Die Proteste gegen die EZB in Frankfurt haben nur ein kurzes Nachspiel gehabt. Und schon heute fragt man sich: War was? Autos brannten, Scheiben gingen zu Bruch, Polizisten und Feuerwehrleute wurden verletzt, auch Demonstranten kamen nicht ungeschoren davon. Schlimm. Aber sonst? OK, der Bundestag hat darüber diskutiert, die Regierenden haben die Steinewerfer kritisiert, die Linke versuchte gegen die Einseitigkeit der Debatte anzureden. Selbst Sahra Wagenknecht hatte da ihre Probleme. Es ist ja auch so, dass die Opposition seit der großen Koalition kaum zu Wort kommt. Union und SPD stellen die Einheits-Fraktion, die Grünen schielen zur Macht und halten sich zumeist zurück, die Linke ist dagegen. Aber wer ist die Linke? Bei allem Respekt, aber diese Minderheit ist so winzig, dass man sie kaum wahrnimmt- zumal die Deutschen den Eindruck vermitteln, als wollten sie nicht gestört werden.
So wirkt die Gesellschaft wie gelähmt. Man feiert gern die Kanzlerin und sonnt sich in ihrem Licht. Schließlich gilt sie als die mächtigste Frau der Welt. Also darf man sich mit ihr nicht anlegen. Und wenn sie betont, was sie öfter tut, dass es zu ihrer Politik keine Alternative gibt, dann ist das so. Die Medien halten nicht dagegen, sie wollen dabei sein. Mainstream ist gefragt. Deutschland geht es gut, wer will dem widersprechen? Wir sind nicht umsonst Fußball-Weltmeister geworden und das im Land der Fußball-Besessenen.
Dass die Politik der EZB die soziale Marktwirtschaft in Deutschland nicht bekümmert, wen juckt es hier. Hauptsache, uns geht es gut. Dass die EZB zwar 800 Milliarden Euro in die Banken gepumpt hat, damit sie nicht absaufen, ist längst abgehakt. Schließlich brauchen wir die Banken. Es ist schon vergessen, dass die Geldinstitute ihre Misere eigentlich selber verursacht hatten. Ihr Casino-Kapitalismus führte fast in den Abgrund. Dass dieselbe EZB aber nur sechs Milliarden Euro übrig hatte, um gegen die Jugend-Arbeitslosigkeit in Südeuropa zu kämpfen, damit die jungen Menschen eine Perspektive bekommen, hat kaum jemand aufgeregt in Deutschland. Immerhin sechs Milliarden, wird der eine oder andere sich gesagt haben, zudem sind Jugendjahre keine Herrenjahre. Oder so ähnlich.
Gegen die EZB auf die Straße
Dass man gegen die EZB auf die Straße gehen kann, ist im Grunde eine Selbstverständlichkeit. Leider gingen die Argumente von Blockupy unter, weil Steinewerfer und andere Randalierer die Stimmung kaputt gemacht haben und am Ende die Polizei den Inhalt der Veranstaltung bestimmte.
Aber regt das jemand auf? In der SPD vielleicht? Wo sind eigentlich die Jusos, die früher gegen die da Oben zu Felde zogen? Wo ist die Linke der SPD? Stumm geworden in der Gabriel-Partei, die sich regierungskonform verhält, als wäre es das Beste der Welt. Nur nicht aufmucken! Wir stimmen geschlossen für die Politik der großen Koalition. Was auch geschieht, Ruhe ist angesagt.
Da warnt die Nationale Armutskonferenz (NAK) vor wachsender Lohnungleichheit und zitiert zum Beleg ihrer Kritik eine entsprechende Bertelsmann-Studie. Viele ohnehin schon arme Menschen verdienen immer weniger. Die Lohnunterschiede werden auf die erheblich zurückgegangenen Tarifbindungen zurückgeführt. Konkret: Die Reallöhne der Besserverdienenden sind seit Mitte der 90er Jahre in Deutschland im oberen Fünftel inflationsbereinigt um 2,5 Prozent gestiegen. Übrigens vollzog sich die Entwicklung schneller als in den USA und Großbritannien.
Die Studie unterstreicht, dass viele Arbeitsplätze vor allem durch geringe Bezahlung im Niedriglohnsektor entstehen, warnt die NAK. Wörtlich heißt es: „Das Ausmaß der sozialen und regionalen Zerrissenheit in Deutschland hat eine neue Qualität erreicht. Arm und Reich treiben immer weiter auseinander.“ Die Bundesrepublik laufe zunehmend in eine tiefe Spaltung der Gesellschaft hinein, so NAK-Sprecher Hensel.
Wo ist die Partei der Arbeit?
Eigentlich ein Thema für die SPD, die alte Arbeiterpartei, die sich einst als Anwalt der kleinen Leute sah, die das Leben im Land sozial gerechter gestalten wollte, die sich um die Benachteiligten kümmerte, was sonst keiner getan hat, die der Betriebsrat der Nation sein wollte und sicher auch die Partei des Aufstiegs, hat sie doch dafür gesorgt, dass auch Arbeiterkinder und überhaupt Kinder aus benachteiligten Familien das Abitur machen und studieren konnten. Alles heute kein Thema mehr, Herr Gabriel?
