Zur Geburtsstunde des World Wide Web erhoffte sein Begründer Tim Berners-Lee, dass das Internet die digitale Grundlage für herrschaftsfreie Begegnungen, Konversationen und Zusammenarbeit jenseits von Zeit und Raum schaffen könnte.
Das Internet böte technisch die historisch erstmalige Möglichkeit, dass nahezu jedermann nicht nur seine persönliche Meinungsfreiheit, sondern auch das Grundrecht der Pressefreiheit wahrnehmen könnte – also das unzensierte Veröffentlichen von Informationen und Meinungen an ein unbestimmtes Publikum. Dank des weltweiten Netzes wäre die Pressefreiheit finanziell nicht länger nur ein paar reichen Familien vorbehalten. So kritisierte schon Paul Sethe im SPIEGEL vom 5. März 1965. Dort heißt es: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist.“ Der Spiegel, 15.08.1966
Jeder, der sich einen Computer und einen Internetanschluss leisten kann, wäre in der Lage – sei es über „Jedermann-Netzwerke“ (Soziale Medien), sei es mit ein bisschen Einarbeitung unter einer eigenen Domain ein „Blog“ (Weblog eine Wortkreuzung aus dem englischen Web und Log für Logbuch oder Tagebuch) zu betreiben und sich mit seiner Meinung an die Öffentlichkeit zu wenden ( ARD/ZDF-Onlinestudie 2018). Nie zuvor war es so einfach und schnell an eine so große Fülle von Medieninhalten weltweit und jederzeit zu gelangen. Mit den Sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten verschwimmen die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Kommunikation.
Ohne Zweifel leistet ein Teil der Internetkommunikation und eine stattliche Zahl von Blogs einen beachtlichen Beitrag zur Meinungsvielfalt – so die Mobilisierungs- bzw. Empowerment-These – und die öffentliche Kommunikation ist insgesamt deutlich vielfältiger und dynamischer geworden. Doch das Ideal einer basisdemokratischen Internetkommunikation, weicht von der Wirklichkeit erheblich ab.
Blogs als Alternative zu den klassischen Medien?
In Deutschland liegt die Zahl der Blogs nach (unsicheren) Schätzungen bei über 200.000 und die Zahl der Blog-Posts bei zwei Millionen und die Seitenaufrufe (Page Impressions) bei 800 Millionen monatlich (Christian Buggischs Blog) Die allermeisten Blogs haben jedoch nicht demokratierelevante journalistische Themen zum Inhalt, sondern befassen sich mit service- und unterhaltungsorientierten Themen wie Mode, Beauty, Reise, Technik etc. (Was natürlich an sich auch ein Politikum ist.) Die Zahl der Blogger, die sich mit Politik und Wirtschaft beschäftigen liegen in Deutschland im zweistelligen Bereich (Olaf Hoffjann, Telepolis v. 02.08.2018). Der Vorteil des Internets, seine Egalität – nämlich dass jeder seine Stimme öffentlich erheben kann -, ist gleichzeitig wieder ein Nachteil bei der Schaffung eines relevanten Einflusses auf die öffentliche Meinungsbildung. Aufgrund der Vielzahl und damit der Unübersichtlichkeit der Blogger-Szene ist es ungeheuer schwierig für einen einzelnen Blog, an sein Publikum zu kommen. Da es keine Regeln dafür gibt, wer bloggt oder was ins Internet eingestellt wird, sind die Informationen ungesicherter und oftmals verwirrender als in den etablierten Medien mit ihrem professionellen Journalismus. Nicht ganz zu Unrecht meinen deshalb Kritiker, Blogs seien eher ein „kommunikatives Rauschen“ im Hintergrund als ein Faktor der öffentlichen Meinungsbildung oder gar ein mediale Plattformen für eine politische Massenbewegung.
Es gibt durchaus reichweitenstarke Blogs, die Zugriffe mögen in die Hunderttausende gehen, ja – wie z.B. des Video des YouTubers Rezo „Die Zerstörung der CDU“ zeigt – millionenfach aufgerufen werden und vereinzelt haben Blogs auch öffentliche Debatten angestoßen, doch zu einer ernsthaften Konkurrenz für den professionellen Journalismus sind sie (noch) nicht geworden. Olaf Hoffjann, Oliver Haidukiewicz Deutschlands Blogger, Studie der Otto Brenner Stiftung 2018, S. 9.
Soziale Netzwerke als Mittel demokratischer Teilhabe?
Neben den Blogs findet der weitaus größte Anteil der Internetkommunikation in den Sozialen Medien (Social Media) statt, also über Webseiten und Betriebssysteme (Apps), über die die Nutzer (User) Inhalte austauschen und sich vernetzen (Many-to-many-Kommunikation) – auch Jedermanns-Medien genannt. Zu den wichtigsten Netzwerken gehören Facebook (FB Messenger), Twitter, Instagram, Snapchat, Whatsapp, Pinterest, Flickr, YouTube, Vimeo, Tumbir, XING, VKontakte (in Russland), Renren, WeChat oder Baidu (letztere in China).
Jenseits des Austauschs von privaten Meinungen, Erfahrungen, Eindrücken oder Mitteilungen, stellt sich die (politische) Frage nach der Rolle der Sozialen Medien bei der demokratischen Teilhabe.
Eine demokratischere Basisbeteiligung über das Internet oder eine „Open-Source-Demokratie“ oder gar eine Form permanenter Volksabstimmungen über das Netz, also – wie es euphorisch hieß – der „Triumph des Netzwerks über die Hierarchie“ in Parteien und Verbänden hat bisher nicht stattgefunden. „Liquid democracy“ , eine Mischform zwischen direkter und indirekter Demokratie, hat sich nicht einmal in der internetbegeisterten Piratenpartei als praktikabel erwiesen.
Marianne Kneuer und Saskia Richter von der Arbeitsgruppe „Politik und Internet“ an der Universität Hildesheim haben in einer empirischen Studie herausgefunden, dass „die Erwartung, dass soziale Medien neue Räume für inhaltliche Debatten eröffnen“ sich nicht bestätigen lasse, es handle sich eher um eine niedrigschwellige kurzfristige, problemorientierte, betroffenheitsorientierte, teilweise zwar sehr intensive, aber nicht nachhaltig und langfristig angelegte Beteiligung. Ein virtueller Raum öffentlicher Beratschlagung entstand nicht. So Kristina Beer auf heise online. Debatten würden möglicherweise in kleineren Kreisen, auf Mailinglisten, in Web-Foren oder auf Projekt-Seiten spezieller Communities mit überschaubarem Nutzerkreis oder in Blogs geführt. Die Teilhabe beschränke sich aber meist auf eine emotionale Komponente. Marianne Keuner im DLF-Interview.
Man kann, wie etwa Campact, Change.org, abgeordnetenwatch.de, LobbyControl oder openPetition etc. über das Internet Petitionen anstoßen oder Unterschriften sammeln, die einzelne politische Forderungen unterstützen oder ablehnen, aber mit „likes“, „shares“ und (oft technisch oder redaktionell beschränkten) „comments“ oder „tweets“ lässt sich kaum eine politische Bewegung mit einem breit angelegten politischen Programm oder differenzierteren Zielen aufbauen. Es ist eben einfacher, sich als „Wohlfühlaktivist“ gegen ein politisches Vorhaben zu stellen, als eine Vielzahl von Menschen zu einer einheitlichen Meinungsbildung für gemeinsame gesellschaftspolitische Ziele oder gar für ein politisches Programm zusammenzubringen. Selbst wenn „Campact“ – wie etwa bei der Unterschriftensammlung gegen das Freihandelsabkommen TTIP – es schafft, weit über eine halbe Million Unterschriften zu sammeln, kann man kaum von einer auf Dauer angelegten Massenbewegung sprechen.
Zwar wird von solchen Kampagnen-Plattformen der Anspruch einer „Bürgerbeteiligung“ erhoben, doch ist die Beteiligung an Online-Petitionen noch keineswegs ein Beweis dafür, dass die Menschen auch politisch aktiver sind als in den Zeiten vor dem Internet. Kathrin Voss, Frankfurter Rundschau, 24.02.2016 S. 2 Viele dürften eher das Gefühl haben, Einfluss auszuüben, ohne mehr tun zu müssen, als eben nur zu unterschreiben. „Der Like-Button bei Facebook lädt dazu ein, sich vom Sofa oder Schreibtisch aus mit einem Klick an einer sozialen Bewegung zu beteiligen. So entsteht gefühlte bzw. symbolische Partizipation, die gleichwohl keine oder kaum Wirkung entfaltet.“ Marianne Kneuer „Welche Rolle spielen soziale Medien in Protestbewegungen?
Um dauerhaft Themen in die öffentliche Debatte hineinzutragen, braucht es nach wie vor Organisationen, die Bewegungen strukturieren, dabei allerdings auch wieder hierarchisieren, also Parteien und Verbände oder NGOs wie etwa Attac, Greenpeace oder Amnesty International. Auch die als Protestbewegungen gestartete „Podemos“ in Spanien oder die „Empörtenbewegung“ in Portugal haben wirklichen politischen Einfluss erst erzielt als sie sich parteiförmig organisiert haben.
„Ohne ein Gefäß für Meinungsaustausch, das eine Autorität in der Öffentlichkeit besitzt, können Sie keine Meinung bilden. Im Netz gibt es im Grunde keine Öffentlichkeit“ schreibt Alexander Kluge. 70 Jahre epdmedien, Januar 2019, S. 5ff.(12)
Inwieweit Soziale Netzwerke zur „basisdemokratischen“ Mobilisierung von Massen für politische Ziele in der Lage sind, wurde oft auch am Beispiel des „arabischen Frühlings“ diskutiert. Die Auffassungen sind kontrovers: Einerseits gibt es die Überzeugung, dass es ohne den Einsatz verschiedener Sozialer Netzwerke nicht zu derart um sich greifenden Massenaufläufen gekommen wäre. Jürgen Stryjak, Von der virtuellen zur realen Revolution, Deutschlandfunk Kultur. Dagegen wird argumentiert, dass die hinter den Protesten stehenden realen politischen Probleme jedenfalls die Haupttriebkraft für das Aufbegehren gewesen seien. Dafür spricht, dass die Massen auch noch nach Sperrung des Internets zu den Aufmärschen und Manifestationen gekommen sind (Der Arabische Frühling, das Internet und die sozialen Netzwerke). Im Ergebnis hat sich jedenfalls gezeigt, dass sowohl in Nordafrika, als auch bei den „farbigen“ Revolutionen in Osteuropa oder bei der „Grünen Bewegung“ im Iran bisher über das Internet allein keine dauerhaft demokratischeren Entwicklungen in Gang gesetzt werden konnten (Marianne Kneuer und Thomas Demmelhuber, Die Bedeutung Neuer Medien für die Demokratieentwicklung).
Mit Social Media lassen sich ohne Zweifel Menschen zu „Flashmobs“ (spontane Versammlungen) oder auch zu größeren Demonstrationen mobilisieren, wie z.B. mit dem Aufruf „#unteilbar“, dem eine Viertelmillion Menschen folgten. Das Internet mag für „Wutbürger“, die wie bei Stuttgart 21 gegen einzelne Projekte oder für „Empörte“ wie z.B. bei den Protesten von „Occupy“ oder bei den „Gilets Jaunes“ oder auch bei der Schülerbewegung „Fridays for Future“ ein wichtiges Kommunikationsmittel gewesen sein, bisher ist jedoch noch nirgendwo gelungen, allein über das Internet nachhaltige politische Bewegungen mit differenzierten Forderungen oder einer breiten Programmatik aufbauen. Die Anti-Kernkraft- oder die Friedensbewegung entwickelten ihre politische Kraft auch ohne das Internet. Ob die von Sahra Wagenknecht und Bernd Stegemann angestoßene Initiative „#aufstehen“ wirklich eine Sammlungsbewegung wird, muss sich erst noch erweisen. Es ist eben ein Unterschied, ob man im Netz einen Aufruf unterzeichnet und ob man tatsächlich aktiv wird und sich für eine konkrete politische Bewegung einsetzt.
Der offene Dialog und die Akzeptanz ganz unterschiedlicher Meinungen unter den Netz-„AktivistInnen“ machen solche Formen des Protestes für viele Menschen ganz unterschiedlicher Weltanschauung oder politischer Einstellung sympathisch und einbindend. Andererseits bleibt der Meinungsbildungsprozess diffus, ja sogar widersprüchlich, er mündet eher in einer gemeinsamen öffentlichen Aktion oder in einer Internet-Kampagne, bei der jeder für seine Auffassung eintreten kann, also seine Plakate hochhalten oder seine Internet-Community „viral“ aktivieren kann.
Diese gewinnende Offenheit für ganz unterschiedliche Meinungen und politische Positionen – vereint nur gegen eine einzelne Entscheidung der Regierenden oder im Widerstand gegen einen gesellschaftlichen Missstand – ist gleichzeitig ein Kernproblem über das Internet kommunizierter neuer sozialer Bewegungen. Sie mögen breite Schichten ansprechen und sie mögen ein breit anerkanntes, berechtigtes Anliegen vortragen und überfälligen Protest zum Ausdruck bringen, aber solche Aktionen bleiben (jedenfalls zunächst) nur kritische Appelle an diejenigen, die die politische Macht ausüben. Solche sozialen Bewegungen mögen eine bestimmte Politik oder die herrschenden Verhältnisse ablehnen, aber sie stellen ihnen keine hinreichend konkrete Alternative gegenüber.
Diese Offenheit ist zugleich eine offene Flanke. Solche Bewegungen sind dadurch in ihren Positionen leicht beeinflussbar und z.B. – wiederum über das Internet – durch anonyme Teilnehmer an diesem Meinungsbildungsprozess von außen durchdringbar – gerade auch durch verschwörungstheoretische oder mit suggestiver Kraft vorgetragenen sektiererischen Positionen unterschiedlichster Herkunft bis hin zu besonders aktiven Gruppen aus dem (rechts-)extremistischen Lager. Man will gar nicht erst daran denken, dass sich mächtige und finanzstarke Institutionen der öffentlichen Meinungsmache mit ihren Apparaten und vor allem mit ihren Parolen einmischen.
