Frage: Warum wollen Sie beide SPD-Vorsitzende werden? Einer Partei, die nach Umfragen ziemlich am Boden liegt und der nach der Aussage von Forsa-Chef Manfred Güllner das Ende bevorsteht?
NWB: Die SPD ist als eine der tragenden Säulen der parlamentarischen Demokratie in Deutschland unverzichtbar. Wer wie ich an der Seite von Johannes Rau in NRW Wahlergebnisse von über 50 Prozent erlebt hat, dem tut der Abstieg dieser Partei besonders weh. Eine der Ursachen dafür ist, dass die Führung der SPD von falschen Beratern und Lobbyisten verleitet oft über die Befindlichkeit der Basis hinweggerollt ist. Das wollen wir anders machen.
SE: Die SPD steht an einem Scheideweg, und wir hätten es uns nicht verziehen, jetzt nicht Verantwortung zu übernehmen. Wir sind davon überzeugt, dass wir der Frage nach gerechter Chancen- und Lastenverteilung in diesem Land nicht länger aus Angst vor der eigenen Courage ausweichen dürfen. Wir haben bewiesen, dass wir der Einflussnahme von Kreisen standhalten, die behaupten, für die Vielen zu handeln, in Wahrheit aber die Interessen Weniger vertreten. Diese Haltung wollen wir für die SPD einsetzen.
Frage: Ist die SPD nicht zu weit von ihrem ursprünglichen Ziel abgekommen, die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu vertreten?
SE: Mit den Gewerkschaften für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Industrie, Handwerk und in den Dienstleistungsberufen einzutreten und die Lebenssituation der Schwächeren zu verbessern, bleibt unser oberstes Ziel. Dafür setzt sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wie vor ihm Andrea Nahles enorm ein, wird aber oft von CDU und CSU blockiert. Wir sehen die Sozialdemokratie in der Verantwortung, an der Seite der Interessenvertretung aller Erwerbstätigen für gute und sichere Arbeit und für anständige Einkommen zu sorgen. Dazu muss der Mindestlohn substanziell erhöht werden, zumindest auf 12 Euro, und wir müssen bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen das Vetorecht der Arbeitgeber abschaffen, sonst kommen wir da nicht voran! Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir für Mehrheiten und für den Zusammenhalt auch die brauchen, die selbst gar nicht auf den Mindestlohn oder gar den Sozialstaat angewiesen sind, die aber wissen, dass eine immer tiefer werdende Kluft zwischen Oben und Unten am Ende den Wohlstand aller gefährdet.
NWB: Das sehe ich genauso. Der Schulterschluss mit den Gewerkschaften ist in Zeiten eines rasanten Wandels noch wichtiger als sonst. Aber auch der Brückenbau in alle Schichten der Gesellschaft hinein. Gerade Willy Brandt und Johannes Rau haben es verstanden, engagierte Menschen aus Wirtschaft und Wissenschaft, aus Vereinen und Initiativen, aus Kunst und Kultur, Kirchen und Religionsgemeinschaften ins Boot zu holen. Das hat auch der Interessenvertretung für die Kernwählerschaft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer enorm genutzt. In den letzten Jahrzehnten haben wir an Bindung zu beiden Seiten eingebüßt: zu denen, die Solidarität brauchen, aber auch zu denen, die Solidarität zu geben bereit sind. Wir müssen für beide Gruppen wieder die vertrauenswürdige Adresse werden.
Frage: Die SPD fordert seit Jahr und Tag mehr soziale Gerechtigkeit. Ist das auch der Kern ihrer politischen Programmatik, um die älteste deutsche Volkspartei wieder nach vorn zu bringen. Was heißt eigentlich soziale Gerechtigkeit?
NWB: Wir können so viele gute Programme verabschieden, wie wir wollen. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass die damit verbundenen Ausgaben auch durch gerecht erzielte Einnahmen gedeckt werden, zahlen am Ende immer die Schwächsten die Rechnung. Nehmen wir den Klimawandel. Hier holt uns jetzt ein, dass wir jahrzehntelang Lasten einfach in die Zukunft verschoben haben. Oder die zunehmende Flucht aus wirtschaftlicher Not. Die rührt doch auch daher, dass es uns egal ist, unter welchen Bedingungen Menschen in anderen Regionen der Welt für unseren Lebensstil schuften. Wenn wir das ändern wollen, bedeutet das Verzicht oder Mehrausgaben im Jetzt und Hier. Und dann stellt sich die Frage, wen das trifft. Geht es nach CDU/CSU oder FDP, dann sollen Top-Einkommen und -Vermögen verschont bleiben. Dann tragen Normalverdiener, Pendler und Rentner die Last. Das ist ungerecht. Gerecht wäre dagegen, die Drückeberger an die Kandare zu nehmen und die jahrzehntelangen Profiteure angemessen an der Finanzierung unseres Gemeinwesens zu beteiligen.
