Die Griechen sind verrückt, sagen die, die meinen, Griechenland zu kennen und Freunde in Athen oder auf einer der wunderschönen Inseln der Ägäis haben. Andere sagen es ähnlich, drücken es aber zurückhaltender aus: Auf der Bühne spiele sich ein „Theater des Absurden“ ab, so urteilt der griechische Schriftsteller Nikos Dimou im Interview mit dem Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Ihre Welt, gemeint die der griechischen Regierung um Premierminister Alexis Tsipras, sei „eine Welt von gestern. Fast alle Mitglieder der Regierung entstammen einer kommunistischen Denkschule“. Deshalb das Theater um oder besser gegen die Reformen der EU, deshalb die klare Niederlage der Freunde des Brüsseler Kurses gegen die Gegner um Tsipras? Wissend oder doch zumindest befürchtend, dass am Tag danach die Banken geschlossen blieben.
Den Europäern musste doch eigentlich klar sein, dass sie mit ihrer lauten, viel zu harschen Kritik an Tsipras und dem Referendum genau das erreichen würden, was nicht ihr Ziel gewesen sein kann: Eben, dass die klare Mehrheit Tsipras Kurs stützen würde. Oder hat man in Brüssel und Berlin wirklich geglaubt, man werde mit diesen Attacken gegen den griechischen Regierungschef die Mehrheit der Menschen in Griechenland erreichen und überzeugen, dass das, was die eigene Regierung treibe, absoluter Wahnsinn sei, ein Irrweg, der nur dazu geeignet sei, den Karren direkt vor die Wand zu fahren? Haben die Europäer die Mentalität der Griechen nicht falsch eingeschätzt, falls sie überhaupt eine Ahnung von Griechen haben und deren Art zu Denken und zu Leben? Wer so draufhaut im Vorfeld einer Abstimmung und dabei deutlich macht, dass er von diesem Votum nichts, aber auch gar nichts hält, muss doch damit rechnen, dass die Leute ihn verdächtigen, nichts Gutes von ihm und für ihn zu wollen. Damit hat man Tsipras und Co. in die Hände gespielt.
Kleines Land im großen Europa
Zurück zum Spiegel-Gespräch mit dem Autor Dimou. Der 80jährige kennt seine Landsleute und weiß um deren Schwäche, mit der Wirklichkeit des Lebens, der tagtäglichen Realität fertig zu werden. In Griechenland leben rund 11 Millionen Griechen, ein kleines Land im großen Europa, eines neben vielen anderen, mag der gemeine Deutsche und Franzose denken. Nicht der Grieche, er hält sich für den Nachkommen von Platon oder Sokrates, drückt es ein Journalist aus, der oft genug in Griechenland war und die Mentalität der Menschen kennt. Oder wie es Dimou ausdrückt: „Für Griechen ist Griechenland das Zentrum der Welt“. Seine Bedeutung für den Rest des Kosmos könne gar nicht überschätzt werden.
Wer das zu Grunde legt bei einer Diskussion über die Position des Landes, muss verzweifeln, der wird stets vergeblich versuchen, dem anderen die reale Welt vor Augen zu halten, aber er wird gegen eine Wand anreden, an der seine Argumente abprallen. Nicht nur der normale Europäer hätte von der Regierung Tsipras- immerhin eine linke Regierung geleitet von einem Tsipras, der in dem Moment Mitglied der kommunistischen Partei wurde, als die Mauer in Berlin fällt und „die ganze Welt das Ende der Blockpolitik feiert“(Dimou)- erwartet, dass er die Reichen zur Kasse bittet, dass er als erste Maßnahme jenen Passus aus der Verfassung streicht, der die Reeder von der Zahlung von Steuern befreit.