Soziale Medien als Überwachungsmittel und Datenkraken
Spätestens seit 2013, nämlich seit den Enthüllungen des ehemaligen CIA-Mitarbeiters Edward Snowden über die Überwachungs- und Spionagepraktiken von amerikanischen und britischen Geheimdiensten, gilt das Internet für eine breite Öffentlichkeit nicht mehr nur als freiheitliches, widerständiges Gegenmedium, sondern auch als Überwachungsmittel für eine umfassende, in diesem Falle geheimdienstlichen Kontrolle der elektronischen Kommunikation. Die dunkle Seite des Mediums kam ans Licht: Die gewonnene Freiheit der Information und der Meinungsäußerung wird mit einem Verlust an Anonymität und einer neuen (privaten und/oder staatlichen) Macht über persönliche Daten erkauft. „Überwachungskapitalisten erklären unser ganzes Menschsein einseitig zu ihrem frei verfügbaren Rohstoff“, charakterisiert das die Harvard-Ökonomin Shoshana Zuboff. stern v. 21.2.2019, S. 53ff.
Die chinesische Suchmaschine Baidu erkennt z.B., wo sich eine Menschenansammlung bildet (Öffentliche Kameras wären grundsätzlich in der Lage einen Dieb aus einer Menschenmenge zu identifizieren. Christoph Fröhlich, stern v. 1704.2018). In China gibt es die ersten Modellversuche wie Online-Daten nicht nur zur umfassenden Überwachung genutzt werden können, sondern – über ein Sozialpunkte-System – das soziale Verhalten der Bürger bewertet und mit Sanktionen oder Vergünstigungen gesteuert werden soll. „Die Bürger werden zu Komplizen ihrer eigenen Überwachung“. (Ulrich Sarcinelli, Der demokratische Staat und die digitale Gesellschaft, SWR2 Wissen). So soll die dortige Staats- und Parteiführung im vorigen Jahr schon rund 17,5 Millionen Bürgern Flugreisen verweigert haben und fast 5,5 Millionen Mal soll Sozialpunktschwächlingen das Fahren per Zug nicht erlaubt worden sein (Hans-Jürgen Jakobs, Handelsblatt v.04.03.2019).
Was in China der Staat betreibt, machen in der westlichen Welt private Internetgiganten. So steht z.B. Facebook nicht erst seit der Affäre um die Firma Cambridge Analytica, bei der mehr als 80 Millionen Facebook-Nutzer ausgespäht und nach ihrem persönlichen Profil ausgewertet wurden, massiv unter Kritik. Unlängst wurde auch noch bekannt, dass Facebook die Passwörter von 600 Millionen Nutzern auf internen Servern gespeichert hat, auf die 20.000 Angestellte Zugriff hatten. Der Konzern soll nicht nur Nutzer, sondern durch sein Sicherheitsteam auch Ex-Mitarbeiter und Menschen in deren unmittelbarem Umfeld kontrollieren. Da passt es ins Bild, dass frühere Angestellte die Atmosphäre bei Facebook als „sektenartig“ beschreiben. Auch wenn der Wunsch, sich vor Sicherheitsbedrohungen zu schützen, verständlich ist, „die weltweite Bespitzelung durch Facebooks Sicherheitsteam ist einfach nur gruselig“, meint der EU-Korrespondent für netzpolitik.org Alexander Fanta (netzpolitik.org v.04.03.2019).
Wie leicht es ist, an Handy-, Bankdaten, Mailadressen oder an Dokumente von anderen zu gelangen, hat anfangs des Jahres ein Schüler aus Mittelhessen bewiesen, der solche Daten von Politikern und Prominenten veröffentlicht hat (Süddeutsche Zeitung v. 08.012019)
Die Online-Präsenz wird zur handelbaren Ware
Mehr und mehr wird den Internet-Nutzern auch bewusst, dass, wenn etwas nichts kostet, der Nutzer das Produkt ist. Die Online-Präsenz wird zur handelbaren Ware. Die angeblich „kostenfreien“ Internet-Dienste von Facebook und Co. sind vor allem auch Datenkraken, die mit dem Sammeln und dem Verkauf von Nutzerdaten Milliardengewinne machen. Das Betriebsmodell ist das der Beobachtung und dem geschäftlichen Nutzen von Verhalten der Nutzer. Facebook sei „ein Werbenetzwerk unter einer altruistischen Tarnung“ sagt der Hamburger Datenschutzbeauftrage Johannes Caspar (Frankfurter Rundschau v. 05.03.2017)
Nach Schätzungen der Boston Consulting Group soll der Handelswert persönlicher Daten 2020 allein in Europa 330 Milliarden Euro betragen (Der Wert persönlicher Daten, Open Knowledge Foundation, S. 30). Die sozialen Netzwerke sind die größten Werbeagenturen. Daniela Zimmer, Mathias Grandosek, Falter 27a/16, S. 24ff. (25,28). Allein im 4. Quartal 2018 machte Facebook einen Gewinn von 6,9 Milliarden Dollar (#AllFacebook.de). Nicht weniger als 73 Prozent der weltweiten Werbeeinnahmen (84 Prozent außerhalb Chinas) und 25 Prozent der weltweiten Anzeigenverkäufe (online und Print) entfallen allein auf Facebook und Google. Steven Hill, Handelsblatt – 11.5.2018, S. 72
Zwar verbreiten der CEO Larry Page von „Alphabet“ – des größten Technologiekonzerns der Welt Spiegel Online v. 2.2.2018 -, die Chefs von Google, Sundar Pichai, von Facebook, Mark Zuckerberg, von Apple, Tim Cook, oder von Twitter, Jack Dorsey, usw. unisono und penetrant die Ideologie, dass „das Internet“ neutral sei. Die Internetdienstanbieter seien ausschließlich „Provider“ oder „Dienstleister“ für ihre Nutzer. Sie konnten deshalb lange Zeit behaupten, dass sie sich Meinungen oder Inhalte der wie auch immer gearteten Mitteilungen ihrer Nutzer nicht zu Eigen machten und sie könnten daher dafür auch nicht als „Herausgeber“ zur Verantwortung gezogen werden. Die „Sozialen Medien“ seien demnach nur eine Art digitales Schwarzes Brett, wo Leute Zettel anheften, ohne dass der Aufsteller der Anschlagtafel eine Verantwortung dafür trüge, was dort „gepostet“ wird.
Mit dieser Ideologie des „Internetzentrismus“ der Dienstleister – wie das der Internet-“Papst“ Evgeny Morozov Smarte neue Welt, München 2013 nennt – gepaart mit idealistischen, aber naiven Glauben an das „freie“ Internet auf Seiten der meisten Nutzer ist es den Oligopolisten aus dem Silicon-Valley lange Zeit gelungen, sich einer Verantwortung für die von ihnen verbreiteten Inhalten zu entziehen und erfolgreich gegen jede Form von Regulierung Widerstand zu leisten.
Soziale Netzwerke sind zu Meinungsoligopolen geworden
Soziale Netzwerke gehen aber inzwischen weit über die private Beziehungspflege hinaus, sie sind zu wichtigen Verbreitungsplattformen sämtlicher sonstiger Medienanbieter und damit zu zunehmend wirkmächtigen Meinungsmultiplikatoren geworden, ja sogar zu international wirkenden Meinungsoligopolen. „Großkonzerne haben sich den Cyberspace gegen die Interessen der Öffentlichkeit angeeignet und für ihre Zwecke zunutze gemacht“ Hauke Behrendt, Wider den Alarmismus: Die Chancen der Digitalisierung, in Blätter für deutsche und internationale Politik, 4`19, S. 45ff. (46)
Der Internetzugang wird in der westlichen Welt von „GAFA“ (Google, Apple, Facebook, Amazon) und die „neuen Medien“ werden von „FANG“ (Facebook, Amazon, Netflix, Google) dominiert. Mit einem Suchmaschinen-Marktanteil von knapp 86% bei der Desktop-Suche und 98% bei der mobilen Suche kontrolliert Google den Zugang zu den Netzinhalten (SEO Summary.de). Amazon ist mit 33 Prozent Marktanteil beim Cloud Computing (deutsch: Rechnerwolke oder Datenwolke), also bei externen Speicherplätzen, Rechen- oder Dienstleistungen (Dropbox, Netflix) der Markführer (Synergy research group April 27,2018). Und Facebook dominiert weltweit (noch) bei den Sozialen Medien (statista Jan 26,2018).
Täglich rufen in Deutschland über 45 Millionen Menschen Netzinhalte ab. ARD-ZDF-Onlinestudie 2018 http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/ardzdf-onlinestudie-2018/ Für viele – vor allem Jüngere, also für die sog. „digital natives“ – sind Timeline, Newsfeed oder Messenger App etc., d.h. die eingehenden Botschaften und Tweets der zentrale, oft sogar oft der einzige Anlaufpunkt für Nachrichten nicht nur innerhalb von Freundeskreisen, sondern auch für Neuigkeiten aus aller Welt. Sogar für professionelle Journalistinn/en sind die sozialen Netzwerke zu einem Recherchemittel geworden. (LfM-Mdaterialien 31, Marcel Machill, Markus Beiler, Uwe Krüger, Das neue Gesicht der Öffentlichkeit).
Hashtag-Trends, Twitter-Trendanalysen oder Google-Empfehlungen können inzwischen sogar den gesellschaftlichen Diskurs prägen: Wenn z.B. plötzliche Falschmeldungen unter dem Hashtag „#unserelisa“, wonach eine 13-jährige Russlanddeutsche von Flüchtlingen als Sexsklavin missbraucht worden sei, in den Vordergrund rücken, dann zeigt das, dass sogar hochrangige Politiker wie der russische Außenminister Sergej Lawrow, aber auch Journalistinn/en Social-Media-Trends folgen, Twitter-Nutzer sowieso (Netzpiloten Magazin 17.02.2016).
Internetdienstanbieter sind nicht neutral
So unbeteiligt an den Inhalten, die sie verbreiten, wie die Internet-Oligopolisten das gerne selbst darstellen, sind die Internetdienstanbieter aber keineswegs. Die Kontrolle über den Informationsfluss liegt nicht bei den Urhebern von Inhalten, sondern bei den Betreibern sozialer Netzwerke. Jeannette Hofmann, Demokratie im Datenkapitalismus, WZB Mitteilungen Heft 155 S. 14ff. (15) Verborgen bleibt, dass die angebotenen Inhalte, sei es aufgrund der Empfehlungen von Freunden, aber vor allem aufgrund von Sortier- und Suchalgorithmen der Internetdienstleister gesteuert werden. Die Algorithmen kategorisieren, filtern und hierarchisieren etwa bei Facebook rund 500.000 Kommentare pro Minute Jeanette Hofmann, a.a .O. S. 15 Algorithmen sind – vereinfacht gesagt – Computerrechenprogramme mit denen gesammelte Daten nach einem bestimmten Schema ausgewertet werden. Von den Internet-Dienst-Anbietern wird nachverfolgt (z.B. über die Suchhistorie im Netz oder über das Klickverhalten), welche Netzinhalte für den Nutzer wichtig sind oder häufig gesucht werden. Aus dieser Datenspur wird berechnet und automatisch vorausgesagt („predictive analytics“) und dem Benutzer angeboten, welche Informationen für ihn gleichfalls noch interessant sein könnten, weil sie mit seinem bisherigen Such- und Nutzungsverhalten übereinstimmen. Diese Programme zeigen den Usern das, was sie ohnehin suchen oder denken – egal was tatsächlich in der Welt vor sich geht.
„Unser Ziel ist es, mit dem Newsfeed die perfekte personalisierte Zeitung für jede Person auf der Welt zu schaffen„, sagte Facebook-Gründer Zuckerberg schon 2014, wohl ohne zu begreifen, welches Problem für den Erhalt von Meinungsvielfalt er damit beschrieb. Nachweisbar ist, dass – wenn Facebook an seinen Algorithmen dreht – das massiven Einfluss auf den Netzwerkverkehr bei den Inhalteanbietern hat. Facebook könne Portale „hochjazzen“, aber gleichsam auch in die Bedeutungslosigkeit herunter pegeln, schreibt Adrian Lobe (Süddeutsche Zeitung v. 14.11.2018 ).
Die Such-, Filter- oder Empfehlungs-Algorithmen (die sog. „Trending Topics“) der Online-Vermittler gelten bislang als Betriebsgeheimnisse. Vergebens hat bislang die Politik auf eine Offenlegung der Grundprinzipien der Such- und Empfehlungsalgorithmen gedrängt (Medien-und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2018, S. 35).
Ulrich Fichtner schreibt im Spiegel zurecht: „Angesichts der Bedeutung, die Google, YouTube, Facebook, Twitter und Apple mittlerweile für unser Leben haben, grenzt es an Wahnsinn, dass wir über diese Firmen außer schicken Werbeoberflächen so gut wie nichts wissen. Wie sucht die Google Suchmaschine, wie findet sie und nach welchen Kriterien sortiert sie die Ergebnisse? Wer wählt welche Facebook-Posts? Wie entsteht ein Twitter-Trend? Welchen Kriterien folgt der Mitteilungsstrom auf den Apple-iPhones?“ Spiegel 01/2017, S. 19ff.
Der Streit um die „Filterblase“
Ob und inwieweit es durch die Internetkommunikation einen neuen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Jürgen Habermas, 1962) gibt oder nicht, ist derzeit in der öffentlichen Debatte und in der Wissenschaft noch heftig umstritten.
Die amerikanische Mathematikerin Cathy O`Neil, die lange über Algorithmen geforscht hat, schreibt: „Soziale Medien zeigen ihren Usern Inhalte an, die diese mögen – also verstärken sich die immer gleichen Ansichten.“ (Siehe auch Cathy O`Neil in der taz vom 8.11.2016, S. 7; dazu auch Torsten Riecke u.a., Die Macht der Algorithmen). „Amazon hält uns in Clustern gleichgesinnter Käufer gefangen, Google in Gruppen gleichartigen Sucher und Facebook von gleichgesinnten Bürgern,“ schreibt das Ehrenmitglied des Chaos Computer Clubs Peter Glaser.