SE: Zur sozialen Gerechtigkeit gehören neben einer gerechten Verteilung von Einkommen und Vermögen und der gerechten Beteiligung aller an der Finanzierung des Gemeinwesens eben auch die gerechte Verteilung von Chancen. Wo Nachteile bestehen, müssen wir sie ausgleichen, damit alle Menschen ihre Freiheit nutzen, ihre Potenziale entwickeln und in die Gesellschaft einbringen können. Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass es ohne Gerechtigkeit keinen Zusammenhalt gibt. In einer Gesellschaft mit hoch ungerechter Verteilung von Einkommen, Vermögen und Chancen wie der unseren gelingt es den Rechtspopulisten viel zu leicht, Schwache oder Benachteiligte gezielt gegen noch Schwächere aufzuwiegeln.
Frage: Herr Walter-Borjans, Sie sind auch bekannt geworden durch ihre Jagd auf Steuersünder. Ist das ein großes Thema der neuen SPD unter der Führung von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans? Wen wollen Sie treffen, wer soll mehr bezahlen, wer davon profitieren? Kann man das Ausmaß des Steuer-Betrugs einigermaßen beziffern? Oder die Zahl der Hinterzieher schätzen?
NWB: Die gerechte Lastenverteilung und damit auch die Bekämpfung von Steuerumgehung und -betrug muss ein viel größeres Thema werden als bisher. Weil es keine Gerechtigkeit gibt, wenn sich die Betuchtesten am besten vor dem Bezahlen der gemeinsamen Rechnung drücken können und so den Leitsatz eines solidarischen Gemeinwesens, dass starke Schultern mehr tragen müssen als schwache, auf den Kopf stellen. Es geht darum, dass alle ihren gesetzlich vorgeschriebenen Beitrag leisten. Jahr für Jahr entgeht dem deutschen Fiskus ein dreistelliger Milliardenbetrag durch Trickserei und Betrug. Wir müssen aber auch die seit Jahren schleichende Begünstigung hoher und höchster Einkommen und Vermögen zu Lasten der kleinen korrigieren. Im Klartext: Rückkehr zu einer Steuer auf große Vermögen, Gleichstellung von Einkommen aus Arbeit und Kapital und ein angemessen höherer Beitrag der Bezieher von Top-Einkommen.
Frage: Eines der schwierigsten Themen ist die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Klar muss sein, dass wir grundsätzlich jedem helfen, der aus der Not heraus zu uns kommt, wir müssen ihm ein Dach über den Kopf geben, ihn medizinisch und mit Getränken und Lebensmitteln versorgen. Aber wie halten Sie es mit dem Bleibe-, dem Asylrecht? Müssen wir nicht auch mehr abschieben? Beispiel Dänemark, wo Sozialdemokraten mit einer härten Gangart in der Flüchtlingspolitik Erfolge verzeichnen konnten. In Europa lehnen einige Länder Verabredungen über Aufnahme-Quoten ab. Wie Polen.
SE: Mir ist es wichtig, auch deutlich zu machen, dass Migration für unsere Gesellschaft mit ihrer Demografie und angesichts des Fach- und Arbeitskräftemangels eine Chance darstellt und keine Bedrohung, wie das vielfach dargestellt wird. Migration ist also nicht die Mutter aller Problem, sie kann vielmehr die Lösung vieler Probleme darstellen. Insofern ist es gut, dass wir jetzt ein Zuwanderungsgesetz haben, es muss aber auch einen „Spurwechsel“ für abgelehnte Asylbewerber möglich sein, die Arbeit haben und integrationswillig sind. Abschiebungen von der Werkbank weg sind nun wirklich nicht zielführend. Wir brauchen aber auch viel stärkere Anstrengungen für die Integration und müssen die Kommunen dabei voll unterstützen. Dazu bedarf es massiver Investitionen, damit Kommunen bei der Integration handlungsfähig sind. Gleichzeitig darf nicht der Eindruck entstehen, dass für die Bewältigung von Bankenkrise bis Zuwanderung Geld da ist, der Erhalt der Infrastruktur wie Brücken und Straßen und der Betrieb guter KiTas, Schulen und anderer kommunaler Einrichtungen wie Familien- oder Begegnungszentren an der schwarzen Null scheitern. Das ist auch wichtig für den Zusammenhalt.
