Die Grünen-Spitze um Ricarda Lang und Omid Nouripour ist zurückgetreten. Großer Respekt von vielen Seiten für diesen Schritt, da hätten Politiker endlich mal Verantwortung gezeigt, vorbildlich sei das, weil sie nicht am Stuhl kleben geblieben wären. Kann man so sehen, ich finde, diese Sicht ist zu einfach und auch falsch. Die beiden Vorständler sind vor der Verantwortung davon gelaufen, nachdem sie auch in Brandenburg die Wahl vergeigt hatten. Sie gehen, obwohl sie nicht die Schuld an dem Grünen-Desaster hatten. Merkwürdig. Sie bleiben nur noch im Amt bis zum Parteitag der Grünen im November, dann wird die Frage diskutiert und eine neue Spitze gewählt. Voraussichtlich ist das mit Robert Habeck der jetzige Bundeswirtschaftsminister und seit langem eigentlich das Gesicht der Grünen. Habeck steht für Aufstieg und Misserfolg der Partei, im Grunde ein Sonnyboy, dem das Lachen abhanden gekommen ist. So schnell kann das gehen in der Politik.
Und das Rad dreht sich schon wieder ziemlich schnell. Als Habeck sich gestern im ZDF-Heute-Journal den Fragen von Christian Sievers zur Lage der Grünen stellte, wollte der ZDF-Moderator am Ende vor allem wissen, ob er, Habeck, denn nun als Kanzlerkandidat der Grünen bereitstehe. Wenige Stunden nach dem Rücktritt des Vorstands. Natürlich ließ Habeck die Frage offen, aber man darf getrost davon ausgehen, dass er es machen würde, wenn denn die Grünen überhaupt mit einem Kanzlerkandidaten für die nächste Bundestagswahl Ende September 2025 antreten. Bei Umfragewerten nahe der Einstelligkeit wäre vielleicht ein wenig Demut angebracht. Wie will man denn aus dieser Misere an die Spitze? Olaf Scholz steht auch kaum besser da, wirft jemand ein, und doch behauptet der amtierende Kanzler, es noch einmal wissen und siegen zu wollen. Na gut, es bleibt das Geheimnis des Sozialdemokraten, aber der kann ja zumindest auf die letzte Aufholjagd der SPD verweisen.
Demut ist so eine Sache, vor allem, wenn man von einigen Medien in der Vergangenheit immer mal verwöhnt und hochgeschrieben wurde. So geschehen in den letzten Merkel-Jahren, als diese Medien sich zunächst grämten, dass die Jamaika-Koalition nicht zustande kam, weil FDP-Chef Lindner die edle Verhandlungsrunde um die CDU-Kanzlerin mit den Worten verließ: Lieber nicht regieren, als falsch regieren. Und so kam es erneut zur Groko, weil die SPD ihre geäußerte Abscheu gegen einen erneuten Eintritt in eine Koalition mit Merkel ablegte und sich vom Bundespräsidenten in die Pflicht nehmen ließ. Frank-Walter Steinmeier wollte vorzeitige Neuwahlen unmittelbar nach einer Wahl verhindern. Sie wäre auch ein schlechtes Zeugnis für die handelnden Politiker gewesen.
Schwarz-Grün wurde von nicht wenigen Leitartiklern gepriesen als ein Projekt oder Modell mit Zukunftscharakter. Zukunft war verbunden mit der Grünen-Partei, so glaubte man in den Medien-Häusern, hatten doch diese Grünen die richtigen Themen besetzt, vor allem die belastete Umwelt, der kränkelnde Planet, die Klimaerwärmung, der Rückzug aus Kohle/Gas-aus der Kernkraft war man schon ausgestiegen- und der Einstieg in die erneuerbaren Energien. Dazu die smarten Führungspersonen Habeck und Baerbock. Einige zogen sogar ein Bündnis Grün-Schwarz vor, so wie das im einst von der Union dominierten Vorzeigeland Baden-Württemberg ruhig und gediegen unter Führung des Grünen-Ministerpräsidenten Kretschmann läuft. Dabei übersahen einige, dass Kretschmann im Gegensatz zu anderen Grünen im Grunde wie ein CDU-Politiker regierte und regiert, mit den Mächtigen und nicht gegen sie. Pragmatisch ist dieser Grünen-Politiker, der als junger Mann auch in Kontakt mit dem Kommunistischen Bund Westdeutschland geraten war, eine Jugendsünde vielleicht. Einen solchen Politiker haben die Grünen im Bund nicht zu bieten.
