Es war Lars Klingbeil, dessen Worte, die eigentlich Erleichterung zum Ausdruck bringen sollten, mir die ganze Misere der SPD vor Augen führte. Angesprochen auf die nun wirklich nicht tollen Wahlergebnisse- in Sachsen 7,3 vh, in Thüringen 6,2 vh- meinte der Parteichef der SPD, Anfang des Jahres hätte die SPD in Umfragen nur drei Prozent gehabt. Also sollen wir die 7,3 vh und die 6,2 Prozent nun feiern, als Erfolge? Die Immer-Noch-Kanzlerpartei SPD ist erleichtert, die Fünf-vh-Hürde und damit den Einzug in zwei Landtage gepackt zu haben? Soll das die künftige Zielmarke einer Partei sein, die mal Volkspartei war mit rund einer Million Mitgliedern? Das war in den 70er Jahren, Deutschland war noch geteilt, Willy Brandt war Kanzler, Peter Glotz Bundesgeschäftsführer. Arme Sozialdemokratie. Fassungslos machen mich solche Aussagen des Bundesvorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, älteste Partei im Lande, die einst drüben gegründet worden war, im Osten, in Eisenach(1869 als SDAP) und Gotha(1875, Vereinigung), in Städten also, wo sie heute kaum noch ein Bein an den Boden kriegt.
Soll man weinen oder lachen, wenn die andere Parteivorsitzende Saskia Esken betont: „Olaf Scholz ist unser starker Bundeskanzler.“ Bundeskanzler ist er, aber stark? In allen Wahlanalysen bekommt Scholz schlechte Noten, der Kanzler verschafft der Landespartei der SPD keinen Rückenwind, schlimmer noch, sein Malus von Minus 1,7 belastet die SPD in den genannten Ländern. Von wegen Amtsbonus. Scholz zieht die Partei in die Tiefe. Das muss man so sagen. Und: die Politik der Ampel ist zu 80 Prozent der Grund für die AfD-Stärke. Es ist nicht mehr nur die fehlende Kommunikation des Kanzleramtes, es ist die fehlende Nähe zu den Wählerinnen und Wählern, es sind die Themen, die die SPD seit längerem nicht besetzt hat. Darunter eben die Migration und die damit verbundenen Probleme beim Asyl, keine geordnete Zuwanderung, es geht drüber und drunter, was es den Gegnern leicht macht, dagegen zu opponieren und nur zu rufen: Abschieben, abschieben. Das alles ist nicht gut für diese Republik und die Demokratie.
Die Partei der Arbeit
Noch eine Aussage, die mich umtreibt, weil ich den Mangel seit Jahr und Tag sehe. Saskia Esken betonte bei einer Pressekonferenz mit der sächsischen Spitzenkandidatin Petra Köpping und dem thüringischen Spitzenkandidaten Georg Maier, es gelinge “ uns als Partei der Arbeit zu wenig“, die Herzen der Wähler zu erreichen. Klar, Frau Esken, weil die SPD unter ihrer und der Führung von Klingbeil im Eindruck der Leute keine Partei der Arbeit mehr ist. Man setzt mehr auf Minderheiten, auf Themen wie Gendern und Cannabis als auf Themen, die die Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen. Dabei müsste doch eigentlich klar sein, dass man als SPD-geführte Regierung zuerst mal Politik macht, damit die Sorgen der Beschäftigten bedient werden. Denn die verdienen das Geld mit ihrer Arbeit, das wiederum nötig ist, um soziale Politik zu finanzieren. Der Mindestlohn ist wichtig und richtig und soll nicht infrage gestellt werden, aber die Reihenfolge muss schon stimmen. Nah bei de Leut, ist ein Satz des neuen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Alexander Schweitzer. Er hat über seinen Weg und seine Herkunft kürzlich in einem Interview gesagt, er sei nicht auf der Überholspur auf die Welt gekommen, er stammt aus einer Arbeiterfamilie, hat es zum Abitur geschafft, dann studiert und steht heute an der Spitze eines Landes, das die SPD vor über 30 Jahren der erfolgsverwöhnten CDU entriss und dort seitdem den Regierungschef stellt. Aufstieg durch Bildung, fällt mir da ein und der Name von Willy Brandt, zu dessen Kernthemen diese Politik zählte.
