Die Ost-Erweiterung der Nato nach 1990 war ein Fehler. Hat Klaus von Dohnanyi(93) im Deutschlandfunk-Gespräch gesagt. Dohnanyi ist Hamburger Sozialdemokrat, war Bürgermeister der Hansestadt, Minister. Er gilt nicht als Kalter Krieger oder Bellizist, sondern als kluger Zeitgenosse, der auch schon mal seiner Partei die Leviten las, wenn ihm der Kurs nicht gefiel. Der Westen, hat Dohnanyi weiter im DLF ausgeführt, müsse dafür sorgen, dass der russische Präsident Putin keinen Grund habe, in die Ukraine einzumarschieren. Europa müsse deutlicher über die Fehler der US-Politik wie eben die Osterweiterung der Nato reden und einen Beitritt der Ukraine offen ausschließen. Letzteres fordert Putin, westliche Politiker lehnen ein solches Ansinnen ab, jedes Land müsse frei entscheiden dürfen, welchem Bündnis es sich anschließen wolle. Dohnanyi begründet seine Kritik und Forderung damit, andernfalls werde Putin noch mehr nach Asien und an die Seite Chinas gedrängt- doch das sei nicht im europäischen Interesse. Soweit der Hamburger SPD-Mann im DLF.
Dohnanyi als Putin-Versteher? Nach dem Motto: Putin verstehen heißt Putin-Versteher? Letzteres darf man als Schimpfwort ansehen, mit dem viele, die sich in Russlands Sicht der Dinge zu versetzen versuchen, belegt werden. Dabei hatte schon der frühere sowjetische KP-Chef Michail Gorbatschow das fehlende Verständnis im Westen für Moskaus Bedürfnisse beklagt. Gorbatschow verdanken wir die deutsche Einheit, ohne dass ein Schuß fiel, seine Politik von Glasnost und Perestroika führte zum Fall der Mauer und zum Ende des Kalten Krieges. Gorbi, wie ihn westliche Medien einst feierten, wollte für Russland ein Zimmer in einem europäischen Haus. Putin dachte damals ähnlich, unvergessen sein Auftritt und seine Rede im Berliner Reichstag im September 2001.
Witze über Helme und Kissen
Was ist daraus geworden? Im Westen wird eine Dämonisierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin gepflegt und zwar in nahezu allen Medien. Weil Putin Tausende von Soldaten samt Panzern und anderem militärischem Gerät an die Grenze zur Ukraine verlegt hat, macht sich Angst breit in der Welt, es stünde eine Invasion der Russen in die Ukraine bevor und es drohte ein Krieg, der den Rest Europas schnell erfassen könnte. Waffen für Kiew, fordert die Ukraine, forderte gerade der Botschafter des Landes in Deutschland, Melnyk. Er warf der SPD-geführten Regierung Scholz vor, das Land im Stich zu lassen. Deutschland weigert sich, Waffen zu liefern, Kriegsschiffe und anderes, sendet Helme, die auch von der Ukraine-Regierung bestellt worden waren. Und doch wird das als böser Scherz gegen Berlin ausgelegt und gern wird von Kritikern wie dem früheren Boxer Klitschko ergänzt: Als nächstes liefere Berlin Kiew Kopfkissen.
Deutschland wird, weil es die Diplomatie und den Dialog einer Waffenlieferung vorzieht, um Kriege zu verhindern und den Frieden zu sichern, als unsicherer Kantonist bezeichnet, auf den sich der Westen nicht verlassen könne. Scholz muss sich zur Wehr setzen, rechtfertigen in Washington gegenüber dem dortigen Präsidenten Biden. Es wird so getan, als wollte die SPD mit Scholz und Co das Lager wechseln, um Geschäfte mit Putin und seinen riesigen Gas-Firmen zu machen.Er selber hat Vorwürfe in Amerika als „Nonsens“ zurückgewiesen. Wie Recht er hat.
Angst und Propaganda
Aber mit der Russen-Angst hat man schon früher gern in Deutschland und in Amerika Politik gemacht vermischt mit Propaganda. Mich erinnert das an die Zeit nach dem letzten Weltkrieg, als in Deutschland-West der Russe der Böse war, er stand vor der Tür oder mittendrin wie damals in Berlin. Auf den Kreml konnte man alles Negative abladen, dabei hatte die Rote Armee-mitsamt den anderen Alliierten- uns und die Welt von Hitler und der Nazi-Barbarei befreit. Was man nicht so gern hörte in der Bundesrepublik, weil man sich dann der eigenen Schuld und Mitschuld an den Nazi-Verbrechen oder der Verstrickung in dieses furchtbare System und des Holocaust hätte erinnern müssen.
Man muss Putin nicht mögen und auch seine teils aggressive Politik nicht schönschreiben, aber man sollte die Fehler des Westens dabei nicht verdrängen. Warum kam es zur Annexion der Krim mit dem Hafen Sewastopol, wo die Schwarzmeer-Flotte Russlands liegt, deren Oberbefehlshaber in Moskau sitzt? Einer wie Egon Bahr hatte das damals kommen sehen, als die Nato und die EU mit Kiew flirtete, um eine Mitgliedschaft der Ukraine in der westlichen Allianz vorzubereiten. Die Ostgrenze der Nato wäre damit um 1000 Kilometer Richtung Osten verschoben worden, es hätte eine gemeinsame Grenze zwischen dem westlichen Bündnis und der Russlands gegeben. Hat das denn niemand in Brüssel gesehen oder in Washington? Oder war es dem Westen wurscht, weil Russland ja zu einer Regionalmacht degradiert worden war? Man denke an die entsprechende Wortwahl des US-Präsidenten Barack Obama.
