„Warum die SPD regieren muss“. Diese Überschrift in der FAZ schlägt wieder mal einen falschen Ton an. Die SPD muss überhaupt nicht. Journalisten müssen die Partei-Oberen und Delegierten und die immer noch vielen Mitglieder nicht belehren. Manche und gerade die Konservativen tun so, als könnten ausgerechnet sie der SPD vorschreiben, was nun zu tun sei. Die SPD ist gut beraten, bei ihren Diskussionen auf dem Berliner Parteitag in dieser Woche in aller Ruhe darüber nachzudenken, was für die Republik und auch was für die Existenz der eigenen Partei vonnöten ist. Der FDP und ihrem Vorsitzenden Christian Lindner hat man den Ausstieg aus den Sondierungen rundum eine mögliche Jamaika-Koalition und die von ihm benannten Gründe nachgesehen. Warum dürfen die Mitglieder der ältesten deutschen Partei nicht auch den weiteren Abstieg der SPD in ihr Kalkül miteinbeziehen? Die Partei bleibt wichtig für die Republik.
Die Stabilität der Bundesrepublik hängt sehr eng mit der Arbeit der Regierungen zusammen, die abwechselnd unter der Führung der Union und der SPD gebildet worden waren, mal mit der FDP, dann mit den Grünen. Dazwischen, von 1966 bis 1969, hatte es die erste wirklich Große Koalition gegeben. Damals war die Union ermattet, personell ausgebrannt und inhaltlich am Ende. Kurt-Georg Kiesinger, der baden-württembergische Ministerpräsident, wurde zu einem Übergangs-Kanzler, 1969 musste die Union in die Opposition. Es begann eine sozialliberale Zeit, abgelöst durch Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher, christlich-liberal wurde Deutschland regiert, bis Gerhard Schröder und Joschka die erste rot-grüne Bundesregierung bildeten. So wurden über Jahrzehnte die Fundamente dieses Landes gelegt, im Bund und in den Bundesländern und immer waren CDU, CSU und/oder die SPD als stärkste Parteien führend dabei.
Nein, die SPD muss gar nicht, schon gar nicht den vielleicht gut gemeinten Ratschlägen, von welcher Seite auch immer, folgen. Johannes Rau(SPD), der langjährige Ministerpräsident von NRW und spätere Bundespräsident, pflegte in solchen Situationen gern den Spruch einzufügen: Ratschläge können auch Schläge sein. Heißt auch: Sie tun oft weh und nicht gut. Es war völlig richtig, dass die SPD-es war im übrigen der Parteivorstand und nicht nur ihr Vorsitzender und glückloser Kanzlerkandidat Martin Schulz- unmittelbar nach Bekanntwerden des Wahl-Debakels am 24. September erklärte, man gehe in die Opposition. Ja, was denn sonst! Die Große Koalition aus CDU, CSU und SPD hatte insgesamt 14 Prozentpunkte eingebüsst, nicht nur die SPD und die CSU hatten schwere Niederlagen einkassiert, die CDU war auf gut 26 Prozent gefallen, das schlechteste Wahlergebnis seit Jahrzehnten.
Merkels Kurs des Ungefähren
Aber Angela Merkel ging darüber locker hinweg, weil sie davon ausging, sie bleibe in jedem Fall Kanzlerin. Mir ist nicht bekannt, dass die Kanzlerin auch nur eine Sekunde bei ihrer Niederlage verweilt hätte. Nein, man träumte sehr schnell von etwas Neuem, Jamaika war das Thema der Kanzlerin und der Berliner Journalisten, die Sonneninsel als Namensgeber einer völlig neuen Politik. Schwarz-Grün wäre ihnen noch lieber gewesen, konnte man interpretieren, was sich auf der politischen Bühne nach der Wahl abspielte. Aber da es dafür nicht reichte, nahm man die Liberalen mit ins Boot. Doch das Boot kenterte irgendwo, ohne dass klar geworden wäre, in welche Richtung die Fahrt denn gehen sollte. Man blieb in Merkels Kurs stecken: das Ungefähre.
