1. Aktuelle Situation in Washington
Das Haushaltsjahr endet in den USA mit Ablauf des dritten Quartals. Für 2025 ist über den Verteidigungshaushalt (National Defense Authorization Act (NDAA)) – dieses Jahr mit 895 Mrd. $ ausgestattet – bislang noch nicht entschieden. Das steht jetzt mit Datum 20. Dezember 2024 an.
Der NDAA wird regelmäßig mit einer Vielzahl weiterer Haushaltsentscheidungen zu. einem „Omnibus“ verbunden. Für die diesmalige Runde hatte das Weiße Haus eine Vorlage zur Unterstützung der Ukraine eingebracht. Das von Präsident Biden als Abschiedsgabe erbetene Volumen lag bei 24 Mrd. $. In jeder Vorlage des von der GOP dominierten Repräsentantenhauses ist das Petitum des Präsidenten übergangen worden. Was aus dem vorbereiteten Paket einer überparteilichen Gruppe von Abgeordneten unter dem Gesetzestitel „Stand With Ukraine Act“ wird, lässt sich erst nach Durchsicht des verabschiedeten Weihnachts-Haushaltspaketes beurteilen.
Formal ist damit eine Entscheidung der USA zu einer möglichen Unterstützung der Ukraine lediglich auf das kommende Jahr verschoben worden. Real jedoch ist es anders. Soll das Thema „Ukraine-Unterstützung“ noch einmal aufgegriffen werden, so müsste die nächste Entscheidung von einem US-Kongress getroffen werden, in dem die GOP, die Partei des dann-Präsidenten Trump, in beiden Kammern die Mehrheit hat. Dass es ausgerechnet in dieser Konstellation zu einer Weiterführung der finanziellen Unterstützung der Ukraine in ihrem Krieg gegen Russland in annähernd vergleichbarem Umfang kommen wird, ist damit höchst unwahrscheinlich. Das heisst: Die USA haben entschieden, es ist nur noch nicht verkündet worden. Die Spatzen pfeifen es aber von den Dächern, vernehmbar auch in Europa.
2. Höhe der bisherigen Ukraine-Unterstützung seitens der USA
Das Volumen der US-Hilfe für die Ukraine seit Kriegsbeginn Ende Februar 2022 wird meist mit 175 Mrd. $ angegeben. Das bündelt die Beschlusslage per April 2024, die allerdings mandatiert den Haushalt mit Ausgaben bis Ende September 2024 – d.h. relativ zu Februar 2022 für etwa 2,5 Jahre. Auch das ist nicht präzise, weil in dieser Zahl Haushaltsansätze enthalten sind, die noch weit über September 2024 hinaus zu Lieferungen führen können. Wir gehen dennoch davon aus, dass man durch 2,5 teilen darf, um auf typische oder durchschnittliche Jahreswerte für die bisherigen US-Leistungen zur Unterstützung der Ukraine zu kommen.
Von den 175 Mrd. $ gingen 106 Mrd. $, also 60 %, direkt an die Ukraine als Staat, die restlichen 40 % waren Unterstützungsleistungen aus Anlass des Kriegs um die Ukraine. Geht man davon aus, dass diese restlichen Leistungen nicht vollständig zurückgefahren werden, so kann man das Wert-Volumen, welches die USA wahrscheinlich zurückfahren werden, bei 50 Mrd. $/a ansetzen. Das steht für 125 Mrd. $ geteilt durch 2,5.
Die genannten 106 Mrd. $, die an die Ukraine als Staat gingen, teilen sich auf wie in der Graphik gezeigt, also etwa im Verhältnis 30 : 70 – die US-Hilfe ist somit militärhilfelastig gewesen, ganz entgegengesetzt zur Hilfe der Europäer. Bei einem Wechselkurs Euro zu Dollar von 1,05 stilisieren wir im Folgenden, nehmen Dollar gleich Euro.
