Über Gerhard Schröder haben nun vielleicht alle sich ausgelassen, gelästert, geschimpft, ihn verdammt, rausgeworfen, irgendwie geächtet. Genug ist genug, könnte man meinen. Aber irgendwie findet sich immer wieder jemand, der meint, den ehemaligen Bundeskanzler und Immer-Noch-Sozialdemokraten vors Schienbein treten zu müssen. Damit trifft man ja zudem den amtierenden SPD-Kanzler Scholz, auch wenn der längst auf Distanz zu Schröder ist. Da kann man sich moralisch aufpusten gegen die Sozis. Dabei müssten sie aus der Union wissen, dass sie selber genug Dreck am Stecken haben, wenn sie einmal kurz auf ihre Geschichte zurückblicken würden.
Konrad Adenauer
Da ist der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer, über den vor einigen Wochen bekannt wurde, dass er seinen Geheimdienstchef Gehlen damit beauftragt hatte, die gesamte SPD-Spitze auszuhorchen. So berichtete u.a. die „Süddeutsche Zeitung“ ausführlich und konnte das mit Beweisen belegen. Kriminell war das, eine Schweinerei des Alten gegenüber der Konkurrenz. Aber da war der CDU-Kanzler nie pingelig, wenn es darum ging, der SPD etwas anzuhängen, darunter der Vorwurf, die SPD werde von den Kommunisten in Moskau finanziert. Das war damals in den 50er Jahren. Deutschland beschäftigte sich nicht mit der eigenen Nazi-Vergangenheit, mit den Verbrechen seiner eigenen Leute, es ließ zu, dass Tausende von Juristen, Nazis, in der demokratischen Bundesrepublik einfach weiterarbeiten durften. Millionen ehemalige Mitglieder der NSDAP blieben unbehelligt, weil es opportun erschien, die bösen Kommunisten aus dem Osten anzugreifen. Dabei hatte die Rote Armee unter größten Verlusten mit dafür gesorgt, dass Hitler und Konsorten den Krieg verloren, dass wir, wie es der spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker anläßlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes am 8. Mai 1985 gesagt hatte, von der Nazi-Diktatur und NS-Barbarei befreit wurden.
Der heutige CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz, der sonst schnell zur Attacke auf den politischen Gegner bereit ist, hat sich zu den Vorwürfen gegenüber Adenauer nicht geäußert. Motto: Damit haben wir nichts zu tun. Ich doch nicht. Dabei sind die Unterlagen, die des Kanzlers und Mitgründers der CDU Untaten belegend, aus der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Merkwürdig ist das schon, dass sich der Mann, der zwar schnell mal nach Kiew fährt, um den SPD-Kanzler Olaf Scholz vorzuführen, dazu kein Wort findet. Die CDU müsste diese nun wirklich nicht schöne Seite ihres großen Vorbildes näher beleuchten, verarbeiten. Möglich, dass das seine Freunde als Nestbeschmutzung betrachten würden. Ich nenne das Doppel-Moral, die immer nur die anderen attackiert, ohne den Dreck vor der eigenen Haustür zu sehen und wegzuräumen. Übrigens kommt zu Adenauer noch die üble Geschichte, die er Willy Brandt anhängte. Damals im Wahlkampf, als die Adenauer-CDU ein Flugblatt bundesweit verteilen ließ, auf dem die Rede war von Willy Brandt alias Herbert Frahm. Weil er ein uneheliches Kind war. Damit konnte die christlich-demokratische Partei auf Stimmenfang gehen. Der Leser erinnert sich vielleicht der jüngeren Geschichte eines CSU-Generalsekretärs, der seinen Posten räumte, nachdem ein buntes Blatt von seiner angeblichen Vaterschaft berichtet hatte. Der Mann ist ledig. Und er attackierte den Journalisten, den er wegen seiner Berichterstattung „vernichten“ wollte.
