Die einen lesen im Kaffeesatz, andere hören das Gras wachsen. Die Ereignisse vom 24. auf 25. Juni in Russland erinnerten an absurdes Theater.
1. Akt: Es beginnt damit, dass Putins barbarischer Zögling und Anführer der Wagner Gruppe Prigoschin die Armeeführung in Moskau „Clowns“ nannte. Zu einer nächtlichen Unterbrechung des ersten Fernsehsenders Moskau teilte ein Sprecher in einer Meldung mit, dass alles, was der Söldnerführer mitteilen würde, die Unwahrheit sei. Der behauptete am Morgen des 25. Juni um 7:30 Uhr in Rostow am Don, dass die russischen Generäle seine Truppe mit Raketen und Kampfhubschraubern angegriffen habe. Es seien 13 seiner Söldner getötet worden. Er schwor den Verantwortlichen „Rache“. Unter dem Beifall des Publikums in Rostow nannte er die wahren Gründe für den Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine. Unter Beschimpfungen über die korrupten Eliten in Moskau zog er mit 25000 Schwerbewaffneten unbehelligt bis etwa 360 km vor Moskau.
Gefährliche Wahrheiten eines Schwerverbrechers? Manche Beobachter vermuteten eine Inszenierung des Kreml. Die WELT rätselte darüber, was tatsächlich hinter den Kulissen der Atommacht passierte.
2. Akt: Jetzt betrat ein sichtlich nervöser Präsident Putin die Bühne und drohte den „Verrätern“ mit scharfen Worten harte Strafen an.
Die Ereignisse zeigten Wirkung: Viele Russen flüchteten in Privatflugzeugen und in Linienmaschinen nach Tiflis und Ankara. Die Flüge waren ausgebucht. Auch in der Hauptstädten der westlichen Welt herrscht Ratlosigkeit. Nur im fernen Bamako, der Hauptstadt Malis, zollten Demonstranten Plakaten der Wagner-Gruppe Beifall.
3. Akt: Der Präsident von Belarus Lukaschenko, ein enger Verbündeter Putins, wurde vermutlich als Statist auf die Bühne des absurden Theaters gezerrt. Er berichtete über einen Kompromiss, den er mit Prigoschin und Putin erzielt habe. Danach sollte die Söldnertruppe ihren Marsch auf Moskau stoppen und nach Belarus in das Exil gehen. Freies Geleit und Straffreiheit wurden ihm zugesichert.
Für Putin sind Menschenleben so wenig Wert wie Labormäuse. Das weiß auch Prigoschin. Er wird fortan schweigen müssen, um sein Leben zu sichern.
Bewertung: Die Fassade des Systems, das vom lupenreinen Diktator Putin errichtet wurde, zeigt Risse. Er ist sichtbar für jeden Beobachter angeschlagen. Vermutlich wird er mit Täuschungen und weiteren Repressionen reagieren. Schon bisher reichte es aus über ihn Witze in Umlauf zu bringen oder einen Zettel mit kritischem Inhalt hochzuhalten um hinter Gittern zu landen. Trotzdem steht die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihm und seiner Politik. Wir im Westeuropa dürfen allerdings nicht in unfruchtbaren Pessimismus verharren. Doch die Diktatoren kommen und gehen. Das russische Volk bleibt. Es wird auch unsere Aufgabe in der Zukunft sein Brücken zu bauen. Der französische Staatschef Charles de Gaulle sprach einst von einem Europa, „das vom Atlantik bis zum Ural reicht“. Später ergänzte der sowjetische Präsident Gorbatschow diesen Gedanken als er die Zugehörigkeit Russlands „zum großgemeinsamen europäischen Haus“ proklamierte.
Willy Brandt hinterließ uns die historische Aufgabe Europa ein Ziel zu setzen, der russischen Bevölkerung das Feindbild zu nehmen. Seine Doppelbegründung: notwendig ist dazu Verteidigungsbereitschaft und Entspannung.
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