Auf dem Weg zur Volkspartei
Die Grünen, rühmten diese Kommentatoren, seien auf dem Weg zur Volkspartei. Da spätestens hatten sie überzogen, die Kolleginnen und Kollegen, die offensichtlich verdrängt hatten, was eine Volkspartei alles ausmacht. Die CDU und die CSU sind gewiss Volksparteien, die SPD will es weiter sein, kann aber dem Anspruch kaum noch gerecht werden mit bundesweiten Umfragewerten von gerade mal 15 Prozent. Aber vielleicht war dies der Punkt, wo die Grünen ihren Weg veränderten. Sie sind heute keine Umweltpartei mehr, sie sind nicht mehr die Anti-Kriegs-Partei, womit ich nicht meine, dass die Grünen lauter Militaristen wären. Aber man denke da an Joschka Fischer und den Farbbeutel, den ihm ein Grünen-Aktivist auf dem Bielefelder Parteitag an den Kopf warf und das Trommelfeld des damaligen Außenministers unter dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder verletzte. Friedenspartei zu sein, ist löblich, aber in der Opposition leichter zu vertreten als in der Regierung. Das erfuhr Fischer damals, die Grünen haben diese Erfahrung mit dem Überfall von Russland auf die Ukraine gemacht. Waffen für das bedrängte Land liefert Deutschland mit Unterstützung der Ampel-Regierung, der die Außenministerin Annalena Baerbock angehört. Man kann auch den links-grünen Abgeordneten Anton Hofreiter erwähnen, der sich unter dem Eindruck des Krieges zum Waffen-Experten gemausert hat. Die Grünen also eine Partei der Mitte? Nicht mehr links und vor allem anders als die anderen?
Regieren heißt Kompromisse zu schließen. Man muss in der Bevölkerung für eine Umkehr in der Ernährung werben, mit Verboten kommt man nicht weiter. Das gilt auch für den Weg vom Verbrenner-Auto zum E-Auto. Der Umstieg muss bezahlbar sein, Otto Normalverbraucher kann sich ein E-Auto von VW nicht leisten. Reformen sind nötig, aber man muss sie den Leuten erklären, neudeutsch sie mitnehmen, nicht von oben herab. Da ist noch viel Luft nach oben. Es ist unfair und spricht gegen Markus Söder, wie er mit den Grünen umgeht, wie er über sie redet. Aber so ist Söder, die Grünen müssen sich das nicht gefallen lassen, nicht von einem CSU-Ministerpräsidenten, der mit einem Freien-Wähler-Chef namens Aiwanger regiert, dessen Entschuldigung für ein umstrittenes antisemitisches Flugblatt angeblich aus der Feder seines Bruders von der Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, nicht akzeptiert worden war.
Und noch etwas: Söders Gerede, die Ampel sei schuld, ist Unsinn. Das Erbe der verrotteten Infrastruktur ist auch ein Erbe der Herren Bundesverkehrsminister Ramsauer, Dobrindt, Scheuer, allesamt CSU. Die verschlafene Digitalisierung ist wieder nicht den Grünen anzulasten, das gilt auch für die Energiewende. Oder die heruntergewirtschaftete Bundeswehr. Verteidigungsministerinnen und Verteidigungsminister waren aus dem Hause CSU und CDU. Von wegen die Ampel ist schuld. Die Regierung Angela Merkel(CDU) hatte 16 Jahre Zeit, um die einseitige Energie-Abhängigkeit Deutschlands von Russland zu beenden. Und trotzdem wurde Wirtschaftsminister Habeck belächelt, als er mit einem tiefen Diener vor dem Gas-Scheich aus Katar dieses Problem löste, Deutschland kam über den Winter, ohne zu frieren. Die Ampel ist schuld?
Merkels „Wir schaffen das“
Die Ampel ist schuld für die Probleme mit der Migration? Herr Söder, erinnern Sie sich noch an die Kanzlerin Angela Merkel und ihr Wort: Wir schaffen das! Wir sollten der AfD nicht länger auf den Leim gehen und das Thema Zuwanderung ordentlich in den Griff nehmen. Also massiv investieren in den Wohnungsbau, die Sanierung der Schulen, in mehr Personal für Kitas, Schulen, Pflege. Und natürlich gehören, wie passiert, Schwerkriminelle abgeschoben. Was wir bei allen Problemen beachten müssen, ist Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen. Die Würde des Menschen gilt für alle, auch und vor allem die, die in Not sind. Und lassen wir nicht zu, dass das Grundrecht auf Asyl auf dem Markt der Schreihälse geopfert wird.