Kurt-Georg Kiesinger
Zu erinnern ist hier an den übernächsten CDU-Kanzler Kurt-Georg Kiesinger wegen seiner Nazi-Vergangenheit. Ich wundere mich noch heute, dass es Willy Brandt, Helmut Schmidt und vor allem Herbert Wehner über sich brachten, mit diesem ehemaligen Nazu in der ersten großen Koalition zu regieren. Wohl nur, um zu beweisen, dass sie regieren können, was ja auch passierte. Sinnbildlich für Kiesingers braune Vergangenheit steht meiner Ansicht nach die Ohrfeige, die ihm Beate Klarsfeld 1968 am Rande des CDU-Parteitages in Berlin verpaßte. Der Kommentator Arno Orzessek meinte, die Aktion sei „Sinnbild eines deutschen Konflikts, in dem die Jungen die moralische Hoheit über die NS-Verstrickungen der Alten beanspruchten“. Beate Klarsfelds Ohrfeige hatte, so hat es der damalige Korrespondent und spätere Vorsitzende der Bundespressekonferenz, Rudolf Strauch, mir mal geschildert, dem Kanzler unter den Rufen „Nazi, Nazi“ eine klatschende Ohrfeige verabreicht, so stark, dass Kiesinger, der ein Blut unterlaufenes Auge davon trug, von einem Arzt untersucht wurde. Kiesinger, Ex-NSDAP-Mitglied und im Reichsaußenministerium einst an antisemitischer Hetze beteiligt, kannte die Studentin, die ihn schon mehrfach attackiert hatte, so in der Zeitung „Combat“ und im April 1968, als sie von der Besuchertribüne des Bonner Bundestages herab rief: „Nazi tritt zurück.“ Die Ohrfeige hatte sie vor vielen Zuhörern im Audimax der Technischen Universität Berlin zuvor angekündigt. Klarsfeld hatte sich jahrelang mit dem Holocaust und der Aufklärung der NS-Verbrechen beschäftigt. Kiesinger hatte seine braune Vergangenheit nicht geleugnet, sah sich aber nur leicht belastet und sprach sich selber eine fundamentale Kehrtwende hin zur Demokratie zu. Der Philosoph Karl Jaspers beklagte nach dem Amtsantritt Kiesingers, nun repräsentiere „ein alter Nationalsozialist“ die Bundesrepublik. (zitiert nach Deutschlandfunk)
Hans-Karl Filbinger
Hans Karl Filbinger gehört auch in diese „Ehren-Galerie“. Der CDU-Mann war von 1966 bis 1978 Ministerpräsident von Baden-Württemberg, also Nachfolger von Kiesinger, der im selben Jahr nach Bonn gewechselt war, um nach dem Scheitern von Ludwig Erhard Bundeskanzler zu werden. Filbinger war zudem CDU-Landesvorsitzender und stellvertretender CDU-Chef. Der Schriftsteller Rolf Hochhuth nannte Filbinger, den ehemaligen Wehrmachtsrichter, einst einen „furchtbaren Juristen“ wegen einiger Urteile aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Filbinger stellte Strafantrag, Hochhuth wurde freigesprochen, der Ministerpräsident musste zurücktreten. In dieser öffentlichen und gerichtlichen Auseinandersetzung machte Filbinger jene Äußerung, dass heute nicht Unrecht sein könne, was damals Recht war. Prof. Ingo Müller, der das Buch geschrieben hat mit dem Titel „Furchtbare Juristen“, kommentiert Filbingers Worte so: „Dieser Ausdruck der Unbelehrbarkeit, das Beharren auf der Rechtmäßigkeit der unmenschlichen Justiz des Dritten Reiches, zeigte erst die ganze Furchtbarkeit jenes Juristen und vieler Berufskollegen seiner Generation, denn der Marinerichter a.D. Filbinger war kein Einzelfall.“ Und jener Filbinger wäre möglicherweise ohne Hochhuths Anklage Bundespräsident geworden.