Steuerhinterziehung, so hört man immer, sei in Hellas ein Volkssport. Es gibt Beispiele, da sich Deutsche in Griechenland ein Haus gekauft haben und dafür Steuern zahlen wollten, aber dies quasi gerichtlich durchsetzen mussten. Wie will ein solcher Staat zu Einnahmen kommen, wenn er Steuern nicht systematisch eintreibt? Warum eigentlich kennen die Griechen kein Katasteramt? Der renommierte deutsche Historiker August Heinrich Winkler listete die Schwächen der griechischen Strukturen in der Sendung Maybrit Illner auf, Punkt für Punkt. Wer es bisher nicht geglaubt hat, an diesem Abend wurde er davon überzeugt, dass Griechenland in dieser Verfassung nur schwer auf die Beine kommen wird. Reformen wird es geben müssen, überzeugen wir die Griechen von der Notwendigkeit solcher Schritte, die in ihrem Sinne und für ihr Wohl sind. Es geht nicht um Rechthaberei der Brüsselaner.
Sie lehnen ab, was wie Zwang wirkt
Sicher, die Menschen im Süden Europas haben vielfach eine andere Einstellung zu einem Regelwerk, das die Deutschen preisen, weil man Regeln braucht. Und weil das so ist und weil die Griechen etwas grundsätzlich ablehnen, was man ihnen aufzwingen will, gibt es so etwas nicht. Also keine bindende Regelkunde in Sachen Steuern. Und das in einem Land, das im Grunde alles einführen muss und kaum etwas Teures exportiert. Wie will man ihnen das klar machen? Und wenn man wissen will, warum die Griechen den Europäern und namentlich den Deutschen die Schuld geben, wird man den Schriftsteller Dimou im „Spiegel“ weiterlesen müssen. Tsipras habe es geschafft, das griechische Dilemma den Europäern in die Schuhe zu schieben, das glaubten zumindest 60 Prozent der Griechen. „Ich habe Freunde, die jahrelang im Ausland lebten, die gebildet sind und eigentlich auch klug. Sie stimmen jetzt mit Nein, nur um den Deutschen eins auszuwischen“. So ist es ja auch geschehen. Weil Griechen anders sind?
Und die Fehler der Europäer? Vielleicht war es falsch, wie sie aufgetreten sind in Griechenland. Vielleicht hätten sie den Griechen mehr erklären, vielleicht um sie werben müssen, weil sie in ihrem Stolz ernst genommen werden wollen. Sie werden miteinander reden müssen, auf Augenhöhe. Die Griechen haben eine Stimme, aber auch die anderen Europäer reden mit, jedes Land. Ein Grieche wiegt genauso viel wie ein Italiener oder Tscheche. Es war eine verbale Entgleisung des zurückgetretenen Finanzministers Varoufakis, die übrigen Europäer als Terroristen zu beschimpfen. So geht man nicht miteinander um, wenn man sich anschließend wieder gemeinsam an einen Tisch setzten will. Und das wird man müssen, so oder so. Andererseits kennen wir auch einen Herrn Schäuble, dessen Giftpfeile in jeder Debatte gefürchtet sind und der mit seinem Hang zur Besserwisserei und zum intellektuellen Hochmut gegenüber Andersdenkenden diese gelegentlich vor den Kopf stößt, ja sie verprellt.
Zur Politik gehört ein Kompromiss, der gefunden werden muss und der allen gerecht wird. Auch Griechenland. Und dieser Kompromiss muss dann aber verlässlich sein, ein jeder ihn einhalten. Das ist Politik in einer Demokratie, kein Diktat.
Der Fall Griechenland hat zugleich die Schwächen Europas aufgedeckt. Die Europäische Union braucht mehr als eine gemeinsame Währung, wir brauchen eine Steuer-Union, eine Sozial-Union, am Ende auch eine politische Union, deren Stimme in der Welt Gewicht hat. Es fehlen die Politiker in allen Ländern, die den Mut haben, dafür zu kämpfen. Für eine neue europäische Idee, zu der Solidarität gehört, Solidarität mit Menschen in Not, woher auch immer sie kommen. Europa darf sich nicht mit neuen Mauern umgeben, es muss offen sein.
Zur Zukunft Europas gehören mehr als Zahlen. Was macht die europäische Idee aus? Ende offen.
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