Berlin verkündet die Zeitenwende: Die westlichen Regenbogengesellschaften treffen auf russisches Olivgrün. Der Krieg steht vor unserer Haustüre und mit beiden Beinen bereits im europäischen Vorgarten: Selbstgewissheiten und -zufriedenheiten sind dahin. Die heimlichen Abrüster aus der Kohl- und Merkelzeit, Komparsen auch eines immerwährenden Schauspiels endloser Schuldzuweisungen, reißen jäh erstaunt die Augen auf und beklagen laut wehklagend den Zustand der Bundeswehr. Das Politik-infotainment der Republik unterhält das Publikum mit pensionierten Daueranalytikern aus Wissenschaft und Generalität zum Ukrainekrieg. Der Flachbildschirm gewährt digitale Nähe in das Bombardement und zynische Morden des russischen Aggressors. Jeden Abend die immer wiederkehrenden Appelle des ukrainischen Präsidenten, der sich medienwirksam für seine Heimat einsetzt und trotz alledem Stück für Stück seiner Heimat verliert, im Blut ertränkt.
Die deutsche Armee findet nun auch in denjenigen, die ihr vor Jahr und Tag noch die Drohnen verweigerten, ihre größten Befürworter. Wer sich bislang gedankenlos in den winterwarmen Berliner Amtstuben das Hinterteil mit russischem Gas gewärmt hat, ruft nun laut nach mehr deutscher Führung in Europa und damit der Welt. Das „ Sondervermögen“ Bundeswehr von 100 Milliarden Euro ist nur ein erster wichtiger Schritt in Richtung Aufrüstung, doch es müssen noch viele weitere getan werden und zwar in fast allen gesellschaftlichen Bereichen. Wie soll dies finanziert werden? Auch mit Sondervermögen, mit Schulden oder vielleicht endlich einmal mit einer Steuerreform, die ihren Namen auch verdient, wo Reiche, hohe Gewinne oder der öffentliche Dienst stärker und fairer als bisher für die dringend notwendigen Reformen herangezogen werden?
Der Zustand des Landes liegt in vielen Bereichen im Argen. Ob Verkehrsinfrastruktur mit einem maroden Schienen- und Verkehrsnetz, ein Gesundheitswesen mit einer teils desolaten Personal- oder Versorgungsstruktur, ein Bildungssystem mit immer noch undurchsichtigen Hierarchien, wo scheints der wissenschaftsfeindliche Muff unter den Talaren aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Riechorgane noch heute beleidigt. Und, wer ehrlich ist, der weiß, dass die Armut im Lande zunimmt und der soziale Auf- und Abstieg auch Faktoren geschuldet ist, wie fehlende Transparenz der öffentlichen Verwaltungen, Verbände, gemeinnützigen Organisationen, der vielen vom Staat oder durch Gebühren finanzierten Unternehmen auch und gerade auf kommunalem Bereich, die der Selbstbedienung der Parteien dienen. Auf dem strukturellen Ruhekissen aus Leistungsfeindlichkeit und Ignoranz, gepaart mit dem Dauerselbstlob eines ständigen Ankündigungs-Weltmeisters hat sich trotz des tiefen Einschnitts der Wiedervereinigung ein riesiger Reformstau entwickelt. Die Chance nach Erneuerung ist vor gut 30 Jahren vertan worden und wird jetzt umso dringlicher.
„Wer Führung verlangt, bekommt sie auch“, meinte Olaf Scholz. Das ist zwar richtig, aber dieser Satz bleibt nur eine Phrase, wenn ihm nicht eine Analyse über den Zustand des Landes und seine künftige Bedeutung vorausgeht.
Die Zeitenwende, so meine ich, verlangt eine grundsätzliche gesellschaftliche Diskussion nicht nur über den Zustand des Landes im Inneren, seine Organisation, seine Inhalte und Herausforderungen oder/und seine außenpolitische Rolle, wie seine militärische-wirtschaftliche Bedeutung, die einher geht mit einem erheblich höheren finanziellen staatlichen Kostenapparat für nationale aber vor allem internationale Aufgaben.
Dies bedarf auch mutiger Politiker und meinungsstarker parlamentarischer Debatten. Können die Parteien dies leisten? Eine Ampelregierung mit aktuellen Problemen wie Corona, Energie- oder Ukrainekrise überhäuft? Eine Opposition aus abgewrackten Linken, irrlichternden Afdlern und einer orientierungslosen Union? Dazu eine von Monopolen geprägte Medienlandschaft, die unter deutlichen Qualitätsverlusten leidet und sich mehr und mehr von den Inhalten weg zu den Bild-Geschichten hinwendet.
Politik als Unterhaltung: Christian Lindner und seine neue Ehefrau, beide aus der Kirche ausgetreten, feiern drei Tage lang Hochzeit auf Sylt mit Segnung in einer Kirche und dann nix wie weg ge-Porscht. Das ist eigentlich ihre Privatsache, wenn nicht alles medial inszeniert wäre.
Schöne neue Welt oder nur Kulissenschieberei ?
Na, beim nächsten Mal auf zur Eisbärenjagd nach Afrika.