Nach langem Gerangel haben sich – welch ein Wunder – CDU, CSU und SPD auf das Asylgesetz II doch noch geeinigt. Die Nachzugsmöglichkeiten für Angehörige der Migranten, die Deutschland erreicht haben, werden verringert, die Zahl der “sicheren Herkunftsstaaten“ – vor allem solche in Nordafrika – wird erweitert. Die Schlussrunde der Vorsitzenden der Parteien der Großen Koalition bescherte dieses Ergebnis. Beim anschließenden Treffen mit den Ministerpräsidenten der Länder wurde alles abgesegnet. Ob die Grünen, auf deren Stimmen es zur endgültigen Verabschiedung des Asylgesetzes II im Bundesrat ankommt, wirklich zustimmen werden, ist noch nicht sicher. Der Grünen Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Kretschmann, ist zwar nicht völlig dagegen, tut sich indessen mit Blick auf die Landtagswahl am 13. März und seine Partei recht schwer.
Asylgesetz II: Kein Damm gegen Migrantenflut
Nicht wenige Experten haben zudem Zweifel, ob die neuen Maßnahmen die erhoffte Wirkung zeitigen werden. Der Zustrom von Migranten lag im vergangenen Jahr bei deutlich über 1 Million. Der Stau bei den Entscheidern über die Gewährung von Asyl ist immer größer geworden. Die Ausweisungs- und Abschiebeprozeduren sind schwierig und dürften zunächst auch nicht zu beschleunigen sein. Allerdings machen die drastisch verringerten Zahlen von Migranten aus der Balkan-Region etwas Hoffnung. Der Druck aus afrikanischen Staaten hat sich jedoch bis in die jüngste Gegenwart verstärkt. Abschiebungen nach Tunesien, Marokko, Libyen, Mali, Burundi usw. dürften auch in Zukunft nicht einfacher werden.
Die Hoffnungen auf die Solidarität der EU schmelzen dahin wie der Schnee in der Sonne. Von über 180.000 Migranten, über deren Verteilung sich die EU-Staaten vor einiger Zeit verständigt hatten, sind nicht einmal 500 in anderen Ländern aufgenommen worden. Einige europäische Staaten machten ihre Grenzen dicht. Der nächste EU-Gipfel wird am 18./ 19. Februar stattfinden. Die Bundeskanzlerin und viele andere setzen darauf, dass Europa sich auf seine Werte besinnt und sich in Solidarität üben wird. Wer indessen auf ein solches Wunder setzt, dürfte nach dem Abstieg vom Gipfel tief enttäuscht sein.
Realisten im politischen Berlin gehen davon aus, dass auch in diesem Jahr mindestens 1 Million weiterer Migranten nach Deutschland kommen werden – wahrscheinlich eher noch mehr. Und für 2017 bewegen sich die Schätzungen auf etwa demselben Niveau. Auch nach der Verabschiedung des Asylgesetzes II wird es Nachzüge geben. Das bedeutet nochmals ein Plus von bis zu 300.000 Menschen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea, dem Jemen und anderen Staaten. Die Aufnahme einer solch’ großen Zahl von Flüchtlingen ist schwierig – selbst für einen Staat wie Deutschland.
Erosion der Republik?
Die Probleme werden trotz aller politischen Bemühungen und Weichenstellungen von Tag zu Tag größer. Vor allem sind die Aufnahme- und Unterbringungskapazitäten überfüllt, Turnhallen und Kasernen überbelegt, die vielen – insbesondere auch freiwilligen – Helfer erschöpft. Vor Ort – in den Städten und Gemeinden – ist immer vernehmbarer, dass “wir das nicht mehr schaffen“. Hinzu kommen die täglichen Meldungen über deutsche Attacken gegen Flüchtlingsunterkünfte, über Auseinandersetzungen zwischen den dort untergebrachten Migranten unterschiedlicher Nationalitäten, über kriminelle Belästigungen und Taten von Flüchtlingen gegen Deutsche – wie etwa an Silvester in Köln und anderen Städten. Die Gefühle der Unsicherheit im eigenen Land nehmen in vielen Regionen zu. Die Bewegungen zum rechten Rand des politischen Spektrums sind inzwischen zum Barometer des Schreckens geworden, denn der Zulauf zur AfD und zu den Pegida-Aufmärschen speist sich inzwischen auch aus der Mitte unserer Gesellschaft.
Angst vor Überfremdung
Nicht wenige befürchten eine drohende Überfremdung Deutschlands, obschon der Anteil der Ausländer gerade bei rund 10 % liegt. In manchen Ballungsgebieten – etwa im Norden mancher Ruhrgebietsstädte oder auch in einigen Großstädten und Ballungsgebieten – sind es jedoch schon 20 bis 30 %. Diese Angst vor noch mehr Menschen vor allem aus anderen Kulturkreisen und der Welt des Islams wird durch manche Hochrechnungen zu einem “worst case“ geschürt: Über 3 Millionen Migranten in nur 3 Jahren, zig Nachzügler, viele junge Flüchtlinge aus Ländern, in denen Familien mit vier, fünf und mehr Kindern die Regel sind, daraus könnten in einer Generation zwischen 10 bis 20 Millionen Menschen und damit ein Fünftel oder gar ein Viertel der deutschen Bevölkerung werden.
So wird nicht nur die Bewältigung der Migrantenflut als das größte Problem wahrgenommen, sondern vor allem auch die Integration als die größte Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Bislang haben sich die politische Führung und die staatlichen Verwaltungen auf allen Ebenen mit der Flutbewältigung schon schwer genug getan und nicht sonderlich vertrauenserweckend auf die Bürger operiert. Bei der Integration traut das Volk in Deutschland den politisch Verantwortlichen deshalb auch nicht mehr viel zu. Die großen Herausforderungen, die es hier in den nächsten Jahren zu bewältigen gilt, sind Sprachunterricht, Bildung und Ausbildung, Schaffung von menschenwürdigem Wohnraum, berufliche Eingliederung, Nachbarschaft und Miteinander in den Kommunen und Vereinen sowie vor allem die Vermittlung deutscher Leit- und Lebenskultur – vom Grundgesetz bis hin zum Strafgesetz.
Dafür müssen viele Milliarden investiert werden. Verwaltungen, Politiker und Beamte, Polizei und Gerichte müssen die Integrationsaufgaben übernehmen. Alle Bürger müssen sich auf die Veränderungen, die sich durch die Zuwanderung in so großem Umfang ergeben, einstellen.
Integration muss der wichtigste Prozess der deutschen Gesellschaftspolitik in den nächsten Jahren sein. Wenn sie gelingt, werden wir eine win-win-Entwicklung in unserem Lande haben; wenn nicht, dann werden alle – Deutsche und Zuwanderer – verlieren, die Spaltung der Gesellschaft sich verschärfen und die politische Erosion zunehmen. Es lohnt sich also für alle, jetzt kräftig in unsere gemeinsame Zukunft zu investieren und sich persönlich in den Integrationsprozess einzubringen – möglichst mit der Fortschreibung der im Herbst vergangenen Jahres bewiesenen Willkommenskultur zu einem Miteinander mit Hilfe, Respekt und Toleranz.
Bildquelle: Wikipedia, An-d, Erstaufnahmelager Jenfelder Moorpark, CC BY-SA 3.0