Die gesellschaftlichen Gruppen, so heißt es in einer anderen Erklärung der Nationalen Armutskonferenz weiter, bewegen sich immer weiter auseinander und begegnen sich kaum. Mit dieser Ausgrenzung von Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben dürfe man sich nicht arrangieren, so die NAK. Eine Statistik -nicht gefälscht- besagt, dass das reichste Prozent der Deutschen immerhin 34 Prozent des Nettoprivatvermögens besitzen, mehr als 3,4 Billionen Euro und jede Sekunde wachse deren Vermögen um über 3000 Euro. Gerecht? „Armut ist falsch verteilter Reichtum“, so ein Motto der NAK.
Aber dies sind nicht die Themen, die die Deutschen bewegen. Die Sonnenfinsternis, das ist es, die dazu gehörende Brille, das bewegt uns. Schade, dass der Nebel uns im Rheinland die Sicht nahm. Dann ist da noch als Thema die Sache mit dem Stinkefinger, auch wenn das wohl manipuliert worden war, aber der Bösewicht ist nun mal der griechische Finanzminister Varoufakis. Ach, das gab es ja schon mal.
Der letzte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ließ sich dazu hinreißen für eine Beilage der Süddeutschen Zeitung. Übrigens, Steinbrück machte von sich reden, weil er ein neues Buch geschrieben hat. Geschickt wurde das Werk angekündigt mit einer Pressemeldung, in der Steinbrück die eigene Partei kritisierte, was sich immer gut macht. Er will ja nichts mehr werden. Also werden wir ihn als Vortragsreisenden erleben, der vor ausgewähltem Publikum großer Firmen gegen nicht zu wenig Salär Vorträge hält. Da wird er Beifall bekommen wie damals vor seiner Kandidatur, aber Herr Steinbrück, schon damals war das der Beifall von der falschen Seite. Den bekommt man, aber nicht die Stimmen.
Bis Merkel nicht mehr antritt
Wen interessiert noch Politik in Deutschland? Soziale Marktwirtschaft wäre ein Thema für Sigmar Gabriel, den SPD-Vorsitzenden und Vize-Kanzler, der meint, erst wenn Merkel nicht mehr antrete, habe die SPD eine Chance auf Zurückgewinnung der Macht. Dann brauchen wir ja gar nicht mehr wählen zu gehen, oder was will uns Gabriel damit sagen? Warum kämpft er nicht? Warum nickt er nur ab? Warum kommt aus den Ländern nichts, wo doch das Geld so knapp ist, die Straßen, Schulen und Brücken marode sind und das Geld fehlt? Nein, auch in den Regionen herrscht zufriedene Ruhe in NRW, genauso wie in Niedersachsen. Gut, der NRW-Verkehrsminister Groschek hat sich mal getraut, die Maut-Pläne von Dobrindt Murks zu nennen. Ob er sich damit Freunde gemacht hat? Schließlich hatte man Ruhe verabredet.
Überhaupt NRW. Es ist viel zu still im Lande. Selbst der Herr Laschet, vor dem sonst kein Mikrophon sicher ist, scheint sich zufrieden zu geben. Von der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ist wenig zu vernehmen. Seit sie betont hat, vor Jahr und Tag, dass sie „nie,nie,nie“ Kanzlerkandidatin der SPD werde, hat sie auf Bundesebene an Reputation eingebüßt. Bis dahin war sie eine Persönlichkeit, die von Nord bis Süd und West bis Ost Respekt und hohes Ansehen genoss, eben, weil man ihr vieles-alles?- zutraute. Nun muss sie sich in Berlin anstellen. Und in NRW geht alles ruhig vonstatten. Passiert eigentlich nichts mehr in Düsseldorf bis zur Wahl 2017?
Ach ja, der Herr Kretschmann hat gerade von sich reden gemacht. Aus seinem Leben ist zu lesen. Er war ja mal Mitglied der K-Gruppen, also ein richtiger Kommunist, irgendwann in den 70er Jahren. Der Radikalenerlass blieb ihm nicht erspart, man erforschte seinen Hintergrund, aber Kretschmann hatte sich losgesagt von dem bösen K-System. Man ließ ihn unterrichten.
Nächstes Jahr wird er sein Amt verteidigen müssen, gegen die CDU, die mit einem neuen Wolf als Spitzenmann antreten wird. Ein Konservativer gegen Kretschmann, den Grünen, der aber längst ein Konservativer ist, der mit Horst Seehofer gut kann und der mit der SPD im Ländle regiert, mit Nils Schmidt, dem blassen Wirtschaftsminister, der froh sein wird, wenn das Grün-Rote-Bündnis im Südwesten die Mehrheit verteidigen kann.
Hamburg hat den Zuschlag für eine mögliche Olympia-Bewerbung erhalten. Berlin ist sauer und reagiert ziemlich provinziell, weil man meinte, als Hauptstadt habe man einen Bonus. Aber Hamburg, liebe Berliner Freunde, ist eine Stadt mit Stil und Klasse. Und mit einem Regierenden Bürgermeister Olaf Scholz, der eben den Unterschied ausmachen kann. Kompetent, sachlich, seriös, nicht so laut wie Politiker aus Berlin. Da könnte sich Gabriel manches abschauen.
Aber selbst darüber wird nicht laut diskutiert. Vielleicht will die Chefin das nicht. Und wenn das so ist, dann ist das eben so. Und dann muss sich Gabriel eben mit 25 Prozent begnügen, ein Wert, der ausreicht für Platz 2, aber nicht für die Pole-Position, die setzt Führungsanspruch voraus.