In der Kategorie „Militärhilfe-Unterstützung“, bei der Unterstützung mit militärischem Gerät, lohnt es, besonders genau hinzuschauen. Da besteht auch die Gefahr von Doppelzählungen. Faktisch wurde die Hilfe in dieser Kategorie überwiegend über die sog. „Presidential drawdown authority” (PDA) lanciert. Dieses Mandat, welches im Jahre 1961 in Section 506 des Foreign Assistance Act geregelt worden ist, gilt für den Fall einer „unvorhergesehenen Notlage”. Der Präsident ist im Notfall ermächtigt anzuordnen, einen umgehenden „Abzug“ (drawdown) von militärischen Gütern und Leistungen (sci. aus U.S. Beständen) vorzunehmen und an Regierungen von Drittstaaten zu liefern – eine Waffenlieferung an informelle Einheiten ist gegen das Mandat. Mengenmäßig gibt es für die PDA eine Schranke: Der Präsident darf sie bis zu einem Volumen von 100 Mio. $ pro Jahr in Anspruch nehmen. Ist der Bedarf, den die Regierung sieht, größer, bedarf es jeweils der Zustimmung des Kongresses.
Die historische Einzigartigkeit, mit der die USA den aktuellen proxy-war gegen Russland führen lässt, kann an folgender Zahlenrelation anschaulich gemacht werden. Diverse US-Präsidenten haben die PDA von September 1961 bis Juli 2021, in 6 Jahrzehnten also, in Anspruch genommen, um militärische Güter im Wert von insgesamt etwa 3 Mrd. $ an rund 80 ausländische Regierungen zu transferieren. In Reaktion auf den Angriff Russlands auf die Ukraine, also seit August 2021, innerhalb von drei Jahren, hat die Biden Administration PDA genutzt, um der Ukraine Waffen im Wert von 31,7 Mrd. $ zukommen zu lassen.
Die Entnahme aus den US-Waffenvorräten ist in der Regel durch Neuanschaffung auszugleichen – es gibt Ausnahmen, wenn Waffensysteme abgegeben werden, die für den Gebrauch in den US-Streitkräften bereits ausgemustert wurden; dann handelt es sich um eine Art Resteverwertung, die den US-Steuerzahler nichts kostet. Nachbeschaffung wird in der Regel auch in Gang gesetzt, dafür aber braucht es eine Ermächtigung im Haushalt; das Hochsetzen der Schranken unter der PDA hingegen ist kein haushaltsrelevanter gesetzgeberischer Akt. Insofern kann der Wert der Lieferungen von den Haushaltsansätzen abweichen, aber das ist nur ein kurzperiodischer Effekt.
3. Entscheidungsoptionen der USA
Dass es in Zukunft keine weitere finanzwirksame Unterstützung der Ukraine aus den USA geben wird, muss nicht zwingend bedeuten, dass Waffenlieferungen aus den USA an die Ukraine gänzlich eingestellt werden. Gut vorstellbar ist sehr wohl, dass die US-Regierung ihre Bereitschaft erklärt, Waffen weiterhin zu liefern, sofern Dritte in die Finanzierung eintreten. Diese Dritten haben dann selbstverständlich auch in die Weiterführung der humanitären Hilfe für die Ukraine einzutreten, die bislang die USA beigesteuert haben.
Dieser Dritte können nach Lage der Dinge nur die Europäer sein, also die EU – dann auch zu koordinieren mit den Briten, die einen Beitrag zu leisten zu verpflichten sind. Die finanzielle Größenordnung, die auf die Europäer zuzukommen scheint, ist oben mit 50 Mrd. €/a bestimmt worden. Das ist zusätzlich zu dem, was sie bislang schon leisten, ebenfalls in der Größenordnung von 50 Mrd. €/a.
Voraussetzung aber natürlich ist, dass sie überhaupt positiv entscheiden, in diese Ersatzvornahme-Rolle einzusteigen. Die Form, in der sie das entscheiden werden, ist vermutlich qua Sondersitzung des Europäischen Rates. Es handelt sich bei Verteidigungsausgaben bekanntlich um eine nicht-vergemeinschaftete Aufgabe, während die humanitären Zuwendungen (für den Haushalt der Ukraine) genuine Aufgabe der EU sind, die im Haushalt der EU zu veranschlagen sind. Die Aufstockung der Rüstungsunterstützung der Ukraine kann deshalb nur aus den Budgets der Mitgliedstaaten geleistet werden – auch wenn es, ein wenig an der Grenze der Legalität, dafür Ersatz- bzw. Unterstützungsleistungen aus der „European Peace Facility“ gibt, dem Fonds mit dem doppelbödigen Namen.
