Abwehren, angreifen, vortäuschen, vertuschen, herausreden, die Täter schützen, damit ja die Kirche nicht in diesen Dreck hineingezogen wird, aber aufarbeiten, sich um die Opfer, die Kinder kümmern, denen Priester unsägliches Leid zugefügt haben, dafür sorgen, dass die Täter bestraft und nie wieder in die Nähe von Kindern gelangen dürfen? Nein. So muss man es leider sagen, wenn man den neuen Fall betrachtet, der sich im Bistum Freiburg über Jahre abgespielt hat und der den ehemaligen Erzbischof Robert Zollitsch schwer belastet. Der ganz offensichtlich davon gewusst hat und im Grunde nicht eingeschritten ist, sondern die fragwürdigen Priester einfach versetzte, niemandem sonst etwas sagte, damit sie weitermachen konnten. Damit Schaden von der Kirche abgewendet wurde. Ja, so muss man das wohl formulieren. Zollitsch hatte schon im letzten Herbst in einem Video schwerwiegende Fehler und persönliche Schuld eingeräumt.
Die Lektüre des Gutachtens ist entsetzlich, eine weitere schmierige Affäre von Priestern der katholischen Kirche, man kann das nur mit Schaudern lesen. Es wird einem schlecht dabei, wenn man bedenkt, dass die Kinder den Priestern anvertraut worden waren und diese ihre Rolle auf schändlichste Art missbraucht haben. Diese Kirche war mal eine moralische Instanz und ihr geweihtes Bodenpersonal Ausdruck dieser Moral, Vorbild, so gut wie unantastbar. Und dann seit Jahren immer wieder neue Skandale um Missbräuche der Amtsträger.
Es ist ein Verbrechen
„Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen“, hat die frühere Bundesjustizminister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger(FDP) gerade in einem Interview mit der SZ betont. „Sexueller Missbrauch ist eine Straftat“. Die Freidemokratin hat sich zum Fall Zollitsch geäußert, weil dieser als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz Kritik der damaligen Ministerin am Umgang mit dem Missbrauch in der katholischen Kirche in scharfer Form zurückgewiesen und sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel eingeschaltet hatte. Zollitsch hatte 2010 Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ein Ultimatum gestellt, die Vorwürfe zurückzunehmen. Merkel sollte quasi die Ministerin zur Ordnung rufen. Die Ministerin hatte sich 2010 in den ARD-Tagesthemen zum Missbrauch in der katholischen Kirche zu Wort gemeldet und gefordert, dass die kirchlichen Verantwortlichen „endlich konstruktiv mit den Strafverfolgungsbehörden zusammenarbeiten, Hinweise geben, mit aufklären“. So die FDP-Politikerin. Ihr Eindruck sei nicht, dass die ´Verantwortlichen „ein aktives Interesse an wirklich rückhaltloser und lückenloser Aufklärung gezeigt haben.“
Zollitsch habe damals geschäumt, schildert die „Süddeutsche Zeitung“ die Reaktion des Erzbischofs auf die Kritik der Freidemokratin, „von der seit Jahren schwerwiegendsten Attacke“ einer Bundesregierung gegen die katholische Kirche gesprochen. Die Ministerin, also Leutheusser-Schnarrenberger, habe „maßlos gegen die Kirche polemisiert.“ Sie müsse sich entschuldigen. Was die Ministerin nicht tat, sie empfand vielmehr das Eingreifen des Erzbischofs „als tiefen Ausdruck von Missachtung dessen, was ich zu verantworten hatte, nämlich die Unabhängigkeit von Justiz und Staatsanwaltschaft.“
Damals die gespielte Empörung an die Adresse der Politik, und jetzt die schweren Vorwürfe gegen Robert Zollitsch, der über Jahrzehnte Missbrauchsfälle im Bistum Freiburg vertuscht haben soll. Ob er sich schämt, der einstige Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz? Wenigstens das? Auf 591 Seiten kann er alles nachlesen. 681-mal taucht der Name Zollitsch auf. Der Name des Erzbischofs von Freiburg(2003 bis 2014) und des Vorsitzenden der Bischofskonferenz(von 2008 bis 2014). In seine Zeit fällt die Aufdeckung der Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg in Berlin, was den Skandal ins Rollen brachte. Sexuelle Gewalt gegen Kinder. Schrecklich. Die Schulleitung machte den Skandal publik, dass zwei Jesuitenpater jahrelang unzählige Schüler sexuell missbraucht hatten. Es handelte sich um eine Eliteschule im Berliner Bezirk Tiergarten.