Es gibt seit vielen Monaten ein großes politisches Problem: die AfD, eine in Teilen rechtsextremistische Partei, die immer mehr Zuspruch erfährt und die zuletzt bei den Landtagswahlen im Osten in Thüringen stärkste Partei geworden ist und in Brandenburg nur knapp hinter der SPD landete. „Ungeheuerlich“ nannte diese Entwicklung vor Monaten der frühere Bundesinnenminister Gerhard Rudolf Baum(FDP). „Die AfD ist der parlamentarische Arm einer Bewegung, die in unsere Gesellschaft eingedrungen ist. Niemand sollte sich also verführen lassen, die AfD als Vehikel für Proteste zu nutzen“. So der liberale Rechtsanwalt Baum, der in Berlin lebt. Und Baum sieht diese Republik erstmals seit Ihrer Gründung bedroht durch massive Angriffe von Rechtsextremisten. Baum erinnerte in einem Gastbeitrag für die SZ an den Aufstieg der NSDAP 1930. Damals wollten ähnlich viele Deutsche mit dem Kreuz für die NSDAP ihren Protest zum Ausdruck bringen. Dass das in der Katastrophe endete, wissen wir längst. „Goebbels erschien im Reichstag und verkündete, dass die NSDAP die Möglichkeiten der Demokratie nutzen werde, um diese abzuschaffen.“ So schrieb der Freidemokrat und ergänzte: „Genau das will heute Höcke.“
Ich frage mich seit langem, wo der Protest der demokratischen Mitte bleibt? Sie erweckt den Eindruck, als schaute sie dem Prozess eher gelangweilt zu, zumindest wird sie nicht aktiv. Wo bleiben die Grünen? Sie müssten doch auf die Straße gehen und zwar jeden Tag, um vor dieser AfD zu warnen. Es sind Verfassungsfeinde am Werk. Man frage den Verfassungsschutz. Die Systemverachtung, die von AfD-Mitgliedern ausgeht, ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Die Rassisten der AfD haben „einen Überzeugungskern, der das Grundgesetz zutiefst verletzt: Sie wollen die Ausgrenzung all jener, die nach ihrer Ansicht nicht zum Volk gehören, verbunden damit ist die völkische Vorstellung eines Herrenvolks.“ Schrieb Baum, Jahrgang 1933. In dem Jahr geboren, als Hitler an die Macht kam und mit dem Ermächtigungsgesetz letztendlich die Demokratie ausschaltete.
Verbrechen ein Vogelschiss
Die AfD lehnt das Land des Grundgesetzes ab. „Wir wollen uns unser Land und unser Volk zurückholen“, hat Alexander Gauland, Ehrenvorsitzender der AfD, gesagt. Und er hat die Verbrechen des Dritten Reiches einen „Vogelschiss“ genannt in der angeblich so glorreichen deutschen Geschichte, Die AfD überzieht unsere Erinnerungskultur mit Hohn, Björn Höcke nannte das Mahnmal neben dem Brandenburger Tor in Berlin, das an die sechs Millionen ermordeten Juden durch die Nazis erinnert, ein „Denkmal der Schande“. Diese Erinnerungskultur soll nach Höcke um 180 Grad gedreht werden. Wo bleibt der Aufstand der Anständigen, der Grünen, Herr Habeck, Frau Baerbock, Herr Nouripour, Frau Lang, ich meine die ganze Grünen-Partei? Alle Demokraten sind gemeint.
Viele Menschen fühlen sich allein gelassen, sie haben Angst vor Veränderungen, Abstieg, die Lage erscheint ihnen zu unübersichtlich. Da muss Politik ran, sind die Grünen gefragt. Zur Politik gehören auch unangenehme Wahrheiten, aber nie unerfüllbare Versprechungen, sonst geht Glaubwürdigkeit verloren. Einer wie Baum, ein Alt-Liberaler, räumt ein: „In der Asylpolitik heißt das: Wir können nicht alle aufnehmen, wir werden auch nicht alle zurückschicken, die wir vielleicht zurückschicken wollen.“ Und wir brauchen Zuwanderung, weil Arbeitskräfte fehlen. Das hilft dem Land und geht nicht zu lasten der einheimischen Bevölkerung. Baum kann sich in seinem langen Leben „an keine Situation seit 1945 erinnern, die für die Demokratie so herausfordernd war wie die heutige.“
Die Grünen sind aus dem Brandenburger Landesparlament rausgeflogen, gescheitert an der Fünf-Prozent-Klausel, während die AfD ein Rekordergebnis einfuhr. Einer wie Baum stellte dazu vor Monaten fest: „Wer AfD wählt, gibt Menschen ein Mandat, welche die Demokratie abschaffen wollen und Deportationen planen“. Das muss die Grünen anspornen, damit das nicht wieder passiert. Nie wieder.