Warum ich das noch einmal erzähle? Weil die CDU-Chefin Merkel immer noch den Eindruck erweckt, als habe sie das Heft des Handelns allein in der Hand. Hat sie aber nicht. Und ich erwähne ausdrücklich auch ein weiteres Mal, dass Merkel den Jamaika-Karren an die Wand gefahren hat. Und als er dort demoliert war, drehte sie sich sofort um, um der SPD über ihre Helfer und Helfershelfer-auch in den Medien- klar zu machen, dass jetzt die SPD ranmüsse. Und zwar sofort. Fast empört reagierten die Merkel-Freunde auf die Zurückhaltung der SPD, darauf, dass sie zunächst dabei bleibe, was sie Wochen zuvor beschlossen und verkündet hatte.
Sie hat mitregiert und bitter dafür bezahlt
Die Wahlverluste waren ja nicht über Nacht verschwunden. Und die SPD-Führung hatte laut betont, sie gehe in die Opposition und nicht in eine von Angela Merkel geführte Regierung. Die GroKo sei abgewählt worden. All dies stimmt doch, oder habe ich da etwas übersehen. Die SPD hat mit Merkel von 2005 bis 2009 und von 2013 bis 2017 zusammen regiert und trotz aller inhaltlicher Erfolge �bitter dafür bezahlt. Gut 20 Prozent sind nun wirklich kein gutes Ergebnis und sie sind weit weg von einer Position, aus der heraus eine solche Partei Regierungsansprüche stellen und schon gar nicht selber eine Regierung bilden könnte. Mit gut 20 Prozent ist man keine Volkspartei mehr.
Der SPD muss man nicht abverlangen, sie müsse nun Verantwortung übernehmen. Das hat die Partei immer wieder bewiesen. Sie muss bedenken, wie sie ihren Mitgliedern und Wählern klarmachen kann, was sie zu tun gedenkt, ob sie und in welcher Form eine Bundesregierung stützt, sie mitträgt und dabei kein Ministeramt übernimmt. Dabei käme dann eine Minderheitsregierung heraus. Sie wird über eine GroKo nachdenken, dabei spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle, welches Wort die SPD-Führung gegeben hat, nämlich in die Opposition und in keine Regierung Merkel. Wortbruch ist ein schlimmer Vorgang und er kann dafür sorgen, dass weitere Glaubwürdigkeit verloren geht.
Weltoffen, tolerant, sozial, solidarisch
Inhaltlich wird es in Berlin nicht darum gehen, wie einzelne Stimmen zu vermitteln glauben, dass zum Beispiel eine Bürgerversicherung eingeführt oder dies und das bei der Rente korrigiert wird. Nein, es geht um eine Grundausrichtung der Politik, darum den Leuten verständlich zu machen, wohin die Reise gehen soll. Die Menschen müssen das Gefühl wieder bekommen, dass sich eine neue Bundesregierung glaubhaft darum bemüht, gesellschaftliche Ungerechtigkeiten abzubauen und Missstände anzugehen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen spüren, mit welcher Ernsthaftigkeit eine neue Berliner Regierung sich daran macht, die Spaltung der Gesellschaft in wenige Reiche und sehr Reiche und viele, viel zu viele Arme zu bekämpfen, es muss solidarischer zugehen im Land, weniger Egoismus täte gut und weniger Ellenbogen-Einsatz. Und beim Reden über das so wichtige Thema Bildung sollte man endlich sich ans Werk machen und das nötige Geld dafür bereitstellen, dass Tausende von Schulen erbärmlich aussehen, dass sie nicht anziehend, sondern abstoßend wirken. Die Gleichheit von Frauen und Männern vor allem auch in der Bezahlung muss endlich kommen, Kinderarmut zu einem Fremdwort. Weltoffen, tolerant, solidarisch, sozial, demokratisch, das ist Deutschland und das muss auch Europa wieder werden.
Es gibt keine Vorfestlegung und keinen Automatismus, in keine Richtung. Erst das Land, dann die Partei, hat Willy Brandt mal gesagt. Das bleibt klug. Und es ist klug, wenn die SPD über eine mögliche GroKo ihre Mitglieder abstimmen lässt. Mit all den Risiken, die damit verbunden sind. Aber so ist Demokratie.
Bildquelle: Wikipedia, Die Versuchung des Heiligen Antonius, von Hieronymus Bosch – www.boschuniverse.org, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19459123