Wer nicht kämpft, hat schon verloren, so lautet der Titel von Rita Süßmuths Erfahrungen in der Politik, die sie 2000 nach 3 Jahren als Bundesministerin für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, 10 Jahren als Bundestagspräsidentin und knapp 20 Jahren CDU-Mitgliedschaft herausbrachte. Darin liegt mehr als nur ein Körnchen Wahrheit. Sie hat für viele wichtige Themen in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik Vieles erreicht, in manchen Bereichen wirklich Außergewöhnliches.
„Ihrer“ Partei war dabei vieles unheimlich. Themen wie Gendergerechtigkeit, Schwangerschaftsabbruch, AIDS, sexuelle Selbstbestimmung, Zuwanderung und Integration u.a.m. waren in der CDU als echte „Stressthemen“ unbeliebt und erschütterten so manches rückwärtsgewandte Weltbild. Themen wie Frauenquoten in der CDU, Parteispenden, Verkleinerung der Abgeordnetenzahl des nach der Wiedervereinigung „explodierten“ Bundestags waren ihr wichtig. Und natürlich die deutsch-jüdische Zusammenarbeit.
Sie hat für viele große und kleine Themen couragiert und engagiert gekämpft. Das war in der CDU der Ära Kohl nicht einfach. Sie hat die erzkonservative CDU dennoch gesellschaftspolitisch ins 21. Jahrhundert geholt. Rita Süßmuth war ein wirklicher Modernisierungsschub für die CDU. Nur der hat überhaupt Koalitionsmodelle wie „schwarz-grün“, „grün-schwarz“ oder „Jamaica“ möglich gemacht. Unter Merkel schienen viele der hart erkämpften Themen „von selbst“ zu laufen. Ein böser Irrtum, wenn man jetzt an die Spitze der CDU schaut. Da folgte nach Merkel nach etlichen Wirrungen und Irrungen nun mit Friedrich Merz wieder ein konservativer Geist, unter dem viele Themen wie Gendergerechtigkeit, sexuelle Selbstbestimmung u.a. mehr in die Zeit der geistig-moralischen „Erneuerung“ der Ära Kohl zurückzufallen scheinen.
Helmut Kohl legte Rita Süßmuth viele Stolpersteine in den Weg. Ins Kabinett geholt wurde 1985 Rita Süßmuth nur durch die Unterstützung von Heiner Geissler. Kohl selbst habe sie angesichts der vielen, mit seinem erzkonservativen Weltbild nicht kompatiblen, neuen Ideen und Forderungen „Schreckschraube“ genannt. Später zutiefst verbittert ihre „Undankbarkeit“ beklagt, da Rita Süßmuth zu der kleinen Schar aufbruchsfreudiger CDUler gehörte, die im September 1989 eine Erneuerung der CDU gegen die rückwärtsgewandte Spitze versuchten, ihren „Putsch“ aber dann absagen mussten, da Kohl im Präsidium und Partei schon längst „seine Legionen“ mobilisiert hatte. Kohl hatte zwar innerparteilich triumphal gesiegt, aber die „Revoluzzer“ blieben dennoch weiterhin einflussreich. In Rita Süßmuths Amtszeit als Bundestagspräsidentin fielen so wichtige Debatten wie die „Verhüllung des Reichstages“ und „Umzug des Bundestags nach Berlin“. Beides Meilensteine der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte. 1998 engagierte sie sich für die Errichtung eines Holocaust-Mahnmals in Berlin. Ihre Ämter, Funktionen und Verdienste sind nur schwer überschaubar.
Aber eines sollte nicht unerwähnt bleiben: Sie setzte dem Reichstag die Kuppel auf. Das Reichstagsgebäude bekam unter oder mit ihr als Haus- und Bauherrin die begehbare gläserne Kuppel mit dem der Zeit weit vorauseilendem Ökokonzept für Licht, Abluft und Wärme. Die neue Kuppel erwies sich als Glücksgriff und Zuschauermagnet. Bei Tag und bei Nacht sieht man in Berlin, wo das Herz der Republik schlägt. Auch das ist ihr (Mit-)Verdienst. Ihr letztes Buch aus dem Jahr 2020 trägt den Titel „Überlasst die Welt nicht den Wahnsinnigen“. Nie war diese Botschaft wichtiger als gerade heute.
Rita Süßmuth wird heute 85 Jahre. In Bonn nannte man sie „lovely Rita“. Das Etikett war sicher nicht falsch, aber eher passt auf sie die „Unbeugsame“. Sie hat Geschichte geschrieben!
Bildquelle: Wikipedia, Michael Schilling – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0,