4. Positionsbezüge auf EU-Ebene
Am 28. November 2024 hat das Europäische Parlament in einer Entschließung mit dem Titel „Verstärkung der unerschütterlichen Unterstützung der EU für die Ukraine“ aktuell Position bezogen. Die darin enthaltene Aussage zur Finanzierung lautet
„bekräftigt seinen Standpunkt, dass alle EU-Mitgliedstaaten und NATO-Verbündeten gemeinsam und individuell ihre Zusage geben sollten, jährlich mindestens 0,25 % ihres BIP für die militärische Unterstützung der Ukraine aufzuwenden;“ (Zi. 13)
0,25% des BIP der EU von 17.000 Mrd. € sind 42,5 Mrd. €, incl. Großbritannien liegt das BIP der Europäer bei rund 20 Billionen, also läge die vom EU-Parlament für Europa geforderte Hilfe für die Ukraine an militärischer Unterstützung bei rd. 50 Mrd. €/a. Hinzuzurechnen hat man den sonstigen Unterstützungsbedarf für den ukrainischen Staat mit rund 30 Mrd. €/a. Das Parlament hat mit diesen unscheinbaren Satz faktisch eine Aufstockung der militärischen Hilfe für die Ukraine um 30 Mrd. € verlangt – ohne anzudeuten, aus welchen Quellen diese zusätzlichen Rüstungsgüter fließen sollen.
Für Deutschland mit einem BIP von 4.100 Mrd. € entsprechen 0,25 % 10 Mrd. €/a. Dabei ist die Situation in Deutschland im Hinblick auf seine Leistungen intransparent, weil, anders als in den USA, Lieferungen von militärischem Material, das aus Beständen der Bundeswehr abgegeben wird, also in kind geliefert wird, hier nicht bewertet werden. Kassenmäßig zu Buche schlagen diese Lieferungen erst, wenn nachbestellt wird. Das ist in den USA zwar wörtlich genommen nicht anders, aber die Vorkehrung für die PDA im Foreign Assistance Act führt zum Zwang, Werte für Waffen-Transfers offiziell auszuweisen.
Was das Europäische Parlament fordert, 50 Mrd. €/a allein für militärische Unterstützung, ist somit schon eine erhebliche Aufstockung der Hilfe, die die Europäer bislang für die Ukraine geleistet hat. Doch verglichen mit dem kommenden Ausfall an US-Finanzierung ist dieser Positionsbezug nicht geeignet, den US-Part zu übernehmen und von Europa aus zu schultern.
Weitergehend ist die in Brüssel offenbar kursierende Größenordnung, auf die Nico Lange (Münchener Sicherheitskonferenz) in einem Interview mit dem DLF am 11. Dezember 2024 aufmerksam gemacht hat. Er stellte in den Raum, dass „man in ganz Europa 3 % für Verteidigung und 0,5 % davon für die Ukraine aufwendet.“ Man kann, bei diesem Autor, davon ausgehen, dass solche Zahlen real im Hintergrund erwogene sind. 0,5 % vom BIP/a wären dann 100 Mrd. €/a. Für Deutschland wären das 20 Mrd. €/a.
Mit diesem Volumen kommt man in die Größenordnung, in der man denken muss, wenn die Europäer die ausfallenden Leistungen aus den USA ersatzweise übernehmen wollen. Und angesichts ihrer Programmatik, die Ukraine für die anstehenden Verhandlungen mit Russland in eine Position der Stärke zu bringen, können sie nicht anders als sich selbst in eine Position der Stärke zu versetzen, d.h. der Ukraine auf Dauer Leistungen in der Größenordnung von 100 Mrd. €/a zuzusagen.
Das Drehbuch scheint zu sein, möglichst lange die Beschlusslage in den USA öffentlich nicht zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie aber in Washington (oder Mar-a-Lago) in einem Nebensatz fällt, überrascht zu tun und dann in eilig anberaumten Sondertreffen zu beschließen, was in diesen Tagen vermutlich vertraulich vorbereitet wurde: Ein erneutes, kredit-finanziertes, 500 Mrd. € Paket à la NextGenerationEU. Das ist die einzige Lösung, die die Mitgliedstaten innenpolitisch aushalten.