Es war ein wenig wie beim dreifachen Rittberger: Kraftvoll mit rechts abspringen, rasend schnell drei Mal um sich selber drehen und elegant mit rechts wieder aufkommen; am besten ohne Wackeln und möglichst ohne aufs Eis zu knallen. Dieses Mal gelang der Absprung mit Mühe, die Drehung war nicht schlecht, aber das wackelige zurück aufs Eis wäre fast mit einem Sturz zu Ende gegangen. Fast.
Ich schreibe über das Versprechen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, den überaus hart und oft auch über die Grenze der Belastbarkeit hinaus arbeitenden Pflegekräften eine Prämie zukommen zu lassen. Zuerst nur für die Fachpflegekräfte in den Alten-und Pflegeheimen gedacht; dann auch für die weniger Qualifizierten. Die Grundlage steht in Beschlüssen von Bundestag und Bundesrat: Beschäftigte in der ambulanten und stationären Altenpflege erhalten im Jahr 2020 einen einmaligen Corona-Pflegebonus in Höhe von bis zu 1000 Euro, das haben Bundesregierung und Bundestag beschlossen. Vor allem die Länder werden diesen Betrag auf 1500 Euro aufstocken.
Schließlich wurden die 1500 Euro auch für die Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger angekündigt. In Berlin gibt es Prämien auch für Teile der Polizei, für Kita-Beschäftigte und andere mehr. Eigentlich ein einfaches Versprechen, aber dennoch schwierig umzusetzen. Schwierig auch deswegen, weil in den Beschlüssen ein „vor allem „ zu finden ist, was bedeutet, dass auch die Arbeitgeber der Altenpflege zur Prämienzahlung herangezogen werden könnten. Also: Die einen bekommen die 1500 steuerfreien Euro von den Pflegekassen und – wahrscheinlich zu einem Drittel aus Landeshaushalten; ganz geklärt ist das in allen Ländern noch nicht. Die anderen erhalten die 1500 Euro komplett von den Krankenkassen beziehungsweise den Beitragszahlern und – innen. Wie zu hören ist, funktioniert das an vielen Ecken für die Krankenpflege nicht, weil Krankenhäuser noch keine Prämien beantragt haben. Der dreifache Rittberger ist demnach fast geschafft.
Eigentlich wäre ja zu erwarten gewesen, dass die Pflege insgesamt da zusammen arbeitet. Weit gefehlt. Alten- und Kranken- sowie Kinderpflege gehen getrennte Wege. Das ist seit langem so. Mittlerweile werden die Auszubildenden der drei genannten Bereiche gemeinsam unterrichtet und angeleitet. In der Alten- und Krankenpflege zusammen arbeiten etwa 1,4 Millionen Menschen, überwiegend Frauen. Das sind weitaus mehr als vom Paradepferd der deutschen Industrie, dem Maschinenbau, Lohn oder Gehalt bekommen.
Nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lag das monatliche Bruttoentgelt für vollzeitbeschäftigte Fachkräfte in der Altenpflege bei durchschnittlich 2.621 Euro, bei Fachkräften in der Krankenpflege waren es im Schnitt 3.239 Euro. Das ist eine Differenz von über 600 Euro. Kein Wunder also, dass die gemeinsam Auszubildenden nach der Prüfung sich vermehrt in Krankenhäusern bewerben statt in Altenheimen. Davor hatten die Vertreter der Altenheime immer wieder gewarnt. Es zeigt sich, dass diese Warnungen berechtigt waren. Die Not in vielen Pflegebetrieben wegen unbesetzter Arbeitsplätze wird größer.
Was steckt hinter diesen Verhältnissen?