Der Harvard-Jurist und Verhaltensforscher Cass Sunstein hat für solche Phänomene schon 2001 den Begriff „Echokammer“ eingeführt und der Internetaktivist Eli Pariser hat 2011 die Beobachtung, dass die Internetnutzer bei der Suche im Internet vor allem „Freunden“ folgen und durch die verborgenen Algorithmen der Suchmaschinen „Follower“ bestimmter Netzinhalte werden, als „Filterblase“ beschrieben (The Filter Bubble: What The Internet IS Hiding From You, New York 2011).
Wenn algorithmische Systeme menschliche Interaktionen auswerten, machten sie sich gleichzeitig die geäußerten Vorurteile zu Eigen und verstärkten diese. dahna boyd, Die verborgene Macht der Algorithmen, in Blätter für deutsche und internationale Politik, 8/2018 S. 80ff. (89) An die Stelle unseres persönlichen Urteilsvermögens träten datengespeiste Prognosen und Vorschläge. Der Einfluss von undurchschaubaren Algorithmen für die Trefferlisten der Suchmaschinen und die Auswahl der Botschaften in den Internetdienste seien zu neuen „Gatekeepern“, also Torwächtern für öffentlichkeitsrelevante Informationen geworden, sie ersetzten geradezu die redaktionelle Denkarbeit, Facebook blende vierfünftel der Inhalte aus und vermittle eine eigene Realität, schreibt Stefan Schulz. a.a.O S. 44 In den letzten 10 Jahren seien neue Massenmedien entstanden, die zwar keine Redaktionen mehr hätten, aber mittels ihrer Produktmanager, ihrer Softwareentwickler und mit Inhalten, die algorithmisch von anderen Medien übernommen werden, eine eigene Öffentlichkeit schafften. Stefan Schulz a.a.O. S. 251
Auch die Bundesregierung schreibt in ihrem Medien- und Kommunikationsbericht 2018 (S.30): „Neben Internetzugangsdiensten haben weitere elektronische Informations-und Kommunikationsdienste, sogenannte Informationsintermediäre, für unsere alltägliche Kommunikation und damit auch dafür, wie „Öffentlichkeit“ hergestellt wird, eine zentrale Bedeutung erlangt…In ihre Nutzungsumgebungen werden einzelne Inhalte oft nicht mehr in einer vom Inhalteanbieter festgelegten Zusammenstellung wie bei einer Zeitungsausgabe, einem Rundfunkprogramm oder einem Musikalbum präsentiert, sondern es werden einzelne Stücke oder Beiträge „entbündelt“ über „Timelines“ oder „Channel“ zugänglich gemacht. Die Auswahl der Inhalte für den einzelnen Nutzer wird dabei automatisch auf seine Eigenschaften und Vorlieben abgestimmt (personalisiert) und folgt nicht mehr einer vom Anbieter festgelegten Logik wie etwa dem Ablaufplan eines Fernsehprogramms.“ Medien- und Kommunikationsbericht 2018 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 zum Rundfunkbeitrag auf die Gefahr hingewiesen, „dass – auch mit Hilfe von Algorithmen – Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt“ (BVerfG, Urteil des Ersten Senats – 1 BvR 1675/16 – Rnr. 79).
Brian Acton, der Gründer des Kurznachrichtendienstes »Whatsapp«, schreibt in seinem jüngsten Buch „Zehn Gründe, warum du deine Social Media Accounts sofort löschen musst“, dass Konzerne wie Facebook, Google oder Twitter »Manipulations-Imperien« seien, die Menschen wie Hunde in Käfigen hielten und mit virtuellen Reizen bestimmte Verhaltensweisen auslösten. Ein System, das auf totaler Überwachung und einem „perversen“ Geschäftsmodell gegründet sei (Nora Sonnabend Handelsblatt v. 21.03.2018).
Der Experte für Psychometrie an der Stanford Universität Michal Kosinski meint zwar, dass in „Filter Bubbles“ zu leben, „unser natürlicher Zustand“ und nicht schuld von Facebook sei. Aber es könnten heute sehr genaue Aussagen über jemand getroffen werden, wenn man mit Hilfe von Algorithmen die Datenspuren im Internet verfolge (taz v. 17.12. 2016).
Empirische Nachweise der Filterblasen-These seien bisher allerdings dünn gesät, so stellt das z.B. Rainer Stadler, Mitglied des Schweizer Presserats, in einer Übersicht in der Neuen Züricher Zeitung dar (NZZ vom 12.1.2019).
Hermann Rotermund, Fellow am Center for Advanced Internet Studies in Bochum, vertritt die These, dass der Medienkonsum generell keinen nachweisbaren Einfluss auf die Meinungsbildung im Sinne der Erzeugung oder Konvertierung von Einstellungen habe, sondern allenfalls eine Verstärkung bereits vorhandener Meinungen bewirke. Die Filterblasen-These beruhe nur auf Hypothesen, die nicht empirisch erhärtet seien. Auch bei der Wirkung von Fake-News handle es sich im Wesentlichen um die Verstärkung bereits vorhandener Einstellungen und Vorurteile (Weißes Rauschen). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch das Reuters Institut an der Oxford Universität (Reuters Institute, February 2018 Factsheet),
Die Personalisierung bei der Recherche von Nachrichten mit Google News ließ die Bayerische Landeszentrale für neue Medien anlässlich der Bundestagswahl 2017 in einer Studie untersuchen und kommt in einer Momentaufnahme zu dem Befund, dass „die von Google im Rahmen der organischen Suche ausgerollten Schlagzeilen…insgesamt von etablierten Medienhäusern, insbesondere aus dem Printbereich, dominiert“ würden, also nicht von Sozialen Medien. Tobias D. Krafft, Michael Gamer, Katharina A. Zweig, Wer sieht was? Personalisierung, Regionalisierung und die Frage nach der Filterblase in Googles Suchmaschine. Simon Hegelich (Hochschule für Politik München) wies in einer Expertenanhörung des Bundestagsausschuss Digitale Agenda hingegen darauf hin, dass sich der Forschungsstand sehr schnell ändere. So habe das Ausmaß an Desinformationskampagnen habe bei der Bundestagswahl im Jahr 2017 quantitativ höher gelegen als gedacht. „Es sind koordinierte Kampagnen, in denen über unterschiedliche Strategien versucht wird, Verunsicherung zu schüren oder das Vertrauen in demokratische Institutionen zu unterminieren„. Für belastbare Aussagen zu einem Kausaleinfluss mangele es allerdings an Studien. Heute im Bundestag Nr. 407, vom 11.04.2019
Die widerstreitenden Positionen ähneln dem seit Jahren geführten Streit über den Einfluss von Gewaltdarstellungen in den Medien auf die Gewaltbereitschaft von Menschen (Helmut Lukesch, Institut für Experimentelle PsychologieUniversität Regensburg) vor allem von jungen Leuten. An der Medienwirkungsforschung wird allerdings vielfach kritisiert, dass die empirischen Sozialforscher häufig dazu neigten, etwas, was sie nicht nachweisen können, als nicht existent zu erklären, obwohl die unmittelbare Anschauung mannigfache Indizien liefert.
Die „Schweigespirale“ wird durchbrochen
Meine langjährige Beobachtung als Mitherausgeber des ziemlich verbreiteten Blogs „NachDenkSeiten“ hat mich zunehmend besorgt gemacht, dass „Soziale Medien“, aber auch Blogs zumindest eine Tendenz zur Aufspaltung der öffentlichen Meinung aufweisen, indem sie den diskursiven und pluralen öffentlichen Meinungsaustausch in eine Vielzahl von voneinander abgeschlossenen „persönlichen Öffentlichkeiten“ oder in „Gegenöffentlichkeiten“ – man könnte manchmal sogar von Sekten sprechen – auseinander dividieren. Die „NachDenkSeiten“ erklären den „Aufbau (einer) Gegenöffentlichkeit“ sogar als ausdrückliches Ziel.
Der Kampf um Meinungsmacht ist mit dem Internet jedenfalls unübersichtlicher geworden. Denn unbestreitbar ist, dass es nie zuvor so einfach war, an eine so große Fülle von Medieninhalten weltweit und jederzeit zu gelangen, dass es aber auch nie zuvor so unübersichtlich war, gesicherte Informationen vorzufinden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich damit auch das Gefühl einer gut informierten Orientierungslosigkeit einstelle, meint der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli (Ulrich Sarcinelli, SWR2 Wissen v. 17.02.).
Der professionelle Journalismus bzw. die klassischen Massenmedien haben jedenfalls ihr faktisches Monopol auf die öffentliche Darstellung und Deutung von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen zu einem beachtlichen Teil verloren.
Selbst die Kritiker der „Filterblasen“-These räumen ein, dass durch personalisierte Nachrichtenströme zumindest eine Verstärkung vorhandener Meinungen bzw. eine Verfestigung von Vorurteilen bewirkt werden könne. Grundlegend dafür ist die menschliche Psyche, speziell die „selektive Wahrnehmung“. Der Nutzer gerät tendenziell unter den Einfluss eines „Bestätigungsfehlers“ (confirmation bias) Bernd Holznagel, Demokratieauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in: Der Auftrag: Demokratie, Public Value Studie des ORF, 2018, S. 5ff., S. 15 – vereinfacht gesagt, dass man solche Informationen besonders aufmerksam aufnimmt, die das eigene Vorurteil stützen. Dieses psychologische Phänomen wird verstärkt durch die Auswertung menschlicher Interaktionen im Internet mittels algorithmischer Systeme, die sich die geäußerten Vorurteile zu Eigen machen und verstärken können.
Durch die sozialen Netzwerke sind die Möglichkeiten der Vernetzung und des Austauschs zwischen Individuen, die sonst nicht oder nur sehr schwer miteinander in Kontakt gekommen wären, ohne Aufwand immens gestiegen. Der „Stammtisch“ – einstmals auf wenige anwesende Zecher begrenzt – kann sich im Netz wie eine Epidemie tausendfach „viral“ und mit Lichtgeschwindigkeit verbreiten und bleibt – was gleichfalls eine neue Qualität ist – (ohne Gegenwehr) dauerhaft dokumentiert.
„Wenn du vor dem Internetzeitalter andere Ansichten oder Interessen als die Leute in deiner Nachbarschaft hattest, war es schwieriger, eine Community zu finden, die deine Interessen teilt. Jetzt kannst du dich mit jedem vernetzen und deine Stimme erheben“ schreibt Facebook-Gründer Zuckerberg. Adrian Lobe merkt dazu kritisch an, dass sich im Denken Zuckerbergs ein Anti-Institutionalismus und eine Ablehnung von Pluralismus erkennen lasse (Adrian Lobe, Süddeutsche Zeitung v. 26.02.2019).
Die von der ehemaligen Chefin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, Elisabeth Noelle-Neumann, entwickelte Theorie einer „Schweigespirale“, wonach Menschen sich mit ihrer Meinung eher zurückhalten, wenn diese einem vorherrschenden Meinungsklima widerspricht, Elisabeth Noelle-Neumann, Die Theorie der Schweigespirale wird durch die technische Distanz des Internets durchbrochen. „Im Vergleich zum Dorftratsch verstärkt sich im Internet die asymmetrische Kommunikation“ meint die Medienpädagogin Sabine Schiffer. WDR Funkhausgespräche, leider aufgrund des Depublikationsgebots nicht mehr abrufbar Der Einzelne kann schnell zu der Überzeugung kommen, dass seine Sicht der Dinge mit der Bevölkerungsmehrheit übereinstimmt (Looking-Glass-Effekt). Bernd Holznagel, Demokratieauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in: Der Auftrag: Demokratie, Public Value Studie des ORF, 2018, S. 5ff.,. S. 17.
Inhaltliche Auseinandersetzungen finden auf Facebook oder Twitter kaum statt (Matthias König/Wolfgang König, OBS-Studie: Twitter-Euphorie unbegründet – und mehr Mythos als Realität). Mit maximal 280 Zeichen, wie beim Kurznachrichtendienst Twitter, kann man nicht ausführlich analysieren oder einen hintergründigen Austausch von Gedanken pflegen. Zudem gilt das Prinzip „tl;dr“ – das steht im Internet-Slang für „too long; didn’t read“ (übersetzt: zu lang, habe ich nicht gelesen).
„Social Media macht dich zum Arschloch“, meint der New Yorker Internetpionier Jaron Lanier (Anja Kümmel, Der Tagesspiegel 22.07.2018). Und Robert Habeck begründet seinen Abschied von Twitter und Facebook nur in etwas gepflegteren Worten: Der aggressive Ton im Internet habe ihn „desorientiert“ und auf ihn „abgefärbt“ (Salonkolumnisten v. 08.01.2019).
Selbst Facebook-Chef Mark Zuckerberg macht sich in seinem 2017 „To our Community“ gerichteten Manifest Building Global Community inzwischen Gedanken darüber, wie es gelingen könne, unterschiedliche Sichtweisen so aufzubereiten, dass die Menschen wieder miteinander in einen Dialog kommen und andere Meinungen akzeptieren, statt sich in ihrer eigenen Gedankenwelt abzukapseln (Daniel Baumann, Weltpolitik? gefällt mir, Frankfurter Rundschau v. 18.02.2017).
Zumindest bei zahlenmäßig durchaus beachtlich großen gesellschaftlichen Gruppen, die sich in Opposition zu der in den klassischen Medien veröffentlichten Meinung oder zum sog. Meinungs-Mainstream verstehen (Florian Schmidt, Göttinger Institut für Demokratieforschung) sowie bei Menschen, die eine vom öffentlichen Diskurs abweichende, stark ideologisch begründete Überzeugung haben (Birgit Stark, Hrsg. v.d. Landesanstalt für Medien NRW) lassen sich (homogenisierende) „Echokammer“-Effekte beobachten. Das gilt nicht nur für Anhänger von Verschwörungstheorien, sondern auch z.B. für Vertreter der Impfschaden-Theorien, die auf den Plattformen ihre Verbreitung gefunden haben.
