Deutschland geht es scheinbar gut. Der SPD geht es offensichtlich schlecht: Sie leidet an einer besonders schweren Krankheit ihrer Berliner Kopfgeburten. In 14 Bundesländern regiert sie mit, in zweien davon einmal als Thüringer Würstchen mit der Linkspartei und das andere Mal in Baden-Württemberg als Sitzkissen für die Grünen. Hier hat sie den Anspruch als Volkspartei aufgegeben, was natürlich vehemente Auswirkungen auf ihre bundespolitische Strahlkraft hat. Sie hat dort nicht den Mut gehabt, sich aus der Opposition heraus zu erneuern, sondern den bequemeren Weg gesucht, über Machtteilhabe die inhaltliche und personelle Auseinandersetzung über ihr jeweiliges Scheitern zu vermeiden.
Gerne wird dies immer wieder lautstark mit der abgegriffenen Floskel von der „VERANTWORTUNG FÜR DAS LAND“ begründet. In Wirklichkeit richtet es sich oft nur die Funktionärsschicht bequem auf den Ministerialstühlen ein und holt sich lieber keine kalten Nasen mehr auf den Straßen und Marktplätzen. Man(n) oder Frau glaubt, alleine die Profilierung über „das Gestalten“ aus der Regierung heraus zu erreichen und vergisst allzu oft die Schärfung des Programms über die Auseinandersetzung darüber. Der SPD ist an vielen Orten und bei vielen Themen die einstige Dialogfähigkeit abhanden gekommen.
Der Gang ins bundesrepublikanische 25-Prozent-Ghetto hat nicht erst mit der Wahl 2009 begonnen, wo die SPD bei 23 Prozent landete, sondern viel früher von dem Zeitpunkt an, als sie Helmut Schmidts Mahnung verinnerlichte: „Wer Utopien hat, gehört ins Krankenhaus“. Das Entstehen von Grünen, Linkspartei, Piraten oder AfD, aber auch die große Wahlmüdigkeit ihrer einstigen Stammwähler ist vor allem auch auf das entstandene Diskussions- und Programmdefizit mit einer verloren gegangenen Streitkultur zurück zu führen. Die politischen Vorhoforganisationen aus Jugend-, Umwelt- oder Kirchengruppierungen haben sich im Laufe der Zeit abgewendet, auch weil sie weder in der SPD noch in ihren Unterorganisationen wie den Jusos wirkmächtig sein konnten.
Es fehlt das Feingefühl für Strömungen
Selbst die Marginalisierung der FDP ist für die SPD kein Anlass über sozial-liberales Gedankengut nachzudenken, das machen dann eben die Grünen. Der Partei ist das Feingefühl für die politischen Strömungen im Lande abhanden gekommen, ihr sind die großen politischen Themen verloren gegangen, ihre einstige Strahlkraft aus großen Vorsitzenden wie Willy Brandt und historischen Themen wie der Ostpolitik steckt im dichten Nebel eines langweiligen Pragmatismus, der sie schwindsüchtig macht. Sie spielt in der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung keine führende Rolle mehr. Sie sucht ihr zweites Godesberg in der Tagespolitik mit den hohen Verschleißerscheinungen ständig wechselnder Schlagzeilen.
Nach Außen und Innen geblickt: Der Zusammenbruch des Kommunismus, die Zentrierung des Kapitals in immer weniger Händen, die Digitalisierung der Welt mit dem systemischen Zusammenbruch bisheriger Strukturen wie Industrie 4.0, die Renationalisierung Osteuropas, oder islamischer Extremismus mit Demokratieunterdrückungen in weiten Teilen der muslimischen Welt, welche Rolle spielt da die Sozialdemokratie mit ihrer auch pazifistischen Tradition? Die Rückbesinnung auf den verloren gegangenen Schulterschluss mit den Gewerkschaften und der Hinweis Gabriels auf mehr Orientierung an Wirtschaftsthemen ist dabei dürftiges programmatisches Echternach, auch weil keiner weiß, wohin diese Prozession letztendlich gehen soll und sie von oben nach unten mit ausgesprochen geringem Halbzeitwert geführt wird.
Das hat alles auch mit der Qualität des bundesrepublikanischen Führungspersonals der SPD zu schaffen. Es war noch nie so schlecht wie heute: Die Parteiführung kann ihre Mission nicht deutlich machen, u.a. auch weil ihr die glaubhafte Empathie fehlt. Ein sprunghafter Parteivorsitzender mit frischen Pegida-Brandnarben, der seine Generalsekretärin öffentlich desavouiert, eine dahinter lauernde Andrea Nahles mit dem unvergessenen Nimbus einer im Bundestag schief singenden Pippi-Langstrumpf-Mutter, dazu ein eitler Fraktionsvorsitzender Oppermann, der seine Rolle im Falle Edathy noch zu klären hat, das ist die Berliner SPD-Spitze!!!
Das ist die Spitze aber nicht Klasse. Die Kern-Frage ist hier dabei vielleicht auch schon wieder überflüssig: Warum kann die SPD die Kraft aus ihrem mächtigen Unterkörper, der Vor-Macht in den Ländern und Großstädten, in Berlin nicht nutzen? Warum gibt es unter den landespolitischen Nachwuchskräften keine(n) mit bundespolitischen Ambitionen? Resignationen allerorten ? Wer will sich schon in Berlin verbrennen? Wenn das so ist und bleibt, dann wird nach der nächsten Wahl Schwarz-Grün für lange Zeit die Berliner Machtkonstellation bleiben.
Eins scheint für die SPD dabei doch klar: Es reicht nicht, sich am blanken Materialismus allein entlang zu orientieren. Die technologische Beherrschbarkeit dieser Welt als politische Kernbotschaft zu verstehen. Nein. Die programmatische Auseinandersetzung muss vor allem die Gesamtpartei leisten. Welches Menschenbild bei einer Neuorientierung zum Vorschein kommt, ist von entscheidender Bedeutung. Zu den Dingen der Welt gehört in der Philosophie wie in der Politik das menschliche Sein. Da bedarf es gerade in einer immer schwieriger zu durchschauenden Um-Welt der Deutungs-Auseinandersetzung um die Werte.
Bildquelle: http://arcweb.archives.gov/ origin: Image:Willy Brandt and Nixon.jpg, gemeinfrei
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So sieht’s aus! Sehr treffender und guter Kommentar!