NWB: Wir müssen vor allem die Ursachen für die Flucht von Menschen aus ihrer Heimat bekämpfen. Wenn wir nicht zu mehr Fairness im weltweiten Umgang miteinander kommen, erleben wir erst die Spitze eines Eisbergs. Zu Recht fühlen sich die einen EU-Staaten allein gelassen, während andere sich ganz aus der Verantwortung stehlen. Es darf nicht so bleiben, dass einzelne EU-Staaten eine faire Verteilung von Geflüchteten mit ihrem Veto verhindern können. Auf der anderen Seite kann ein Land seinen Teil auch nur dann beitragen, wenn die Bevölkerung das mitträgt. Die Bereitschaft dazu ist auch in Deutschland nach wie vor hoch. Es gibt ja durchaus rechtsstaatliche Regeln, die Entscheidungen über Bleiberecht oder Duldung ermöglichen. Rückführungen stellen sich in der Praxis aber oft als schwierig heraus. Um sie dennoch durchzusetzen, muss man die Bürgerrechte und den Respekt vor der Menschenwürde der Geflüchteten aber nun wirklich nicht verletzen.
Frage: Plötzlich will sogar einer wie Horst Seehofer mehr Flüchtlinge aufnehmen, er redet nicht mehr von Obergrenzen. Was sagen Sie dazu? Der Innenminister, ein CSU-Politiker als Wendekönig?
NWB: Wenn es nur eine Wende wäre, ließe das ja hoffen. Aber er neigt zur Pirouette. Das erleben wir bei anderen Themen wie dem Klimawandel ja auch mit seinem Parteikollegen Markus Söder. Also: Wenn die zur Vernunft kommen, ist das nur zu begrüßen. Wenn es ein taktisches Spiel ist, ist das in diesen sensiblen Fragen besonders schäbig.
SE: Ich finde das Angebot Seehofers, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen, aber nur solange die Zahlen nicht steigen, ziemlich vergiftet. Auch meine Humanität folgt Regeln, aber sie kennt keine Obergrenze.
Frage: Ein Problem der SPD war auch oft, dass sich die Partei aus Mitgliedern zusammensetzte, die gern regierten, und anderen, die lieber Opposition betrieben. Der frühere Bundesminister Jürgen Schmude (SPD) hat das mal so ausgedrückt: Wenn wir nicht regieren, sind wir nicht zufrieden, wenn wir aber regieren, sind wir es auch nicht. Ein Spagat, der auch Sie beide treffen könnte, sowohl in der Steuerpolitik, als auch in der Flüchtlingspolitik. Wie wollen Sie damit umgehen?
SE: Es darf nicht um ein Regieren um jeden Preis gehen. Vor lauter Angst vor der Opposition werden Kompromisse eingegangen, die die Grundhaltungen der Partei und der eigenen Anhängerschaft verletzen. Ich bin der Überzeugung, dass man auch in der Opposition einen maßgeblichen Einfluss auf die Politik nehmen kann, indem man Themen setzt und die Regierung vor sich hertreibt.
NWB: Regieren ist gut, wenn man dabei eine für die Menschen glaubwürdige Linie verfolgt. Dass man dabei Kompromisse machen muss, ist doch klar. Wenn man aber schon mit dem erhofften Endergebnis in Verhandlungen geht und faule Kompromisse als Beweis für die eigene Durchsetzungskraft verkauft, geht jede Glaubwürdigkeit den Bach runter. Den Eindruck haben viele SPD-Anhänger in der GroKo mehr als einmal gewonnen. Regieren nur um des Regierens willen schafft keine Glaubwürdigkeit. Andersherum wird ein Schuh draus: Glaubwürdigkeit schafft auch wieder Mehrheiten zum Regieren.