Der Bielefelder Konflikt- und Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer schreibt: „Inzwischen haben wir es mit zahlreichen, ganz unterschiedlichen Öffentlichkeiten zu tun, die sich in den sogenannten „Filterblasen“ abspielen in homogenen Gruppen, in der nicht Auseinandersetzungen über kontroverse Themen stattfinden, sondern zumeist Selbstbestätigungen und Aufschaukelungen entscheidend sind. Die dort stabilisierten Positionen, die nicht selten durch mit hoher Verbreitung verbundenen Verschwörungstheorien einhergehen, haben zu dieser Verschiebung von Normalitätsstandards beigetragen. Das bedeutet auch, das neue „Realitäten“ des Sagbaren entstanden sind, die in die reale Welt in Verwandtschaften, Freundschaften, Sportvereinen, Kirchengemeinden, Arbeitsplätzen etc. transportiert werden und dort ihre verbreitende Wirkung entfalten, wenn die entsprechenden Personen den Eindruck haben, ihre Positionen seien nicht Teil einer Minderheiten-Meinung, sondern Teil einer Mehrheitsmeinung. Dann funktioniert ein Mechanismus, dass alles das, was als normal wahrgenommen wird, zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr problematisiert werden kann.“ Wilhelm Heitmeyer „Auf diese Weise zerstört sich eine liberale Demokratie“(L.I.S.A. Wissenschaftsprotal Gerda Henkel Stiftung S. 3).
Wer sich im Netz umschaut, findet eine kaum noch überschaubare Zahl von durchaus reichweitenstarken sektiererischen, verschwörungstheoretischen, propagandistischen, vor allem aber auch rechtspopulistischen bis rechtsextremen Blogs und Internetauftritten. Social-Media-Dienste sind sogar die hauptsächlichen Mittel zur Verbreitung rechtsextremer Propaganda geworden. Rechtsextremismus im Netz (Bericht 2017. jugendschutz.net). Das ist ein ganz offensichtliches Indiz dafür, dass die Internetkommunikation bei beachtlichen Bevölkerungsteilen die Entstehung politischer Parallelwelten und eine negative Abgrenzung zum Meinungs-Mainstream befördert. In der Neuen Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung heißt es: „Durch webbasierte Kommunikation ist das Ausmaß der möglichen Manipulation und Erzeugung von …Mythen eine noch weitaus größere Gefahr geworden als früher. Bewusste Falschnachrichten (Fake News oder auch klassisch Lügen), die teilweise Kommunikationsblasen und neue Glaubensgemeinschaften kreieren, werden in parallelen Wahrheitswelten erzeugt und binden Teile der Mitte an neue Glaubensgemeinschaften, die sich in Distanz zum »System« setzen, weil sie »dem System« Lüge und Manipulation unterstellt.“ Andreas Zick, Beate Küpper, Wilhelm Berghan, Verlorene Mitte, Feindselige Zustände, Hrsg. v. d. Friedrich-Ebert-Stiftung, 2019 (leider nicht mehr im Netz)
„Damit ändert sich der demokratische Prozess und das, was wir unter Öffentlichkeit verstehen – sie fragmentiert und schafft sich ab“, sagt die Mathematikerin Cathy O`Neil (Ingo Arzt, taz 8. 11. 2016). An die Stelle politischer Debatte tritt die Selbstbestätigung von Gleichgesinnten. Es entwickeln sich „homogenisierte Teilöffentlichkeiten“ mit unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen (Jasmin Siri, Pluralismus statt Zensur: Konferenz im Bundestag über Online-Hass).
Der Soziologe Dirk Baecker ist der Ansicht, dass es – anders als der Sozialphilosoph Jürgen Habermas das noch angenommen habe – eine einzige Öffentlichkeit, die eine ganze Gesellschaft zusammenhalte, nicht mehr geben könne. An ihre Stelle trete längst eine Vielzahl von politischen, ökonomischen, ästhetischen und religiösen Öffentlichkeiten (Zusammenleben mit nervösen Medien, Deutschlandfunk Kultur).
Man muss nicht gleich alarmistisch – wie der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen – von einem „Dialog- und Kommunikationsinfarkt“ (Spiegel Essay v. 05.01.2015) oder von einer „Erregungsdemokratie“ (Deutschlandfunk Kultur) sprechen und schon gar nicht muss man, wie die Internetkritikerin Yvonne Hofstetter, gleich das „Ende der Demokratie“ an die Wand malen, aber beobachtbar ist, dass das Netz Gesinnungsgemeinschaften fördert und relevante gesellschaftliche Gruppen in eine Art selbstverstärkenden Meinungsstrudel geraten können. „Nicht die Digitalisierung der Demokratie, sondern die Demokratisierung des Digitalen ist die drängendste Aufgabe„, warnt Bundespräsident Steinmeier in seiner Rede auf der diesjährigen re:publica in Berlin. Zum Thema Digitale Demkratie siehe auch Christian Fuchs, in der Public Value Studie des ORF, Der Auftrag: Demokratie, 2018, S. 94ff.
Dass es in Zeiten der gesellschaftlichen Polarisierung genügt, im Kampf um politische Macht eine verhältnismäßig kleine Zahl der Bürgerschaft umzustimmen, um ein erwünschtes Resultat zu erzielen, räumen auch die Kritiker der Echo-Kammer-These ein. Stadler NZZ a.a.O.
Das, was das Ideal einer demokratische Kultur ausmacht, nämlich eine an Tatsachen und rationalen Argumenten orientierte öffentliche Debatte, der offene und täuschungsfreie Austausch von Argumenten, die Verbreitung einer möglichst großen Vielfalt von Meinungen und einer „kritischen Diskussion in der Öffentlichkeit“ (Habermas) zur Förderung von vernunftgeleitetem politischem Handeln, wird jedenfalls von einem großen Teil der Sozialen Medien nicht gefördert.
Die politische Rechte hat besser verstanden, wie Soziale Medien funktionieren
„Ideologisch homogene Diskursräume führen zur Radikalisierung von Meinungen und Positionen“, schreibt Florian Schmidt vom Göttinger Institut für Demokratieforschung. Für die amerikanische Soziologin Zeynep Tufekci ist Youtube „eines der mächtigsten Radikalisierungswerkzeuge“ (Zitiert nach Marcel Weiß, neunetz.com v.14.032018). Das ehemals von Wilhelm Heitmeyer geleitete Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld oder auch die „Mitte“-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES-Mitte-Studien) und der Heinrich Böll Stiftung Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 erheben zwar seit Jahren je um die 15 bis 20 Prozent ausländerfeindliches Potential in der Bevölkerung, aber der Aufstieg der AfD als Partei wäre wohl ohne das Medium Internet vermutlich nicht so rasch erfolgt (Justus Bender, Doppelstrategie der AfD wird sich rächen, SWR 2)
Einen Monat vor der Europawahl stammten 85% aller im Internet weiterverbreiteten Beiträge deutscher Parteien von der AfD. CDU und SPD waren nur mit zwei bis drei Prozent der geteilten Beiträge vertreten. Im März 2019 sind Beiträge der AfD 1,8 Millionen Mal geteilt worden. SPD, Grüne, FDP, Linke und Union teilten sich gerade mal 15% der Shares. Der Spiegel hatte eine Untersuchung des amerikanischen Medienwissenschaftlers Trevor Davis (George-Washington-University) ausgewertet. Trevor Davis, Professor an der George-Washington-University hat zehntausende (auffällige, möglicherweise unechte) Facebook-Accounts identifiziert, die nach eigenen Angaben rund um den Globus angesiedelt sind und AfD-Inhalte verbreiten.
Im Vergleich zur AfD waren andere Parteien auch im Online-Wahlkampf 2017 „weit abgeschlagen“, sagt Lisa-Maria Neudert vom Oxford Internet Institute. Die „AfD hat 30 Prozent des Social-Media-Traffics ausgemacht“ Deutschlandfunk Kultur). Das Facebook-Ranking für einzelne Politiker wird von der AfD-Co-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Alice Weidel, angeführt. Sie kommt auf einen Gesamtwert von 421.400 Reaktionen. Damit hat sie fast 100.000 Reaktionen mehr eingesammelt als ihr Parteikollege Jörg Meuthen (329.500), auf Platz 3 folgt die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht (314.400). Erst auf Platz 5 folgt Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im gleichen Zeitraum 94.600 Reaktionen einsammelte. Damit ist Merkel die einzige Vertreterin ihrer Partei unter den ersten Zehn, ein SPD-Politiker ist nicht darunter (Lukas Praller, im Merkur.de v. 17.03.2019). Bei Pegida-Demonstrationen haben sich bisher im Höchstfall zwanzig- bis fünfundzwanzigtausend sog. „Spaziergänger“ versammelt, die Pegida-Site auf Facebook hat jedoch über 200.000 „Likes“ (Fabian Warislohner v. 05.02.2016). „Egal wie plump oder menschenfeindlich es wirkt oder ist – die Rechten haben sehr viel besser verstanden, wie Social Media funktioniert“, schreibt der Internetberater Sascha Lobo (Spiegel v. 16.11.2016).
Trump mag in seinem Wahlkampf viele Übertreibungen eingesetzt und sogar glatte Lügen verbreitet haben, aber eine seiner Aussagen, sollte man wirklich ernst nehmen: Seinen Erfolg verdanke er Facebook und Twitter, mehr noch: „Ich glaube, dass Soziale Medien mehr Macht haben als Werbegelder“. TNW, Nov. 14, 2016 „The fact that I have such power in terms of numbers with Facebook, Twitter, Instagram, et cetera… I think that social media has more power than the money [Clinton’s campaign team] spent, and I think maybe to a certain extent, I proved that“. Trump belegt unter den Fake-Followers in den USA einen einsamen Spitzenplatz (Ana Campoy QUARTZ, October 12, 2018).
Der Einfluss von Fake News auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in den USA wird allerdings in Zweifel gezogen (Hunt Allcott and Matthew Gentzkow, Social Media and Fake News in the 2016 Election, Journal of Economic Perspectives – Volume 31, Number 2 –Spring 2017, S. 211ff). Ob die Nutzung der inzwischen insolventen Datenanalysefirma „Cambridge Analytica“, die auf der Basis von im Netz erhobenen Daten personalisierte bzw. zielgruppenorientierte Werbung anbot, sich für Trumps Wahlkampf tatsächlich bezahlt machte oder ob hinter den Aufsehen erregenden Schlagzeilen eher Eigenwerbung der britischen Firmenmanager stand, ist umstritten (Hannes Grassegger/ Mikael Krogerus, 17.03.2019). Ob russische Hacker oder von Russland gesteuerte „Trolls“ Einfluss auf das Wahlergebnis zugunsten von Trump hatten, wird man ebenfalls erst beurteilen können, wenn genauere Angaben über das „Wie“ solcher angeblichen Cyberkampagnen öffentlich werden. Man liegt jedoch mit der Vermutung nicht falsch, dass Trumps Wahlkampfstil in den Sozialen Medien ein besonders geeignetes Kommunikationsmittel gefunden hat.
Wie sehr die klassischen Medien geradezu an die Wand gedrängt werden können, das beweist uns nahezu täglich wiederum Donald Trump. Er kann die Journalisten als „Feinde des Volkes“ beschimpfen und er vermag ihnen ihre Hilflosigkeit demonstrieren, indem er ganz selten Pressekonferenzen einberuft oder nur ausgewählten Medien Interviews gibt, und sich im Wesentlichen über Twitter – und das bedeutet ohne einen „journalistischen Filter“ – an die Öffentlichkeit wendet. Originalton Trump: „Die Presse berichtet so unehrlich über mich – so unehrlich -, dass ich mich über Twitter äußere… und sie veröffentlichen es, sobald ich es twittere…“. Bild vom 16.01.2017 S. 3 Und mangels Alternativen, müssen diese Internet-Botschaften auch von den klassischen Medien aufgegriffen werden. Der Britische Historiker Niall Ferguson vertritt die Auffassung, dass es ohne Facebook und Google weder einen Trump noch einen Brexit gebe (stern.de v. 5.1.2019).
Das Internet als Einfallstor für Manipulatoren
Die Tatsache, dass die Internetdienste Datenlieferanten über ihre Nutzer sind und an Hand des Such- und Nutzungsverhaltens besser über einen Bescheid wissen, als man selbst über sich weiß – jedenfalls als man sich bewusst macht -, kann eben nicht nur von Waren- oder Dienstleistungsanbietern genutzt werden, sondern auch von Meinungsmachern ganz allgemein und speziell von (ausländischen) Regierungen, gesellschaftlichen Interessengruppen oder Parteien, die bewusst eine politische Mission voranbringen wollen, ausgebeutet werden. Das Internet kann so zu einem Einfallstor für Manipulatoren und für Meinungsbeeinflusser werden – nicht ohne Grund spricht man von „influencern“.
Eine noch ziemlich harmlose Variante einer solchen Stimmungsmache, ist der relativ preiswerte Kauf von „Likes“ auf Facebook .
Neben sog. „Trollen“ – also problematische einzelne Netzteilnehmer, Benedikt Fuest, welt v. 12.02.2017 https://www.welt.de/wirtschaft/article162014537/Um-diese-Zeit-erwacht-der-digitale-Hetzer-in-uns.html die sich In Diskussionsforen, Newsgroups, Chatrooms, Mailinglisten oder in Blogs einmischen und die Online-Community stören, provozieren, Hass schüren oder in eine bestimmte (politische) Richtung zu lenken versuchen, sind inzwischen im Internet auch professionelle Trollaktivitäten zu beobachten, die massive Propaganda betreiben.
Es gibt automatisierte „Trolls“, also von Computern erzeugte künstliche Identitäten (sog. Robots), die in Netzwerken wie Twitter oder Facebook massenhafte Zustimmung oder Ablehnung von Meinungen vortäuschen. Bezahlte Trolle werden inzwischen auch durch „Chatbots“ (ein textbasiertes Dialogsystem) ersetzt.
