Sensibilität war noch nie die stärkste Charaktereigenschaft der Chefs zahlreicher Aktiengesellschaften. Sie werden von den Mitgliedern der Aufsichtsräte auf die Vorstandssessel gehoben und verlieren dort den Bezug zu den realen Entwicklungen unserer Gesellschaft. Die meisten Bosse fühlen sich selbst wie große Stars. Ihr Sein in einer eigenen Welt mit hohen Millionen Einkommen, Boni und anderen Benefits bestimmt ihr Bewusstsein.
Abgehobene Einkommensmillionäre
Es kümmert diese Vorstandsbosse nicht im Geringsten, wie ihre superhohen Vergütungen auf die anderen Millionen Angestellten, Beamten und Arbeiter wirken. Gewiss ist Neid völlig fehl am Platze. Doch sind Einkommen, die sich für das vergangene Jahr auf 8 bis 19 Millionen Euro pro Person belaufen, wirklich zu hinterfragen. Denn diese machen das 50-, 100-fache und mehr dessen aus, was die Mitarbeiter in ihren Unternehmen im Schnitt als Lohn oder Gehalt erhalten.
Die durchschnittliche Gesamtvergütung der Vorstandsvorsitzenden deutscher Aktiengesellschaften betrug für das Jahr 2021 sage und schreibe 6,1 Millionen Euro; das waren etwa 24 Prozent mehr als 2020, als im ersten Corona-Jahr manche Vorstände freiwillig auf einen Teil ihrer Einkommen verzichtet hatten.
Linde-Chef als Spitzenreiter
An der Spitze der Einkommensmillionäre ist Steve Angel, der CEO der Linde AG, zu finden: Er kassierte eine Gesamtvergütung von 19,5 Millionen Euro; davon entfallen 1,6 Millionen auf die Fixvergütung, die ihm von seinem Aufsichtsrat bei seiner Einstellung zugesagt worden war. Mit Abstand auf Angel folgt Herbert Diess, der Chef des VW-Vorstands, der es auf 11,5 Millionen Euro brachte. Nun wird Diess als CEO durch Oliver Blume, bislang Chef von Porsche, ersetzt, weil die VW-Aktionäre mit seinen Leistungen und Ergebnissen offenbar nicht zufrieden waren. Auf den weiteren Plätzen rangieren Christian Klein von der SAP mit 9,2 Millionen Euro und Kaspar Rorsted von Adidas mit 9 Millionen Euro. Nicht weit davon entfernt bei der Gesamtvergütung stehen der CEO der Deutsche Bank AG, Christian Sewing, mit 8,8 Millionen und Thierry Bernard von Qiagen mit 8,6 Millionen Euro sowie der BASF-Chef Martin Brudermüller mit 8,4 Millionen.
Die Durchschnittsverdienste der DAX-Vorstände beliefen sich für das vergangene Jahr auf rund 3,9 Millionen Euro, wie es jüngst eine Studie der Technischen Universität München und der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz errechnete. Der mehr als üppige Anstieg wurde mit den kräftig gestiegenen Unternehmensgewinnen begründet. Da in den meisten Aktiengesellschaften die Vergütungsberichte zwar immer umfangreicher, aber keineswegs transparenter geworden sind, lassen sich viele „french benefits“, Pensionszusagen und andere zusätzliche Vorteile kaum exakt feststellen. Die Millionen Aktionäre der börsennotierten Gesellschaften haben deshalb ohnehin die Übersicht verloren und dürfen sich nur über die weniger üppigen Ausschüttungen von Dividenden freuen. Und die Aufsichtsräte haben zuvor schon alles abgenickt.
US-Kapitalismus: Kein Vorbild für Deutschland
Allzu gern vergleichen sich die deutschen Vorstände mit ihren Kollegen im kapitalistischen Amerika. In den USA waren 2021 die CEO’s von Intel mit einer Gesamtvergütung von 92,2 Millionen Euro, von Apple mit 69,6 Millionen Euro und von JP Morgan Chase mit 65,6 Millionen Euro die Spitzenreiter. Diese können und dürfen auf keinen Fall für deutsche Aktiengesellschaften Vorbilder sein. Vielmehr sollten Maß und Mitte in unserer Sozialen Marktwirtschaft als Leitprinzip gelten. Exorbitante Einkommen passen ohnehin nicht in diese krisenhafte Zeitenwende. Ein kleiner Trost zum Schluss: Die Spitzenverdiener wurden mit dem Spitzensteuersatz vom Fiskus zur Kasse gebeten, sodass sie mit fast der Hälfte ihrer Millioneneinkommen ihren Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte leisten.