Frage: Nehmen wir als Beispiel das Migrationspaket, dem die SPD in der Regierung Merkel zugestimmt hat. Aber dann haben die Grünen es heftig kritisiert. Habeck und Co sind zwar nicht in der Groko, aber die Grünen gelten immer noch als potentieller Koalitionspartner der SPD. Und das Paket muss ja noch durch den Bundesrat, da haben auch die Grünen mitzureden und da werden die jeweiligen Interessen aufeinander treffen. Wo stehen Sie?
NWB: Auch wir kritisieren das Paket. Saskia hat im Bundestag gegen die problematischen Bestandteile davon gestimmt. Noch einmal: Es geht nicht darum, dass wir jede Rückführung ablehnen, aber wenn Bürgerrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung für Geflüchtete außer Kraft gesetzt werden und Abschiebungen dadurch gewährleistet werden sollen, dass diese Menschen quasi als Kriminelle behandelt und in Justizvollzugsanstalten festgehalten werden dürfen, dann hat das mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun.
Frage: Widmen wir dem Klima zu viel Bedeutung? Geht ohne Fridays for future, ohne Greta nichts mehr in diesem Land?
SE: Wir können die Klimakrise doch nicht einfach weiter ignorieren. Seit den Mahnungen des Club of Rome wissen wir, dass Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung unsere einzige Chance sind. Nicht nur die jungen Leute, auch die Wissenschaft kritisiert uns schon lange dafür, dass unsere Klimagipfel-Zusagen zu unverbindlich und die Maßnahmen zu unwirksam sind. Wenn wir jetzt nicht endlich bereit sind, konsequent gegen klimaschädliches Verhalten vorzugehen, in Alternativen zu investieren und die Menschen dabei gleichzeitig mitzunehmen, dann verlieren wir unsere Zukunft.
NWB: Ich habe große Sympathie für die Klimaaktivisten. Sie sind der Beweis dafür, dass die Zukunft, in die wir die Lasten unseres Lebensstils lange Zeit gewissenlos verschoben haben, mittlerweile in der Gegenwart angekommen ist. Die Betroffenen werden nicht mehr erst in 30, 40 Jahren geboren – sie sind schon da und protestieren. Die Zukunft hat auf einmal eine Lobby. Mich wundert der Hang einiger, den Handlungsbedarf immer noch dadurch umgehen zu können, dass man den Klimawandel leugnet, verharmlost oder zumindest den eigenen Beitrag zu einer Umkehr als unerheblich kleinredet. Da erinnere ich mich gern an die achtziger Jahre, in denen wir in Nordrhein-Westfalen nicht nur gemerkt haben, dass schon Umweltschutzauflagen nach damaligem Standard technologische Innovation auslösten und Geld damit zu verdienen war. Heute gilt der dringend nötige Zwang zur weiteren Veränderung als Jobkiller und Krisenauslöser.
Frage: Ein Wort zur Außenpolitik, nein, aber nicht zu Trump, sondern zu Russland und Putin. Müssen wir nicht wegkommen von den Sanktionen gegen Moskau? Sie helfen niemandem, auch nicht der deutschen Wirtschaft, sie bringen uns nicht weiter. Und was den Grund dafür angeht: Hat der Westen nicht selber viel Schuld daran, dass Putin die Krim annektiert hat? Einer wie Fritz Pleitgen, langjähriger Russland-Korrespondent und Kenner des Landes, spricht sich schon länger gegen diese Politik aus.
NWB: In einem Punkt widerspreche ich Fritz Pleitgen, den ich sehr schätze und mit dem ich mich intensiv über diese Frage ausgetauscht habe: Die Annexion der Krim ist völkerrechtswidrig. Der Rückgriff auf historisch begründete Besitzansprüche war schon immer Auslöser von Krisen und Kriegen. Wir würden in Mitteleuropa nicht seit 75 Jahren in Frieden leben, wenn Willy Brandt mit seiner Ostpolitik den Teufelskreis nicht durchbrochen und stattdessen Grenzen als unveränderlich anerkannt hätte. Aber wie Pleitgen und viele andere halte ich die Wirtschaftssanktionen für falsch.
SE: Wir sind uns einig: Wenn wir ein Volk guter Nachbarn sein wollen, wie es Willy Brandt ausgedrückt hat, dann dürfen Sanktionen nicht die große Mehrheit der Menschen treffen, die ohnehin schon vom Demokratiedefizit gebeutelt sind. Und sie dürfen eben auch nicht immer wieder zu obskuren Umgehungsgeschäften einladen, die ganz sicher nicht zu einem ehrlicheren Umgang miteinander beitragen.