„Robots“ oder kurz „Bots“ „können gesellschaftliche Debatten durch ihre schiere Masse bestimmen und in eine gewünschte Richtung lenken“, sagt Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Hochschule für Politik in München (Netzpiloten Magazin 17.02.2016 ). Das Social Media Forensics Team der Uni Siegen hat ein ganzes Netz an Bots und Trollen entlarvt, das während der Ukraine-Krise täglich massiv Bots-Meldungen verbreitete. So konnten an einem Tag etwa 15.000 falsche Twitterprofile bis zu 60.000 gefakte Posts verbreiten. Netzpiloten Magazin ebd. Das Berliner Unternehmen Botswatch geht davon aus, dass 28 Prozent aller deutschsprachigen Tweets in der Debatte um den „Migarationspakt“ von Social Bots stammten. FAZ v. 28.12.2018 S. 15
Welchen Einfluss Bots im letzten Bundestagswahlkampf gehabt haben, ist umstritten. Fabian Pfaffenberger (Universität Erlangen) meint, dass es starke Indizien gibt, dass Bots stärker im Einsatz waren als bisher angenommen (Stephan Russ-Mohl, der Tagesspiegel v. 02.12.2018). Dagegen haben Tobias Keller (Universität Zürich) und Ulrike Klinger (FU Berlin) für das Vorfeld der Bundestagswahl ermittelt, dass Bots zwar im Einsatz waren, ihr Anteil auf Twitter allerdings nur von 7 auf 9,9 Prozent in der heißen Wahlkampfphase gestiegen ist und die AfD, anders als vielfach vermutet, nicht durch übermäßigen Bot-Einsatz aufgefallen ist (ResearchGate Nov. 2018).
Ein interdisziplinäres Team der Universität Duisburg-Essen (UDE) hat allerdings in einem virtuellen Experiment über den Einfluss von Software-Robotern in Sozialen Medien herausgefunden, dass bereits eine geringe Anzahl von zwei bis vier Prozent Bots reichen, dass Nutzer in einer kontroversen Diskussion lieber still sind. Dadurch steige die Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent auf zwei Drittel, dass sich die von den Robotern unterstützte Meinung durchsetze und so ein falscher Eindruck über eine Stimmungslage entstehe (Universität Duisburg-Essen v. 11.02.2019).
Eine amerikanische Forschergruppe sieht in der massiven Verbreitung von digitalen Falschinformationen durch „Social bots“ gar eine Gefahr für die Demokratie. Sie wiesen nach, dass Bots eine überproportionale Rolle bei der Verbreitung von wenig glaubwürdigen Quellen spielen. Bots vervielfältigten solche Inhalte schon bei der frühen Verbreitung und bevor ein Artikel sich viral ausbreitet. Sie zielten auf Nutzer mit vielen Followern und machten so viele andere für solche Manipulationen anfällig. „We find evidence that social bots played a disproportionate role in spreading articles from low-credibility sources. Bots amplify such content in the early spreading moments, before an article goes viral. They also target users with many followers through replies and mentions. Humans are vulnerable to this manipulation, resharing content posted by bots. Successful low-credibility sources are heavily supported by social bots. These results suggest that curbing social bots may be an effective strategy for mitigating the spread of online misinformation.“
Und es sind keineswegs – wie häufig verbreitet wird – nur russische Geheimdienste, sondern auch die Geheimdienste der USA, der Briten, der Israelis die Bots oder Trollfabriken nutzen, ja sogar der selbsternannte „Islamische Staat“.
Die Regierungschefs der EU haben auf ihrem Gipfel im März 2015 eine „East StratCom Taskforce“ beschlossen, um – wie es hieß – „Russlands laufenden Desinformationskampagnen entgegenzuwirken“ (Daniel Brössler, Süddeutsche Zeitung 24.01.2017). Auch die NATO hat im belgischen Mons ein „Cyber Security Operations Center“ eingerichtet, um Hacker abzuwehren, die – wie Generalsekretär Stoltenberg befürchtet – sich in nationale Wahlkämpfe einschalten und „die Demokratie unterminieren“ könnten (Christoph B. Schiltz, welt v. 28.02.2017). Auch die Bundesregierung teilt Befürchtungen, dass der nicht gekennzeichnete Einsatz von „Social Bots“ eine Gefahr für das Funktionieren des demokratischen Meinungsbildungsprozesses darstellen kann (Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2018, S. 39). Sandro Gaycken, Direktor des Digital Society Institute (ESMT Berlin), betonte, dass soziale Netzwerke nachweislich von fremden Mächten für Manipulation genutzt würden. „Ein wichtiger Punkt ist, dass Desinformationskampagnen billig durchzuführen sind„. Heute im Bundestag Nr. 497 v. 11.04.2019
Die Europäische Union warnt vor „hybriden Bedrohungen“ und „Masseninformationskampagnen im Internet“ bei der Europawahl und sie schlägt einen Verhaltenskodex für Plattformbetreiber mit „klaren Kennzeichnungsregeln und –systemen für Bots“ vor (Dana Heide, Eva Fischer, Till Hoppe, Handelsblatt v. 03.12.2018). Und auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz wurde eine Erklärung der „Transatlantic Commission on Election Integrity“ diskutiert und viele Kandidaten haben sich schon verpflichtet auf die Nutzung von Desinformation, Deep Fakes und nicht deklarierten Wahlkampfspenden zu verzichten (Monika Ermert, heise online). Wobei, wenn man an einige der Initiatoren dieser Selbstverpflichtung – wie etwa an den ehemaligen Chef des US-Heimatschutzministeriums Michael Chertoff oder den Ex-NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen – denkt, sich die Frage stellt, ob hier nicht aus dem Glashaus mit Steinen geworfen wird.
Radikalisierung im Netz als Folge der Aufmerksamkeitsökonomie
Die Währung des Internets ist Aufmerksamkeit. Der Algorithmus von Facebook funktioniert unter anderem so, dass Beiträge gut laufen, die gleich in den ersten Minuten Interaktionen auslösen. Es geht um rhetorische Zuspitzung und darum, möglichst große Zustimmung oder große Ablehnung zu erzeugen, am besten beides gleichzeitig. Es geht um – wie das im Jargon heißt – „engagement“, d.h. Reaktionen der Nutzer auszulösen, also um das „Liken“, „Kommentieren“, Links anklicken oder „Teilen“ („Sharen“). Dieses „engagement“ multipliziert die Reichweite der Beiträge und diese Reichweite wird von den kommerziellen Plattformen an Werbetreibende verkauft. „Es werden primär diejenigen Beiträge mit Sichtbarkeit im Nachrichtenstrom belohnt, die die größten Aussichten auf eine Weiterverbreitung haben und somit neben Aufmerksamkeit vor allem auch Werbeeinnahmen versprechen. Diese radikale Entkopplung von Qualität und Popularität politischer Nachrichten erklärt, warum gezielte Falschmeldungen oft die größte Verbreitung in den sozialen Netzwerken genießen,“ schreibt Jeanette Hofmann. Demokratie im Datenkapitalismus, WZB Mitteilungen Heft 155 März 2017 S. 14ff., S. 15 Das Profitinteresse führt zum „Nutzer-Tracking“, d.h. die Dienste haben ein Interesse daran, dass die Nutzer möglichst oft und möglichst lange auf dem Netzwerk ihre Daten abliefern. Entgegen der Behauptung, dass Menschen miteinander kommunizieren, also Fragen stellen und Probleme aushandeln, um Orientierung zu schaffen, wird Kommunikation auf ein Reiz-Reaktionsschema reduziert (Felix Stalder, Le Monde diplomatique, März 2019 S. 3a.a.O.). Die sozialen Medien folgen einer profitgetriebenen Aufmerksamkeitsökonomie und nicht einem Gemeinwohlauftrag einer offenen und demokratischen Meinungsbildung. Das Spannende und Sensationelle ist eben beliebter als das Sachliche und Nuancierte. Es geht um „Clickbaiting“, d.h. um reißerische Überschriften oder „Teaser“ um die Zugriffszahlen zu erhöhen, klassische journalistische Tugenden – Objektivität, Neutralität und Recherchetiefe – sind dem „Engagement“-Faktor eher abträglich (Stefan Herwig, FAZ v. 02.03.2019).
Der Ex-Berater des US-Präsidenten, Steve Bannon, ja Trump selbst – bewusst oder unbewusst auch die AfD oder andere populistische Bewegungen, wie die „Fünf Sterne“ in Italien – übertragen diese Logik der sozialen Medien auf ihre Politik. Man sucht nach Themen, die die Leute wütend oder ihnen Angst machen oder man provoziert und stößt damit eine öffentliche Debatte an. Deshalb sind populistische Absender in den sozialen Medien im Vorteil. Giuliano da Empoli, Manipulation im Netz, in der FR 17. Mai 2019 S. 2f.
Im Wettstreit um Aufmerksamkeit müssen sich die Postings darüber hinaus an sprachlicher Härte, an skandalisierendem Ton und an Aggressivität überbieten. Hass bringt Klickzahlen und damit auch Werbeeinnahmen (Hate Speech – Hass im Netz Landesanstalt für Medien NRW, 2019).
Eine im März 2018 veröffentlichte Studie des MIT hat die Verbreitung von verifiziert wahren und falschen über Twitter verbreiteten Nachrichten von 2006 bis 2017 untersucht und herausgefunden, dass Fake News (wie unscharf der Begriff auch immer sein mag) sich weiter, schneller, intensiver und breiter verbreiten denn als wahr klassifizierte Informationen (significantly farther, faster, deeper, and more broadly than the truth in all categories of information). Falschmeldungen werden doppelt so häufig geteilt und haben eine um 70% größere Chance der Verbreitung als normale Nachrichten (Science 09.03.2018).
Ein Indiz für diesen Befund ist, dass die erfolgreichste Falschnachricht des Jahres 2018 auf Facebook laut einer Analyse des Medienunternehmens BuzzFeed ein Artikel der in Russland registrierten Webseite Anonymousnews.ru war. Der Beitrag unter der Überschrift „Staat zahlt Harem 7500 Euro im Monat: Syrer lebt jetzt mit 2 Ehefrauen und 8 Kindern in Deutschland“ habe insgesamt 148.000 Facebook-Interaktionen generiert. Einzig und allein ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung, der die Frage aufwarf, ob man Menschen aus Seenot retten oder lieber sterben lassen soll ( Wolfgang Leif, Der Untergang, SZ Magazinv. 05.07.2018) habe mehr Interaktionen auf Facebook erzeugt. Keine andere der 50 meistgelesenen deutschen Nachrichtenseiten – nicht Bild, Spiegel, Focus, Welt oder Stern – hatten im selben Jahr einen Artikel mit so vielen Interaktionen auf Facebook. Die acht erfolgreichsten Falschmeldungen hatten mehr Facebook-Interaktionen als fast alle Artikel der größten Nachrichtenseiten in Deutschland. Wichtigste Verbreiter dieser Falschnachrichten waren die AfD und die ehemalige CDU-Politikerin Erika Steinbach (Karsten Schmehl, BuzzFeed.News v. 18.12.2018)
Das Reuters Institute an der Oxford University hat allerdings gemessen, dass Falschmeldungen bezogen auf die Gesamtbevölkerung jedenfalls in Frankreich und in Italien eine geringere Reichweite haben als etwa die Websites von Le Figaro bzw. La Republica (Reuters Institute, February 2018).Unabhängig davon, wie man die Reichweite von Falschmeldungen einschätzt, Desinformation verursacht Unsicherheit und Unsicherheit nährt Zweifel an allem und jedem/r, was nicht Teil der eigenen, gefühlten Wirklichkeit ist. Ohne einen Konsens in der Gesellschaft für die Unterscheidbarkeit von wahr und unwahr sowie von Tatsachen und Meinungen ist es jedoch „kaum möglich im politischen Meinungskampf eine auf Argumenten basierende Auseinandersetzung konstruktiv zu führen.“ Bernd Holznagel, Demokratieauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, in: Der Auftrag: Demokratie, Public Value Studie des ORF, 2018, S. 5ff., (S.9)
Ein Generalverdacht gegenüber „den“ Medien und „der“ Politik nährt den Glauben an einfache Lösungen oder Verschwörungstheorien. Torben Lütjen, FAZ 7.1.2019 S. 6 „Entgleiste Aufklärung“ Das mag erklären, warum gerade rechtsextreme Positionen im Netz, so große Verbreitung finden: „Diese Blasen, die sich um Fake News herum bilden, sind Milieus von Leuten, die das gerne glauben wollen, weil sie diese Fake News als Einwand gegen eine Welt, die sie nicht mehr begreifen können und auch nicht mehr begreifen wollen, kultivieren können“, schreibt der Soziologe Dirk Baecker (Deutschlandfunk Kultur v. 28.10.2018).
Der sarkastische Joke über Trump bringt dieses Phänomen treffend auf den Punkt: „Egal, ob Trump lügt oder nicht, Hauptsache er hat Recht“.
Ideologisch homogene Diskursräume führen zur Radikalisierung von Meinungen und weltanschaulichen Positionen (Florian Schmidt, Göttinger Institut für Demokratieforschung). So kann eine Wir-gegen-die-Haltung entstehen, die Hass sähen und einen Nährboden für politische Radikalisierung bilden kann. Das mag zumindest zum Teil erklären, wie aus unauffälligen jungen Männern über das Internet binnen weniger Monate hasserfüllte Gotteskrieger werden können (Radikalisierung Jugendlicher über das Internet, Ein Literaturüberblick, DIVISI 2016).
Spieleplattformen wie etwa Steam oder Imageboard-Websites wie etwa 4chan oder 8chan haben sich zum Sammelpunkt der Rekrutierung von Hass und Gewalt entwickelt (Anna Schughart, Jan Sternberg, Online-Chats – das Spiel mit dem Hass, Dresdner Neueste Nachrichten v. 04.04.2019). Die dschihadistischen Attentäter von Paris haben sich über den Playstation-Chat ausgetauscht und der Christchurch und der Münchner Attentäter Davi Sonbyly haben sich in den Chats von Computerspielen vernetzt (Andreas Zick, Institut für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, Frankfurter Rundschau v. 04.04.2019 S. 3).
