzte Runde, wenn man will, der Zeichner bringt sie immer wieder in Spiel auch bei der Suche nach einem neuen CDU-Vorsitzenden.Wobei es im Grunde ja um ihre eigene Nachfolge geht, denn der CDU-Chef hat ja auch den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur. Allerdings ist dieses Mal einiges anders, weil die von Merkel zunächst ausgesuchte Annegret Kramp-Karrenbauer es nicht geschafft hat, den CDU-Karren zu ziehen. Jetzt stehen nur Männer zur Verfügung, der Merz, der Röttgen, ja und der Laschet. Sakurai bringt sie ins Bild und zeigt das ganze Durcheinander in der Union, er zeigt auch den Armin Laschet, der als Favorit gestartet war, aber dann ins Hintertreffen geraten ist. Man sieht ihn in der Zeichnung, als suchte er Trost. Die langen Gespräche der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten über die Pandemie und wie man ihr begegnen soll angesichts von vielen Toten und täglich Tausenden von Infektionen sind ein heikles Thema, das man mit Fingerspitzen-Gefühl und Anstand, ohne andere zu verletzen, in eine Zeichnung bringen muss. Ein Friedhof ist ein Ort der Stille. Markus Söder, der Bayer aus Nürnberg, hat sich nach vorn gearbeitet, entsprechend findet er bei den Zeichnern statt, im Kampf mit dem Virus, dann fechtend mit Armin Laschet. Wer hier gewinnt, ist völlig offen.
Wer das Jahr 2020 Revue passieren lässt, wird merken, was es alles an Themen und Problemen gab, die einige von uns schon wieder vergessen haben. Der Klimawandel zählt nicht dazu, weil er aktuell bleibt und über die Zukunft unseres Planeten entscheidet. Wobei man genauer sagen müsste, darüber entscheiden schon die Menschen mit ihrer Art zu leben. Der Klimawandel wird vom Karikaturisten zwar nicht ins Zentrum gerückt, aber der Leser merkt seine Bedeutung angesichts einer sich dramatisch erwärmenden Erde. Das ist natürlich, weil eine sich weiter erwärmende Erde Teile anderer Regionen unfruchtbar machen und unbewohnbar machen würde mit der Folge, dass Millionen Flüchltinge sich auf den Weg machen. Auch nach Europa. Mauern werden da nicht helfen.
Europa, der Brexit, das hat uns das ganze Jahr beschäftigt. Europa bleibt auf der Agenda, weil es wichtig ist. Es ist wichtig, für die Werte des Abendlandes zu kämpfen, für Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit,eine unabhängige Justiz. Noch ist Polen nicht verloren, könnte man mit den Demonstranten in Warschau und anderswo singen. Und auch die Zukunft Ungarns unter Orban ist uns nicht gleichgültig, er darf nicht den Takt angeben nach seinem Gusto. Die Werte Europas müssen auch in Budapest gelten. Die Karikaturisten hatten in 2020 viel zu tun. Sie sollten einen Blick in das Cartoon-Buch werfen, um sich zu erinnern, was alles war, wie alles war, wie schön, wie ärgerlich.
Russlands Präsident Putin muss es sich gefallen lassen, dass er im Zusammenhang mit dem Anschlag auf Kreml-Kritiker Nawalny ins Blickfeld des Karikaturisten gerät. Und natürlich lässt sich der Zeichner den Fall Lukaschenko nicht entgehen mit der Amtshilfe aus Moskau.Seit Wochen demonstrieren Tausende und Abertausende gegen einen der letzten Autokraten in Europa, sie protestieren, weil sie seiner Herrschaft überdrüssig sind, weil sie ihm Wahlbetrug vorwerfen. Er mag jetzt noch überleben, irgendwann wird er fallen.
Der Lockdown und die Folgen wird manchen Leser, der Schulkinder hat, an seine neue Rolle erinnern. Homeschooling bleibt nicht ohne Folgen auch für die Eltern, die sich plötzlich wieder an Sinus, Cosinus und Pythagoras versuchen müssen, um Nachfragen der Kinder zu beantworten. So besagt es die Sprechblase, so kann man das Schild an einer verschlossenen Tür mit der Aufschrift „Nicht stören“ auslegen. Und an anderer Stelle prosten sich die Eltern mit einem Glas Sekt zu und feiern die Wiedereröffnung der Grundschule, die Sprechblase an die Kinder sagt alles: „Nehmt es bitte nicht persönlich!“ Ob Sakurai eigene Erfahrungen mit seinen Kindern hat?
Der Fleischskandal, der das Land und die Verbraucher verunsichert hat, wird vom Zeichner nicht ausgespart. Und Milliardär Tönnies findet mit seinem Rücktritt als Aufsichtsratschef von Schalke auch seinen Platz in dem Buch. Wobei die Frage noch irgendwann von den Experten beantworten werden sollte, wer denn von dieser früheren Zusammenarbeit mehr profitiert hat: Schalke oder der Metzger aus Rheda-Wiedenbrück, der sein Fleisch nach Russland und jetzt auch nach China verkauft.
Aufstieg der Grünen
40 Jahre Aufstieg in Kurven, beginnt Sakurai seinen Text zum Aufstieg der Grünen. Sie begannen mit Bärten und langen Mähnen und den dazu passenden Kleidern, selbst gefertigt, könnte man meinen. Dann ist Joschka Fischer schon eine Etage aufgestiegen mit Anzug und Schuhen, darüber sieht man die nächsten Grünen auf dem Weg nach oben und ganz oben marschieren die Vorsitzenden Habeck und Baerbock aufs Kanzleramt zu. Ja, wer hätte das gedacht, als die Grünen 1980 in Karlsruhe gegründet wurden. Ich war als Redakteur der WAZ dabei, es ging ziemlich drüber und drunter bei der Gründung.
Der Leser des Cartoon-Buchs erkennt, dass Heiko Sakurai(Jahrgang 1971) früh Asterix und Obelix gelesen und die Cartoons bewundert hat. Von dort war der Weg zur Karikatur nicht mehr weit. Er begann als Student der Germanistikan der Uni Münster als Zeichner für Lokalzeitungen, Ende der 90er Jahre wurde er dann Karikaturist bei der WAZ und damit auch Nachfolger von Klaus Pielert, wie er ein Klasse-Mann, wennglech sein Strich, der seine Kunst ausmacht, ein anderer ist. Sakurai arbeitet gern mit Sprechblasen, das ist eine für mich neue Technik, aber eine sehr gute, nicht einfach, weil man neben den Zeichnungen auch kurze Texte zu fertigen hat, die sitzen, passen müssen. Aber als studierter Gemanist weiß er auch mit der Sprache umzugehen. Der Zeichner mit dem Wohnort Köln, geboren in Recklinghausen im Ruhrgebiet, konnte vor kurzem auch die Nachfolge des renommierten Altmeisters unter den Karikaturisten, Horst Haitzinger, bei der tz antreten. Aber er zählt selber längst zu den besten Karikaturisten in Deutschland, nicht umsonst hat er viele Preise bei den Rückblenden der letzten Jahre gewonnen.