Frage: Wenn Sie als SPD-Spitze gewählt werden, raten Sie zum Verlassen der GroKo oder zum Verbleib in der Regierung Merkel?
NWB: Fast alle Fragen dieses Interviews haben deutlich gemacht, dass keine der drängenden Herausforderungen unserer Zeit ohne eine gerechte Verteilung von Chancen und Lasten zu bewältigen ist. Genau dagegen stemmen sich aber CDU und CSU. In der GroKo fahren nicht nur die beteiligten Parteien vor die Wand, sondern die Gesellschaft insgesamt. Insgeheim ist das allen bewusst. Die Frage ist doch allenfalls, ob wir noch die Zeit haben, bis 2021 so weiterzumachen und dann die Konsequenz ziehen, oder ob wir jetzt die Reißleine ziehen müssen. Wir sind der Auffassung, dass wir diese Zeit zum Bespiel in der Klimapolitik und bei dem, was jetzt an öffentlichen Investitionen gegen die konjunkturelle Abkühlung nötig ist, nicht haben…
SE: … und auch nicht in der menschengerechten Gestaltung der Digitalisierung, in der Beseitigung der Ungleichheit von Einkommen und Vermögen oder der Schaffung eines Sozialstaats, der an der Seite der Menschen steht, anstatt sie unter Druck zu setzen.
NWB: Die Entscheidung treffen die Delegierten des Parteitags im Dezember. So haben wir das vor zwei Jahren festgelegt. Aber die Delegierten erwarten wie die Mitglieder insgesamt einen überzeugenden Plan und keine kopflose Fluchtrhetorik.
Frage: Was sagen Sie den Menschen draußen, warum sie SPD wählen sollen? Die Partei hatte mal über eine Million Mitglieder, jetzt sind es noch rund 430000.
NWB: Wir haben die SPD bei den Regionalkonferenzen mit einem Bus verglichen, der als Fahrtziel „Gerechtigkeit und Zukunft“ angibt. Aus dem Bus sind mittlerweile viel zu viele ausgestiegen, weil sie nicht mehr daran glauben, dass der Bus wirklich auf dem Weg zum angegebenen Ziel ist. Er ist von falschen Beratern in die neoliberale Pampa gelotst worden. Die haben empfohlen, staatliche Aufgaben auf Teufel komm raus zu privatisieren, die Steuern für die höchsten Einkommen am krassesten zu senken und eine Arbeitsmarktreform durchzuziehen, die weder Rücksicht auf die Würde der Schwächsten genommen hat, noch auf die Würde derer, die ihr Leben lang gearbeitet haben. Das ist übrigens schon vor der GroKo gewesen. Am Wunsch von Millionen Menschen nach sozialdemokratischer Politik hat sich nichts geändert. Am Glauben, dass die SPD sie auf der Bundesebene vertritt, allerdings schon. In den Ländern und vor allem den Kommunen zeigen viele, dass es anders geht. Die Berliner Führung hat sich zu weit von ihrer Basis entfernt. Es fehlt also nicht an Wissen und Engagement – der Bus braucht am Steuer Leute, die Kurs halten. Dann klappt das auch mit den Wählern!
Wenn eine Partei Politiker nicht einmal den Unterschied kennt oder leugnet, zwischen einer Annexion, und einer Sezession, dann ist eine Partei seines Namens „S“PD nicht mehr wählbar.
Wenn eine Partei ein Politiker nicht bereit ist, die Agenda 2010 als größten Fehler zu erkennen, ganz zu schweigen daran bis heute festhält, ist diese nicht mehr wählbar.
Wenn eine Partei ein Politiker nur noch die schwarze Null, rote Null, wie ein Mantra vor sich her schiebt, und die Folgen dieser Politik für die Mehrheit der Menschen und in Europa nicht mehr kennt oder leugnet, ist diese für mich nicht mehr wählbar.
Wer weiter an Austerität die ja tötet, festhält, die erst zu den größten Verwerfungen in Deutschland und Europa geführt haben, und das bis heute leugnet, ist für mich nicht mehr wählbar.
Wenn eine Partei oder Politiker nur noch Politik für die Wenigen aber nicht für Mehrheit macht, ist diese Partei nicht mehr wählbar.