Verrohung der Sprache im öffentlichen Diskurs
Unabhängig davon wie man die Wirkung der Internetkommunikation einschätzt, eine Tatsache ist unübersehbar: Im Netz wird eine Verrohung, ja teilweise sogar eine Vergiftung der Sprache im öffentlichen Diskurs erkennbar. Die Verrohung des politisch-öffentlichen Diskurses ist oft eng verbunden mit einer übersteigerten Emotionalisierung, einer Opferhaltung, einem pauschalen Antielitismus, einer allgemeinen Skepsis, mit Homophobie und Fremdenhass, mit Nationalismus, Rassismus bis hin zur Forderungen nach gewalttätiger Intervention. „Das Internet dient Vielen als Ventil für Ohnmachtsgefühle, Verlustängste oder unbeantwortete Zukunftsfragen und erlaubt einer lautstarken Minderheit entgrenzte Reaktionen und verbale Entgleisungen“ (Thomas Leif, Die Zeit v. 31. Dezember 2016).
Um dies zu beobachten braucht man nur in die Kommentarfunktionen der klassischen Medien oder auch von Internetmedien zu schauen. Das hat z.B. die Neue Züricher Zeitung (NZZ) veranlasst, ihre Kommentarspalte „umzubauen“. In einer Erklärung hieß es: „Wo früher Leserinnen und Leser kontrovers miteinander diskutiert haben, beschimpfen sie sich immer öfter. Wir werden zunehmend als «Systempresse» oder «Propagandaschleuder» betitelt, statt auf inhaltliche Fehler aufmerksam gemacht. In vielen Kommentaren wird nicht mehr Information ausgetauscht, sondern in einer Absolutheit doziert, die andere per se ausschließt“ (NZZ v. 04.02.2017)
85 Prozent der 14- bis 24-Jährigen sind in Social Media bereits mit „Hate Speech“ konfrontiert worden (Landesanstalt für Medien NRW, Hate Speech-Sonderstudie). Die zunehmende Hetze im Internet hat nicht nur auf Gruppen und Einzelpersonen, gegen die sie gerichtet ist, negative Auswirkungen, sondern auch auf diejenigen, die sich für eine freiheitliche demokratische Gesellschaft, für Toleranz oder gegen die Diskriminierung von ethnischen und sonstige gesellschaftliche Minderheiten eintreten.
Es bleibt auch nicht nur beim Sprechen: Körperliche Attacken gehören z.B. für Journalisten/innen inzwischen zum beruflichen Alltag (Siehe eine Befragung des Instituts für Interdisziplinäre Konfliktforschug (IKG) an der Uni Bielefeld von 780 Journalisten). Menschen, meist Migranten, werden tätlich angegriffen und verfolgt. Bis November wurden im Jahr 2018 gab es insgesamt 19.105 Straftaten mit politisch rechts motiviertem Hintergrund gemeldet, darunter 1.072 Gewalttaten (Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage v. 14.02.2019 BT-Drcks. 19/7772).
Verstärkt durch die Fluchtbewegungen der letzten Jahre sind „Soziale Medien“ in einem beachtlichen Umfang zu asozialen Medien verkommen. Das Internet wurde geradezu zu einem Sammelpunkt für fremdenfeindliche Hetze. Und der Hass reicht weit über das rechtsextreme Spektrum hinaus (Johannes Baldauf von der Amadeu-Antonio-Stiftung). „Nirgendwo sonst kann in so hoher Zahl offen fremdenfeindliche, antisemitische und islamfeindliche Hetze gefunden werden“ wie im Internet. Heißt es im Verfassungsschutzbericht 2014 (S.42), (siehe auch Antisemitismus 2.0 und die Netzkultur des Hasses)
Viele Menschen, vor allem auch Jugendliche werden mit „Cyber-Mobbing“, „Cybergrooming“ (d.h. Heranmachen an Kinder) oder „Sexting“ (d.h. Austausch und Missbrauch erotischer Fotos) konfrontiert. In der Altersgruppe der 12- bis 19-Jährigen geben 42 Prozent der Mädchen und ein Drittel der Jungen an, dass in ihrem Bekanntenkreis schon einmal jemand im Internet oder per Handy fertig gemacht wurde (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest JIM Studie 2017)
Die ökonomische und kommunikative Macht der Internetoligopole
Die Google-Mutter Alphabet hatte im Geschäftsjahr 2018 einen Umsatz von 136,8 Milliarden Dollar und einen Überschuss von 30,7 Milliarden Dollar gemacht. Apple hat einen Umsatz von 266 Milliarden und einen Jahresgewinn von rund 59,5 Milliarden Dollar (statista). Die Facebook Inc., zu der Instagram, WhatsApp gehören, hatte im gleichen Jahr einen Umsatz von 55,84 Milliarden Dollar und einen Gewinn von rund 22 Milliarden Dollar (statista). Diese Kommunikationsoligopole gehören zu den 10 gewinnträchtigsten Unternehmen in der Welt. Gleichzeitig schaffen es diese Digitalkonzerne, durch geschickte Konstruktionen aus Niederlassung, Lizenzen und Betriebsausgaben ihre Steuerschuld zu minimieren. Die Steuersätze liegen in Europa teilweise unter 1%. Google gehört zu den aktivsten Lobbyisten in der EU. Der Konzern hat in den vergangenen Jahren über 200 Meetings mit EU-Politikern gehabt (Ranga Yogeshwar, WDR print, April 2019 S. 20ff.) Eine 3%-ige europäische Digitalsteuer auf den Umsatz der Konzerne wurde von Finanzminister Olaf Scholz aus Furcht vor Abwehrsteuern der USA mit dem Hinweis, man brauche eine globale Lösung, bisher verhindert.
Doch es ist nicht nur die schiere ökonomische Macht der Technikgiganten, die nicht nur Kartellbehörden Sorgen macht, noch problematischer sind die Märkte, aus denen sie ihre Gewinne erzielen, nämlich aus dem Sammeln und dem Verkauf von Daten ihrer Nutzer. Ein wachsender Teil des Wertes in der heutigen Wirtschaft wird nicht mehr durch Arbeit geschaffen, sondern durch Daten, die aus menschlichen Aktivitäten gewonnen werden. Die Harvard-Ökonomin Soshana Zuboff hat für diese Form der Gewinnerzielung den Begriff „Überwachungskapitalismus“ eingeführt. „Der Überwachungskapitalismus nutzt die invasiven Kräfte des Internets als Quelle der Kapitalbildung und der Schaffung von Reichtum und ist nun im Begriff, auch die Geschäftspraxis in der realen Welt zu verändern. Der Überwachungskapitalismus nutzt eine abhängige Bevölkerung für seine Zwecke, deren Mitglieder weder ihre Kunden noch ihre Arbeitskräfte sind und denen seine Vorgehensweisen weitgehend unbekannt bleiben.“ (Soshana Zuboff, Wie wir Googles Sklaven wurden, FAZ v. 05.03.2016). Es handele sich um eine beispiellose Form von Markt, die im rechtsfreien Raum wurzele und gedeihe. „In der digitalen Wirtschaft wird das Lehrbuchmodell des perfekten Marktes mit vollständiger Konkurrenz endgültig zur Fiktion“ schreibt Mathias Binswanger zurecht (Mathias Binswanger Zeit Online v. 13.06.2017). Selbst in den wirtschaftsliberalen USA wird über die Zerschlagung der Oligopolisten diskutiert. Konstantin Kakaes, Warum Facebook zerschlagen werden muss (heise online v. 08.03.2019), (siehe auch Paul Krugman, The Economics of Evil Google, New York Times v. 23.03.2013). Die demokratische US-Senatorin Elizabeth Warren hat angekündigt, die „Zerschlagung der Tech-Riesen“ zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfs um die Präsidentschaftsnominierung im nächsten Jahr zu machen.
Unlängst untersagte das Bundeskartellamt immerhin, dass Facebook die Nutzerdaten dieser Dienste in Deutschland ohne explizite Zustimmung der Nutzer zusammenführen darf. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Verstager will den Betreibern untersagen eigene Produkte auf ihrer Plattformen anzubieten und schlägt darüberhinaus vor Dritten Zugang zu den Daten dominanter Plattformen zu verschaffen. FAZ 15.04.2019 S. 15
Eine kartellrechtliche Regulierung sei nicht genug, eine Gruppe von Wissenschaftler um Jaron Lanier und Glen Weyl schlägt vor, die von den Nutzern gelieferten Daten als „Arbeit“ einzustufen und wie auf den klassischen Arbeitsmärkten Gewerkschaften zu gründen und damit einen Anteil an dem durch ihre Daten geschaffenen Werte einzufordern (Ibarra, Goff, Hernández, Lanier, Weyl, Should We Treat Data as Labor). Da Daten und künstliche Intelligenz einen immer größeren Teil unserer Wirtschaft ausmachen, sei es wichtig, wieder ein Gleichgewicht zwischen Unternehmen und Nutzern zu schaffen, die die Daten liefern, man müsse einen Mechanismus finden, um das „neue Öl“, nämlich der Anhäufung von Daten, umzuverteilen. Karin Petterson, Vorsitzende des Weltverbandes der Zeitungen und Nachrichtenmedien (WAN-IFRA), Der digitale Klassenkampf, Internationale Politik und Gesellschaft (IPG)).
Ganz grundsätzlich stellt Evgeny Morozov in Frage, dass die Netzwerke in privater Hand sind. Warum – so fragt er – sollte die „Öffentlichkeit“, die bislang im Netz überwiegend in privaten Händen ist, nicht der Öffentlichkeit übereignet werden? Eine technokratische oder ökonomistische Lösung sei nicht zielführend und er propagiert eine „radikale demokratische Transformation“ in eine „gerechte, faire und egalitäre“ digitale Zukunft Evgeny Morozov, Süddeutsche Zeitung vom 2. März 2019, S. 15; in die gleiche Richtung argumentiert auch Thomas Wagner, Das Netz in unsere Hand, S. 151 ff. dazu auch „Daten in Bürgerhand“).
Es geht aber nicht nur um die Ausbeutung von Nutzern und die Anhäufung von Reichtum, sondern angetrieben vom Handel mit Daten und personalisierter Online-Werbung und mit darauf ausgerichteten algorithmischen Überwachungstechniken lenken die weltweit agierenden Oligopolisten den Internetzugang, die Sozialen Medien und die Streamingdienste und steuern darüber hinaus Nachrichtenströme und den Informationsfluss von Milliarden von Menschen. Über den Zusammenhang von ökonomischer Größe und die kommunikative Macht der Oligopole auf den Wandel der Öffentlichkeit und die demokratische Kultur wissen wir noch wenig. Jeanette Hofmann a.a.O. Man muss hinter der Fusion von WhatsApp, Instagram und Facebook und hinter dem Pathos in Zuckerbergs Manifest „Building Global Community“ nicht – wie Adrian Lobe – eine „Weltverschwörung“ argwöhnen, Sekte oder Weltverschwörung, Süddeutsche Zeitung, S. 10 v. 25.02.2019; siehe dazu auch Oiiver Nachtwey, Die Theologie des Silicon Valley, FAZ v. 5.5.2019 S. 24 aber die Frage nach der kommunikativen Macht der großen Internetplayer ist für die Demokratie, die sich auf die freie politische Willensbildung des Volkes und freie Wahlen gründet, von zentraler Bedeutung.
Welche politische Mobilisierungsmacht diese Oligopolisten mittels ihrer Dienste ausüben können, zeigte sich am Beispiel eines Videoaufrufs der YouTube-Chefin Susan Wojcicki gegen die Verabschiedung einer „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“, speziell gegen Art. 13 (zuletzt Art. 17). Im Kern ging es bei dieser Richtlinie um die Frage, wer haftbar sein soll für die Netzinhalte, nämlich entweder die Nutzer, die z.B. auf YouTube Inhalte hochladen – so wie bisher – oder aber die Dienste, auf denen die Inhalte verbreitet werden. Sollte die Richtlinie in den europäischen Ländern Rechtskraft erlangen, müssten die Dienstbetreiber für urheberrechtlich geschützte Werke haften. Um ihr Haftungsrisiko zu minimieren, seien sie – so wird zurecht befürchtet – gezwungen sog. Upload-Filter einzusetzen, d.h. automatisierte technische Filter, die schon beim Hochladen von Inhalten prüfen, ob Urheberrechte verletzt sein könnten. Für diesen Fall müssten die Dienstbetreiber die Inhalte blockieren bzw. Lizenzgebühren bezahlen. Wojcickis Post auf YouTube „Warum es YouTube nächstes Jahr nicht mehr gibt“ hatte über 4 Millionen Aufrufe und wurde von Hunderten YouTubern und Netzaktivisten aufgegriffen und es wurde nicht nur im Netz, sondern auch auf der Straße eine mächtige Kampagne gegen den Einsatz von sog. Upload-Filtern angestoßen. Auch die mit Google eng verwobene Online-Enzyklopädie Wikipedia, eine der meistbesuchten Websites, stellte (obwohl von der Richtlinie gar nicht betroffen) am 21. März 2019 ihren Dienst für vierundzwanzig Stunden ein, um diese politische Kampagne zu unterstützen, indem sie ihre Besucher aufforderte bei ihren jeweiligen Abgeordneten im Europäischen Parlament zu protestieren.
Für viele ist diese Kampagne – ganz unabhängig davon, wie man zu Art. 13 bzw. in der neuen Fassung zu Art. 17 dieser Richtlinie steht, dazu ausführlich Joe McNamee, Ist Artikel 13 wirklich das Ende des freien Internets ( Netzpolitik.org v. 19.03.2019) ein Beispiel für die „unheimliche Macht“ (Wirtschaftswoche) der Internetoligopolisten.
Was kann man tun, um die Gefahren aus dem Internet abzuwehren?