Die Wahlergebnisse für die SPD waren mehr als eine Schlappe, es war ein Desaster, auch wenn das schon wieder von einem aus Berlin relativiert wurde nach dem Motto: War nicht so schlimm, weil es war ja in der Vergangenheit nicht besser. Jawohl, das sind die Durchhalteparolen, die die Menschen satt haben, Frau Esken und Herr Klingbeil und Herr Kühnert. Sie alle sollten die nächsten Monate die Parteizentrale verlassen und zu de Leut gehen, um zu hören, wo der Schuh drückt. Und was den Menschen auf die Nerven geht. Auch das mit dem Bürgergeld war doch wieder handwerklich schlecht gemacht, Herr Minister Heil, von dem ich das nicht erwartet hätte. In jedem Dorf in Deutschland gibt es mindestens einen Fall, der erzählen kann, wie er sich das Bürgergeld besorgt-oder soll ich sagen erschleicht-, dass er davon leben kann. Und so weiter und so weiter. Der arbeitende Mensch, der müde nach Hause kommt und schauen muss, dass er mit dem Lohn und dem Gehalt Miete und Essen und Kleidung bezahlen kann, wird darüber zürnen, dass der Staat, die Regierung manchen Leuten das Geld einfach schenkt, ohne Gegenleistung. Dass die Bild-Zeitung daraus ihre Neid-Geschichten produziert, weiß man doch, man darf denen aber auch nicht den Zucker dazu liefern. Ja, ich weiß, dass diese Geschichten nicht immer so stimmen, wie sie den Stammtisch erreichen. Aber wenn sie einmal dort sind, ist es zu spät, wird auf den Kanzler geschimpft und die SPD. Dem Land und der Demokratie tut das nicht gut.
Was nun Ampel? Diese Frage stellt sich für mich schon nicht mehr, weil ich diese Koalition der Vergangenheit zurechne, es passt nicht zusammen, weil die Protagonisten es auch nicht wollen und vielleicht nicht können. Sie wurschteln sich durch und nennen das Politik. Die Menschen draußen haben das längst durchschaut und wenden sich ab. Von der SPD und Olaf Scholz. Und wenn dann noch Saskia Esken nachschiebt, sie sehe nicht, dass diese Regierung abgewirtschaftet habe, kann ich nur Frau Esken fragen, wo sie ihre Augen gehabt hat in letzter Zeit. Und dass sie dann noch ankündigt, „wir haben noch einiges vor“, dann verstehe ich das eher als Drohung denn als Ankündigung eines Projektes, das sowieso von denselben Politikern infrage gestellt würde, die das kurz zuvor angekündigt hatten.
Verbreitetes Misstrauen
Jeder gegen Jeden. So das Urteil eines alten Fahrensmannes über die Ampel, aber auch über die SPD. Das Misstrauen sei weit verbreitet. Man müsse die Wahl in Brandenburg abwarten. Aber warum soll die anders ausgehen? Die AfD wird von Überzeugungstätern gewählt, von Wut-Bürgern, Enttäuschten, und all denen ist es wurscht, wie der Verfassungsschutz über die AfD urteilt, dass da Rechtsextremisten zu Hause sind, Faschisten, Nazis, sie wählen sie. Punkt. Ob Scholz die Landtagswahl am 22. September überlebt? Der Mann sagt ja von sich, er habe gute Nerven. Aber Scholz darf sich auch nicht täuschen, die Prügel, die zur Zeit eine wie Saskia Esken bezieht, gilt eigentlich ihm, dem Kanzler. Die Enttäuschung über die Ampel ist riesig, und an der Spitze der Ampel steht er, Olaf Scholz. Spätestens nach dem Ergebnis der Brandenburg-Wahl werden SPD-Abgeordnete ihre letzte Hoffnung aufgeben müssen, dass sich das Blatt noch wenden könne und sie ihr Bundestagsmandat weiter ausüben. Die Hälfte der Abgeordneten der SPD muss um ihr Mandat bangen, heißt, sie müssen sich einen anderen Job suchen. Schön ist das nicht. Und wenn einer den ersten Stein wirft, wird es losgehen mit der Debatte über Scholz.
