Ein neuer Akt im Trauerspiel um den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Der Erzbischof hat dem Papst seinen Rücktritt angeboten, musste am Aschermittwoch aber auf Geheiß von Rom erst einmal seine Amtsgeschäfte nach fünfmonatiger Auszeit wieder aufnehmen. Der Vatikan will zu „gegebener Zeit“ über das Rücktrittsgesuch entscheiden. Die Hinhaltetaktik von Papst Franziskus ist gnadenlos. Gnadenlos in mehrfacher Hinsicht: gegenüber der absoluten Mehrheit der Gläubigen der größten deutschen Diözese, die das Vertrauen in Woelki verloren hat und sich eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr vorstellen kann. Gegenüber vielen Amtsträgern in Deutschland und den Klerikern des Kölner Bistums, die den Vertrauensverlust in Köln als Flächenbrand wahrnehmen, der mit einem Weiter so außer Kontrolle geraten könnte und der Diözese eine weitere „Zeit des Leidens“ beschere, so Übergangs-Bistumsverwalter Rolf Steinhäuser.
Und schließlich ist die Hinhaltetaktik selbst gegenüber Kardinal Woelki gnadenlos. Denn der weiß inzwischen, dass er für viele „schmerzlich unwillkommen“ ist, wie am Aschermittwoch Plakate von Demonstranten vor dem Kölner Dom signalisierten. Oder wie es der in sein Amt als Weihbischof zurückkehrende Steinhäuser formulierte: „Der Erzbischof und die Christen im Erzbistum liegen sich nicht in den Armen, bekennen ihre Schuld und feiern Versöhnung. Wenn man den Umfragen folgt, scheinen viele Gräben noch tiefer und unüberbrückbarer als zuvor.“
Nach einer Forsa-Umfrage von Mitte Februar für den Kölner Stadtanzeiger waren 92 Prozent der Katholiken in der rheinischen Diözese der Meinung, ihr Kardinal müsse wegen seiner großen Fehler in der Aufarbeitung der Missbrauchsverbrechen zurücktreten. Er könne und solle die Amtsgeschäfte nach einer vom Papst verordneten Auszeit am 2. März nicht wieder aufnehmen. 82 Prozent der Katholiken erwarteten von Papst Franziskus, dass er Woelki absetzt. Selbst bei den verbliebenen Kirchgängern sperrten sich mehr als Zweidrittel der Treuesten der Kirchentreuen gegen die Vorstellung, Woelki könne wieder ihr Oberhirte werden. Der Diözesanrat, die Vertretung der Laien, hat schon längst abgewinkt. Und selbst im engsten Zirkel der Bistumsleitung, dem Erzbischöflichen Rat, fiel die Vorstellung einer Rückkehr Woelkis auf entschieden mehr Ablehnung als auf Gegenliebe.
Seit einem Jahr, seit Woelkis „großen Fehlern“ (Papst Franziskus) in der Aufklärung des Missbrauchsskandals, lässt der Vatikan die Stimmung in der wichtigen und einst finanzkräftigen Diözese erkunden. Bislang keine Entscheidung, auch keine Tendenz. Alle Interpretationsversuche sind Kaffeesatzleserei – oder katholisch angemessener – Weihrauchleserei.
Wie Traumwandler haben Woelki und die römische Kurie offenbar vor einem halben Jahr darauf gehofft, nach einer Auszeit, Exerzitien im Kloster Eichstätt oder Erkundigungen in der niederländischen Glaubensgemeinschaft werde sich der Rauch verziehen.
Dass dies ein Irrtum war, stellt Woelki jetzt in einem Hirtenbrief an die Gläubigen fest: „Natürlich nehme ich wahr, dass die Situation seit Oktober letzten Jahres nicht einfacher geworden ist. Eine Auszeit löst ja keine Probleme.“ Obwohl er dem Papst den Rücktritt angeboten hat, bittet er die Kölner Katholiken um eine zweite Chance, jedenfalls so lange, bis in Rom eine Entscheidung gefallen ist. „Ein Erzbischof auf Probe beziehungsweise auf Abruf“, urteilt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller bei dpa, er sieht in der Hängepartie auch eine „Zumutung“ für Woelki.
Bislang hat Franziskus Rücktrittsgesuche der in die Missbrauchsskandale verstrickten deutschen Bischöfe, des Ex-Kölner Generalvikars und heutigen Hamburger Erzbischofs, Stefan Heße, und des Münchens Kardinal Reinhard Marx abgelehnt.
Ob dies im Fall von Kardinal Woelki anders sein wird? Zweifel sind erlaubt. Die Kölner Katholiken haben in schlechter Erinnerung, wie wenig sich die römische Kurie um ihre Bedenken schert. 1989 wollten die katholischen Gremien Kölns mit all ihrer Kraft die Benennung von Joachim Meisner als Erzbischof verhindern. Ein Jahr lang kämpften sie heftig gegen die Berufung des erzkonservativen Bischofs, der in der Ost-Berliner Diözese eher als kalter Krieger denn als warmherziger Hirte bekannt war.
Der polnische Papst Johannes Paul II. setzte sich durch. Der in Köln unwillkommene Meisner, Ziehvater von Rainer Maria Woelki, kam ins Amt.
Damals protestierten 220 führende Theologen mit einer „Kölner Erklärung“ unter der Überschrift „Wider die Entmündigung – für eine offene Katholizität“ gegen das Vorgehen des Vatikans. Symbolträchtig an einem der höchsten rheinisch-katholischen Feiertage, am Dreikönigsfest 1989, äußerten sie ihren Ärger über die Sturheit von Johannes Paul II. in Sachen Joachim Meisner.
Zornig formulierten sie damals:
„Wir sind der Überzeugung, dass wir nicht schweigen dürfen. Wir halten diese Stellungnahme für notwendig… in Solidarität mit allen Christinnen und Christen, die an den jüngsten Entwicklungen in unserer Kirche Anstoß nehmen oder gar an ihr verzweifeln.“ Mehr als drei Jahrzehnte und zwei Päpste später ist diese Verzweiflung über die Ignoranz des Vatikans an den Interessen und Bedenken der Gläubigen nicht geringer, sondern noch größer geworden.