Die Gefahren der Internetkommunikation fasst Christian Fuchs in folgenden Tendenzen zusammen: „Die digitale Öffentlichkeit nimmt durch die Logik der Akkumulation, der Werbung, der Monopolisierung, der Kommerzialisierung, der Kommodifizierung (des zur Ware-Werdens (WL)), der Beschleunigung, des Individualismus, der Fragmentierung, der Automatisierung der menschlichen Tätigkeit, der Überwachung und der Ideologisierung die Form der kolonialisierten und feudalisierten Öffentlichkeit an. Das Internet und soziale Medien werden von kommerzieller Kultur dominiert. Plattformen stehen zum Großteil im Besitz großer profitorientierter Konzerne.“ Christian Fuchs, Digitale Demokratie und öffentlich-Rechtliche Medien, in der Public Value Studie des ORF, Auftrag: Demokratie, 2018, S. 94ff. (115f.)
Selbst der Web-Erfinder Tim Berner-Lee meint, die positive Zukunftsvision des Internets habe dystopische Züge angenommen. „Wir haben Online-Missbrauch, Vorurteile, Voreingenommenheit, Polarisierung, Falschnachrichten. [Das Netz] ist auf viele Arten kaputt.“ Er initiierte eine Kampagne #ForTheWeb und stellte eine „Magna Charta für das Internet“ vor, um das Netz zu einem besseren Ort für alle Menschen zu machen (Simon Hurtz , Süddeutschen Zeitung v. 06.11.2018). Die Ziele und Handlungsempfehlungen seine „Vertrages“ zwischen Unternehmen und Regierungen bleiben jedoch sehr vage.
Es hat noch nie in der Geschichte ein Medium gegeben, das nicht reguliert wurde. Warum sollte das bei einem so mächtigen, omnipräsenten, fortwirkenden und zunehmend unverzichtbaren Medium wie dem Internet nicht gelten? Fragt Lorraine Daston, die Direktorin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte.
Schon vor dem Livestream des Massakers von Christchurch räumte selbst Facebook-Chef Zuckerberg ein, dass er die Gefahren, die aus seinem Unternehmen entstünden, nicht beherrsche und er forderte in einem in der FAS und in anderen internationalen Zeitungen veröffentlichten Gastbeitrag eine aktive Rolle von Regierungen und Regulierungsbehörden um Menschen, die seinem Unternehmen ausgesetzt sind, zu schützen (FAS v. 31.3.2019). Vorbildlich sei für ihn die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Nach den vielen Datenskandalen ist allerdings Misstrauen gegen solche Eingeständnisse Zuckerbergs angesagt, eine globale Regelung zu fordern, heißt nämlich, die Angelegenheit auf die „lange Bank“ zu schieben.
Wie auch immer: Jede Regulierung müsste das Spannungsverhältnis zwischen größtmöglicher individueller Meinungsfreiheit und staatlicher oder privater Zensur auflösen und darüber hinaus müsste sie ein hohes Maß an Datenschutz gewährleisten.
Die Frage ist, ob die Politik überhaupt noch in der Lage ist, die Tech-Giganten zu zähmen. Siehe dazu Erny Gillen, Ranga Yogeshwar, Die Strategie der Konquistatoren, wo der Einfluss von Facebook auf die Forschung beschrieben wird (FAZ v. 29.01.2019, S. 13). Die Internetmonopolisten haben bislang rechtsfreie Räume übernommen und einen Anspruch darauf geltend gemacht, der bislang kaum reguliert werden konnte.
Der ökonomischen und damit auch politischen Macht der meist in den USA angesiedelten, aber die ganze Welt umspannenden Internet-Oligopolen, ist die Politik seit Jahren nicht beigekommen und man wird auf absehbare Zeit gesetzgeberisch und wirtschaftlich wohl kaum viel verändern können. Letztlich müssen die beschriebenen Probleme ohnehin – zumindest auch – in den Köpfen der Menschen gelöst werden. Jeder und jede einzelne kann zunächst einmal nur selbst sein/ihr eigenes Mediennutzungsverhalten prüfen und die Strukturen und Mechanismen, die hinter den von einem selbst genutzten Internetmedien herrschen, kritisch hinterfragen und bewerten.
Es bedarf zuallererst einer Entzauberung des Internets und einer Verbesserung der allgemeinen Kenntnisse über die Funktionsweise der Internetkommunikation, z.B. wie „Trending Topics“, „Memes“, „Newsfeed“ etc. entstehen und wie dabei manipuliert werden kann.
Die Ideale des Journalismus sollten Bestandteil von Allgemeinbildung werden. Ganz allgemein sollte nach der Welle des „Das-wird-man-doch-wohl-noch-sagen-dürfens“ wieder über ein „Wertegerüst für das öffentliche Sprechen“ (Bernhard Pörksen) nachgedacht werden. Siehe ausführlicher Wolfgang Lieb, Pflege einer öffentlichen Diskursmoral, im Blog der Republik.
Wichtig wäre vor allem auch ein Aufbrechen des Abgrenzungsverhaltens zwischen etablierten Medien – mit ihren Ausgrenzungs-Fahnenwörter à la „Verschwörungstheoretiker“, „Populisten“, „Querfrontler“ etc. – einerseits und auf der anderen Seite der Netz-Community – die sich in eine Opferrolle als Abwehrstrategie flüchtet. Blogger und professionelle Journalistinn/en werfen sich gegenseitig Illegitimität und Verzerrung vor. Es ergibt sich so eine antagonistische Konstellation von Online- und Offline-Medien, die den Austausch verhindert. John David Seidler, Die Verschwörung der Massenmedien, Bielefeld 2016, S.273
Jedes neue Medium hat eine Phase des Experiments und der Anarchie durchlaufen. Um wirklich zu verstehen, wie die digitale Gesellschaft funktioniert, ist noch viel Forschungsarbeit nötig. „Wir wissen noch zu wenig über den Zusammenhang zwischen den neuen digitalen Medien, dem Wandel von Öffentlichkeit und Demokratie“. Jeanette Hofmann, Demokratie im Datenkapitalismus, WZB Mitteilungen Heft 155 S. 14ff., S.14 Mit den Lösungsansätzen befindet man sich vielfach noch im sprichwörtlichen Merkelschen „Neuland“ (Der Tagesspiegel)
Die Bundesregierung hat einen international prominent besetzten „Digitalrat“ berufen, der bei der Gestaltung der digitalen Transformation der Gesellschaft beratend tätig werden soll. Mit 50 Millionen Euro in den nächsten 5 Jahren fördert das Bundesforschungsministerium (BMBF) das „Weizenbaum Institut“, ein Konsortium, dem neben dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), die vier Berliner Universitäten sowie die Universität Potsdam und auch das Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) angehören, und dessen Aufgabe es sein soll, aktuelle gesellschaftliche Veränderungen, die sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung abzeichnen, zu untersuchen und künftige politische und wirtschaftliche Handlungsoptionen zu skizzieren (Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft).
Die Internetkommunikation stellt auch neue Anforderungen an die Medienpädagogik. Medienerziehung im digitalen Zeitalter setzt eine informationsethisch fundierte Datenkompetenz, ein Verständnis von (sich selbstverstärkenden) Netzwerkeffekten (und ihren politischen Auswirkungen) voraus und es müsste Medienkritik und Medienethik in den Mittelpunkt medienpädagogischer Arbeit gestellt werden.
Das Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) fördert verschiedene Projekte zur Vermittlung von Medienkompetenz für Kinder und Jugendliche sowie auch Beratungs- und Informationsangebote für Eltern, wie z.B. „Ein Netz für Kinder“ oder „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht“. Mit dem Projekt „Demokratielabore“ soll jungen Leuten ein kritischer Umgang im und mit dem Internet vermittelt werden und auch suchtähnliches Verhalten bekämpft werden. Ziel der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsvorhaben „PropStop“ und „DORIAN“ ist, Desinformationen zu bekämpfen.
Nicht alles, was unter den unscharfen Begriffen Fake News und Hassreden diskutiert wird, ist auch rechtswidrig. Auch Widerwärtiges oder Abstoßendes ist von der Meinungsfreiheit gedeckt. Selbst Hass ist nicht strafbar. Es darf letztlich nur darum gehen, geltendes Recht durchzusetzen. Desinformation und Verschwörungstheorien gab es schon immer, doch irre Behauptungen oder krude Ideen erreichten meist nur wenige, aber mit der digitalen Infrastruktur haben Lüge und Hetze eine millionenfache Verbreitung und eine neue Intensität und erfahren – dazuhin durch Online–Werbung üppig finanziert (Evgeny Morozov, Fake News sind ein Symptom des digitalen Kapitalismus).
Die Europäische Kommission hat schon 2016 mit den Internetunternehmen einen „Verhaltenskodex für die Bekämpfung illegaler Hassreden“ vereinbart. 2017 hat die EU-Kommission den Unternehmen Leitlinien im Umgang mit illegalen Online-Inhalten vorgegeben. Diese wurden im Frühjahr 2018 um Empfehlungen zur Bekämpfung illegaler Online-Inhalte ergänzt und im September 2018 wurde ein Verordnungsvorschlag zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Online-Inhalte vorgelegt.
Die bisherigen Aktivitäten, Maßnahmen und Leitlinien der Europäischen Ebene und der Bundesregierung sind ausführlich im Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2018 dargestellt und sollen deshalb an dieser Stelle nicht weiter aufgelistet werden (Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2018).
Hier sei nur noch das am 1. Januar 2018 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG)), vorgelegt vom damaligen Justizminister Heiko Maas, erwähnt. Die großen Anbieter sozialer Netzwerke, darunter Twitter, Facebook und YouTube, sind seitdem verpflichtet, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden nach Eingang einer Beschwerde zu entfernen oder zu sperren. Für nicht offensichtlich rechtswidrige Inhalte haben sie sieben Tage Zeit. Kommen die Betreiber ihren Pflichten systematisch nicht nach, drohen Bußgelder in Millionenhöhe. Anleitungen zu schweren Straftaten, Volksverhetzung, die Verbreitung verbotener Symbole – das sind nur einige Beispiele für Beiträge, die nach dem NetzDG zu sperren sind. Rechtswidrige Inhalte sind solche, die die Tatbestände der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 des Strafgesetzbuchs erfüllen.
Neu ist: Mit diesem Gesetzentwurf, werden erstmals die Internetunternehmen für die von ihnen verbreiteten Inhalte zur Verantwortung gezogen, wer auch immer der Absender der „Posts“ sein mag. Siehe zu dieser Forderung nach der Verantwortung der Social-Media-Unternehmen für die auf ihren Sites geteilten Inhalte auch einen Bericht des Britischen Parlaments „Disinformation and ‚fake news‘“ .
Die Gegner des NetzDG kritisieren, dass mit dem Gesetz in die Meinungsfreiheit eingegriffen und die Rechtsdurchsetzung an private Unternehmen delegiert werde (Norbert Häring). Kritiker befürchten darüber hinaus eine Zensurinfrastruktur (Markus Reuter) und dass Inhalte gelöscht würden, die gar nicht gegen die erwähnten Paragrafen verstoßen. Vereinfacht gesagt, lautet die Kritik: Um sich nicht strafbar zu machen und um nicht teure Bußgelder zahlen zu müssen, könnten die Unternehmen dazu tendieren, im Zweifelsfall lieber mehr zu löschen als zu wenig. Alle im neuen Bundestag vertretenen Parteien wollen das Gesetz entweder überarbeiten oder sogar abschaffen. So wird beispielsweise bemängelt, dass es keine Möglichkeit gibt, sich über womöglich unrechtmäßige Löschungen zu beschweren. In Positionspapieren fordern Union und SPD über das Gesetz hinausgehend einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Es wird die Einführung von Klarnamen im Internet als notwendig erachtet. Aber was ist dann mit Whistleblowern?
Die Telemediendienstanbieter wollen Software einsetzen, damit ihre jeweiligen „Community Standards“ eingehalten werden und um Bots oder Hate Speech und vor allem auch Kinderpornografie abzuwehren, außerdem wollen sie mit externen Rechercheuren zusammenarbeiten, um Fehlinformationen zu bekämpfen. Die großen Plattformen haben schon einen „Content-Uploadfilter“ gegen Terrorpropaganda eingeführt. Angeblich soll es inzwischen weltweit mehr als 100.000 Content- Moderatoren geben, die die sozialen Netzwerke, mobile Apps und Cloud-Dienste sauber halten sollen.
Für Facebook sucht in Deutschland die Bertelsmann-Tochter Arvato nach verbotenen Inhalten – in Berlin sind es 700 und in Essen rund 500 Mitarbeiter. Im Sommer 2017 hat Facebook verraten, dass alleine in Deutschland monatlich ungefähr 15.000 Posts wegen Hassreden gelöscht werden mussten. Siehe zu den katastrophalen Arbeitsbedingungen und den psychischen Belastungen der Mitarbeiter beim Berliner Facebook-Löschzentrum (Hannes Grassegger, Till Krause im Süddeutsche Zeitung Magazin Nr. 50 v.16.12.2016, S. 14 ff.)
In ihren vorgeschriebenen Transparenzberichten melden Facebook und Twitter Erfolge. Auf YouTube wurden von Juli bis Dezember Zeitraum 19.935 wegen Hassreden oder politischem Extremismus gesperrt und 11.901 wegen Persönlichkeitsverletzungen entfernt.
Sabine Frank – Leiterin Regulierung, Verbraucher- und Jugendschutz von Google Deutschland – verwies in einer Anhörung vor dem Deutschen Bundestag darauf, dass 2018 rund 465.800 NetzDG-Meldungen bei YouTube eingegangen seien. 94 Prozent der gemeldeten Inhalte seien innerhalb von 24 Stunden nach Erhalt einer Rechtsbeschwerde entfernt worden. Google berichtet allerdings auch, dass in der zweiten Jahreshälfte 2018 deutlich weniger Beiträge gemeldet worden seien, deren Entfernung verlangt wurde als zuvor. Kritiker führen den Rückgang der Beschwerden darauf zurück, dass der Beschwerdeweg zu kompliziert sei. In den meisten Bundesländern bietet die Polizei inzwischen die Möglichkeit, Anzeigen unkompliziert online zu erstatten (Bundeszentrale für politische Bildung).
