Alice Weidel bezeichnet sich selbst als „ehrliche und wahrhaftige Politikerin“. Wer sie öfters beobachtet oder auch ihr Porträt im ZDF gesehen hat, weiß, dass sie das nicht ist. Nicht nur dort, sondern ebenso in den unterschiedlichen Wahlsendungen der letzten Zeit weicht sie Fragen aus, die ihr unangenehm sind. Dinge, die sie wissen sollte, sind ihr fremd. Sie kennt die Bevölkerungsgröße ihres Wahlkreises nicht, den sie als ihren Hauptwohnsitz bezeichnet, an dem aber ihre Familie, nämlich ihre Partnerin und zwei heranwachsende Kinder, nicht leben. Sie hat auch angeblich noch nichts von der Debatte über ein Social-Media-Verbot für unter 16-jährige gehört. Ihre Uminterpretation der ideologischen Einordnung Hitlers ist ebenso falsch und geschichtsvergessen wie ihre Einstellung zum russischen Präsidenten, dessen brutale und mörderische Machtpolitik sie ignoriert.
Ihre Reden sind gezielt so aufgebaut, dass sie mit einfachsten Mitteln Stimmung machen kann. Sie setzt ihre rhetorischen Stilmittel so ein, dass nichts dem Zufall überlassen bleibt. Dass sie die Grundlagen von Rhetorik-Kursen beherrscht, merkt man ihren öffentlichen Reden an. Das Ganze wirkt aber angelernt, konstruiert und nicht echt. Der Kontrast zu ihren Äußerungen, wenn sie spontan antworten soll, ist überdeutlich. Das erklärt auch die Ausweichmanöver bei so vielen Fragen, auf die sie einfach keine Antwort hat. Sie ist überdies nicht glaubwürdig, weil sie keine wirklich eigenen Überzeugungen vertritt, sondern erkennbar die Erwartungen im rechtsradikalen Spektrum bedienen will. Der nachweisbare Wandel mancher ihrer Einstellungen im Laufe ihres Aufstiegs innerhalb der AfD ist anders nicht zu verstehen.
Das Etikett „Kanzlerkandidatin“ schmeichelt ihrer Eitelkeit sichtbar. Es ist eine bewusste Provokation und eigentlich eine Beleidigung der anderen Spitzenkandidaten. Sie spielt eine Rolle, die ihr zu groß ist, weil sie zu vielen politischen Themen wenig sagen kann. Im Inneren weiß sie, dass sie das auch nicht muss. Deshalb ist ihr offensichtlich auch egal, dass sie manche Fragen einfach ignoriert, was jedem kritischen Zuhörer auffallen sollte. In ihrer Partei ist vielen auch durchaus klar, dass sie die Dinge nicht immer korrekt darstellt, was etwa ein Alexander Gauland freimütig einräumt, z. B. bei ihrer politischen Einordnung Adolf Hitlers als Kommunist.
Ähnlich wie auch bei J. D. Vance, dem amerikanischen Vizepräsidenten, ist es keine Frage mangelnder Intelligenz, die inhaltliche Schwächen oder historisches Unwissen erklärt. Ihr jeweiliger schulischer und universitärer Werdegang belegt das Gegenteil. Aber sie haben beide erkannt, dass populistische und radikale Rhetorik bei vielen Menschen ankommt, die mit den herrschenden Verhältnissen unzufrieden sind. Ein Donald Trump fällt übrigens nicht in diese Kategorie! Gerade die Intelligenz, die man Vance und auch Weidel unterstellen kann, lässt keinen anderen Schluss zu, als dass sie nicht wüssten, was sie tun: Sie spielen eine Rolle! Der Satz, eine „ehrliche und wahrhaftige Politikerin“ zu sein, ist deshalb nicht nur zynisch. Er macht vor allem eines deutlich: Sie weiß, dass sie eine Rolle spielt. Im Gegensatz zu Wolodymyr Selenskyj, der vom Schauspieler zum Politiker und Staatsmann gereift ist, kann man bei Alice Weidel nur hoffen, dass sie von den Wählern als das erkannt wird, was sie eigentlich ist: eine Schauspielerin.
Eine derartige Charakterisierung soll diesen ehrenwerten Berufsstand übrigens nicht beleidigen!