Krankenhäuser sind wie die kommunalen Dienste traditionell ein Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Organisation. Die frühere ÖTV konnte ja auch etwas durchsetzen, weil bis in die neunziger Jahre hinein den Krankenhäusern bezahlt wurde, egal was an Kosten anfiel. „Kostendeckung“ hieß das – selbst ein nicht belegtes Bett wurde mit drei Viertel der „Hotelkosten“ durchfinanziert. Das wurde erst anders, als die Krankenhäuser anfangen mussten, sich über Fallpauschalen zu refinanzieren. Allerdings ist auch das System längst wieder umstritten, weil es Krankenhäuser zwingt, genau zu kalkulieren. Das System ist ja mittlerweile gesprengt, denn für die Bezahlung der Pflegekräfte im Krankenhaus gelten die Fallpauschalen nicht mehr, sondern für sie wurde das Kostendeckungsprinzip wieder eingeführt. In der Altenpflege freilich nicht.
Allerdings waren manche Jahre der auslaufenden Kostendeckung und des Überganges zu den Fallpauschalen auch für die Krankenpfleg kein Zuckerschlecken. In den Tarifverhandlungen über die Nutzung der finanziellen Spielräume hatte über viele Jahre die Vertretung der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus, der Marburger Bund die Nase vorn. Die Pflegenden hatten sich mit dem zu begnügen, was der Marburger Bund übrig ließ. Das war auch die Zeit, zu der demonstrierende Ärztevertreter mit dem Slogan durch Berlin liefen: „Ulla … nach Guantanamo“.
In der Altenpflege sehen die Dinge anders aus. Da gab es während der vergangenen 26 Jahre seit Bestehen der obligatorischen Pflegeversicherung keine Kostendeckung. Gezahlt wurde von den Pflegekassen nach Pflegestufe beziehungsweise nun nach fünf Pflegegraden; zusätzlich hatten die Pflegebedürftigen die Hotelkosten und später auch die Investitionskosten zu tragen. Reichten deren Mittel nicht, bezahlten Sozialhilfe, also die Kommunen oder deren bezirkliche Organisationen, die Regierungspräsidien, den Rest.
Über jeden Cent wurde in diesem System jährlich marathonmäßig neu verhandelt. Das Verfahren: Kassen und Arbeitgeber und Sozialhilfe sitzen zusammen, schauen auf das, was war, um dann auf der Grundlage von Kostenschätzungen gemeinsam zu vereinbaren, was es geben soll. Gibt es keine Einigung, wird ein Schiedsverfahren eingeleitet. Während die Ausgaben weiterlaufen, wird im Schiedsverfahren über Wochen, manchmal über Monate beraten, was von gestiegenen Kosten übernommen wird. Man braucht Nerven wie Drahtseile.
Weil die Kostenblöcke den Pflegebetrieben weglaufen, die Refinanzierung durch Pflegekasse und Sozialhilfe aber langsam hinter her hinkt, steigt die Eigenleistung der Pflegebedürftigen immer weiter an – bis zu 2000 Euro pro Monat je nach Bundesland. Die Eigenleistung ist längst über die Grenze des Zumutbaren hinaus.
Es ist völlig klar, dass unter solchen Bedingungen keine Spitzenlöhne möglich sind.
Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes haben die stationären und ambulanten Betriebe der Altenpflege über Jahrzehnte links liegen lassen. Die Organisationsarbeit in den kleinteiligen Betriebs-Strukturen lohnte nicht. Das führte dazu, dass Altenpflege weniger als zehn Prozent der Beschäftigten organisiert sind.
Auf der Basis von Kostendeckung werden Krankenhäuser ihre Probleme in der Krankenpflege lösen können. In den Pflegeheimen sieht es anders aus. Es müssen viele Pflegekräfte zusätzlich und ohne Kostendeckung gefunden werden. Was bedeutet, dass die Arbeit selber verändert werden muss. Helfen wird sicherlich der Umstieg der Pflege in die Telematik, der nun in dem vom Bundestag verabschiedeten Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) angelegt ist.
Aber knallt die Pflege „aufs Eis“, gibt es ein soziales Desaster.
Bildquelle: Pixabay, Bild von Holger Langmaier, Pixabay License
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