Die Zahlen der Berliner Wahl sagen nur vordergründig etwas über Sieger und Verlierer aus. Erst nach den Verhandlungen zur Regierungsbildung werden die Gewinner feststehen. Die Optionen sind vielfältig. Der Wähler hat gesprochen, wie es so schön heißt. Doch was daraus wird, hat er nicht in der Hand. Eine stabile Mehrheit im Abgeordnetenhaus muss her.
Kai Wegner, der erfolgreiche Spitzenkandidat der Berliner CDU hat mit satten Zugewinnen allen Grund zur Freude. Stärkste Kraft im Abgeordnetenhaus war seine Partei seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht. Doch seine Behauptung am Wahlabend, Berlin habe den Wechsel gewählt, ist mit weit weniger als einem Drittel der Stimmen ziemlich gewagt. Sie kann sich noch als voreilig erweisen. Die abgestrafte Koalition aus SPD, Grünen und Linken könnte rechnerisch weiterregieren.
Darüber werden in erster Linie die Grünen entscheiden. Den Zahlen nach ist eine schwarz-grüne Koalition möglich. Die allerdings hat CDU-Spitzenmann Wegner im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen. Ihm läge eine Große Koalition – auch die ist allem Abgesang auf Zweier-Bündnisse zum Trotz machbar – wohl näher. Die SPD wiederum wird alles daran setzen, dass Franziska Giffey das Amt der Regierenden Bürgermeisterin fortführen kann. Das Rote Rathaus ist für die SPD von hohem Symbolwert.
Nicht von ungefähr hatte der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) seiner Partei empfohlen, Giffey das Amt in einer Großen Koalition anzubieten. Doch auch das hat Wegner postwendend ausgeschlossen. In seiner Kampagne, die die Berliner Verhältnisse als einziges Chaos beschrieb und die auf Ordnung und Sicherheit setzte, hat er viel Porzellan – womöglich seine Bündnisfähigkeit – zerschlagen.
Allerdings hat es Giffey, die nach ihrem Ausflug ins Bundeskabinett zurückgekehrt ist und vor gut einem Jahr die Wahl gewann, auch nicht gerade komfortabel. Denn Bettina Jarasch, die Spitzenfrau der Grünen, ist angetreten, ihr den Vorrang streitig zu machen und selbst Regierungschefin zu werden.
Die Wahlwiederholung, die aufgrund haarsträubender Pannen am Superwahltag im September 2021 notwendig geworden war, hat einiges durcheinander gewirbelt. Die SPD, hat mit dem bisher schlechtesten Wahlergebnis die Quittung dafür bekommen. Das Debakel war nicht Giffey persönlich anzulasten, und die Wiederholung war offenbar perfekt organisiert. Ein gutes Jahr Regierungsarbeit im permanenten Krisenmodus ist in der Tat kurz für ein so schmerzhaftes Wählerurteil. Doch ihre Partei stand in der Verantwortung, daran gibt es nichts zu rütteln.
Unzufriedenheit und Enttäuschung der Berlinerinnen und Berliner drücken sich in dem Wahlergebnis überdeutlich aus. Dabei ist der Rückgang der Wahlbeteiligung nur ein Nebenindiz. Ohne das Zugpferd der Bundestagswahl liegt ein Zwei-Drittel-Wert noch im Rahmen. Man denke nur an die jüngste Landtagswahl in NRW, wo jeder zweite Wahlberechtigte auf seine Stimmabgabe verzichtet hat.
So offen die Koalitionsbildung in Berlin ist: Auf Bundesebene wird das Wahlergebnis Folgen haben. Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt der Rückenwind versagt, Oppositionsführer Friedrich Merz wird sich in seinem Law-and-Order-Kurs bestätigt fühlen, und die FDP? Theoretisch noch kann sie in Berlin über die Fünf-Prozent-Hürde springen, doch wahrscheinlicher ist, dass sie die Serie der Wahlniederlagen fortschreibt. Das wird die Liberalen in der Ampelkoalition weiter auf Bremsen, Blockieren und Profilierung trimmen.
Bildquelle: Abgeordnetenhaus Berlin, © Peter Thieme