Weg zu Opfern erschwert
Die unabhängigen Autoren des aktuellen Freiburger Reports kritisieren auch das Verhalten von Zollitsch verstorbenem Amtsvorgänger Oskar Saier, während in der Amtszeit des jetzigen Erzbischofs Stephan Burger bisher wohl keine Verfehlungen aufgefallen seien. Zollitsch habe als Erzbischof alles unterlassen, was kirchenrechtlich vorgeschrieben gewesen wäre, so die Autoren der Untersuchung. Meldungen nach Rom, die verpflichtend gewesen wären, habe er nicht gemacht. Schon in seiner Zeit als Personalreferent des damaligen Erzbischofs Saier habe Zollitsch dazu beigetragen, Verdachtsfälle von Geistlichen zu vertuschen und er habe darauf geachtet, dass Akten möglichst sicher aufbewahrt und möglichst auch für Anklagebehörden nicht zugänglich gemacht wurden. Des Missbrauch verdächtige Priester seien versetzt worden, ohne dass Begründungen auftauchten oder aktenkundig gemacht worden wären. Protokolle. Dokumente, Personalakten sollen vernichtet worden sein, was den Weg zu Opfern erschwert habe. Missbrauchte Kinder seien ihnen gleichgültig gewesen, wichtig sei der Kirche nur deren Image gewesen und der Schutz von Menschen, also Priestern, die grausamste Taten an Kindern und Jugendlichen begangen hätten.
Im Erzbistum wird von über 540 Betroffenen ausgegangen und zudem gebe über 250 beschuldigte Kleriker. Das Dunkelfeld dürfte noch wesentlich größer sein. Eugen Endress, ein pensionierter Jurist und einer der Autoren, beschrieb das Vorgehen von Zollitsch so: Ein Zölibatsverstoß eines Geistlichen sei bestraft worden, Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nicht. „Wir waren sprachlos.“ Offensichtlich „war jener Erzbischof der Ansicht, einvernehmliche sexuelle Verhältnisse seien strafverfolgungswürdiger als der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen“, heißt es in der Studie. Mit rund 1,8 Millionen Katholiken gehört das Erzbistum Freiburg zu den größten der 27 Diözesen in Deutschland.
Über mögliche kirchenrechtliche Konsequenzen für den 84jährigen Zollitsch entscheidet der Heilige Stuhl in Rom. „Die notwendigen Maßnahmen dazu sind eingeleitet“, sagte der amtierende Erzbischof Stephan Burger, ohne Einzelheiten zu nennen. Er zeigte sich erschüttert, das Versagen seiner Vorgänger mache ihn fassungslos. Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller nannte die aufgedeckten Missstände „gravierend. Erschreckend ist die völlige Ignoranz von Zollitsch.“ Zollitschs Verhalten sei „beschämend“. Ihn habe die „Herzenskälte von Zollitsch schockiert.“ Dass dieser sich mit dem Thema Missbrauch befasst habe, ist laut dem Bericht nur „Fassade“ gewesen.
Angesichts dieses neuen Skandals, nicht der erste Missbrauchsskandal, in den die katholische Kirche verwickelt ist, wundert es nicht, dass immer mehr Mitglieder aus der Kirche austreten. Die Glaubwürdigkeit der Kirche ist mehr als angekratzt, Vertrauen wurde verspielt. Eine Kirche ohne, wäre arm dran.