Helmut Kohl
Aufschlussreich wäre jetzt zu zitieren, wie Helmut Kohl den Fall Filbinger beurteilt hat. Nachzulesen wäre das in einem Buch, das aber per Gerichtsbeschluss aus dem Verkehr gezogen wurde. „Heribert Schwan, Tilman Jens: Vermächtnis. die Kohl-Protokolle.“ Soviel kann ich sagen, da ich das Buch gekauft habe, als es noch möglich war, dass der Altkanzler Filbinger offensichtlich den Rat gegeben haben soll, sich zu den Dingen zu bekennen, die in den Wirren des Kriegs passiert seien und zu sagen, dass es einem unendlich leid tue.
Womit wir bei Helmut Kohl wären, mächtiger CDU-Chef, der Erfinder der moralischen Wende, Kanzler mit Rekordjahren, der sich am Ende frei nach Spiegel-Chef Rudolf Augstein selbst vom Sockel geholt hatte, als ihm die Spenden-Affäre um die Ohren flog. Millionen, die der Ex-Kanzler zunächst lange bestritten hatte und sich in dieser Affäre auch von engen einstigen Weggefährten verteidigen ließ, die wiederum den politischen Gegner, die SPD, attackierten. Da schwang schnell mal Verleumdung im Raum, bis Kohl schießlich in der ZDF-Sendung mit Klaus Bresser „Was nun, Herr Kohl“ einräumen musste, dass diese Gelder geflossen seien. Die Namen nannte er nicht, da stellte sich der einstige Kanzler über das Gesetz, an dessen Zustandekommen er selber mitgearbeitet hatte. Er sei im Wort bei den Spendern. Und nahm das Geheimnis später mit ins Grab. Vergessen? Kaum.
Franz-Josef Strauß
Wir sollten an Franz-Josef Strauß erinnern, den wortgewaltigen CSU-Chef und ehemaligen bayrischen Ministerpräsidenten, den sie immer noch verehren in der CSU, an die Zwick-Affäre, den Bäderkönig, Onkel Aloys, an Fibag, Starfighter, die Spiegel-Affäre mit der Verhaftung von Spiegel-Chef Augstein und Chefredakteur Konrad Ahlers. Da fallen dann Namen wie Gerold Tandler, dessen Name dazu überleiten kann auf die heutige Masken-Affäre, die mit der Tochter von Tandler verbunden ist, dazu der Name von Alfred Sauter und der von Monika Hohlmeier, einer Tochter von Strauß. Millionen wurden „verdient“ mit dem Leid der Menschen, Corona ließ die Kassen klingeln. Die CSU und das große Geld, das Thema wollte doch eigentlich Markus Söder, der heutige CSU-Chef und Ministerpräsident des Freistaats beenden, er wollte für klare Verhältnisse sorgen. Selten so gelacht, Herr Söder, der Mann, der Armin Laschet den Wahlkampf kaputt machte, weil er selber Kanzler werden wollte, ein mieses Spiel, das er offensichtlich von Strauß seinem großen Vorbild, gelernt hat. Er soll ja, hat er zugegeben, als junger Christsozialer ein Foto des großen Vorsitzenden über seinem Bett hängen gehabt haben. Das passt, andere Jugendliche haben da andere Träume.
Das ist nur ein Auszug aus der schillernden Geschichte der Union, um es mal so zu formulieren. Man könnte sie ergänzen, weiß Gott. Mir fällt dazu nur noch der bekannte Vergleich von Gustav Heinemann ein, dem einstigen Bundespräsidenten, der wegen der Wiederbewaffnungspolitik Adenauers einst die CDU verlassen hatte und später nach dem Umweg über die DVP der SPD beigetreten war: Wer mit dem Zeigefinger auf andere zeigt, muss wissen, dass drei Finger derselben Hand auf ihn zurückzeigen.
Lieber Alfons Pieper,
und was ist mit Herrn Schäuble, und den 100 000 DM?
So long Marianne Bäumler