Früher, darf man im Falle der Grünen zurückblickend sagen, hatten sie ein Dienstfahrrad. Früher in Bonn, meine ich. Ein paar Jahre ist das her. Das ist heute längst Teil der Grünen-Romantik. Die fahren zwar privat weiter gern Fahrrad, der Grünen-OB von Tübingen, Palmer, fährt mit dem Rad ins Rathaus, aber selbstverständlich hat der Grünen-Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, ein Dienstauto: einen Hybrid-Mercedes, grün lackiert, 100000 Euro teuer, Verbrauch nur vier Liter, ein 240km/h schneller Wagen, der aber nur 115 Milligramm CO2 ausstößt. Kretschmann sagt dazu laut „Süddeutscher Zeitung“: „Schaut gut aus, da lässt sich drin arbeiten“.
Die Grünen eine Autofahrer-Partei? Sie würden das so nicht sagen, aber dass die Grünen in dem Auto-Land Baden-Württemberg mit den Weltkonzernen Daimler und Porsche keine Politik gegen diese Firmen machen, liegt auf der Hand. Kretschmann, der eine interessante Vita hat, mal ein Linker war und heute eher ein Mann der linken, aber pragmatischen Mitte ist, bezeichnet die Autoindustrie als „Halsschlagader für den Wohlstand unseres Landes“(SZ). Nun waren die Grünen im Ländle schon in den Gründerjahren der Partei keine Revolutionäre, die nur auf den Putz hauten und Ideologie-Debatten führten. Sie wollten regieren, mitregieren, nicht verhindern, sondern gestalten. Und Letzteres kann man nur aus einer Pole-Position heraus, wenn man bereit ist, Verantwortung zu tragen. Das schließt ja grüne Politik nicht aus, setzt aber voraus, dass man Kompromisse eingehen will. Schließlich besteht die Welt nicht nur aus Grünen.
Dass Kretschmann in Baden-Württemberg regiert, zusammen mit der SPD, aber die Grünen der Chef im Koalitionsring sind und die SPD nur Juniorpartner, war damals, als es passierte, 2011, eine Sensation. Möglich war sie nur, weil die langjährige Regierungspartei CDU nach 57 Jahren Regierung abstürzte: die CDU hatte sich abgenutzt, ihre Vorderleute hatten nicht gemerkt, dass sie über den Wählerinnen und Wählern schwebten und die Bodenhaftung verloren hatten, ihr vorerst letzter MP Mappus hatte einige schwere Fehler gemacht, die selbst die eigene Partei auf Distanz zu ihrem Chef gehen ließ. Aber egal, jetzt regiert Kretschmann schon drei Jahre und selbst die Wirtschaft hat sich auf die Grünen zubewegt, man hat sich an sie gewöhnt. Was nicht ausschließt, dass Kretschmann beim nächsten Wahlgang in zwei Jahren seinen Platz wieder räumen muss und ein CDU-Mann wieder Regierungschef wird. Aber Favorit für den Zweiten Platz sind die Grünen. Es könnte also auch in Baden-Württemberg eine Schwarz-Grüne Koalition geben, wie in Hessen, wo Christdemokraten und Grüne ausgesprochen friedlich und geräuschlos miteinander regieren.
Der belehrende Ton nervt
Die Grünen, die sich gerade auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Hamburg inhaltlich ein wenig anders aufstellen, wollen dabei die Konsequenzen ziehen aus ihrem schlechten Abschneiden bei der letzten Bundestagswahl. Sie knabbern schwer an den möglichen Gründen ihrer Niederlage. Regieren hatte ihnen gefallen, der ganze Apparat schmückt halt, dagegen ist Opponieren ein mühseligeres Geschäft, bei dem man selten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit genießt.
Die Grünen werden sich auch künftig über Inhalte streiten, das ist ja auch gut so, aber sie wollen sich nicht mehr so fetzen, die Realos und die Linken. Sie haben gemerkt, dass ihre ein wenig besserwisserische Politik vielen Leuten auf die Nerven geht, dieser belehrende Ton, den Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie denn zu leben und was sie zu essen hätten, der Veggie-Day-Vorschlag gehört in diese Debatte, das eigene Auftreten wirkte arrogant, als wären sie die besseren Menschen.
Kretschmann lebt ihnen die neue Mitte vor. Und Fritz Kuhn, der Grünen OB von Stuttgart, hält es ebenso. Alte Zöpfe sind längst abgeschnitten. Wer Wahlen gewinnen will, muss Kompromisse schließen können. Eine ökologische Partei bleiben die Grünen, aber sie sind keine Fahrrad-Partei, die Daimler den Kampf ansagt. Irgendwie muss das halt alles zusammenpassen auf unseren Straßen, die Autos, die sauberer werden müssen, die Radler, die Fußgänger, S-und U-Bahn, die Züge der Deutschen Bahn. Mobilität ist das Stichwort. Die Grünen auf dem Weg zu einer Wirtschaftspartei? Mit mehr Liberalismus? Also eine Art FDP light? Fritz Kuhn fährt in der Stadt einen e-Smart, auf längeren Strecke sitzt er in der E-Klasse Hybrid, den von Porsche angebotenen Hybrid-Panamera soll er abgelehnt haben.
Sie sind keine Missionare mehr
Sind die Grünen also keine Missionare mehr? Ihr Vorsitzender Cem Özdemir hat sich vor kurzem dafür ausgesprochen, Waffenlieferungen an die Kurden, die durch die Terrormilizen des IS bedroht werden, zuzustimmen. Wie die Große Koalition es auch will. Diese Position mag nicht jeder Grüne, man kann dagegen halten, dass Waffenlieferungen immer riskant seien, dass sie in falsche Hände gelangen könnten. Aber diese Kompromisshaltung hat ja schon vor Jahren ihr alter Vordenker Joschka Fischer gepredigt. Und der hat sieben Jahre mit Gerhard Schröder(SPD) regiert. Die Prügel für die Reformen der Agenda 2010 musste Schröder einstecken, große Teile seiner SPD folgten dem Kanzler nicht, sie verließen die Partei. Die Grünen kamen ungeschoren davon.
Die Grünen haben ihre Blockade-Haltung aus der Gründungszeit schon vor vielen Jahren über Bord geworfen. Weil sie regieren wollten. Das taten sie zunächst nur mit der SPD. Beispiele: Hessen und der Bund. Heute gibt es Bündnisse in den Ländern mit der SPD in der rot-grünen, aber auch in der grün-roten Form. Ausgerechnet in Hessen regieren die Grünen zusammen mit der CDU. Und wie man hört, gibt es unter Schwarz-Grün keine Probleme mit dem Flughafen Frankfurt, den die Grünen noch vor 25 Jahren mit fast allen Mitteln bekämpft hatten. Der größte Arbeitgeber des Landes ist ein Fakt, den die Grünen akzeptieren. Und bald könnte es ein Bündnis mit den Linken, der SPD und den Grünen geben, Rot-Rot-Grün in Thüringen. Dann wäre das Quartett perfekt.
Wenn man Regieren will, muss man Kompromisse schießen. So was nennt man eine etablierte Partei.
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