Die EU Justiz-Kommissarin Daria Jourová meldet Erfolge bei den Löschquoten: IT-Unternehmen prüften mittlerweile 89 % der gemeldeten Inhalte innerhalb von 24 Stunden und entfernten 72 % der Inhalte, die als illegale Hetze betrachtet werden (Europäische Kommission, Pressemitteiligung v. 04.02.2019). Viele, zumeist von Rechtsextremen benutzte Netzwerke, fallen jedoch gar nicht unter das NetzDG. Ob die Aufsicht wirklich gut funktioniert, wird man wohl erst 2020 genauer wissen, spätestens dann soll das NetzDG evaluiert werden (Max Hoppenstedt Spiegel Online v. 31.01.2019).
Auch unterhalb staatlicher Eingriffe und gesetzlicher Regulierung gibt es inzwischen eine kaum noch überschaubare Zahl von Initiativen gegen Hasskommentare und Falschbehauptungen. Z.B. eine No-Hate-Speech-Kampagne, „Gesicht zeigen“, eine Facebook-Gruppe gegen Verschwörungsideologien „Nothing but the Truth“, die Facebook-Gruppe „#ichbinhier“, oder die Reporterfabrik „CORRECTIV“ sowie den „Faktenfinder“ der ARD, die mit Faktenchecks gegen Fake News vorgehen wollen. Die Deutsche Welle (DW) betreibt die Plattform “Truly Media”. Mit dem Projekt #ZDFcheck 17 begleitete das ZDF die Berichterstattung zur Bundestagswahl 2017. ZDF-Moderator Jan Böhmermann wendet sich mit seinem Projekt „Reconquista Internet“ („Zurückeroberung des Internets“) mit sog. „Liebestrollen“ gegen rechte Hetze in Sozialen Medien (Robert Tusch, MEEDIA V. 01.10.2018).
Es gibt weltweit einen „Safer Internet Day“ auf Initiative der Europäischen Kommission, die sich dieses Jahr unter dem Motto „Together for a better internet“ direkt an die Internetnutzer richtet (Landesbeauftragte für Dantenschutz Rh.-Pf.). Die Parlamentarische Versammlung des Europrats hat eine Charta für eine „No Hate Parliamentary Alliance“ verabschiedet. Die Landeszentralen für Medien in Rheinland-Pfalz und NRW haben die Initiative „klicksafe“ gestartet.
Das sind nur einige wenige der zahlreichen Initiativen gegen Hate Spech. Hate Speech – Hass im Netz (Informationen für Fachkräfte und Eltern, Landesanstalt für Medien NRW, 2019). Ob sie wirklich zu einer „Abrüstung der Sprache“ im Internet führen, ist bisher nicht messbar.
Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung, die Soziale Medien erlangt haben, müsste man in einer Demokratie Transparenz darüber herstellen können, in welchem Ausmaß Suchmaschinen und andere Intermediäre meinungsrelevante Auswahlentscheidungen treffen oder vorwegnehmen, meint Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). Martin Emmer vom Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft (Deutsches Internet-Institut) meint, dass es zumindest eine Grundverpflichtung für Plattformen geben müsse, Datenkategorien in gewissen Grenzen für die Forschung freizustellen. Heute im Bundestag Nr. 407, vom 11.04.2019
Zu wissen, was mit den „Daten über mich“ geschieht, gehörte m.E. zum Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Die Frage ist doch, ob es legitim und grundgesetzlich hinnehmbar ist, dass private Konzerne mit dem Kauf, Handel oder Verkauf von privaten Daten Geld machen (Roger McNamee, Facebook-Insider ). Dazu müssten u.a. in der kürzlich eingesetzten Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ Vorschläge gemacht werden. Siehe dazu auch Andrea Nahles, Digitaler Kapitalismus, Handelsblatt 13. August 2018, S. 48
Zur Sicherung von Meinungsvielfalt werden „Must-Carry-Regelungen“ diskutiert, die die Tech-Plattformen verpflichten sollen, bestimmte Inhalte einzuspeisen, um ihre Inhalte zu diversifizieren.
Warum nicht ein öffentlich-rechtliches (beitragsfinanziertes) Online-Angebot?
Im Gegensatz zu den privatrechtlich organisierten Printmedien, die Tendenzbetriebe sind und nicht dem Pluralismusgebot unterliegen und darüberhinaus gewinnorientiert und zumindest großteils werbefinanziert sind, wäre ein öffentlich-rechtliches (beitragsfinanziertes) Internetangebot auf der Grundlage der Rundfunkgesetze in Deutschland (ARD, ZDF), Österreich (ORF), in der Schweiz (SRF) oder im Vereinigten Königreich (BBC) verpflichtet die Vielfalt der bestehenden Meinungen möglichst breit und vollständig abzubilden und die Nutzer umfassend zu informieren.
Und im Gegensatz zu den Sozialen Medien könnte ein öffentlich-rechtliches Internetangebot ein duales Angebot in Konkurrenz und Ergänzung zu den privaten Internetoligopolen anbieten, es könnte – beitragsfinanziert – auf den Verkauf von Daten verzichten und auf wäre nicht auf die damit verbundenen Mechanismen der Ausbeutung der Nutzer, dem „Clickbaiting“ und „Nutzer-Tracking“ und der algorithmisch gesteuerten Nachrichtenströme angewiesen. Durch das verfassungsrechtlich vorgegebene und gesellschaftlich (nicht staatlich) überwachte Vielfaltsgebot, die Verpflichtung zur Ausgewogenheit und den Integrationsauftrag könnte den „Filterblasen“- bzw. „Echokammer“-Effekten und damit der Fragmentierung der Öffentlichkeit in viele Teil- oder Gegenöffentlichkeiten durch die Sozialen Medien entgegengewirkt werden. Durch das Wahrhaftigkeits- und Achtungsgebot und die Einhaltung journalistischer Grundsätze könnte Glaubwürdigkeit aufgebaut und Hate-Speech oder Verschwörungsdenken vorgebeugt werden. Das öffentlich-rechtliche Internetangebot könnte mit dem Versprechen für die Nutzer verbunden sein, dass die (persönlichen) Daten geschützt, und die (Such-) Algorithmen transparent gemacht würden. Außerdem könnte im Sinne eines „kommunikativen Versorgungsauftrags“ (Bernd Holznagel) zusätzlich für die Inhalte eine Creative Commons-Lizenz vergeben werden, sodass die Inhalte von den Usern beliebig genutzt werden könnten. Es könnte auch Raum für eine nutzergenerierte Öffentlichkeit, für Foren etc. vorgehalten werden. Zur Idee eines öffentlich-rechtlichen Internets ausführlich Bernd Holznagel, Demokratieauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks; Christian Fuchs, Digitale Demokratie und öffentlich-Rechtliche Medien, in der Public Value Studie des ORF, Auftrag: Demokratie, 2018, S. 94ff., (S. 116ff.), ders. Auch im Falter 27a/16 S. 29ff. (33); Siehe dazu Auftrag und Strukturoptimierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Zeiten der Digitalisierung der Medien, ARD, November 2016.
Es wäre damit allerdings nicht sichergestellt, dass ein solches Angebot in Konkurrenz zu den etablierten Sozialen Medien und Portalen auch tatsächlich genutzt würde, aber zumindest bestünde die Möglichkeit einer Alternative zu den Internetoligopolisten. Ob für ein solches öffentlich-rechtliches Internetangebot ein eigenes „Portal“ aufgebaut werden müsste oder ob die Angebote (auch bzw. zusätzlich) über die bestehenden (privaten) Portale abgerufen werden können sollten, müsste erst noch geprüft und erprobt werden.
Sowohl auf europäischer als auch auf Bundesebene wird immer wieder die Forderung laut, Konkurrenzangebote zu den amerikanischen Internetoligopolisten zu entwickeln.
Auf die Verlagerung der Mediennutzung zumal von Jüngeren hin zu Abrufdiensten, Plattformen und zu Sozialen Netzwerke haben inzwischen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit der Einführung des Jugendangebots „https://www.funk.net/“ reagiert. Das ist ein abrufbares nichtlineares Angebot von Videos für ein jüngeres Publikum. Zudem bietet das ZDF Archivkanäle bei Amazon Prime Video und bei Netflix, also über Bezahl-Abos an. „Creative Commons“, eine Arbeitsgemeinschaft in der ARD prüfte unter welchen Bedingungen die Länderrundfunkanstalten Nutzern das legale Kopieren, Veröffentlichen oder die Bearbeitung von Inhalten unter CC-Lizenzen freigegeben werden könnten.
Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm schlug im Handelsblatt (vom 23.09.2018) „eine Plattform von Qualitätsangeboten im Netz (vor), an der sich die öffentlich-rechtlichen, die privaten Rundfunkanbieter, die Verlage, aber auch Institutionen aus Wissenschaft und Kultur und viele andere beteiligen können“. Ob durch diese Private-Public-Partnership nicht nur die Tür geöffnet würde, dass Verleger an den Rundfunkbeiträgen teilhaben könnten, ist eine offene Frage. Die Ministerpräsidentenkonferenz vom 21. März 2019 hat jedenfalls die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gebeten, „eine gemeinsame Plattformstrategie zu entwickeln“. Zur Idee einer Plattform, siehe auch die These 5 zum Aufruf „Zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien“
Einen Anfang hat ZDFkultur gemacht, allerdings nur mit einem neugestalteten Themenbereich innerhalb der ZDFmediathek und keiner Plattform. So der ZDF-Intendant Thomas Bellut auf medienpolitik.net. Nämlich mit einer eigenständigen Rubrik der ZDF-Mediathek, in der das ZDF, 3sat und Arte alle ihre Kultur-Inhalte als Digitalangebot verbreiten. Die Bündelung der Angebote aller ARD-Anstalten wäre ein weiterer Schritt zu einer zentralen Plattform (Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung 2018, S. 56).Die ORF-TVthek ist mit rund 1,5 Mio. Nutzern pro Monat die erfolgreichste österreichische Videoplattform und mit 77 Prozent Bekanntheit eine der stärksten ORF-Marken (Thomas Prantner, stellv. Direktor für Online und Neue Medien des ORF, medienpolitik.net).
In diese Richtung weist auch ein Vorschlag des Landes Rheinland-Pfalz, im Internet eine Mediathek für alle öffentlich-rechtliche Inhalte aufzubauen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland oder – besser noch – in ganz Europa (Johannes Hillje) hätte ausreichend Inhalte in seinen Programmarchiven, um eine Art öffentlich-rechtliches „YouTube“ anzubieten als „mediale Infrastruktur“ für die Demokratie. Finanziert werden könnte ein europäisches Portal etwa über eine Digitalsteuer (Johannes Hilllje).
Ansätze zu solchen Portalen sind vorhanden, wie etwa
- Euronews, wo öffentlich-rechtliche Sender aus 60 Länder einen Informationsaustausch betreiben;
- eu, eine virtuelle Bibliothek, die einer breiten Öffentlichkeit das wissenschaftliche und kulturelle Erbe Europas in Form von Bild-, Text-, Ton- und Video-Dateien zugänglich machen soll;
- EUscreen, eine Website, die über Videos, Artikel, Bilder und Audio aus europäischen audiovisuellen Archiven und Sendeanstalten freien Zugang zum europäischen Kulturerbe bietet;
- IASA , eine Internationale Vereinigung Schall- und audiovisueller Archive oder
- DARIAH-DE, eine digitale Infrastruktur, die mit digitalen Ressourcen und Methoden arbeitende Geistes- und Kulturwissenschaftler/innen in Forschung und Lehre unterstützen will.
Alle diese Initiative könnten Ansatzpunkte für ein europäisches Internetportal sein, wenn sich noch mehr Institutionen aktiver beteiligen, wenn rechtliche Barrieren überwunden würden, wenn vor allem mehr Mittel eingesetzt werden könnten. Bislang führen jedoch alle diese Aktivitäten nur ein Schattendasein.
Medienpolitik und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind offenbar viel zu langsam und außerdem fehlte den Sendern die Finanzkraft, um im Wettbewerb und in der technischen Entwicklung den weltweit agierenden Oligopolisten Paroli bieten zu können (Zu den Schwierigkeiten und Problemen siehe Markus Heidmeier), Außerdem führen hierzulande die Verleger einen provinziellen Kleinkrieg gegen die gebührenfinanzierten Sender. Nach dem Rundfunkstaatsvertrag vom 1. Mai 2019 dürfen die Telemedienangebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf Druck der Zeitungsverleger „nicht presseähnlich“ sein und die Angebote müssen einen zeitlichen und inhaltlichen Bezug zu einer bestimmten Sendung haben. § 11 d Abs. 7 RStV ; Siehe zur Neuregelung der Telemedienangeboten von ARD und ZDF, Sabine Hadamik, in epd medien, vom 25.01.2019 Nr. 4 S. 3ff.
Die Verleger fürchten die Konkurrenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für ihre eigenen Netzangebote, denn damit könnten ihnen Werbegelder abgezogen werden. Sie merken offenbar gar nicht, dass sie dabei mit Kanonen nach Spatzen schießen und sie sehen nicht den Elefanten im Raum, nämlich die Internetoligopolisten, die schon jetzt den Löwenanteil auf dem Werbemarkt an sich gerissen haben und dabei immer gefräßiger werden.
Die Verlage legen darüber hinaus ihre Informationsangebote zunehmend hinter Bezahlschranken. Man kann zwar die wirtschaftlichen Motive verstehen, aber im Ergebnis könnte diese Entwicklung das Publikum noch stärker teilen als es schon derzeit der Fall ist, nämlich in diejenigen, die sich teuren Journalismus leisten und in diejenigen, die das nicht können und entweder auf die kostenfreien nichtprofessionellen Informationsangebote im Internet angewiesen oder sich vollständig aus dem politischen Diskurs zurückziehen.
Ein beitragsfinanzierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk auch als Internetangebot wird deshalb für eine vielfältige öffentliche Meinungsbildung und damit für die Demokratie immer wichtiger.
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