Neue Ideen sind nicht in Sicht, wer hat schon die Kraft für einen Neustart? Sie werden versuchen, mit letzter Kraft Neuwahlen zu vermeiden. Aber egal, wie lange es noch so weitergeht. Und man darf auch noch einwenden, dass die jetzige Bundesregierung besser sei als ihr Ruf, dass auch die harsche Beurteilung von Scholz in einem Großteil der Medien seiner Arbeit nicht gerecht werde. Sei´s drum. Der Eindruck von Politik unter seiner Führung ist der, dass er es nicht kann, nicht nur nicht vermitteln. Er führt nicht. Und muss nun mit ansehen, wie erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik eine rechtsextreme Partei mit Faschisten in ihren Reihen eine Wahl gewinnt, wenngleich das Schlimmste wohl noch abgewendet werden kann: Björn Höcke wird wohl nicht Ministerpräsident in Thüringen, im Land von Goethe und Schiller. Das ist es auch schon. Und wie eine Sahra Wagenknecht die Politik in Deutschland weiter aufmischen wird, weiß man auch nicht so Recht. Aber dass eine BSW aus dem Stand so stark wird, dass sie in zwei Regierungen gelangen und dort mitbestimmen kann, wohin die Reise geht, und dass dieselbe Partei unter Sahra Wagenknecht nun in Potsdam mitreden will, wenn sie in Brandenburg wiederum aus dem Stand in die Spitze vorstößt, darf einen schon mehr verunsichern. Die SPD ist in Thüringen und Sachsen nur noch eine Partei unter ferner liefen, in Brandenburg muss sie um ihre Mehrheit kämpfen. Die CDU mag davon profitieren, aber ob sie gewinnt, ist fraglich. Friedrich Merz, der mögliche Nachfolger von Scholz, trifft doch eine ähnliche Situation an, er wird auch mit zwei oder gar drei Parteien regieren müssen, dabei die Brandmauer zur AfD halten, wie er mit Sahra Wagenknechts BSW zu Recht kommt, die mindestens populistisch zu nennen ist, gern Richtung Putin schaut und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine ist, um den Krieg zu beenden, was ein frommer Traum ist. Auf die Bundesrepublik kommt manches zu.
Wenn Feinde zu Siegern werden
Am Ende kann der Frust über die Regierenden in Berlin jene zu Siegern machen, die gegen die demokratische Grundordnung operieren. Sie sind eigentlich die Feinde dieser Demokratie, die unsere Toleranz nicht verdienen. Aber noch fehlt uns der Mut, sie zu verbieten. Weil sie alles kaputt machen wollen, was die Werte unseres Landes ausmachen. Verdienste von früher zählen nicht, es spielt keine Rolle mehr, wer einst die Bundesrepublik aus und auf den Ruinen des Zweiten Weltkrieges aufgebaut hat, wer verantwortlich war für das starke Fundament dieser Republik nach dem Untergang der Nazi-Diktatur. Wer mitgewirkt hat am Aufbau der Europäischen Union, deren Existenz und Wirken unseren und den Wohlstand der anderen Europäer sichert.
Wir müssen schon höllisch aufpassen, dass dieser Bundesrepublik das Fundament nicht verloren geht, das Grundgesetz mit dem Kanon an Freiheiten und der dort festgelegten Würde des Menschen, die ausdrücklich Ausländer einbezieht. Angesichts der Erfolge der rechtsextremen AfD meinte ein besorgter Kanzler, „unser Land darf sich nicht daran gewöhnen“, dass rund ein drittel der Wählerinnen und Wähler in Thüringen und in Sachsen für die AfD gestimmt hatten. Der Faschismus darf nicht zum Normalfall werden, zum Alltag. Um das zu verhindern, bot nach der Wahl ausgerechnet der Linke-Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow, dessen Partei gerade gewaltig verloren hatte, der sein Amt abgeben muss als Verlierer, ausgerechnet der CDU von Thüringen unter Mario Voigt seine Stimme für die mögliche Wahl Voigts zu seinem Nachfolger an. Dabei pocht die CDU auf Einhalten des Unvereinbarkeitsbeschlusses der Partei gegenüber AfD und der Linken. Also keine Koalition von CDU und Links-Partei. Und doch reicht Ramelow dem Christdemokraten versöhnlich die Hand. Staatsmännisch, staatspolitisch. Er hat die Schutzbedürftigkeit und das Glück der Demokratie tief verinnerlicht.
Sorry, woher nimmt der Verfasser die genannten „80“??