Die härtere Gangart gegen Gegner
In der „Süddeutschen Zeitung“, in der früher auch des öfteren die Stimme der Friedensbewegung zu lesen war, finde ich heute erstmals im Feuilleton einen Beitrag mit anderer Tonlage, die sich abhebt von dem Waffengeklirr der letzten Monate in fast allen führenden Medien. Im Konflikt um die Ukraine und Russland, schreibt Eugen Ruge, setze der Kulturbetrieb auf Waffen, auf eine härtere Gangart und nicht auf De-Eskalation, und eben nicht auf die Entspannungspolitik von Willy Brandt, auf die der Blog-der-Republik – wie auch die „Nachdenkseiten“- des öfteren hingewiesen und die Leistungen des damaligen SPD-Kanzlers und Friedensnobelpreisträgers herausgestellt hat. Wenn sich heute- wie geschehen- ein mächtiger Chor von „Persönlichkeiten aus Kultur und Gesellschaft“ erhebt, dann nicht, um Abrüstung und Deeskalation zu fordern, sondern eine härtere Gangart gegenüber dem Gegner.
Andere wenige halten dagegen, wie der frühere Genscher-Vertraute und Botschafter Frank Elbe es bei uns im Blog-der-Republik getan hat oder der einstige enge Mitarbeiter des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Friedbert Pflüger, ein CDU-Mann aus Berlin, der heute an der Bonner Uni lehrt. Und eben der schon zitierte Klaus von Dohnanyi, der schon mit den SPD-Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt zusammengearbeitet hatte, ein nachdenklicher Mann mit großer Erfahrung, der die Probleme zwischen Europa und den USA glasklar in seinem Buch „Nationale Interessen…“benannt hat. Wie das auch der einstige enge Mitarbeiter von Johannes Rau, Christoph Habermann, in einer Rezension des genannten Buches von Dohnanyi im Blog-der-Republik vor Tagen getan hat. Russland ist halt unser Nachbar, die USA sind einige Tausend Kilometer und einen Ozean weit weg, sie haben eigene Interessen. Europa und Deutschland müssen ihre Belange stärker vertreten.
Verstehen russischer Ängste
Eugen Ruge, der 2011 wegen seines Romans „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ mit dem „Deutschen Buchpreis“ ausgezeichnet wurde, stellt in seinem SZ-Beitrag die Frage: „Könnte man sich- ohne deswegen gleich zum Putin-Verehrer ernannt zu werden- nicht zumindest vorstellen, dass Russland das ständige Vorrücken der Nato seit der Wende 1989, und damit auch das Näherrücken potentieller Raketenbasen als Bedrohung empfindet?“ Auch Ruge selbst ist „überzeugt, dass die Nato keinen Überfall auf Russland plant und wohl auch keinen regime change.“ Aber es nütze „überhaupt nichts, Russland das immer wieder zu versichern- während zugleich die Nato immer weiter vorrückt und andernorts Regime demontiert und destabilisiert werden. Die USA haben seit 1945 mehr als 30 Kriegseinsätze durchgezogen, mit Millionen von Toten. Das kann man falsch oder richtig finden“.Man denke dabei nur an Vietnam und den Irak.(Bei letzterem hat sich Gerhard Schröder mit seinem Nein zum Krieg bleibende Verdienste erworben)Fazit für Ruge: „Fest steht, dass die USA und auch die von ihr dominierte Nato kein zahnloser Tiger sind. Wir kommen ja nicht mit Kaffee und Kuchen an die russische Grenze, sondern mit modernster Waffentechnologie. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich die Sache aus russischer Perspektive vorzustellen.“ In unserem Blog-der-Republik hatten wir darauf verwiesen, dass die Nato nicht die Caritas sei, sondern ein militärisches Bündnis.
Eugen Ruge beteuert: „Ich war nie- und ich bin nicht für Putin. Ich bin schon gar nicht gegen die Ukraine“. Aber er ist gegen eine härtere Gangart, weil er sich sorgt, der Konflikt könne außer Kontrolle geraten, rhetorisch und psychologisch hochgeschaukelt werden. Er erinnert an die Zeit vor 1914, als die „Friedenskräfte verstummt“, „kriegstreibende Aufrufe und Manifeste“ in der Presse zu hören gewesen seien, nur ein einziger Mann habe im Reichstag gegen die Bewilligung der Kriegskredite gestimmt. Und noch im Oktober desselben Jahres, „als das Morden auf den Schlachtfeldern bereits lief“, hätten es 93 Vertreter deutscher Wissenschaft und Kunst es für „angemessen gefunden, einen Aufruf an die Kulturwelt zu verfassen, in dem sie Deutschland bescheinigten, das Äußerste getan zu haben, um den Krieg zu verhindern“, während dieselben Kultur-Vertreter „die Gegner Deutschlands der Grausamkeit, des Meuchelmords und des Verrats an der europäischen Zivilisation beschuldigten.“ Deswegen empfindet Ruge den „mächtigen Chor der Willigen aus dem Kulturbetrieb“ als „ein beunruhigendes Signal“. Er hätte einen Großteil der sogenannten Leitmedien mit erwähnen können, die in diesen Chor seit Wochen einstimmen. Als könnte man mit Waffen Frieden herbeiführen!